In der Pußta

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Textdaten
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Autor: Ferdinand Schifkorn
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Titel: In der Pußta
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 323–324
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[312]

In der Pußta.
Nach einem Gemälde von Paul Böhm.

[323] In der Pußta. (Zu dem Bilde S. 312 und 313.) In der Pußta! Ein oft geschautes, stets magisch anziehendes Bild, ein oft gehörtes, doch selten ganz verstandenes Wort. Nein, der Städter, die Städterin, welchen Luxus, Wohlleben und die rastlose Begehrlichkeit des Leibes wie des Geistes nach Zerstreuung, Vergnügen oder Arbeit selbst in die sommerfrischliche Dorfidylle folgen, können sich die Pußta, nimmer jedoch das Leben darin vorstellen.

Eine Fläche, unabsehbar, graugrün wie der Spiegel des Oceans, mit dessen grenzenlosem Horizont, mit der unendlichen, gleich einer Glasglocke auf dem weiten Plane ruhenden Himmelswölbung, und dieser ungeheure Raum durchfluthet von Licht und Sonnenschein, von jener goldig schimmernden, wohligen Atmosphäre, deren Zauber die Sinne mit der beseligenden Wirkung eines Haschischtraumes umfängt – ja, das ist schön, poetisch, das begreift sich. Aber eine Existenz ohne Spiegel, Kamm und Seife, ohne Thee, Kaffee, Herd und Kochgeschirr, ohne Tische, Kommoden, Divans, Teppiche, kurz eine Vogelexistenz ohne Dach und Fach, ein Leben ohne Zeitungen, ohne Klub, Theater, Konzert, Gesellschaft, Piano, Lektüre, ja ohne Arzt und Apotheke – o, das ist unverständlich; die armen, unglücklichen Menschen!

Wie würde der Pußtamensch auf unserem Bilde lachen, hörte er diesen Ausruf des kulturverwöhnten Menschenkindes! Die Armut fühlt der echte Sohn der Heide, der Hirte, kaum mehr als etwa der Baum, welcher seine Nahrung aus der Erde zieht, in der er wurzelt. Gleich diesem freut er sich seines Daseins in Sonnenschein und reiner Gottesluft, wie dieser trägt er des Daseins Ungemach als etwas Unabwendbares mit stoischem Gleichmuth.

Beim ersten Tagesgrauen zieht er sei es im Dienste einer Dorfgemeinde oder eines Gutsherrn und mögen seine Schutzbefohlenen Pferde, Schafe, Rinder oder Schweine heißen – hinaus in die thaufeuchte, aromatisch duftende Ebene. Sein Ranzen birgt den Mundvorrath für einen oder mehrere Tage oder für die ganze Woche, je nach der Entfernung des Weideplatzes. Speck, Brot oder ein Säckchen mit Kukuruzmehl vor allem aber Tabak. Was wäre auch der Hirte ohne dampfende Pfeife im Munde? Eine Lyra ohne Saiten, ein König ohne Krone, eine Blume ohne Duft!

Doch bemitleide man den Sohn der Wildniß nicht vorzeitig ob seiner spartanischen Mahlzeiten; er weiß sich zu helfen. Findet sich doch in der weitesten menschenleersten Pußta eine oder die andere Tannya[1], in deren Umkreis ein wenig Feldbau, Obst- oder Rebenkultur getrieben wird, da giebt es denn Kartoffeln, Rüben, Maiskolben oder Wassermelonen, welche sich der Hirt ebenso trefflich schmecken läßt wie Trauben, Kirschen, Pflaumen und was der Himmel sonst beschert. Die Art und Weise, wie sich der Pußtahirte diese Leckerbissen erwirbt, verräth zwar etwas lockere Anschauungen über Mein und Dein, aber er hat es eben nie anders gesehen und gewußt.

Hat der Ausziehende den geeigneten Weideplatz erreicht, so ist auch die Hauptarbeit des Tages verrichtet, man müßte denn den dreimaligen Spaziergang zum nächsten Heidebrunnen als Arbeit betrachten, seltsamerweise kennt unser Mann gleichwohl die gefürchtetste Krankheit verfeinerter Lebewesen die Langeweile, nicht. Gleich dem Lazzaroni Süditaliens oder dem Fakir Indiens stillt er die Stunden, welche er nicht verschlummert, damit aus, daß er abwechselnd die rechte und linke, vordere und rückwärtige Seite seines Ichs der lieben Sonne zur Durchwärmung preisgiebt oder sein Auge an dem Zuge der Wolken, den Flugübungen der Störche und Reiher, am liebsten aber an dem sich ringelnden Opferrauche der geliebten Pfeife ergötzt. Selbst Sturm und Regen vermögen diese [324] Diogenesruhe nicht zu stören; während die Herde sich, die Köpfe nach innen kehrend, zusammendrängt, um unbeweglich, eine lebende Mauer, Wind und Wetter über sich hinbrausen zu lassen, hüllt sich der Hirt gleichmüthig in seine Bunda (Schafpelz), stülpt die Pelzmütze über das Haupt, und nun mag die Welt zu Grunde gehen!

Nur einmal greift etwas störend in dieses gleichförmige Dahinleben ein. Das ist, wenn zur Zeit der Ernte die Schnitterinnen aus den Dörfern herauskommen auf die Heide. Da geschieht es wohl, daß die bunten Gestalten im Aehrenfelde den Einsamen mit magischer Gewalt hinüberlocken, und daß der rauhe „Zuhasz“ (Schafhirt) plötzlich aus seinem Zustande des Gleichmuths heraus in den einer merkwürdigen Erregung hineingeräth, in welchem die Pfeife aufhört, für ihn das Wichtigste auf der Welt zu sein, und der sonst so einsilbige Mund sich zu einer vielleicht nicht eben feinen, jedenfalls aber wirkungsvollen Beredsamkeit aufschwingt. Dann schaut man wohl auf der Pußtalandschaft solch eine idyllische Staffage, wie sie Paul Böhms Bild uns vorführt. F. Schifkorn.


  1. Landhaus der wohlhabenden Pußtenbesitzer oder Pächter.