Gottfried Keller †

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gottfried Keller †
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 546
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unkorrigiert
Dieser Text wurde noch nicht Korrektur gelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du bei den Erklärungen über Bearbeitungsstände.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[546] Gottfried Keller †. Ein Jahr ist es her, seit die „Gartenlaube“ den Züricher Meister zu seinem 70. Geburtstag beglückwünschen konnte (siehe Jahrgang 1889, S. 474). Bald danach befiel ihn ein schweres Leiden, dem er nunmehr, am 15. Juli, erlegen ist.

Ein Zufall wollte es, daß uns gerade in diesen Tagen von einem alten Freunde und Mitarbeiter der „Gartenlaube“ einige Erinnerungen an Gottfried Keller mitgetheilt wurden, die wir unsern Lesern – als ein Wort des Gedächtnisses an des Dichters Grabe – nicht vorenthalten möchten. Der Brief lautet:

Während meines Aufenthaltes in Zürich trat ich Gottfried Kinkel nahe. Eines Tages erhielt ich von ihm ein Briefchen mit der Aufforderung, nach Zollikon, einem Dörfchen am See, in ein gewisses Wirthshaus, das einen guten Weinruf hatte, zu kommen.

Ich traf Kinkel dort mit einem kleinen Mann, der mich unter großen Brillengläsern mit tiefblickenden scharfen braunen Augen nicht sehr freundlich ansah, wobei Kinkel auf seine Weise heimlich lachte.

„Das ist Gottfried Keller, Doktor, Staatsschreiber, Poet und Züricher,“ stellte mir Kinkel den Kleinen vor.

Ich muß darauf ein so ungläubiges Gesicht gemacht haben, daß beide lachten.

„Der mit den ‚Leuten von Seldwyla‘?“ kam es unwillkürlich über meine Lippen.

„Ja, der mit den ‚Leuten von Seldwyla‘ und dem ‚Grünen Heinrich‘,“ bestätigte Kinkel – „aber um Gotteswillen, seien Sie still“ – fügte er hinzu – „wenn Sie das hier so laut aussprechen, werden wir von den Seeumwohnern bis Meilen hin alle drei massakrirt.“

So lernte ich Gottfried Keller, den von mir so hoch verehrten schweizer Novellisten, kennen.

Meine Vorstellung, die ich von der persönlichen Erscheinung des Dichters hatte, erlitt durch die Wirklichkeit einen argen Stoß.

Ich hatte mir – mit welchem Recht, weiß ich allerdings nicht – Gottfried Keller vorgestellt als einen hohen schlanken Mann mit einem melancholischen Malerkopf, und jetzt stand vor mir da ein Männchen mit einem Spitzbäuchlein, einem Eulengesicht und einem großen Busch schwarzer Haare hinter einer kahl werdenden Stirn! Ich konnte mich nur allmählich darein finden, in dieser kleinen dunkeln koboldartigen Erscheinung den großen Schriftsteller zu sehen.

Keller sprach an diesem Nachmittag wenig, er war überhaupt karg mit dem Wort – was er sagte, war vernünftig und treffend; nur eines fiel mir bei ihm auf: kam die Rede auf den Weinbau, so konnte man glauben, daß man in ihm einen erfahrenen Weinbergbesitzer vor sich hatte, sprachen wir von der Abdämmung des Sees, so erwies sich Keller hierin derartig kundig, als ob er das Ingenieurfach gründlich studiert hätte, und so zeigte der Meister der Novelle in allem, worauf das Gespräch fiel, eine außerordentliche Kenntniß der Wirklichkeit der Dinge. Litterarisches berührte an diesem Tage unsere Unterhaltung nicht.

Wir gingen, als es kühler wurde, am See entlang zur Stadt zurück, und Meister Gottfried wandelte mit kleinen Schritten einsilbig und still dahin; er hielt die Augen stets gesenkt, nur wenn ein hübsches Mädchen vorüber kam, blickte er lebhaft auf. Er schien das instinktiv zu bemerken.

Ich sah Keller längere Zeit nicht – da traf ich ihn wieder in der Tonhalle. Er saß am sogenannten Professorentisch mit Johannes Scherr und Kinkel. Diesmal winkte Scherr mich heran und stellte mich Keller vor, der so etwas von „schon einmal das Vergnügen gehabt“ brummte. An diesem Tage ward ich Zeuge einer Meinungsäußerung Kellers, die mich in hohem Grade überraschte und die für die Leser unserer „Gartenlaube“ so interessant sein dürfte, daß ich nicht umhin kann, die Worte Meister Gottfrieds, welche ein besonderes Streiflicht auf seine sonst nicht besonders milde Denkungsart hinsichtlich unserer neuesten Litteratur werfen, nach treuem Gedächtniß Ihnen mitzutheilen. Kinkel machte einen Spaß über das Anwachsen „der Schriftstellerei aus Damenfedern“ und spielte hierbei höchst ungalant auf die Retterinnen des Kapitols an.

„Was, Geschnatter!“ fuhr da Keller heftig auf – „es ist wahr – es schreiben viele,“ zürnte er in seiner breiten und harten Züricher Mundart – „und sie werden die Männer bald ins Gedränge bringen – aber, das ist eben der Teufel, sie können was. Da will ich Euch ’mal eine Geschichte erzählen, wie es mir hierbei ergangen:

Ich hörte einmal einen gewissen Autor entsetzlich auf die Marlitt schimpfen – er schrieb selbst Romane“ – setzte Keller mit einem boshaften Lächeln hinzu. „Wenn man derartig gegen jemand loszieht, muß etwas an der niedergedonnerten Person sein, dachte ich mir und ließ mir einen Band von der ‚Gartenlaube‘ kommen. Es stand die ‚Goldelse‘ darin. Nun, ich habe“, fuhr Keller sehr nachdrücklich fort, „nicht allein diese Geschichte, sondern auch noch manche andere von ihr gelesen, und zwar von A bis Z, und habe keine Langeweile verspürt, im Gegentheil, ich habe das Frauenzimmer, die Marlitt, bewundert. Das ist ein Zug und ein Fluß der Erzählung, ein Schwung der Stimmung und eine Gewalt in der Darstellung dessen, was sie sieht und fühlt – ja, wie sie das kann, bekommen wir alle das nicht fertig. Wir wollen nur nicht ungerecht sein und der Schwächen wegen, die sie auch hat, ihr das wegstreiten! Und dann noch eins!“ sprach Keller in großem Ernste weiter – „es lebt in diesem Frauenzimmer etwas, das viele schriftstellernde Männer nicht haben, ein hohes Ziel, diese Person besitzt ein tüchtiges Freiheitsgefühl und sie empfindet wahren Schmerz über die Unvollkommenheit in der Stellung der Weiber. Aus diesem Drang heraus schreibt sie. In allen Romanen, die ich von ihr gelesen habe, war immer das Grundmotiv, einem unterdrückten Frauenzimmer zu der ihr ungerechterweise vorenthaltenen Stellung zu verhelfen, ihre Befreiung von irgend einem Druck, damit sie menschlich frei dastände – und hierin besitzt die Person, die Marlitt, eine Kraft, das durchführen zu können, eine Macht der Rede, eine Wortfülle, eine Folgerichtigkeit in der Entwickelung ihrer Geschichten, daß ich Respekt vor ihr bekommen habe. – Setzt die Marlitt nicht herunter,“ schloß Keller die für ihn so ungewöhnlich lange Rede. „In dem Frauenzimmer steckt etwas von dem göttlichen Funken, und das erkennen alle an, die reinen Herzens sind, vorab die Jugend.“

„O, ich habe, kein reines Herz,“ ließ Kinkel darauf in komisch weinerlichem Ton verlauten, während Scherr bei unserem Disput sich ausschwieg. Keller schien für lange Zeit all seine Beredsamkeit erschöpft zu haben, denn er sprach den Nachmittag kein Wort mehr.

Mich aber überraschte es in hohem Grade, Gottfried Keller, den ich seiner ganzen Charakteranlage nach für einen Gegner der schriftstellernden Frauen halten mußte und dessen Frauenideal im Leben wie in seinen Dichtungen das Weib am häuslichen Herd war, als einen so warmen Vertheidiger der Marlitt auftreten zu sehen.