Friedrich der Grosse und Lord Bute

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Autor: Albert v. Ruville
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Titel: Friedrich der Grosse und Lord Bute
Untertitel: Eine Erwiderung
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 12 (1894/95), S. 160–171.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. B. und Leipzig
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[160] Friedrich der Grosse und Lord Bute. Eine Erwiderung. In meiner Dissertation „Die Auflösung des Preussisch-Englischen Bündnisses im Jahre 1762“ (Berlin 1892) hatte ich auf Grund archivalischen und handschriftlichen Materials nachzuweisen gesucht, dass die Schuld an jener traurigen Entfremdung zwischen Preussen und England am Ende des 7jährigen Krieges nicht in dem Masse den damaligen Leiter der Englischen Politik, Grafen Bute, trifft, wie man bisher im Anschluss an das Urtheil Friedrich’s des Grossen Preussischerseits angenommen hatte. Dr. Michael hat in einer Recension[1] die Kernpunkte meiner Abhandlung bestritten; er meint, die hauptsächlichsten der von mir an’s Licht gezogenen Documente mit der bisherigen Auffassung in Einklang bringen zu können. Da mir aber seine Gründe in keiner Weise stichhaltig erscheinen, so will ich hier auf jene Punkte nochmals näher eingehen. Die folgenden Ausführungen werden zur Klärung der Frage manches beitragen und insofern als eine Ergänzung meiner Dissertation gelten können.

In erster Linie bestreitet Michael das Ergebniss meiner Untersuchung hinsichtlich jener Umtriebe mit Oesterreich, deren man Bute geziehen hatte. – Die Englischen Minister hatten Januar 1762 sich durch Vermittlung des quasi-Regenten der Niederlande, Herzogs Ludwig von Braunschweig, darüber zu unterrichten gesucht, ob Maria Theresia im Hinblick auf die Bourbonische Familienalliance zum Frieden und Systemwechsel geneigt sei. Der Englische Gesandte im Haag, Sir J. Yorke wurde durch einen Privatbrief Newcastle’s mit diesen Intentionen bekannt gemacht und von Bute mit der bezüglichen Eröffnung an Ludwig amtlich beauftragt.

Der Braunschweiger übermittelte die Anfrage an den Oesterreichischen Gesandten Baron Reischach, fand sich aber, da ihm das [161] Gelingen der Sache sehr am Herzen lag, gemüssigt, allerlei Bemerkungen über die ungünstige Lage Friedrich’s des Grossen und über die Friedenssehnsucht der Engländer beizufügen, die sich bis zu der Behauptung zuspitzten, das Londoner Cabinet werde nichts dawider haben, wenn ganz Schlesien an Oesterreich zurückfiele. Reischach berichtete den Vorfall seiner Regierung, die mit einer äusserst kühlen Abweisung antwortete.

Friedrich der Grosse erhielt nach Erledigung der Sache durch seine Londoner Gesandten davon Kenntniss und auf seine Klagen darüber von den Englischen Ministern eine Copie des bezüglichen Schriftwechsels, in der nur der Name Ludwig’s vermieden war. Der König und mit ihm die neueren Darsteller, Schäfer, Dunker, sahen darin verrätherische Umtriebe, in der Meinung, die der Preussischen Regierung übermittelten Documente seien unvollständig gewesen. Geheime Informationen über den Bericht Reischach’s, der auch die Aeusserungen Ludwig’s – wiewohl in richtiger Scheidung von denen Bute’s – in sich schloss, mögen Friedrich darin bestärkt haben.

Ich hatte nun gezeigt, dass Ludwig jene Aeusserungen, die allein als Verrath gedeutet werden konnten, ohne jede Autorisation gethan hat, dass weder der amtliche Auftrag Bute’s noch Newcastle’s Brief an Yorke dergleichen enthalte. Michael gibt dies zu, meint aber, darauf käme es nicht an. Aus dem Briefe Newcastle's an Yorke gehe hervor, dass man Oesterreich habe zufrieden stellen wollen, also habe Ludwig mit seiner Behauptung, England sei geneigt, einem Rückfall Schlesiens zuzustimmen, nicht so unrecht gehabt. Er sagt (S. 284): „Der moderne Historiker aber darf an den Zufälligkeiten der Form nicht haften bleiben. Er hat die Willensäusserungen der Regierenden zu suchen, wo er sie findet.“

Gesetzt nun den Fall, in dem vertraulichen Schreiben Newcastle’s an Yorke sei wirklich eine derartige Gesinnung documentirt, wie sie Ludwig den Englischen Ministern unterschiebt, so ist doch in erster Linie zu fragen, ob der erste Lord des Schatzes und mit ihm Bute gewollt hat, dass diese Gesinnung dem Wiener Hof bekannt gegeben würde. Nach den vorliegenden Schriftstücken lag den Englischen Ministern eine solche Intention, die man allerdings verrätherisch hätte nennen müssen, vollkommen fern, sonst hätte Newcastle oder Bute den Gesandten Yorke beauftragt, Ludwig über ihre Wünsche hinsichtlich Schlesiens und des Friedens, wenn auch nur andeutungsweise, zu informiren und ihn wissen zu lassen, dass man es gern sähe, wenn der Wiener Hof von diesen Wünschen Kenntniss erhielte. Solche Aufträge an Gesandte, in Chiffern gegeben, sind doch nichts Ungewöhnliches. Andernfalls war Yorke gar nicht berechtigt, derartiges [162] verlauten zu lassen. – Nur wenn dies geschehen wäre, dann müsste der Historiker Verrath constatiren, auch wenn in dem eigentlich amtlichen Auftrag nichts Anstössiges zu finden wäre. Da nun aber auch in den geheimsten Correspondenzen, die uns doch hier vorliegen, nichts von einem solchen Treubruch zu entdecken ist, so ist er auch nicht vorhanden. Yorke erhielt nach dem Briefe Newcastle’s und nach dem ganzen Ministerialschreiben keinen anderen Auftrag, als jenen, von dem Bute nachher dem Preussischen Könige Kenntniss geben liess.

Doch die Englischen Minister hatten gar nicht die Absicht, für eine Abtretung ganz Schlesiens an Oesterreich einzutreten. Natürlich war es ihnen im Grunde gleichgültig, wem dies Deutsche Land gehörte, es lag ihren Interessen allzufern. Ludwig bedurfte keiner grossen Combinationsgabe oder intimer Verbindungen um das zu entdecken. Aber sie wussten, welchen Widerstand sie Preussischerseits dadurch hervorrufen und welches Odium sie auf sich laden würden. Sie meinten vielmehr, die widerstrebenden Interessen vergleichen und einen Modus finden zu können, bei dem sich beide[2] Theile beruhigen würden, wenn nur erst Unterhandlungen in Gang gesetzt wären. Was speciell für den einen und für den anderen erreicht werden könne, würde sich ja im Verlauf derselben ergeben. In diesem Sinne sind die Aeusserungen Newcastle’s über die Sorge für Preussen und über eine Zufriedenstellung Oesterreichs zu verstehen.

Herzog Ludwig natürlich, dem an der Pacificirung und der Englisch-Oesterreichischen Alliance viel lag, suchte den Wiener Hof durch Betonung der friedlichen Gesinnung England’s und der Aussichten auf Wiedergewinnung Schlesiens zu kirren und mochte umsomehr auf Erfolg rechnen, als die Oesterreichischen Minister glauben konnten, er handle auch hierin im Auftrag Bute’s. Insofern war es unvorsichtig gewesen, Ludwig als Vermittler zu wählen, aber unrecht ist es, seine Aeusserungen den Englischen Ministern aufzubürden, bloss weil sie vielleicht den innersten, ihm gegenüber nicht documentirten, Gedanken eines oder des andern von ihnen nicht sehr fern standen. Wieviel Schändlichkeiten müsste man selbst den grössten Männern zur Last legen, wenn man alle Wünsche und Intentionen, die sie Vertrauten gegenüber gelegentlich bekundeten, vollzogenen Handlungen gleichsetzen wollte. Ob man wohl Friedrich den Grossen des Verrathes schuldig erachten würde, wenn Herzog Ludwig den Franzosen erzählt hätte, der König würde gegen eine Abtretung Canadas an Frankreich nichts einzuwenden haben? Und das wäre vielleicht die Wahrheit gewesen.

[163] Ich komme jetzt zu der Angelegenheit Wroughton. Bute hat, nachdem er die Thronbesteigung Peter’s III. erfahren, den bisherigen Generalconsul in Petersburg, Mr. Wroughton, zum Ministerresidenten daselbst ernannt und dem Gesandten, Sir Robert Keith, gleichberechtigt zur Seite gestellt. In der ihm mitgegebenen Instruction, die mir vorgelegen, ist er angewiesen, mit Keith in voller Uebereinstimmung zu handeln und für Herstellung des Friedens thätig zu sein. Nach einer Gesandtschaftsdepesche des Fürsten Gallitzin, auf die wir weiterhin zu sprechen kommen, hat Bute dem Fürsten von dieser Sendung Mittheilung gemacht und im Anschluss daran ein Gespräch über die politische Lage geführt. Schäfer und Dunker haben nun willkürlich, ohne jeden zwingenden Grund, beides combinirt und aus dem Inhalt der Aeusserungen Bute’s, wie sie Gallitzin angibt, eine geheime Anweisung construirt, die dem Residenten mitgegeben worden sei. Michael meint nun, ich hätte die Thatsache dieser geheimen Instruction mit unzureichenden Gründen widerlegen wollen. Mir scheint, dass ich zu einer Widerlegung in keiner Weise verpflichtet war, dass vielmehr Schäfer und Dunker ihre Behauptung hätten beweisen müssen. Sie haben rein nichts, worauf sie dieselbe stützen könnten, denn nicht einmal der Bericht des Russischen Gesandten, dessen Glaubwürdigkeit ich mit gutem Recht bestreite, enthält dergleichen Angaben. Von Wroughton’s Instruction ist darin nur bis zu den Worten „avec le roi de Prusse“ die Rede, dann folgen nur Bemerkungen Bute’s. Ich weise also jene Auffassung einfach als unbewiesen zurück und führe überdem Gründe an, welche sie unwahrscheinlich machen.

Michael sucht allerdings seine Ansicht, Wroughton habe solch geheime Instruction erhalten, er habe die neue Politik Bute’s führen und Keith unter Umständen entgegenarbeiten sollen, durch Gründe zu stützen. Einmal hebt er hervor, dass in dem auch von mir nicht bestrittenen ersten Theil von Gallitzin’s Brief Einiges angeführt ist, was in Wroughton’s Instruction gestanden habe. Da nun dies, so argumentirt er, in der von mir eingesehenen Instruction nicht zu finden gewesen sei, so müsse eine andere existirt haben. Hier liegt nun ein Missverständniss und ein falscher Ausdruck meinerseits vor. Als ich Wroughton’s Instruction las, kam es mir vornehmlich darauf an, Bestimmungen zu finden, die von den an Keith gegebenen abwichen. Da ihr Inhalt aber vollkommen derjenigen des Gesandten entsprach, so hielt ich eine Copie nicht für nöthig[3] und schrieb in [164] meiner Arbeit, sie habe nur allgemeine Redensarten und den Auftrag enthalten, stets in Uebereinstimmung mit Keith zu agiren. Ich hätte sagen sollen, sie habe nichts Neues enthalten, das wäre correcter gewesen. Die in Gallitzin’s Bericht erwähnten Dinge (Höflichkeiten für Peter, Förderung des Friedens, Erkundung der Russischen Absichten) stehen also jedenfalls darin oder sind in dem Hinweis auf Keith’s Instruction enthalten, es liegt demnach durchaus kein Bedürfniss vor, desshalb das Vorhandensein einer zweiten Instruction anzunehmen.

Ein zweiter Grund Michael’s ist der, dass Wroughton’s Sendung bei meiner Annahme in der Luft schweben würde, d. h., dass man nicht wissen würde, weshalb der Resident nach Petersburg geschickt worden wäre. Dies ist aber, wie jeder erfahrene Historiker zugeben wird, ein höchst zweifelhaftes Motiv. Wie unendlich viele uns unbekannte Beweggründe kann ein Minister zu solcher Sendung haben. Es bedeutet eine starke Anmassung, wenn man in Ermangelung eines anderen denjenigen Grund als den wahren hinstellt, der den eigenen Anschauungen entspricht.

Es ist aber überdem unrichtig, dass sich kein anderes Motiv denken liesse. Ich habe ein nicht unwahrscheinliches (S. 29) angeführt. Die Verleumdungen des ehrgeizigen Wroughton, der den Gesandten der Unfähigkeit beschuldigte, hatten bei den Ministern ein williges Ohr gefunden. Man glaubte, sich in dem entscheidenden Moment des Thronwechsels durch Nachsendung des scheinbar erfahreneren und einflussreicheren Generalconsuls gegen Ungeschicklichkeiten sichern zu müssen. Wroughton war demnach ein Aufpasser Keith’s, der die richtige Ausführung der Instructionen überwachen sollte; andere Anweisungen braucht er desshalb nicht erhalten zu haben.

Meine Gründe nun für das Nichtvorhandensein einer geheimen Instruction sind folgende:

1. Die 100 000 Pfund Bestechungsgelder wurden Keith und nicht Wroughton anvertraut, wiewohl mit der Anweisung, sie nach Wroughton’s Angaben zu verwenden[4]. Wie unklug wäre dies Verfahren gewesen, wenn beide Gesandte eine abweichende Politik hätten verfolgen [165] sollen. Die Bestochenen hätten vermuthlich unter Annahme des Geldes gar nichts gethan. Ueber diesen Punkt geht Michael allzu schnell hinweg.

2. Newcastle schreibt am 6. Februar an Bute (Anhang 10), er billige die Instructionen (für Keith und Wroughton), sie seien (beide!) in jeder Zeile auf das berechnet, was das Ziel des Cabinets sein müsse. Er ist also damit völlig zufrieden und weiss nichts von einer anderen Instruction, die ihm doch Bute nicht hätte verbergen können.

3. Nach Gallitzin’s Bericht hat Bute dem Fürsten gesagt, dass Wroughton gleiche Instructionen wie die seinige an Keith zu übermitteln habe. Allerdings kann man „des pareilles“ auch, wie Michael wohlweislich thut, mit „ähnlich“ übersetzen, aber doch nur in dem Sinne von „ungefähr gleich“ oder „entsprechend“. Eine solche Instruction, wie Michael sie vermuthet, auf Grund deren Wroughton seinem Collegen eventuell entgegenhandeln konnte, würde Bute keinesfalls als „pareille“ haben bezeichnen können.

4. Wroughton erhielt nachher von Bute keine besonderen Depeschen. Alles ging durch Keith’s Hände, und Wroughton war sogar gezwungen, die Briefe des Ministers schriftlich von Keith zu erbitten (Anhang 18 Anfang). Eine Schwenkung der Politik hätte sich in der Weise unmöglich vollziehen lassen. –

Nach alledem scheint es mir unzweifelhaft, dass eine schriftliche geheime Instruction für Wroughton nicht existirt hat; zum mindesten sind wir nicht befugt, ihre Existenz zu behaupten oder anzunehmen, dass der Resident andere Ziele hätte verfolgen sollen als der Gesandte. Die an Keith gesandten Anweisungen dürfen uns für die Beurtheilung der Bute’schen Politik Russland gegenüber vollkommen massgebend sein. Damit kommen wir zu dem letzten Punkt, dem Gallitzin’schen Bericht, nach welchem Bute doch einen schnöden Verrath gegen den König von Preussen geplant haben soll.

Der Lord hatte am 6. Februar, nachdem die Nachricht von der Thronbesteigung Peters, über dessen erste Massregeln aber noch keine Kunde nach London gelangt war, ein Gespräch mit dem Russischen Gesandten. Dieser schickte einen Bericht darüber nach Petersburg, aus welchem hervorging, dass Bute eine Begünstigung Preussens durch den neuen Kaiser zu hindern und Friedrich den Grossen vielmehr durch weitere Feindseligkeiten desselben zum Frieden und zur Abtretung Schlesiens gezwungen zu sehen wünsche. Demgegenüber hatte ich aus den Newcastle-Papers einen Brief Butes an seinen Amtsgenossen veröffentlicht, der eine kurze, sehr abweichende Darstellung der Form und des Inhalts der Unterredung gibt. Nach ihm hat sich gerade Gallitzin dem Preussischen König feindlich bezeigt [166] und Bute den Verbündeten bis zu einem gewissen Grade in Schutz genommen.

Hinsichtlich dieser Quellen nun und ihrer Verwerthung weicht Michael’s Ansicht insofern principiell von der meinen ab, als er beide Berichte für gleichermassen glaubwürdig erachtet, ich aber die Zuverlässigkeit Gallitzin’s bestreite. Sobald nämlich Michael zugibt – und dies thut er unbedenklich –, dass der Brief Bute’s, wenn auch nur im Grossen und Ganzen, Wahrheit enthält, so hat er auch die Unglaubwürdigkeit der Russischen Gesandtschaftsdepesche anerkannt. Michael behauptet zwar (S. 290), dieselbe weiche nicht von den üblichen Formen diplomatischer Berichterstattung ab; da ist er aber doch sehr im Irrthum. Jeder, der schon Gesandtschaftsberichte gelesen hat, muss wissen, dass bei Wiedergabe von Unterredungen stets auch die eigenen Aeusserungen, wenn auch noch so kurz, und nicht bloss die Reden des Partners angegeben werden. Falls dies absichtlich nicht geschieht – und hier liegt die Absichtlichkeit für Jeden, der sehen will, klar am Tage –, dann ist der Bericht eine Fälschung, denn dann bringt er dem Adressaten einen falschen Begriff von dem Verlauf der Conferenz bei. Peter III. musste beim Lesen der Depesche, wiewohl Michael dies ohne Angabe eines Grundes bestreitet (S. 290), glauben, Bute habe einen langen Vortrag gehalten, den der Fürst schweigend angehört habe, dieser Glaube aber war falsch und der, welcher ihn wissentlich erweckt hatte, ein Fälscher. Michael sagt, Jeder gäbe eben „hauptsächlich das, was der Andere gesagt hat, und von seinen eigenen Aeusserungen nur das zum Verständniss Nothwendige“. Das ist insofern unrichtig, als Gallitzin gar nichts von seinen Aeusserungen gibt, Bute aber sehr viel. Michael fährt fort: „Gallitzin, weil er allerdings nur Bute’s Worte auf seinen Kaiser wirken lassen wollte“ – hier ist also die Absichtlichkeit ausdrücklich anerkannt – und weiterhin: „Auf Gallitzin’s Seite ist freilich eine geflissentliche Hervorhebung der für Preussen ungünstigen Aeusserungen Bute’s nicht zu verkennen“. Nun? Ist das nicht alles Beweis genug für die Unzuverlässigkeit des Berichts, für die tendenziöse Bestrebung seines Verfassers? Wie kann ein Gesandter, der das Seh- und Hörorgan des Souveräns im fremden Lande sein und die Kenntniss aller Geschehnisse so getreulich als möglich übermitteln soll, ein derartig wichtiges Gespräch in solch absichtlich entstellter Weise wiedergeben? Und Michael will bei dieser Sachlage behaupten: „seine Glaubwürdigkeit wird dadurch kaum (!) beeinträchtigt“. Gallitzin hat nicht bloss alle seine eigenen Bemerkungen und Auseinandersetzungen weggelassen, sondern er hat auch die wichtigsten Aeusserungen Bute’s, alles, was derselbe [167] zu Gunsten Friedrich’s angeführt hat, vollständig verschwiegen. Ist ein solches Verfahren nicht im höchsten Masse tendenziös zu nennen?

Es kommen aber noch weitere Verdachtsgründe hinzu. In jenem Moment herrschte weder in Preussen noch in England die Ansicht vor, der neue Kaiser werde mit Friedrich dem Grossen Frieden schliessen; das Höchste, was man erwartete, war eine Verminderung der Energie in der Kriegsführung. So schreibt Newcastle an Yorke am 29. Januar 1762: „wenn der Russische Hof den Krieg nicht mit derselben Kraft fortführen sollte – – –“. Also nicht einmal diese Abschwächung erscheint ihm sicher. Der Gesandte Mitchell spricht in seiner Depesche vom 21. Januar die Befürchtung aus, Friedrich’s übertriebene Einbildungskraft (d. h. seine fälschliche Hoffnung auf Peter’s freundliches Verhalten) könne ihn dem Frieden abgeneigt machen. Und Friedrich selbst entwickelt in seiner „Guerre de 7 ans“ Ch. 15 die damalige Unwahrscheinlichkeit eines Friedensschlusses mit Russland. Auch Bute huldigte ohne Zweifel derselben Anschauung. Weder in der Depesche an Keith noch in der an Mitchell vom 6. Februar, die mir ebenfalls vorliegt, ist der Ueberzeugung eines Systemwechsels in Russland Ausdruck gegeben. Der Minister spricht nur von der günstigen Gesinnung des Kaisers, die man zur Erlangung des Friedens ausnutzen müsse, und mit dieser Ausnutzung eben im richtigen Sinne, d. h. zur allgemeinen Pacification, werden Keith und Wroughton beauftragt. Der Graf hält also jenen Wechsel nicht für selbstverständlich, sondern nur durch diplomatische und pecuniäre (100 000 Pfd.) Nachhilfe möglicherweise erreichbar. Michael’s Bemerkung (S. 284): „Man durfte sich also auf eine Systemänderung in Russland gefasst machen; der neue Kaiser würde seine Truppen wohl nicht mehr auf der Seite von Friedrich’s Feinden kämpfen lassen“, entspricht demnach nicht dem wahren Sachverhalt.

Bute’s Hoffnung auf Beendigung des Krieges durch Peter muss noch herabgestimmt worden sein durch Gallitzin’s Aeusserungen, durch dessen Behauptung, Russland werde den Preussischen Staat auf’s äusserste reduciren, es werde ihm nicht allein Ostpreussen, sondern auch Schlesien nehmen wollen. Michael gibt selbst zu, dass hier Gallitzin als der grössere Feind Preussens erscheine. Wie in aller Welt sollte der Lord unter diesen Umständen darauf kommen, Peter zur Fortsetzung des Krieges aufmuntern zu wollen, um dadurch Friedrich zu verlustreichem Frieden zu stimmen? Eben hatte ihm ja der Fürst gesagt, dass dies so wie so geschehen würde, denn eine Behauptung Ostpreussens durch Russland und die Forderung der Abtretung Schlesiens war mit Fortsetzung des Krieges gleichbedeutend.

[168] Wie gewaltsam sucht Michael hier den Brief Bute’s mit dem Gallitzin’schen Bericht in Einklang zu bringen. Der Fürst hat nach jenem Brief nicht erlauben wollen[5], dass die Russischen Truppen zurückberufen würden. Darnach kann, wie man zugeben mag, eine Aeusserung Bute’s über diesen Punkt vorhergegangen sein, und das Natürliche ist, dass Bute um die Zurückberufung gebeten hatte, denn man erlaubt oder verweigert etwas, worum man gebeten ist. Michael behauptet dagegen auf Grund einer späteren Stelle des Gallitzin’schen Berichts, Bute habe die Befürchtung ausgesprochen, dass dies geschehen könne, und Gallitzin habe ihn darüber beruhigt. Wer das Schreiben unbefangen liest, dem muss diese Deutung ausserordentlich unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich erscheinen. Aber auch die Combination mit der Russischen Relation ist durchaus verfehlt. Wir haben nämlich in beiden Darstellungen einen Punkt, in dem sie übereinstimmen, die Bemerkung Bute’s über die Opfer, die Friedrich werde bringen müssen. Nach Bute’s Brief ist die Aeusserung Gallitzin’s über die Zurückberufung der Armee jenem Passus vorangegangen, also muss auch Bute’s angenommene Erwähnung der Armee, auf welche Gallitzin’s Worte nach Michael die Antwort sein sollten, dem Passus über die Opfer vorgestellt werden. Bute’s Aeusserung über die Zurückberufung aber, von der die Gesandtschaftsdepesche meldet, ist erst weit später gefallen, als diejenige über die Opfer, sie gehört in den letzten Theil der Unterredung, also kann man nicht aus ihr und der Bemerkung Gallitzin’s über die Armee eine ganz in den Anfang gehörige Aeusserung Bute’s construiren. Wenn auch der Lord gleich zu Beginn etwas über die Zurückberufung gesagt haben kann, so ist doch kein Grund vorhanden, dies anzunehmen, um so weniger, als es in dem Briefe heisst: „er (Gallitzin) zögerte nicht mir zu sagen etc.“ Die Sache erklärt sich vielmehr sehr einfach. Bute hat den Fürsten rufen lassen und ihm, wie dieser richtig erzählt, von der Sendung Wroughton’s, von dessen Instruction, den Friedenswünschen Englands etc. gesprochen. Dann hat Gallitzin, was er selbst verschweigt, die Forderungen aufgezählt, ohne die Russland weder Frieden schliessen, noch seine Armee zurückberufen könne, und [169] von Bute dringend verlangt, dass er den Instructionen für Keith einen Friedensentwurf beifüge. Der Lord erklärt dies für unmöglich, ehe man nicht des Kaisers Intentionen kenne, und geht nun auf die Bedingungen Gallitzin’s ein, die er als unerfüllbar bezeichnet. Hier nun ist die Stelle, wo Vieles von dem hineingehört, was der Fürst im letzten Theil seiner Depesche an Bute’schen Aeusserungen in tendenziös verkehrter Wiedergabe[WS 1] berichtet hat. Um den Gesandten nur von jenen überspannten Forderungen zurückzubringen und dem Frieden günstig zu stimmen, hat Bute nach der Seite Oesterreichs alle möglichen Zugeständnisse gemacht, wohl wissend, dass er sich hierdurch noch lange keine Verpflichtung auferlegte, und zuletzt sogar das Verbleiben der Truppen auf Preussischem Boden bewilligt, was ja nachher Friedrich selber dem befreundeten Kaiser nicht verweigern konnte. Was im Einzelnen von den tendenziösen Angaben der Depesche wahr ist, lässt sich natürlich nicht feststellen, Thatsache aber ist, dass Gallitzin der Angreifer, Bute der langsam weichende Vertheidiger des Königs war, und das gibt auch den für Friedrich ungünstigen Bemerkungen des Grafen einen völlig anderen Sinn.

Bute’s Rede, wie sie die Depesche wiedergibt, wird nun gerade dadurch höchst verdächtig, dass sie eine Besorgniss vor der Bereitwilligkeit des Kaisers zum Friedensschluss mit Preussen ausdrückt. Gallitzin allein konnte seinen Herrn und dessen Unklugheit so weit kennen, dass er eine unbedingte Preisgabe der Eroberungen zu Gunsten Friedrich’s, eine Rückberufung der Truppen für möglich hielt und fürchtete – wir wissen, dass dies sonst allgemein nicht erwartet wurde –; eine Rede also, die eine solche Besorgniss verrieth, konnte kaum dem Geiste Bute’s, wohl aber dem des Fürsten entsprungen sein. Der Unterschied zwischen den Auslassungen des Lords in dem einen und in dem anderen Bericht liegt eben in der ganzen Auffassung der Lage. Der Brief an Newcastle zeigt eine solche, wie der Graf sie hatte und haben musste, die Depesche Gallitzin’s dagegen eine solche, wie sie Jener nicht, wohl aber der Autor selbst hegen konnte.

Dass sich die beiden Berichte irgendwie in Einklang setzen lassen, bezweifle ich keinen Augenblick. Mit Aufwendung des nöthigen Scharfsinns, an dem es Michael nicht fehlen lässt, kann man nahezu alles combiniren; es fragt sich aber hier, ob wir ein Recht haben, den natürlichen Sinn der einen Darstellung auf Grund der andern gewaltsam umzumodeln, ob diese Andere Glaubwürdigkeit genug besitzt, um der Ersten gleichberechtigt an die Seite gestellt zu werden. Dies eben leugne ich unbedingt. Durch das Verschweigen solch wichtiger Gesprächstheile, wie wir sie erst aus Bute’s Brief erfahren, hat sich [170] Gallitzin als Fälscher erwiesen. Auch seine positiven Aussagen, die zum Theil durch innere Unwahrscheinlichkeit noch mehr verdächtigt werden, verdienen demnach nur unter grossen Einschränkungen Glauben.

In hohem Masse ungerecht aber ist es, auf Grund eines solchen Berichtes, der dem Adressaten ein ganz falsches Bild der Unterredung geben musste und sollte, einen unbescholtenen, wenn auch wenig begabten Staatsmann wie Bute der Perfidie anzuklagen, einen Mann, der wohl als Schotte und als Günstling des Monarchen mit tausendfachen Verdächtigungen überschüttet worden ist, aber von ernsten Männern als vertrauenswürdig und höchst wahrheitsliebend bezeichnet wurde.

Wenn Michael die spätere Apologie Bute’s als sehr schwach hinstellt, so ignorirt er meine Ausführungen S. 43 f., warum sie seinen Gegnern schwach erscheinen musste. Ausserdem darf doch ein Angeklagter, wenn er sich wirksam vertheidigen soll, zum mindesten verlangen, dass ihm die Anklageacte zugänglich gemacht wird, aber nicht einmal das hat der Preussische Hof bewilligt. Die Depesche Gallitzin’s wurde dem Englischen Gesandten Mitchell vorgelesen, ohne dass er sich Notizen machen durfte. Nur auf dessen aus dem Gedächtniss fixirter Inhaltsangabe konnte Bute seine Erwiderung basiren[6].

Michael meint, ich hätte eine ziemlich starke Neigung, Lord Bute in Schutz zu nehmen. Das ist sehr natürlich, da es mir auf quellengemässe Richtigstellung ankam und bisher eine ungebührlich starke Tendenz vorwaltete, ihn zu verurtheilen, eine Tendenz, deren Wurzeln bis in die Parteiungen jener Zeiten zurückgehen.

Jedenfalls bin ich Michael für seine Recension, die mich zu nochmaligem Durchdenken der Frage und zu festerer Begründung einzelner Punkte nöthigte, aufrichtig dankbar, besonders auch dafür, dass er die Glaubwürdigkeit jenes Bute’schen Briefes an Newcastle vom 6. Februar so voll anerkannt hat. Eine Besprechung in der Historischen Zeitschrift (1893) leugnete diese Glaubwürdigkeit, und einem solchen Unglauben gegenüber liess sich wenig thun. Ein indirecter Briefwechsel mit dem Recensenten, Herrn Professor Fechner, vermochte keine Einigung zu erzielen. Sobald mir die Zuverlässigkeit jenes Briefes zugestanden wird, wie wohl von Jedem zu erwarten ist, der nicht von vornherein auf Verneinung meiner Resultate ausgeht, glaube ich gewonnenes Spiel zu haben.

[171] Sonach kann ich nicht umhin, die Resultate meiner Untersuchung auch der Recension des Dr. Michael gegenüber in ihrem vollen Umfange aufrechtzuerhalten. Bute war in der That nicht der Mann, als den ihn Friedrich der Grosse und mit ihm die neueren Deutschen Historiker hingestellt haben. Gewiss hat er im Jahre 1762 eine Politik verfolgt, die den Interessen Preussens nicht entsprach und nach Ansicht Vieler auch für England wenig zuträglich war, eines Vertragsbruchs aber oder einer Verrätherei darf er, soweit unsere Kenntnisse reichen, nicht geziehen werden.

A. v. Ruville.     

Anmerkungen

  1. Göttingische Gelehrte Anzeigen 1894 Nr. 4.
  2. Siehe Diss. S. 15.
  3. Wenn mir die Recension zwei Monate früher vorgelegen hätte, so würde ich in London von der Instruction Wroughton’s Abschrift genommen haben, da mir im vergangenen Frühjahr die bezüglichen Acten wieder zu Gebote standen.
  4. Dass er diese delicaten Angaben nicht in Keith’s Instruction schriftlich fixirte, sondern lieber dem Ueberbringer mündlich anvertraute, ist wohl nicht zu verwundern und bietet keinen Grund für Annahme einer abweichenden Anweisung des Letzteren.
  5. Den Vorwurf, den mir Recensent nicht ersparen kann, dass ich hier und an ein paar anderen Stellen incorrect übersetzt habe, empfinde ich nicht schwer, da diese Fehler an dem Sinn, soweit er für unsere Frage in Betracht kommt, und an dem Resultate nichts ändern. Dadurch, dass ich so Vieles in’s Deutsche übertragen habe, wollte ich ja gerade Richtigstellungen von sachverständiger Seite provociren und ich bin Michael für seine Hilfe dankbar. An vorliegender Stelle scheint mir die Aenderung nur meiner Auffassung günstig zu sein.
  6. Wie Mitchell den Bericht in der That nicht verstanden und verkehrt wiedergegeben hat, vgl. dessen Depesche an Bute vom 3. Mai 1762. Mitchell Pap. II S. 286.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Widergabe