Frauenleben im Weltkriege/Vorspruch

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Frauenleben im Weltkriege
von Aurel von Jüchen
Aus ihrem Kriegstagebuch
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Vorspruch


Frauenleben und Krieg, — zwei grundverschiedene Welten.

In jener herrscht die Liebe zum Leben, zum schönen, trüben, törichten, klugen, leichtsinnigen, traurigen Leben. In der Welt des Krieges herrscht Lebensverachtung. —

Es gab eine germanische Urzeit, wo auch das Weib wehrhaft war und gemeinsam mit dem Mann ins Feld rückte; es gab eine Heldenjungfrau von Orleans; eine Kaiserin, der ihre Magyaren säbelschwingend zuriefen: „Es lebe Maria Theresia, unser König!“, und in den Freiheitskriegen offenbarte sich ein Tambour der Lützower Schar, dem eine Kugel den Schenkel zerschmetterte, als das Mädchen Eleonore Prochaska, aber das ist Vergangenheit, das sind Ausnahmen, und auch die sprichwörtliche Vorliebe mancher jungen Damen für buntes Tuch, jetzt für Feldgrau, die Betätigung als Fahnenmutter oder als Stütze des Vaterländischen Frauenvereins setzt keine Neigung für den männermordenden Krieg voraus. — Wie in der Kindheit der Weihnachtsmann dem Knaben Bleisoldaten, Säbel und Gewehr, dem Mädchen eine Puppe bringt, so heißt es später: Dem Mann der Staat, der Frau die Familie.

Der Krieg, der unbarmherzige Gewalthaber, achtet aber nicht die Schranken des anderen Reiches, des Frauenlebens. Der Krieger zieht hinaus, um Haus und Herd, Weib und Kind zu schützen; wo dies nicht gelingt, wo der Feind ins Land dringt, schwingt der Krieg seine Geißel auch über den Frauen. Wenngleich nicht alle Soldaten Kosaken sind, bleibt dennoch des Jammers die Fülle für [6] die, denen der wilde Kriegssturm das Nest zerstört, zerschlägt, oder für jene, die freiwillig aus der Heimat fliehen und dann wie bange Vögel im Sturm hin und her flattern. Die belgischen, französischen, polnischen, serbischen Frauen wissen vom Krieg ein grausiges Lied zu singen, aber auch unsere Schwestern in Ostpreußen und Oberelsaß. — Nicht minder hart trifft der Krieg die Ansiedler im fremden Land. Sinnlos höhnend tritt er plötzlich an sie heran, raubt ihnen ihr Eigentum, und wie manche Frau hat draußen namenlose Höllenangst in der sie umlodernden Glut fanatischen Völkerhasses erduldet.

Alle diese mögen mit Neid auf die Mehrzahl der deutschen Frauen blicken, die im wohlbeschützten Land dem schrecklichen Unwetter gewissermaßen aus der Ferne zuschauten, aber der Neid ist nicht ganz begründet. Auch aus dem von Kriegsgreueln unberührten Lande tönt ein leises, verhaltenes Schluchzen, es schämt sich vor dem hellen Tage, aber es kündet, daß der Krieg auch hier unzähligen Frauenherzen blutige Wunden geschlagen hat. Die Angst- und Leidenstränen der Mütter, Frauen und Bräute sind ein Opfer am Altar des Vaterlandes, das dem verspritzten Heldenblut der Krieger an innerem Schmerzensgehalt nicht nachsteht. Abgesehen davon, daß die Kriegsbegeisterung beim Mann von den ersten Bleisoldaten an durch das Spiel, dann durch die Schule, im Heer, in Vereinen gepflegt und genährt wurde, findet der Mann im Kriege selbst einen Halt an seinem mutigen Führer, an tapferen Kameraden, und durch wie arge Drangsale auch gerade dieser Krieg mit seinen endlosen Stellungskämpfen alle Streiter führte, die Not selbst erzeugt eine Suggestion, die alle Not und sogar den Selbsterhaltungstrieb überwindet.

Des Lebens Ängste, er wirft sie weg.
Hat nichts mehr zu fürchten, zu sorgen.

Dieser Spruch gilt, wieviel grausamer auch der Krieg im Zeitalter der Naturwissenschaft und Technik, als im Zeitalter Wallensteins sich gestaltet hat, noch immer zu Recht für den Soldaten.

[7] Seelisch erduldet die liebende Mutter, das treue Weib meist stärkere Leiden, als der Krieger. Im Gegensatz zu diesem ist das Leben der Frau mehr oder weniger abgeschlossen, eingeschnürt von allerlei Fesseln, und wenn sich auf dieses Leben zentnerschwer das Bangen senkt vor einer Schauerwelt, an die der Blick nur von ferne rührt, so ist dies ein fast unerträglicher Druck. Das Herz müht sich, Brücken der Sehnsucht und Liebe in die unbekannte Ferne zu bauen, die Gedanken eilen auf diesen hin und her, aber die Brücken schwanken. Mit Fieberdurst harrt die Frau täglich auf Nachricht, mit Entsetzen liest sie in der Zeitung von immer neuen Schwierigkeiten, mit klopfendem Herzen durchforscht sie die Verlustlisten nach dem einen geliebten Namen, und jeder Tag spannt ihre Kraft auf die Folter der Ungewißheit. — Sie haben ihre Leidensopfer auf dem Altar des Vaterlandes dargebracht, nicht freudig, — das wäre gegen die menschliche Natur, — aber mit dem Bewußtsein einer hohen Pflichterfüllung, oft mit stolzer Begeisterung. Glänzend hat sich ein Wort Bismarcks erfüllt, das er bei einem Besuch von Frauen und Jungfrauen aus Hessen und der Pfalz sprach: „Hat der deutsche Reichsgedanke einmal die Anerkennung der deutschen Weiblichkeit gefunden, dann ist er unzerstörbar. Ich sehe in der Tradition der deutschen Mutter und Frau eine festere Bürgschaft für unsere politische Zukunft, als in irgendeiner Bastion unserer Festungen. Mein Vertrauen auf die Zukunft beruht auf der Stellung, welche die deutsche Frau genommen hat. Die Überzeugung einer Frau entsteht nicht so leicht, sondern langsam, entstand sie aber einmal, so ist sie weniger leicht zu erschüttern.“

Als unsere Frauenwelt plötzlich staunend erkannte, daß die von unserem Altreichskanzler erbaute Burg, in der wir seit 44 Friedensjahren uns einrichten konnten, die uns Sicherheit und steigenden Wohlstand gewährte, Güter, die das Frauenherz als große Wohltaten schätzt, daß dieses Bollwerk von heimtückischen Gewalten umzingelt und bedroht wurde, als unser seit über 25 Jahren als Friedenshort [8] erprobter Kaiser, den unsere Frauen ganz besonders wegen seiner Friedensliebe verehren und lieben, sich gezwungen sah, sein Volk zum Kampf der Notwehr zu rufen, da stand bei den Frauen aller deutschen Lande auch die Überzeugung fest, daß das Recht auf unserer Seite war, und diese Überzeugung überwand auch bei dem zarten Geschlecht den Abscheu vor dem Blutvergießen, ließ sie die Furcht vor allen Leiden unterdrücken, um den Tatendurst unserer Krieger nicht zu dämpfen, sondern zu heben. — Damit beginnt die tätige Teilnahme der Frauen an diesem ersten großen Krieg des Deutschen Reichs, doch eine andere war längst vorangegangen.

Der Mann bildet und formt die Welt, aber das Weib bildet den Mann. Wenn trotz des langen Friedens und mancher verweichlichenden Einflüsse im Augenblick der Gefahr das deutsche Volk eine tiefinnere Gesundheit zeigte, wenn der seelische Mut, das Pflichtbewußtsein, die Vaterlandsliebe in Deutschlands Söhnen in gleicher Weise, wie 1813 und 1870, aufflammten, so haben dazu Viele mitgewirkt, aber sicher auch die deutschen Mütter.

Das Kriegswesen liegt Frauen im allgemeinen fern, aber das Ansehen des Kriegerstandes ist bei uns ein ganz anderes, als bei unseren Feinden. Es ist oft darüber gescherzt worden, daß zarte Hand bei Bällen vor allem die etwa vorhandenen Uniformen mit Kotillonorden schmückte, aber daß diese Vorliebe für den Kriegerstand in unserem Volke lebt, brauchen wir nicht zu bereuen, denn dieses Ansehen hat den ganzen Stand gehoben, und unsere Krieger haben sich dieses Ansehens in der Stunde schlimmster Not würdig erwiesen.

Politik und Strategie liegen den Frauen fern, und dennoch oder eben deshalb waren sie von vornherein von dem Siege Deutschlands überzeugt. Hatten sie geheime Kunde von der Kriegskunst unseres Generalstabs, von den 42-Zentimeter-Mörsern, der Verwegenheit unserer Unterseeboote? Nein, aber sie hatten die volle Überzeugung, daß Gott der gerechten Sache zum Sieg verhelfen würde. [9] Unsere Frauen haben im Frieden nie aufgehört, aus dem unergründlichen Born der Religion Trost und Hoffnung zu schöpfen, jede deutsche Mutter führt ihre Kinder diesen Weg, aber für die Männer war er oft verloren, überwachsen vom Gestrüpp unentwirrbarer Zweifel und weltlicher Interessen. Je weniger die Frauen von den Machtmitteln Deutschlands wußten, um so mehr setzten sie ihre Hoffnung auf die Macht Gottes, suchten sie ihren Trost an dem Born des Glaubens. Sie gingen in Scharen und drängten ihre Söhne und Gatten mit dorthin. Unter den Schritten dieses Massenpilgerzuges wurde das Gestrüpp der Zweifel zertreten, und ein königlicher Weg tat sich auf nach dem alten Born des Schönsten und Besten. Erquickt mit seinem Wasser des Lebens, dem köstlichen Trank der frühen Jugend, mit Gottvertrauen und der Ergebung in Gottes Willen rückten unsere Krieger aus — nicht zu einem Feldzug, nein zum Kreuzzug gegen den vielköpfigen Feind, stürmten sie mit sieggebietendem Hurra in den höllisch blitzenden Tod, erduldeten sie ohne Murren die unsägliche Mühsal.

Vieles wurde in diesem Krieg zur Waffe gemacht: Die goldene Gedankenarbeit der Kriegskunst und Kriegstechnik, die Naturkraft des physischen Mutes, die technische Leistungsfähigkeit unserer Fabriken, germanischer Erfindungssinn, wie die germanische Fähigkeit im Aushalten von Strapazen, doch auch alles, was hold und herzlich ist im Deutschen: Religion, Poesie, selbst die Sprache wurde im Kampfe gegen die Feinde aufgerufen, vor allem aber die Menschenliebe, das soziale Gewissen.

Hart neben der Welt des tobenden Männerzornes, der klaffenden Wunden und brechenden Augen zeigt der Krieg in der heilenden, pflegenden, tröstenden Tätigkeit der Liebe eine Welt voll sittlicher Schönheit. Hier ist das eigentliche Reich der Frau.

In der Krankenpflege sind Frauenherz und Frauenhand unentbehrlich und unersetzlich. Der Andrang namentlich unserer jungen Mädchen zur Fahne des Roten Kreuzes [10] bei Ausbruch des Krieges bildete einen herrlichen Akkord mit dem dröhnenden Ansturm der Kriegsfreiwilligen zum Heere. Dieser Ton klang fort in der Tätigkeit, die die deutschen Frauen bei der Errichtung von Lazaretten in allen Städten entwickelten, in ihren Bemühungen, die armen Verwundeten zu pflegen und ihnen einige Blümlein auf den Leidenspfad zu streuen.

Eine ebenso wichtige Pflicht war die Fürsorge für die Angehörigen jener wackeren Krieger, die nichts besaßen, als ihre gesunden Glieder, und mit diesen dem Vaterlande alles darbrachten, was sie besaßen. Frauen waren es meistens, die das Geld sammelten zur erforderlichen Ergänzung der staatlichen Kriegsunterstützung der Familien, welche Kriegsküchen einrichteten und hier billiges Essen bereiteten, die mit Rat und Tat, mit Hilfe, Trost, Mitleid eingriffen, wo es not tat.

Solche Arbeit entbehrt des heroischen Schimmers, und noch weniger umweht dieser die Sammlung und Herstellung von Liebesgaben, wie sie in Mengen an die ausgeraubten Ostpreußen und dauernd an unsere Krieger im drohenden Todesgraus abgingen, und doch wieviel weiche Begeisterung, wieviel liebevolle Wünsche, wieviel Heldenverehrung wurde in die Millionen Strümpfe, Stauchen, Schals von zarter Hand hineingestrickt:

Die Nadeln klappern in der Hand,
Zwei links, zwei rechts, ein langer Rand.
Gott schenke euren Waffen Sieg,
Daß bald beendet sei der Krieg!

Selbst die kleinen Schulmädchen machte der märchenhaft dem Grab entstiegene Strickstrumpf mobil, und ihre Augen leuchteten stolz auf in dem Bewußtsein, fürs Vaterland zu stricken.

Es war ein anspruchsloses Wirken, das auch allgemein als selbstverständlich angesehen wurde, ebenso wie die Geldspenden, die mit gleicher Opferwilligkeit, wie 1813, auch von Frauen und Mädchen, flossen; aber der Geist, in dem die Liebestätigkeit verrichtet wurde, hat diese geadelt, und [11] ob von ihr kein Lied, kein Heldenbuch meldet, ihre Bedeutung ist doch nicht zu unterschätzen. Selbst die geringe Liebesmühe, daß Frauen und Mädchen die ausrückenden und durchziehenden Truppen und die Verwundeten an den Bahnhöfen bewirteten, so daß mancher Soldat sich wie ein reisender Prinz fühlte, hat viel dazu beigetragen, den köstlichen Kriegshumor zu wecken, der nachher aus den öden, kugelumschwirrten Schützengräben und Erdhöhlen weiter hervorblühte.

Das typische Frauenleben ist passiver und genießender Art. Diese Eigenschaften schätzt man als Frauentugend, und sie tragen vieles bei zur Erwärmung des deutschen Heims, anderseits gedeihen unter ihrer lauen Wärme in der Abgeschlossenheit von der Welt mit ihren Umwälzungen manche Gewächse, die wir heute nur noch als Unkraut ansehen können, wie Standeshochmut, Geldstolz und soziale Gleichgültigkeit. Der Krieg hat das Stilleben der Frau überall aufgestört; hier klopfte er mit unbarmherziger Stahlfaust an die Pforte des schützenden Heims, dort lehrte er die Frau haushalten, wie die Krieger aushalten, mit Entbehrungen und Strapazen, dort forderte er den Mann zu den Fahnen und zwang der Frau die Zügel seines Geschäfts in die Hand, bei der ganzen deutschen Frauenwelt rüttelte der Krieg das Gemeinsamkeitsgefühl auf, und das mancher Frau und Mutter auferlegte Märtyrerinnenkreuz hat deren Seelen bedrückt und eben durch diesen Druck ihren Inhalt verbessert und veredelt. Der Sturm hat manche Seele vertieft und versunkene Schätze zutage gefördert.

Diese überblickende Betrachtung der Zusammenhänge zwischen dem Frauenleben und dem Weltkrieg 1914/15 möchte die folgenden Erzählungen ergänzen, in denen sich einzelne Frauenschicksale auf dem düsteren Hintergrunde des blutigen Völkerringens abspielen, und der Graus des Krieges sich in den Frauenherzen spiegelt, wie im Tautropfen der Blitz. Durch den Donner des entfesselten Gewitters soll in diesen Erzählungen das Sehnen und Hoffen [12] der Menschenbrust klingen, und durch des geschilderten Kleinlebens Lust und Leid der hallende Schritt der Weltgeschichte. Daß der Krieg ein großes, vielleicht das größte Übel ist, darin werden die Frauen Deutschlands fast ohne Ausnahme einstimmen. Das deutsche Volk mußte dieses Übel auf sich nehmen, um einem größeren Übel vorzubeugen, und der Krieg wird durch die Sicherung unseres Vaterlandes, durch die Befestigung seines Friedens, für uns zu einem hohen Gute werden. Auch für manchen Einzelnen hat der opferreiche Krieg Segen gebracht auf dem einzig wichtigen, dem idealen Gebiete, und auch manche Frau ist an dem herben Erlebnis, an dem Kriege, stärker geworden. Unsere Erzählungen werden zeigen, wie manche Frau mit dem harten Kriegsgott gerungen hat, bis er sie segnete. Jedes Leiden führt im Stillen irgendeinen uns zugute kommenden Ersatz mit sich; möge sich dies auch für die Leiden bewähren, die der Krieg dem Frauenleben brachte. „Denn zur Weisheit führet uns Zeus und heiligt als Gesetz, daß im Leiden Lehre wohne.“ (Äschylos.)