Instinct oder Ueberlegung!

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Instinct oder Ueberlegung!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 464
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[464] Instinct oder Ueberlegung! Im Jahre 1844 kam ich als Revierförster nach Niederdorf, einem netten Flecken in Tirol mit schönen Forsten und Wildständen. Das Amtsgebäude, welches ich mit meinen Untergebenen bewohnte, war durch einen weiten Hofraum von einem parallel laufenden Nebengebäude getrennt, in welchem sich die Waschküche, Holzlage, der Backofen und der am verstecktesten abseits liegende Eingang zum Wildkeller befanden. Ich hatte damals neben andern guten Jagdhunden eine Hündin, Namens „Diana“, welche durch ihre ausgezeichnete Dressur, feine Spürkraft und große Schönheit sehr lieb und theuer geworden.

Es war am 9. December desselben Jahres, als wir von einer ziemlich ergiebigen Jagd nach Hause zurückkehrten. Unter den Gästen war auch der Jägermeister irgend eines kleinen Fürsten anwesend (des Namens kann ich mich nicht mehr entsinnen, welcher während des ganzen Heimweges von nichts Anderem sprach, als von meiner Diana, und mir endlich die Summe von achtzig Thalern für dieselbe bot. Nicht wenig Mühe kostete es mich, ihm begreiflich zu machen, daß ich um keinen Preis mich von meinem Lieblinge trennen würde – dafür aber versprach ich demselben ein Junges von Diana’s erstem Wurfe, welcher nach meiner Berechnung in vier bis sechs Wochen erfolgen sollte.

Zu Hause angelangt, war ich einige Zeit beschäftigt, das erlegte Wild im Keller aufzuhängen, und als ich nachher nach den Hunden sah, stellte es sich heraus, daß Diana fehlte. Darüber machte ich mir jedoch keine Scrupel, indem ich der vielbewährten Folgsamkeit und Klugheit des Thieres unbedingtes Vertrauen schenken durfte. Allein als bis zum Abende noch keine Spur von dem Hunde gefunden war, wußte ich wirklich nicht, was ich davon denken sollte, denn ich war ja fest überzeugt, daß Diana zu jeder Zeit viel besser als mancher Mensch wußte, was ihre Pflicht erfordere. Das Wohnhaus wurde wiederholt durchsucht, allein ohne Erfolg. Von meinen Leuten, welche ich einzeln und auf’s Genaueste befragte, wann und wo sie den Hund zum letzten Male gesehen hätten, wußte, mit Ausnahme eines Einzigen, keiner etwas Bestimmtes anzugeben. Dieser Eine versicherte mir, daß er die Diana beim Thore des Forsthauses gesehen habe, als er mit den anderen Hunden, die er an der Leine führte, daselbst eintrat. Später wäre er sowie die Anderen bei der Abrechnung mit den Treibern, sowie mit der Versorgung der Jagdgeräthe und Abladen des Wildes voll auf beschäftigt gewesen. – Ich ging hierauf selbst nochmals in den Wald und suchte einige Stunden überall, wo wir heute gejagt hatten, allein erfolglos. Am nächsten Tage versprach ich Demjenigen, der mir die Diana zurückbrächte, eine Belohnung von zwanzig Gulden, der Oberjägermeister legte ebenfalls zwanzig Gulden dazu, so daß der Finderlohn sich auf vierzig Gulden belief. Dies bewirkte, daß das halbe Dorf sich auf die Sohlen machte, um den Hund zu finden.

Es wurde wieder Abend, ich konnte nicht schlafen, es wurde endlich wieder Tag, ich rannte suchend im Walde umher – vergehens. Daß ich’s kurz mache, es vergingen vier lange Tage und Nächte, ohne daß irgend Jemand den Hund gesehen. Ganz verstimmt und niedergeschlagen über diesen Verlust, ging ich am Morgen des fünften Tages, seitdem Diana vermißt wurde, nur von zweien meiner Leute begleitet, wieder auf die Jagd. Wir hatten jedoch kaum begonnen zu jagen, als das Wetter sich änderte und heftiger Wind, verbunden mit Schneegestöber, uns veranlaßte, für heute nach Hause zurückzukehren, was mir damals um so lieber war, als ich ja ohnedies nur mit halber Seele theilnahm.

Zu Hause angekommen, trug ich den einzigen Hasen, den ich geschossen, in den Keller. Ich schloß die starke Thür auf, erschrocken prallte ich zurück – auf den obersten Stufen der Stiege lag – meine Diana – todt! Ganz abgezehrt lag sie da mit blutig zerarbeiteten Vorderläufen, deren Spuren das Eichenholz der Thür an sich trug. Das treue Thier war des Hungertodes gestorben unter der reichsten Auswahl aller Arten von Federwild, Hasen und Rehen! Pflichtgetreu wie immer war es lieber elendiglich zu Schanden gegangen, ehe es das Eigenthum seines Herrn anrührte. – Damals habe ich geweint wie ein Kind!