Formosa

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Autor: Dr. Adolf Fritze
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Titel: Formosa
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 204, 206-208
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[204]

Formosa.

Der mutmaßliche Siegespreis der Japaner.
Von Dr. Adolf Fritze.


Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß das siegreiche Japan, nachdem es China eine gewaltige Niederlage nach der andern bereitet hat, sich nicht eher zum Frieden verstehen wird, als bis ihm von seinem Gegner auch eine Erweiterung seines Länderbesitzes zugestanden ist.

Der Zankapfel selbst, Korea, kommt hier wohl kaum in Frage, weil für die Japaner der Besitz des Landes aus klimatischen und anderen Gründen von keinem wesentlichen Vorteil wäre, es auch zu sehr gegen das Interesse Rußlands verstieße, wollte letzteres Japan gestatten, da festen Fuß zu fassen, wo es selbst noch einmal die Rolle des lachenden Erben zu spielen hofft, denn für Rußland ist der Besitz eines eisfreien Hafens in Ostasien von allergrößter Bedeutung. Auch ist nicht ernstlich anzunehmen, daß Japan nach einem Teil des eigentlichen China Gelüste tragen sollte. Das Land hat [206] für den Japaner herzlich wenig Verlockendes. Aber ein Gebiet giebt es, dessen Besitz für Japan von großem Wert ist, das ist die zwischen beiden Reichen gelegene und eine Fortsetzung der den Japanern bereits gehörenden Kette der Liu-Kiu-Inseln bildende Insel Formosa, die sich zur Zeit, wenigstens zum größten Teil, im Besitz der Chinesen befindet und der sich neuerdings auch die kriegerische Aktion der Japaner zugewendet hat.

Der Wunsch der Japaner, Formosa ihrem Inselreiche einzuverleiben ist nicht neu; einen Versuch in dieser Richtung haben sie bereits im Jahre 1874 gemacht. Die östliche Hälfte der Insel ist im Besitz von Wilden malayischer Abstammung, und seitens eines dieser Stämme, des Stammes der Butan im Nordosten der Insel, waren mehrfach Mordthaten an schiffbrüchigen Japanern und Liu-Kiu-Insulanern verübt worden. Daraufhin ging im Mai 1874 von Japan eine Expedition in der Stärke von 3000 Mann unter dem Befehl des Generals Saigo nach Formosa, angeblich nur, um die Uebelthäter zu bestrafen, in Wirklichkeit wohl, um womöglich die Insel ganz oder teilweise zu annektieren. Unter siegreichen Gefechten gegen die Eingeborenen drang die Expedition vor, da erklärten die Chinesen sich als Herren der Insel und drohten mit Krieg, wenn Japan seine Truppen nicht zurückzöge. Japan mußte sich fügen, Formosa räumen, und erhielt eine verhältnismäßig geringe Geldentschädigung, 500000 Taëls, also etwa 3 Millionen Mark.

Glücklicher waren die Japaner auf den Liu-Kiu-Inseln. Diese bildeten ein kleines Königreich, dessen Herrscher sowohl an Japan, als auch an China einen jährlichen Tribut entrichtete. Um nun die auf Formosa erhaltene Scharte einigermaßen wieder auszuwetzen, verbot Japan 1874 weitere Tributzahlungen an China, und im Jahre 1876 wurde trotz der Einsprache der Einwohner der König mediatisiert und sein Reich in eine japanische Provinz umgewandelt. –

Ehe wir nun näher auf die Natur und die Bewohner Formosas eingehen, wird es nötig sein, einige geographische und statistische Angaben über die ostasiatische Inselwelt, zu der es gehört, vorauszuschicken. Die sämtlicheu hier in Frage kommenden Inseln liegen innerhalb eines Quadrates, dessen Seiten durch den 30. und 22.° nördlicher Breite und durch den 120. und 130.° östlicher Länge von Greenwich gebildet werden. Die südlichen Liu-Kiu-Inseln liegen unter demselben Breitengrade wie der nördliche Teil von Formosa und nähern sich bis auf etwa 100 Kilometer der Ostküste dieser Insel. Dieser geographischen Lage entsprechend, ist denn auch das Klima und die Vegetation auf den verschiedenen Inseln eine sehr gleichförmige, während weiter nach Süden das tropische, weiter nach Norden das subtropische Element überwiegt.

Formosa bedeckt einen Flächenraum von etwa 36000 Quadratkilometern, ist also etwas größer als Baden und Württemberg zusammengenommen.

Die Insel wird der ganzen Länge nach durchzogen von einer Gebirgskette, welche sich stellenweise bis zu einer Höhe von etwa 4000 Metern erhebt. Man schätzt die Zahl der Bewohner auf etwa 3 Millionen. Den Fremden sind geöffnet die Häfen Taiwansu, Takao, Tamsui und Kilung. Die erst kürzlich erbaute Hauptstadt ist Taipeifu, gelegen an der Nordspitze der Insel.

Die Liu-Kiu-Kette wird gebildet aus 36 bewohnten Inseln von teilweise vulkanischem Ursprung, deren Oberfläche man auf etwa 4000 Quadratkilometer berechnet hat, was ungefähr dem Flächeninhalt des Herzogtums Braunschweig und des Gebiets der freien Hansestadt Hamburg gleichkommen würde. Die vulkanischen Inseln, von denen eine Anzahl noch thätige Feuerberge besitzt, bilden die innere, dem Festland zugekehrte Reihe. Der Kern der äußern Reihe wird gebildet durch Gneis und Thonschiefer, welcher mehr im Innern der Inseln zu Tage tritt, während die dem Meere näher gelegenen Teile aus Korallenkalk bestehen. Die größte dieser Inseln, Okinawa, ist selbst ein in der Hebung begriffenes Korallenriff. Auf ihr ist auch die alte Königsstadt Shuri mit der Hafenstadt Nasa gelegen. Ganz Liu-Kiu, oder, wie es jetzt als japanische Provinz heißt, „Okinawa-ken“, besitzt eine Bevölkerung von etwa 400000 Seelen.

Das Klima in diesen Breiten ist im allgemeinen mild und gesund. Die Ostküste Formosas und die Gestade der Liu-Kiu-Inseln werden bespült von den warmen Wellen des auch unter dem Namen des japanischen Golfstromes bekannten Kuro-Shiwo, der, von den Marianen und Philippinen kommend, auch das Klima der Ostküste der großen japaniscken Inseln zu einem so milden und gesegneten macht. Während des Sommers wehen warme und feuchte Südwinde, welche verhältnismäßig reiche Niederschläge mit sich führen, im Herbst setzen dann kühle Nord- und Nordwestwinde ein, indes sinkt auch in den kältesten Monaten des Jahres auf den Liu-Kiu-Inseln die mittlere Temperatur nicht unter 15° Celsius.

Die Vegetation ist im Süden Formosas rein tropisch. Am Meeresufer bilden die Mangroven üppige dunkelgrüne Dickichte, welche mit ihrem undurchdringlichen Gewirr von Luftwurzeln bis weit in das Meer hinausreichen. Pandanus und Palmen bedecken das Ufer und die tiefer gelegenen Teile des Gebirges, während stolze Wälder immergrüner Eichen und Lorbeeren die mittlere Zone der Berge schmücken, und über diesen ragen in blendender Weiße die schneebedeckten Gipfel des Mount Morrisson und seiner Nachbarberge gen Himmel. Je weiter wir auf der Ostseite der Insel nach Norden fortschreiten, um so mehr ändert sich der Habitus der Vegetation. Formen von subtropischem Gepräge treten auf und ganz allmählich nimmt die Pflanzenwelt den Charakter einer Mischflora an, den Uebergang der tropisch-indischen zur subtropisch-japanischen Vegetation darstellend. Die Flora der Nordspitze Formosas gleicht dann schon fast völlig der der benachbarten südlichen Liu-Kiu-Inseln

Eine durchaus andere Beschaffenheit zeigt die ganze westliche Hälfte von Formosa. Hier ist wenigstens in der Nähe der Küste das Land fast vollständig eben. Die üppigen Urwälder sind verschwunden, gerodet von der Hand der Chinesen, der derzeitigen Herren dieses Teils der Insel, welche das ganze Gebiet in ein großes, reiches, stark bevölkertes Kulturland umgewandelt haben. Wohl bewässerte, terrassenförmig angelegte Reisfelder wechseln mit weit sich hinziehenden Aeckern, auf denen Zuckerrohr, Mais und Weizen gebaut werden. Die auf den Bergen wild wachsende Theestaude ist von den Chinesen veredelt, und bot auch die Kultur anfangs große Schwierigkeiten, so ist doch das Resultat derselben im Laufe der Jahre ein recht gutes geworden. Das Land weiter im Innern ist schön in seiner stetigen Abwechslung von Berg und Thal und von außerordentlichem Reichtum; Orangen, Bananen, Ananas gedeihen überall in Menge, und namentlich in der Nähe der Hafenstadt Tamsui bildet der Kampferbaum ausgedehnte Wälder. Das ist der Charakter des Landes auf der ganzen westlichen Hälfte und der nordöstlichen Spitze der Insel, auf welcher die Hafenstadt Kilung liegt.

Etwas anders als mit der Pflanzenwelt verhält es sich mit der Fauna unseres Gebiets.

Im allgemeinen wiegen auf Formosa solche Tierformen vor, als deren Hauptverbreitungsgebiet wir China und das Himalayagebirge zu betrachten haben, und diese Zusammensetzung weist in Verbindung mit der geringen Tiefe des Meeres in der Formosastraße darauf hin, daß – geologisch gesprochen – die Zeit noch nicht allzuweit hinter uns liegt, da Formosa noch mit dem großen asiatischen Festlande zu einem Kontinent verbunden war; von den etwa 30 uns bekannt gewordenen auf Formosa heimischen Säugetieren werden nur wenige ausschließlich auf der Insel getroffen.

Unter den Affen treffen wir auf Formosa die Art Innus speciosus, einen nahen Verwandten des Magot, der als einziger Verteter der Vierhänder in Europa den Felsen von Gibraltar bewohnt. Dieselbe Art, wie die auf Formosa einheimische, findet sich übrigens auch in Japan, und zwar noch in Gegenden, in denen im Winter der Schnee 15 bis 20 Fuß hoch liegt. Von Fledermäusen fallen die gewaltigen Pteropus, die fliegenden Hunde, auf, deren Nahrung ausschließlich aus Früchten besteht, und von Raubtieren finden wir namentlich eine Bärenart und ein eigentümliches Wiesel, Helictis. Die so weit verbreiteten Schweine sind durch ein Wildschwein (Sus leucomystax) vertreten. Unter den Hirschen ist namentlich zu erwähnen ein Muntjac (Cervulus), von der Größe unseres Rehes, und in den Gebirgen klettert der zierliche Goral (Nemorhoedus), eine unsern Gemsen nahe verwandte Antilopenart. Zu diesen Formen kommen noch Eichhörnchen, Mäuse, Hasen, Igel, Maulwürfe und ähnliche, mit europäischen Arten verwandte Species. Nur eine sehr fremdartige Beimischung zu dieser Fauna ist zu erwähnen, ein Schuppentier, Manis, dessen nächste Verwandte ebenfalls China und den Himalaya bewohnen.

[207] Unter den 144 bekannten Vogelarten von Formosa finden sich keine besonders bemerkenswerten Formen, sie sind teils identisch, teils nahe verwandt mit indischen und südchinesischen Arten, nur eine einzige Gattung ist für die Insel charakteristisch.

Ueber die Reptilien, Amphibien, Weichtiere und Insekten ist wenig bekannt geworden, sie scheinen sich nahe an die Species der Liu-Kiu-Inseln anzuschließen, für welch letztere der Reichtum an Eidechsen und Schlangen sowie an prächtigen Schmetterlingen meist zu indischen und himalayanischen Arten gehörig, charakteristisch ist.

Was nun die menschlichen Bewohner von Formosa betrifft, so zerfallen diese, wie bereits erwähnt, in zwei verschiedene Elemente, die eingeborenen malayischen Stämme und die chinesischen Eindringlinge.

Formosa war den Chinesen schon von alter Zeit her bekannt; bereits im Jahre 605 v. Chr. wurde ein Mandarin beauftragt, die Insel zu erforschen. In nähere Berührung mit Formosa kamen dann die Chinesen im Jahre 1430 durch Schiffbrüchige ihres Volkes, und seit der Zeit haben wahrscheinlich kleinere Ansiedelungen von ihnen auf dieser Insel bestanden. Zahlreiche Kolonisten kamen indes erst herüber, als die Mandschu im Jahre 1644 die chinesische Mingdynastie über den Haufen warfen und Peking einnahmen. Damals flohen viele Chinesen nach dem sichern Formosa, ließen sich zunächst an der Westküste nieder, verwandelten die Wildnis in fruchtbare Plantagen und drangen immer weiter ins Innere vor, die eigentlichen Besitzer der Insel, die Malayen, die übrigens auch in alten Zeiten von Süden her eingewandert sind, gegen die Ostküste und in das Gebirge zurückdrängend.

Gegenwärtig finden wir die letzteren, wie schon gesagt, nur noch in der gebirgigen östlichen Hälfte der Insel. Sie leben hier in stetem Kriege untereinander, einig sind sie nur in einem Gefühl, und das ist der glühende Haß gegen die Eindringlinge. Gelingt es ihnen, einmal einen Chinesen gefangen zu nehmen und in ihre Berge zu schleppen, so ist ein qualvoller Tod diesem gewiß. Nur am Westabhang der Gebirgskette sind die Eingeborenen etwas civilisierter, sie bebauen hier, untermischt mit Chinesen, die Aecker und häufig finden auch Mischehen zwischen beiden Völkern statt, wobei sich wiederum stets die Richtigkeit der alten oft gemachten Erfahrung bewährt, daß die diesen Mischehen entsprossenen Kinder immer mehr Merkmale des chinesischen Typus als des malayischen besitzen.

Hier in den Grenzgebieten zeigt sich natürlich überall mehr oder weniger der Einfluß der chinesischen Kultur. Die wild gebliebenen Stammesgenossen dagegen leben noch heute unter denselben Verhältnissen wie schon vor Jahrhunderten; ihre strohbedeckten Hütten bestehen aus Rohr und Bambus, Speer, Bogen und Pfeil sind ihre Hauptwaffen und ihre Nahrung liefern ihnen Jagd, Fischfang und – allerdings in sehr geringem Umfange – der Ackerbau.

Die neuen Ansiedler, die Chinesen, haben, wie nicht anders zu erwarten war, oft genug Versuche gemacht, die Bergstämme zu unterwerfen, ohne daß es ihnen jemals gelungen wäre.

Die Chinesen, welche Formosa oder „Taiwan“, wie sie es nennen, bewohnen, unterscheiden sich in nichts von ihren Landsleuten aus dem Mutterlande. Der Erwähnung wert dürfte höchstens die Angabe sein, daß die formosanischen Chinesen sich verhältnismäßig gut zu Soldaten eignen sollen.

In dem Zusammenhang, in welchem wir hier die Insel betrachten, sind ihre Produkte von hervorragender Bedeutung. Da ist in erster Linie der Reis, welcher als ganz besonders vortrefflich gilt, und der Zucker. Japan deckt seinen Zuckerbedarf fast ganz aus Formosa, und zwar sind es besonders deutsche Schiffe, die den Transport vermitteln. Der Hauptausfuhrhafen ist Taiwanfu für beide Produkte, zu diesen kommen noch Bohnen, Oel u. a. m. Fast ebenso bedeutend, wie der Handel von Taiwanfu, ist der von Takao, das nur wenig weiter südlich gelegen ist und in kürzester Zeit durch eine Eisenbahn mit ersterem Hafen und der Landeshauptstadt verbunden sein wird. Zu Reis und Zucker kommen hier als Exportartikel noch Südfrüchte hinzu. Das in der Nähe der Hauptstadt gelegene Tamsui exportiert neben den schon genannten Produkten vortrefflichen Thee, Kampfer und namentlich in großer Menge Schwefel aus den unweit gelegenen Minen von Hobei, ferner Indigo, Hanf und Petroleum. Von großer Wichtigkeit ist endlich noch die vierte im Nordosten gelegene Hafenstadt Kilung wegen der bedeutenden in der Nähe befindlichen Steinkohlenwerke. 1884 machten im französisch-chinesischen Kriege die Franzosen einen Versuch, die Gruben zu nehmen, der aber fehlschlug, sie erlitten vielmehr selbst vor Tamsui eine Niederlage. Vorstehende kurze Aufzählung dürfte genügen, den Wert, den Formosa für die Japaner haben würde, hinlänglich zu illustrieren.

Viele hundert Japaner wandern jährlich nach den Sandwichinseln aus; wäre Formosa im Besitz Japans, so würde die japanische Auswanderung sich hierher wenden, und diese Kräfte würden dem Vaterlande erhalten bleiben. Die von den Chinesen eingeführte Kultur würde so wenig zerstört werden, wie dies auf den Liu-Kiu-Inseln geschehen ist, im Gegenteil: sie würde sich unter japanischer Leitung nur noch mehr heben. Und was der veralteten und verrotteten Bewaffnung und Kriegführung der Chinesen nie gelungen ist, das würde der japanischen Kriegstüchtigkeit gelingen: die Unterwerfung der Eingeborenen und die Erschließung des von ihnen bewohnten Gebietes.

Es liegt nahe, am Schluß dieser dem mutmaßlichen Siegespreis der Japaner gewidmeten Betrachtung noch der Frage näher zu treten, welche von beiden kriegführenden Parteien von uns als Europäern die größere Sympathie verdient. Ich sage: „von uns als Europäern“, denn als Angehörige des Deutschen Reiches haben wir keinen Grund, uns für das Wohl und Wehe einer der kriegführenden Nationen besonders zu erwärmen. In hervorragender Weise Gutes oder Böses haben uns weder die Chinesen noch die Japaner jemals zugefügt, unsere Handelsbeziehungen mit beiden Völkern sind sehr bedeutend, und Sieg oder Niederlage der einen oder andern Macht wird in dieser Beziehung nichts ändern. Koloniale Interessen endlich besitzen wir in jenen Gewässern keine.

Für den etwa in Yokohama oder Shanghai etablierten Kaufmann ist die Frage nach – sagen wir – Vorliebe oder Abneigung rasch abgethan; er antwortet ohne Besinnen: „dem Chinesen gebührt der Vorzug“, und von seinem Standpunkte hat ein solcher Beurteiler vollständig recht: der Chinese ist entschieden ein besserer, zuverlässigerer Kaufmann als der Japaner, und in Geschäftssachen ist mit dem ersteren weit leichter zu verkehren als mit dem letzteren. Diesem kaufmännischen Urteil haftet indes eine große Einseitigkeit an.

Unsere handelsbeflissenen Landsleute in den offenen chinesischen und japanischen Häfen kommen dort eben nur mit ihren mongolischen Berufsgenossen in den Hafenplätzen in Berührung und die Wenigsten haben die Gelegenheit oder geben sich die Mühe, das eigentliche Volk im Innern des Landes kennenzulernen. Dasselbe Schicksal teilt mit ihnen der sogenannte Globetrotter, der „Erdumtraber“, der vielleicht 3 bis 4 Tage in Yokohama und Kobe zugebracht hat und sich nun herausnimmt, in Wort und Schrift sein Urteil über den Charakter, das Familienleben, die Sitten etc. des japanischen Volkes abzugeben.

Die Chinesen sind in der That eine sehr intelligente Nation; in diesem Urteil sind alle einig, denen die Verhältnisse auch nur einigermaßen bekannt sind. Den Kompaß, das Schießpulver, die Buchdruckerkunst haben sie früher erfunden als wir Europäer. Sie sind tüchtige Arbeiter, denen keine Mühe zu groß ist, sofern sie nur bezahlt wird, und was Genügsamkeit anbetrifft, das erste Volk der Erde. Sie sind sparsam bis zum Geiz, welche Eigenschaft sie freilich nicht hindert, nach einem jahrelangen anstrengungs- und gewinnreichen Leben in Singapore oder San Francisko ihr erworbenes Vermögen bei der Ankunft in Shanghai oder Hongkong in der ersten besten Spielhölle in kürzester Zeit bis auf die letzte Kupfermünze wieder zu verlieren. In dieser Beziehung haben übrigens die Japaner viel Aehnlichkeit mit den Chinesen; daß in einer fidelen Nacht im Theehaus Haus und Hof verspielt wird, ist auch in Japan keine Seltenheit.

Den genannten guten Eigenschaften der Chinesen stehen aber manche schlechten gegenüber. Da ist zunächst ihre maßlose Unreinlichkeit zu nennen, die sich ebensowohl bei Vornehmen wie bei Geringen findet. Bekannt genug ist ferner die Mordlust, Grausamkeit und Tücke der Chinesen, die Bestechlichkeit ihrer Beamten vom Minister und Vicekönig bis zum Polizisten, die sklavische Gesinnung, der man in allen Volksklassen begegnet, endlich ihr diebischer, perfider Charakter, von dem jeder Reisende, der das Innere Chinas betreten hat, ein Lied zu singen weiß.

[208] Die Widersacher der Chinesen, die Japaner, erfreuten sich bis vor kurzem der allgemeinen Sympathie der Europäer. Man hatte Gelegenheit genug, junge Japaner zu beobachten, und letztere haben es verstanden, durch ihren Fleiß, ihr höfliches Auftreten und ihre persönliche Liebenswürdigkeit die öffentliche Meinung in hohem Grade für sich einzunehmen. Da brach der Krieg los und nun änderte sich plötzlich die Ansicht des Publikums und man hörte mindestens ebenso viele ungünstige Urteile über die Japaner wie früher günstige.

Thatsächlich war man in der Lobpreisung der Japaner zu weit gegangen. Man hatte vergessen, daß diejenigen von ihnen, welche auf unseren Universitäten studieren, die sich in unsern Fabriken ausbilden, ausschließlich den besten Kreisen des Volkes entnommen sind; die Mehrzahl von ihnen hatten sich bereits daheim als tüchtige Leute bewährt, ehe man sie zur Vollendung ihrer Ausbildung nach Europa schickte. Sie sind gute Repräsentanten der Ersten ihrer Nation, lernt man aber die Japaner in Japan selbst kennen, so bemerkt man wohl, daß den vielen Lichtseiten ihres Charakters auch manche Schattenseiten gegenüber stehen.

Der Hauptfehler des japanischen Charakters ist die große Neigung zur Eitelkeit.

Vielfach und mit Recht hat man die Nachahmungssucht der Japaner getadelt, die von der europäischen Kultur nicht nur das Gute und für sie Zweckmäßige, sondern auch Einrichtungen übernommen hat, die für japanische Verhältnisse nicht passen, oder die überhaupt verkehrt und unschön sind. Man hat z. B. oft bedauert, daß die Japaner der bessern Stände ihre bequeme, geschmackvolle und kleidsame Nationaltracht mit der weniger bequemen und für die japanische Durchschnittsfigur durchaus nicht vorteilhaften europäischen Tracht vertauscht haben. Es wäre indes durchaus verkehrt, hieraus auf eine Verschlechterung des guten japanischen Geschmacks schließen zu wollen; das immer weitere Umsichgreifen des Tragens der europäischen Kleidung ist vielmehr weiter nichts als ein Ausfluß eben jenes Fehlers.

Die Kanonen der Engländer und Franzosen, welche 1863 und 1864 die blühenden Hafenstädte Kagoshima und Shimonoseki in Schutt und Asche legten, belehrten die Japaner nachdrücklich darüber, daß sie keineswegs die erste Nation der Erde seien, wie sie bisher geglaubt hatten, und nunmehr ging ihr ganzes Bestreben dahin, es den Fremden zunächst gleich zu thun und sie dann zu überflügeln. Bei diesem an und für sich anerkennenswerten Streben verfielen sie nun aber auf den Irrtum, Aeußerlichkeiten für das eigentlich Charakteristische der europäischen Kultur zu halten. Daß sie eigentlich das tüchtigste Volk der Erde seien, gilt für sie nach wie vor als feststehend, nur durch ihre jahrtausendelange Isoliertheit, so meinen sie, ist es uns gelungen, sie in dem und jenem zu überflügeln. Wenn sie nun diese Einrichtungen übernehmen und sich dazu gerade so kleiden wie wir, so haben sie uns damit eingeholt und sind uns, dank ihrer sonstigen Tüchtigkeit, wieder um einen kleinen Schritt voraus.

Natürlich denken nicht alle Japaner so, aber die, welche es besser wissen, dürfen es daheim nicht sagen, ohne den sofortigen Verlust ihrer Popularität befürchten zu müssen, ganz wie bei unsern Nachbarn jenseit des Rheines.

Die gegenwärtig wieder stärker hervortretende Feindschaft der Japaner, gegen die Europäer ist sehr bedauerlich und kann für Japan die bedenklichsten Folgen nach sich ziehen, aber unerklärlich und völlig ungerechtfertigt ist sie nicht; das lehrt die Geschichte der letzten Jahrzehnte. Die Handelsverträge, die den Japanern sehr gegen ihren Willen aufgezwungen wurden, kommen, wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, mehr den Fremden als den Japanern zu gute, und in der äußern Politik ist man ihnen überall hindernd in den Weg getreten. Europäische Einflüsse waren es, die die Chinesen im Jahre 1874 aufgestachelt haben, den Japanern auf Formosa entgegenzutreten und ihnen die Frucht ihrer Mühen zu rauben, Europäer sind es wiederum, die sich jetzt ungebeten in den Streit zwischen Japan und China einmengen möchten, um Japan um den Preis des Sieges zu bringen und vor allen Dingen selbst einen Profit dabei zu machen.

Den Fehlern im Nationalcharakter der Japaner stehen aber viele sympathische Eigenschaften und große Tugenden gegenüber, Tugenden, welche wohl geeignet erscheinen, ihre Fehler vergessen zu lassen und den Japanern unsere warme Zuneigung zuzuwenden.

Die Japaner von heute sind ein fröhliches und lebenslustiges, gutmütiges und gastfreies Volk, leicht erglüht für etwas, was sie als schön und edel erkannt haben. Sie sind in religiöser Beziehung tolerant, lieben ihr schönes Vaterland von ganzem Herzen und sind bereit, alles dafür zu opfern. Sie sind eine tapfere, waffenfreudige Nation von ritterlicher Gesinnung und ihre Intelligenz und Bildung weisen ihnen die erste Stellung unter den Nationen des Ostens an.

Es hat allen Anschein, als ob die Menschheit von ihnen noch etwas zu erwarten hätte, und so können wir uns ihres Erfolges nur freuen und ihnen einen baldigen ruhmvollen und vorteilhaften Frieden wünschen.