Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Kritische Umschau (2): IV. Duo’s

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Kritische Umschau (2): III. Trio’s Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Kritische Umschau (2): IV. Duo’s
Kritische Umschau (2): V. Capriccio’s und andre kurze Stücke


IV. Duo’s.
Großes Duo über Thema’s etc., für Pianoforte und Violine von Fr. Chopin und A. Franchomme.


Ein Stück für einen Salon, wo hinter gräflichen Schultern hin und wieder der Kopf eines berühmten Künstlers hervortaucht, also nicht für Theekränze, wo zur Conversation aufgespielt wird, sondern für gebildetste Cirkel, die dem Künstler die Achtung bezeigen, die sein Stand verdient. Es scheint mir durchaus von Chopin entworfen zu sein, und Franchomme[H 1] hatte zu Allem leicht Ja sagen; denn was Chopin berührt, nimmt Gestalt und Geist an und auch in diesem kleinern Salonstyl drückt er sich mit einer Grazie und Vornehmheit aus, gegen die aller Anstand anderer brillant schreibender Componisten sammt ihrer ganzen Feinheit in der Luft zerfährt. — Wäre der ganze Robert der Teufel voll solcher Gedanken, als Chopin aus ihm zu seinem Duo gewählt, so müßte man seinen Namen umtaufen. Jedenfalls zeigt sich auch hier der Finger Chopins, der sie so phantastisch ausgeführt, hier verhüllend, dort entschleiernd, daß sie Einem noch lange in Ohr und Herzen fortklingen. Der Vorwurf der Länge, den ängstliche Virtuosen vielleicht dem Stücke machen, wäre nicht unrecht: auf der zwölften Seite erlahmt es sogar an Bewegung, echt Chopin’sch aber reißt es dann auf der dreizehnten ungeduldig in die Saiten und nun geht es im Flug dem Ende mit seinen Wellenfiguren zu. Sollten wir noch hinzusetzen, daß wir das Duo bestens empfehlen?




Großes Duo für zwei Pianoforte’s von I. Moscheles. Werk 92.[H 2]


Wer mitten in den Tagescompositionen sitzt, wie unser einer, und verdrüßlich ja wüthend eine nach der andern in den Winkel werfen muß, den lacht so ein Stück wie eine Kerze im Gefängniß an. So im Grund zuwider mir alles ist, was irgend nach Journalpolemik, offener wie versteckter, aussieht, so kann ich mir die Naivetät nicht erklären, mit der manche Redactionen ganz zuversichtlich gestehen, sie recensirten nur das, was ihnen durch den guten Willen der HH.[H 3] Componisten und Verleger anvertraut würde. Wahrhaftig, es könnte die Zeit kommen, wo es weder den Einen noch den Andern einfiele, und am wenigsten den besten Componisten, die sich um keinen Recensenten scheren, — und was dann? – Andere, anstatt also das Interessanteste, sei’s im Häßlichen oder Schönen, auszusuchen aus dem Erscheinenden, ziehen wieder mit bitterster Verachtung über alles Französisch-Italiänische her, über Bellini, Herz etc. und füllen doch ihre Blätter mit Floskeln über Floskeln; ja im schönsten Fall bitten sie deutsche Componisten, sie sollen ihnen um Himmels Willen nichts von ihren Werken einschicken, sondern nur dem Verleger, der sie dann heraussuche. — Ist das Kunstsinn, Künstlerachtung? Gleich wie in immerwährender Umgebung vorzüglicher Menschen, oder steten Angesichts hoher Kunstschöpfungen, deren Sinnesart, deren Lebenswärme sich den Empfänglichen beinahe unbewußt mittheilt, daß ihnen die Schönheit gleichsam praktisch wird, so sollte man, die Phantasie des Volkes zu veredeln, es bei weitem mehr in den Gallerieen der Meister und der zu diesen aufstrebenden Jünglinge herumführen, als es von einer Bilderbude in die andere schleppen. Vor Häßlichem und Obscönem läßt sich warnen; nichts aber, was mittelmäßiger machte, als mittelmäßiges Sprechen darüber.[H 4] Kein Künstler aber braucht eines blühenden Spiegels seiner Kunst mehr, als der Musiker, dessen Leben oft in so dunkle Umrisse ausläuft, und keine Kunst sollte man auf zarterer Folie angreifen, als die zarteste, anstatt sie sich mit ungeschlachter Fleischerhand zum Verspeisen zu verarbeiten. Astrologische Liebhabereien, Langweiligkeiten, Muthmaßungen etc. gehören in Bücher: in einer Zeitschrift mögen wir aber wie auf dem Rücken eines Stromes, reiche Wanderer am Bord, rasch durch die fruchtbarsten gegenwärtigen Ufer vorbeifliegen, und will es der Himmel, in das hohe Meer, zu einem schönen Ziel. Wie könnte es uns denn aufhalten, wenn einmal eine wimmernde Krähe in unsere Masten einhackt: im Gegentheil tragen wir sie leicht von dannen und seht, seht — nun muß sie mit fort nach unserm Morgenland. –

Das Vorige steht mit der Composition von Moscheles in der Beziehung, daß sie eine der lieblichsten, von der wir unsern Lesern erzählen können. Aug’ und Ohr wird sich daran weiden; jenes, weil ihr alterthümlicher und dennoch galanter Schnitt in Vielen jene würdigen Gesichter mit großer Perücke und einem wachsamen klaren Auge darunter zurückrufen wird, wie wir sie oft auf Gemälden des vorigen Jahrhunderts schauen; dieses, weil es in gar zierlichen Melodieen und Harmonieen durcheinander lacht und schmollt. Warum es mit dem Namen „Händel“ prunken will, weiß ich nicht und ließ’ mir den Titel[H 5] nehmen. Doch war ein Zusatz nöthig, da man ohne ihn sich fragen müßte, ob Moscheles absolut und auf reinem Naturweg nach Rückwärts trachtete, oder ob er sich nur auf einige Augenblicke in jenes Zeitalter der Gesundheit, Ehrbarkeit und Derbheit zurückversetzt. Das letzte ist der Fall und wir wissen es ihm herzlich Dank. Schließlich die Bemerkung, daß es dasselbe ist, das Moscheles und Mendelssohn im vorigen October in Leipzig,[H 6] ich sagte damals wie zwei Adler, zusammen gespielt, man könnte auch sagen, wie leibhaftige Enkel Händelschen Stammes.




Anmerkungen (H)

  1. [WS] Grand duo concertant sur des thèmes de Robert le diable E-Dur, eine Gemeinschaftsarbeit von Frédéric Chopin und Auguste-Joseph Franchomme (1808–1884, französischer Cellist und Komponist) für Pianoforte und Violoncello von 1832 IMSLP. Robert der Teufel, Robert le diable, ist eine Oper von Giacomo Meyerbeer, die 1831 uraufgeführt wurde.
  2. [WS] Ignaz Moscheles (1794-1870), böhmisch-österreichischer Komponist und Pianist, sein Grosses Duo op. 92 – Hommage à Händel für zwei Klaviere ist 1822 komponiert und wurde 1835 überarbeitet herausgegeben IMSLP.
  3. [WS] Herren
  4. [WS] Hier eine größere Auslassung gegenüber dem Zeitschriftenartikel.
  5. [GJ] „Hommage à Händel.“
  6. [WS] siehe den Artikel I. Moscheles, bzw. Neue Zeitschrift für Musik 1835, Band 3, Heft 33 (23. October), S. 130 Internet Archive.
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