Jagdleben im Hochland (Die Gartenlaube 1889)

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Autor: Ludwig Ganghofer
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Titel: Jagdleben im Hochland. 5. „Dem Jaager sein G’sell“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 602–604
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[601]

„Hirschmann“, einen verendenden Bock verbellend.
Zeichnung von Otto Grashey zu dem Artikel „Jagdleben im Hochland“ S. 602.

[602]

Jagdleben im Hochland.[1]

Geschildert von Ludwig Ganghofer. Mit Abbildung S. 601.
5. „Dem Jaager sein G’sell.“

Wer einen Jäger nach seinen weidmännischen Fähigkeiten beurtheilen will, braucht nicht erst mit ihm hinauszuziehen in den rauschenden Wald. Jeder echte Jünger des heiligen Hubertus trägt das Zeichen der grünen Gilde deutlich auf der sonnverbrannten Stirne; und wenn er auch erst in Ausübung des Weidwerks voll und ganz zu zeigen weiß, wie hoch er unter Jägern zu schätzen ist, so verräth sich doch, bevor er noch mit einem Schritte das Revier betritt, das Maß seines weidmännischen Werthes schon in mancherlei Zügen. Es verräth sich in der festen Entschiedenheit des Charakters und in jener behäbigen, abgeklärten Ruhe des ganzen Wesens, welche immer als Wirkung des andauernden, nahen Verkehrs mit der Natur auftritt, den der Beruf eines Jägers bedingt; es verräth sich in der forschenden Emsigkeit seiner blitzenden Augen, die das achtsame Schauen und Spähen, das Merken auf das Kleinste auch außerhalb des Waldes nicht lassen können; und es verräth sich in seiner Art zu sprechen, sei es nun in bravem Deutsch oder im unvermeidlichen Jägerlatein. Zwei Merkmale aber sind es besonders, welche immer einen untrüglichen Schluß gestatten; man sehe, wie er sein Gewehr in stand hält, und vor allem, wie er seinen Hund behandelt.

Jeder richtige Jäger hat ein Herz für seinen Hund und hängt mit fürsorglicher Zuneigung an dem treuen Thiere, ungeachtet der Strenge, welche die richtige Erziehung eines Jagdhundes nun einmal erfordert. Und wenn schon dem Flachlandsjäger der schlaue, schneidige Teckel oder der flüchtige, wohlgeschulte Feldhund mehr ist als nur ein nöthiges Werkzeug, so gestaltet sich in den Bergen das Verhältniß zwischen Jäger und Hund noch weit enger und inniger. Hier machen die beiden fast einen einzigen Körper aus, hier ist der Hund gleichsam des Jägers lebendig gewordener Schatten. Dem Hochlandsjäger ist der Hund nicht nur Geselle im wörtlichen Sinne, er ist ihm Kamerad und Genosse – und es ist kein Zufall, daß gerade der Name „Söllmann“, d. h. Gesellmann, für Gebirgsschweißhunde am häufigsten gebraucht wird. Wenn ein Jäger von den langen Sommermonaten erzählt, die er hoch oben in entlegener Jagdhütte einsam zu verbringen hat, kann man ihn häufig sagen hören, daß in dieser Zeit sein Hund für ihn die einzige „Ansprach’“ sei. Da haben die beiden nun freilich Gelegenheit und Muße, einander zu studieren und sich gegenseitig näher zu treten, so daß hier die Scheidewand fast zu schwinden scheint, welche zwischen Mensch und Thier errichtet ist.

Einem Beobachter, der mit den Verhältnissen nicht vertraut ist, mag es wohl komisch erscheinen, wenn er solch einen Jäger in Ernst und Scherz mit seinem Hunde sprechen hört gleich wie mit einem Menschen. Da ist aber ein jeder Zweifel, ob der Hund diese Sprache denn auch verstehe, gar übel angebracht. „Was? Mein Bürschl, meinen S’, der versteht mich net? Der versteht a jede Silben, akrat wie wann er in d’ Schul’ ’gangen wär’. Bloß daß er selber net reden kann.“ Und solchem Glauben vermag man schwer zu widersprechen, wenn man beobachtet, mit wie klugen, verständnißvollen Augen das Thier auf seines Herrn Worte lauscht, wie es Ernst und Scherz schon im ersten Ton der Stimme unterscheidet, jeden Augenwink und jede leise Bewegung des Jägers begreift, und wie es sogar mit den Launen, Gewohnheiten und Stimmungen seines Herrn zu rechnen weiß. Aber auch der Jäger versteht die stumme und laute Sprache seines Hundes, den flehenden Blick des hungrigen oder dürstenden Thieres, sein Scharren und Trippeln, sein Knurren und Murren, sein Winseln und Klagen, und er hat ein feines Ohr für des Hundes Gebell, so daß er genau zu unterscheiden vermag, ob der treue Wächter die Nähe eines Fremden meldet, ob der Hund „verloren“ bellt, wenn er in Dickicht oder Gestein sich verstiegen hat, oder vor dem gestellten Wilde „Standlaut“ giebt. So hat jeder von beiden Theilen seine Sprache, die der andere versteht, und sie reichen damit aus für alles, was sie einander zu sagen haben.

Hand in Hand mit der Zuneigung, die der Jäger seinem vierbeinigen Kameraden schenkt, geht der Stolz, den er auf ihn hat. Da hält ein jeder seinen Hund für die Perle des Geschlechtes, und wer einen Jäger so recht ins Herz hinein kränken will, der braucht ihm nur zu sagen, daß sein Hund keinen Schuß Pulver tauge. Mit solch einem Worte kann man sich einen Jäger mitunter zum unversöhnlichen Feinde machen; ebenso leicht aber wird durch ein freundliches Lob, das man seinem „Hirschmann“ oder „Bürschl“ spendet, sein Zutrauen gewonnen und seine Zunge ins Plaudern gebracht. Man muß sie nur hören, diese braunen, wetterharten Berglandssöhne, wenn sie bei einander sitzen und das Lob ihrer Hunde singen. Einer will da den andern übertrumpfen, und wenn sie mit der Wahrheit nicht mehr ausreichen, nehmen sie ihre Zuflucht zu dickem „Latein“. Ehrliche Burschen sind sie alle, aber so ehrlich ist dennoch keiner, daß er die etwaigen Mängel seines Hundes eingestehen würde, nicht einmal im Walde draußen, wenn der Hund vor Zeugen schlecht auf der Schweißfährte arbeitet oder durch knurrige Unruhe den Pirschgang verdirbt. „Na, jetzt da schau, was der Hund heut’ hat,“ heißt es in solchem Falle, „jetzt das is aber g’spaßig – so ’was thut er doch sonst nie!“ Natürlich ist man auch um Ausreden nicht verlegen, und da muß es bald der „elende“ Wind sein, welcher den sonst so verläßlichen Hund „fexiert“, oder der „Bergmandl“, der „halt gar so viel selten an Menschen sieht“, ist durch die Anwesenheit eines Fremden „verschüchtert“, oder es hat ihm „d’Nässen vom Gras sein’ Nasen verlegt“ u. s. w. Wie anders aber, wenn Bergmandl mit promptem Fleiße arbeitet und etwa ein Meisterstücklein liefert, indem er nach stundenlanger Suche einen erbärmlich angeplänkelten Hirsch „ausmacht“, den „unter hundert Schweißhund’ net an einziger mehr z’ Stand ’bracht hätt’“! Da leuchten dem Jäger vor Stolz und Freude die Augen, da weiß er gleich mit einem Dutzend ähnlicher Geschichtchen aufzuwarten, und zärtlich tätschelt er mit den braunen Händen den Kopf seines Lieblings, an den „in der ganzen Welt schon gar kein Hund mehr hinkann“.

Für Bergmandl aber setzt es in den folgenden Tagen gute Zeiten und gute Bissen. Darben muß er freilich auch sonst nicht. Redlich theilt der Jäger die karge Hüttenkost mit seinem Hunde, breitet ihm den weichen Wettermantel zum Lager neben den kleinen eisernen Kochherd, behütet ihn nach Möglichkeit vor Nässe und Kälte, und wenn eine Krankheit das Thier befällt, oder wenn es bei einem Sturze sich verletzt hat, widmet er seinem leidenden Gesellen eine so ausdauernde und achtsame Pflege, wie er sie kaum sich selbst bei eigener Unpäßlichkeit angedeihen läßt. Der Hund versteht und fühlt diese Sorge, und er lohnt sie seinem Herrn durch schmeichelnde Anhänglichkeit und nicht selten durch Treue bis in den Tod. Die viel erzählte Geschichte von dem Hunde, welcher bei der Leiche des von einer meuchlerischen Wildschützenkugel ins Moos gestreckten Jägers ausharrte, bis er vor Hunger verendete, ist ebensowenig eine Fabel wie die minderbekannte, im Gegensatz zu solcher Tragik recht lustige Geschichte des braven „Haßl“, den ein alter Förster des Oberisarthales sein eigen nannte. Der fidele Graukopf liebte einen guten Trunk, und da trank er häufig ein paar Krüglein über den Durst. Das „bißerl“ Zuviel spürte er nun immer „woltern“ in den Knieen, und dann war’s mit dem Heimmarsch vom Wirthshaus eine böse Sache. Da wär’ es ihm häufig gar übel ergangen, wenn er seinen „guten“ Haßl nicht gehabt hätte. Der diente ihm als Führer und – Laterne: der Förster brauchte ihn unter der Wirthshausthüre nur bei der Ruthe zu fassen, und dann zog der Haßl an, leitete seinen Herrn im Schlepptau heimwärts über die finstere Straße und zu guter Letzt noch über die steile Treppe hinauf ins Kämmerlein.

Nicht immer ist der Jäger in der Lage, bei der Annahme eines jungen Hundes seinem Geschmacke oder seiner weidmännischen Einsicht zu folgen. Den Ankauf eines theuren Rassehundes gestattet ihm sein mageres Beutelchen nicht, und weiterhin bedenkt er wohl auch, daß ein kleiner Teckel sich leichter füttert als solch ein hochstämmiger Geselle mit weitem Magen. Und schließlich begnügt er sich eben mit jenem Hunde, den ihm der Zufall bringt, den ihm ein Vorgesetzter zur Führung zuweist, oder den er von einem freigebigen Jagdgaste zum Geschenk erhält. So kommt es, daß man im weiten Gebiet der Berge, mit Ausnahme der [603] standesherrlichen Jagdbezirke, in denen das edelste und für die Gebirgsjagd tauglichste Hundematerial gehalten wird, fast alle Jagdhundrassen vertreten findet, den mehr oder minder krummbeinigen Dächsel, die leichte Bracke, den schweren hannövrischen Schweißhund und daneben allerlei Kreuzungsprodukte. Diese Thatsache birgt nun mancherlei Uebelstände in sich, und häufig müht sich da ein Jäger durch Jahre mit der Erziehung eines Hundes ab, welcher von vornherein aus natürlichen Gründen für die Bergjagd entweder völlig unbrauchbar oder nur ungenügend tauglich ist. Die Arbeit des Schweißhundes ist eben im Gebirg eine ganz andere als im Flachland; denn während hier der Schweißhund mit all seinen Fähigkeiten doch immer nur ein Werkzeug in der Hand des leitenden Jägers bleibt und bleiben soll, verlangt die Bergjagd vom Hunde einen hohen Grad von Selbstständigkeit und einen ganz eigenartig ausgebildeten, speziell den vorliegenden Verhältnissen entgegenkommenden Instinkt, noch abgesehen von den Anforderungen, welche die Natur des Berglandes an den Körperbau des Thieres stellt.

So ist der große hannövrische Schweißhund für das steile und zerrissene Gelände des Gebirges viel zu schwerfällig, allzusehr dem Abstürzen ausgesetzt, und daneben zu robust und ungestüm gegenüber dem aufgespürten Wilde, das er in toller Hetze zu endloser Flucht veranlaßt – und häufig geschieht es, daß ein angeschossener Hirsch, um sich vor solch einem geifernden Ungethüm zu retten, in das steilste Gewände einsteigt, in welchem er sich unvermeidlich „zu Scherben“ fällt. Da gestaltet sich die Sache beim kleinen Dächsel schon langsamer und gemüthlicher; der muß sich um seiner kurzen Beine willen gehörig Zeit lassen; und der wunde Hirsch ist fast zu stolz, um vor dem kleinen Wichte Reißaus zu nehmen, er stellt sich schon nach kurzer Flucht; der scharfe, durchdringende Laut des Hundes ruft den Jäger herbei, und da ist es oft possirlich, anzusehen, wie die niedliche Krabbe mit Kläffen und Belfern vor dem stattlichen Recken umhergaukelt, der gleichsam verächtlich auf seinen winzigen Quälgeist niederblickt und nur manchmal den allzu Kecken durch eine drohende Senkung des Geweihes in die gehörigen Schranken zurückweist. Nur schade, daß die körperlichen Kräfte des Dächsels, besonders seine geringe Sprungfähigkeit, bei einem halbwegs schwierigen Boden nicht mehr ausreichen. Da ist es oft zum Erbarmen anzusehen, wie das arme Thier sich winselnd über Felsrisse und grobes Gestein hinwegzappelt, wie es sich abschindet bis zur völligen Erschöpfung, über kleine Wände niederpurzelt und sich blutig schlägt – und manchmal mag es ihm auch begegnen, daß es bei einem unzureichenden Sprung in eine tiefe Felsschrunde stürzt, aus der es für das gequälte Bürschlein keine Rettung mehr giebt, wenn nicht glücklicherweise seine klagende Stimme noch das Ohr des Jägers erreicht.

Aber die Natur ist gar geschickt und weise. Sie weiß ihre Geschöpfe so zu bilden, wie sie just am besten für den Fleck Erde taugen, der ihnen zur lieben Heimath oder zum herben Kampf ums Dasein angewiesen ist. Wie sie die Sehnen des Bergbewohners stählt und seine Lunge weitet, wie sie den Berghirsch rauher und gedrungener bildet als den Hirsch des flachen Landes, wie sie der Gemse den harten, zangenscharfen Kletterfuß verleiht, so hat sie sich auch den richtigen Berghund, wenn nicht erschaffen, so doch erzogen. Ueber das ganze Gebirge ist, und sogar in beträchtlicher Zahl, eine Gattung von Hunden verbreitet, welche als das Kreuzungsprodukt einer älteren, rein deutschen Rasse mit dem leichteren, nordischen Schweißhund bezeichnet werden dürfte, wenn auch die Abstammung mit Sicherheit nicht mehr nachzuweisen ist. Einzelne verständige Jäger haben die Brauchbarkeit dieser Kreuzung für die Bergjagd erkannt und haben dieselbe weitergezüchtet, wobei die Natur im Geheimen fleißig mitgearbeitet hat, um im Laufe ungezählter Jahre den Körperbau und die Fähigkeiten dieser Hunde allmählich den Verhältnissen des Gebirges anzupassen. Die verwirrten Jagdzustände, welche das achtundvierziger Jahr auch über einen großen Theil des Gebirges brachte, haben nach dieser Richtung wieder viel geschadet; aber es hat doch manch eine stille Försterklause jenen Hunden eine treue Herberge geboten, bis sich in jüngster Zeit ein edler Weidmann, Baron von Karg-Bebenburg, der Jagdherr der schönen Reichenhaller Berge, mit ganz besonderem Eifer und Verständniß um die Erhaltung und Weiterzucht dieser ebenso schmucken wie brauchbaren Thiere annahm. Seine dankenswerthen Bestrebungen haben im „Süddeutschen Verein für Züchtung reiner Hunderassen“ und in dem bekannten Thiermaler Otto Grashey, der diesen Artikel mit einer so charakteristischen Zeichnung schmückt, zwei emsige Förderer gefunden, auf deren Betreiben im Mai 1884 diese Hunde unter dem Tilel „Bayerische Gebirgsschweißhunde“ als selbständige dauernde Rasse anerkannt wurden – und im deutschen Hundestammbuch prangt nun „Hirschmann I“, ein Sprößling des Reichenhaller Zwingers, als geadelter Ahnherr des neuen Geschlechtes. Es sind das rothbraune, ockergelbe oder semmelfarbige Hunde, deren Größe, etwas unsportsmäßig ausgedrückt, zwischen dem Dächsel und dem hannövrischen Schweißhund die schöne Mitte hält. Der Leser kann sich nach dem Exemplar auf dem Bilde von Grashey ungefähr eine Vorstellung von dem Aeußeren derselben machen. Trotz ihres strammen und gedrungenen, so recht für die Verhältnisse des Gebirges passenden Körperbaues sind sie ungemein flüchtig und behend. Ihre dichte, bei aller Glätte fast stachlig rauhe Behaarung ist ihnen ein guter Schutz wider die strenge Witterung in den Bergen, und ihre Füße mit den gekrümmten stark entwickelten Nägeln und den rauhen lederzähen Ballen sind wie geschaffen, um sicher über glatte Felsen und schadlos über scharfes Gestein zu eilen. Auf einem kurzen, kräftigen Halse sitzt der halblange, energisch geformte Kopf mit der beweglichen Nase, den leicht überfallenden Lippen und den klaren, etwas vorliegenden Augen, deren gutmüthig freundlicher Blick in eigenthümlichem Gegensatze zu den ernst aufgezogenen Brauen und den altklugen Stirnfalten steht. Solch ein Hund und ein richtiger, echter Hochlandsjäger mit dem federgeschmückten Hütlein, den braunen, sehnigen Knieen und der blitzblanken Büchse, sie passen gar trefflich zu einander und geben ein prächtiges Bild, dem man bald immer häufiger begegnen wird, denn durch die Fürsorge des genannten Vereins wie durch Schenkungen des Reichenhaller Jagdherrn und anderer Kavaliere wird alljährlich eine Zahl von Berufsjägern mit dem besten und bildungsfähigsten Hundematerial versorgt, und daneben wird nun auch im eigenen Kreise der Jäger die Züchtung mit regerem Eifer betrieben, so daß die Zeit nicht allzu ferne ist, in welcher man an der Seite des Hochlandjägers ausschließlich den reinen Rassehund finden wird.

Der schöne Erfolg dieser Bestrebungen bedeutet einen doppelten Gewinn, denn es ist ja selbstverständlich, daß der Jäger mit weit größerer Freude und regerem Fleiße die Erziehung und Schulung eines Hundes betreiben wird, dessen natürliche Fähigkeiten allen Ansprüchen entgegenkommen, als die Abrichtung eines Thieres, dessen unvortheilhafte Eigenart sich schon den nothwendigsten Forderungen gegenüber spröde verhält. Und es ist ein weiter Weg, den der Jäger seinen Hund zu führen hat, vom Korbe bis zur jagdgerechten Vollendung. Das kostet manchen Tropfen Schweiß, viel Aerger und rastlose Mühe; aber all diese Arbeit wird durch ein gutes Stück Humor gewürzt. Wieviel des rührend Ergötzlichen wäre schon von den ersten Wochen zu erzählen, in denen das Junge noch unter der Hut der wachsamen Mutter steht! Dann kommt der erste Schmerz über den just getauften „Söllmann“ – aber trotz der kleinen Leiden, die ihm die böse Reinlichkeit verursacht, ist auch des Hundes schönste Zeit die Jugend. Während seiner Flegelmonate wird er zumeist in Pension gegeben, in „Milchkost“ auf einen einsamen Bauernhof, wo er das zarte Gebiß an unbewachten Lederhosen, Filzhüten und Pantoffeln kräftigt und das erwachende Müthchen in unterschiedlichen Parforcejagden auf das „Katzerl“ zu kühlen sucht. Der fünfjährige Seppel spielt mit dem Söllmann „Jaager und Hundei“, und wenn sich die beiden „am Berg“, d. h. auf einem mit Fichtenreisern bestellten Sandhügel müde gejagt haben, strecken sie sich zur Ruhe auf den weichen, grünen Rasen und lassen sich unter einträchtigem Schnarchen von Gottes lieber Sonne „die Decke“ wärmen. Alle paar Wochen einmal kommt der Jäger, um sich von seines „Mandei“ gesunder und kräftiger Entwicklung zu überzeugen. Durch diese Besuche schon lernt Söllmann seinen Herrn kennen, der ja niemals kommt, ohne dem zuthunlichen Schmeichler einen „nobligen“ Bissen mitzubringen.

Ein Jahr ist vergangen, Söllmann ist zu einem prächtigen Burschen herangewachsen, und glücklich hat er auch die „Sucht“ überstanden, diese böse Hundekrankheit, die schon manch ein vielversprechendes Thier dahingerafft hat. Ein richtiger Festtag ist es für den Jäger, an dem er seinen jungen Gesellen zum erstenmal an der Leine mit zu Berge führt, und mit Ergötzen beobachtet er das neugierige Schauen und Staunen, das rastlose Schnuppern [604] und Winden des Hundes, den all die neuen Eindrücke „schier narrisch“ machen. Bald ist die Jagdhütte erreicht – nur eine breite Lichtung, über deren Kräutern schon der Abend dämmert, muß noch überschritten werden. Da zieht ein Gabelhirschlein, mit erhobenem Grinde (Kopfe) sichernd, aus den dunklen Tannen hervor. „Da schau, Mandei,“ flüstert der Jäger, „da schau her!“ Söllmann steht verdutzt, aber seine Augen funkeln, seine Haare sträuben sich, ein Zittern befällt seinen Körper, und jetzt erwacht in ihm das Blut, und kläffend stürzt er dem äsenden Wild entgegen, um sich freilich schon nach dem ersten Sprunge an der würgenden Leine zu überschlagen. Das ist die erste Lehre für Söllmann – scheu zieht er den Schweif zwischen die zitternden Beine und schleicht mit scheinheiligen Blicken hinter die Fersen seines lachenden Herrn.

Droben in der Hütte beginnt die „höhere Stubendressur“, welche bei der Energie, mit der sie gehandhabt wird, gewöhnlich schon nach wenigen Tagen beendet ist. Willig fügt sich Söllmann allen Geboten der „Propridät“; er lernt es, sich während der Nacht ruhig zu verhalten, statt durch rastloses Umhertrippeln den kurz bemessenen Schlaf seines Herrn zu stören, und gewöhnt sich das lästige Betteln bei des Jägers Mahlzeiten ab.

Inzwischen lernt er auch draußen im Bergwald, vorerst das richtige Gehen, immer zur Seite seines Herrn oder dicht hinter dessen Fersen, ohne daß es der zwingenden Leine oder eines mahnenden Lockens bedarf. Kein Wurzelstock am Wege soll ihn länger als nothwendig aufhalten, er darf sich keine privaten Spaziergänge und Entdeckungsreisen seitwärts in die Büsche erlauben, er soll über einen spitzen Stein nicht winseln, beim Anblick eines Wildes nicht knurren. Keine den Weg kreuzende Fährte, und wäre sie noch so frisch, darf seine Jagdlust in Versuchung führen, kein Schuß darf ihn „hitzig“ machen. Er soll nicht einmal aus dem Gleichgewicht seiner Ruhe fallen, wenn er das Wild im Feuer stürzen sieht, und muß sogar das harte Stücklein lernen, bei einem auf der Erde liegenden Rucksack oder Wettermantel ungefesselt auszuharren, bis der Jäger, welcher auf einem besonders heiklen Pirschgang seinen treuen Gesellen gerade nicht brauchen kann, wieder zurückkehrt, um den braven Söllmann aus seinem Zittern und Fiebern zu erlösen. Das ist schon eine schöne Summe von Künsten, und dennoch ist das nur die Vorbereitungsschule; bevor der Hund in all diesen Dingen nicht fest und ferm ist, sollte der Jäger mit ihm die Schweißarbeit nicht beginnen. Gegen diese Regel wird allerdings, aus Noth oder Ungeduld, vielfach gesündigt.

Es würde zu weit führen, wollten wir Schritt für Schritt der Schule folgen, welche Söllmann von der Stunde an durchzumachen hat, in welcher er zum erstenmal den rothen Schweiß (Blut des Wildes) zu kosten erhält. Er mag um zwei oder drei Jährlein älter werden und dann zeigen, was er gelernt hat. Da muß er auf gangbarem Boden am Riemen der Schweißfährte folgen, eifrig und doch nicht zu ungestüm; jedes Tröpflein Schweiß muß er „zeichnen“, damit der Jäger jede rothe Flocke untersuchen oder, wenn diese Zeichen nicht erfolgen und auch auf dem Schußplatz weder „Schnitthaare“ noch Schweiß zu finden waren, mit Sicherheit schließen kann, daß seine Kugel gefehlt hat. Wird das Gelände so unwegsam oder das Dickicht so streng, daß der Jäger dem ziehenden Hunde nicht mehr zu folgen vermag, so muß Söllmann, vom Riemen gelöst, ebenso ruhig und besonnen weitersuchen wie zuvor an der Hand des Jägers. Findet er das Wild im „Bette“ schon verendet, so muß er es so lange „todt verbellen“, bis der Jäger herbeikommt. Wird aber das noch kräftige Wild vor dem Hunde munter, so muß er dasselbe „stellen“, was ihm in manchen Fällen wohl erst nach langer und beschwerlicher Hetze gelingt. Auf dieser „freien Suche“ beweist der Gebirgsschweißhund die ganze Eigenart seiner Begabung und seines selbständig arbeitenden Instinktes, fast möchte man sagen: Verstandes. Da hört das Wild gar häufig zu schweißen auf, und dennoch darf er die einmal angefallene Fährte nicht mehr verlassen oder verlieren. Kein „Wiedergang“ und Seitensprung des Hirsches darf ihn täuschen, und wenn das flüchtende Wild über eine Kluft hinweg „fällt“, welche für die Kräfte des Hundes zu breit ist, muß ihm sein Orientirungssinn den nächsten Umweg zeigen und seine gute Nase muß ihn jenseit der Schlucht die richtige Fährte wiederfinden lassen. So oft und so lange er bei der Hetze das Wild erblickt, muß er es seinem Herrn durch lautes „Halsgeben“ anzeigen, und ist es ihm gelungen, den Hirsch zu stellen, so hat er unter unaufhörlichem Standlaut vor ihm auszuharren, bis der Jäger erscheint, um das Wild durch einen Fangschuß zu strecken. Das währt oft viele Stunden und manchmal den ganzen langen Tag, und es sind sogar Fälle zu verzeichnen, daß besonders tüchtige Hunde, wenn die Jagd nach irgend einem verlorenen Winkel ging, Tage und Nächte bei dem gestellten oder verendeten Wilde ausgehalten haben, und Fälle, in denen Hunde nach mehrtägiger Abwesenheit zurückkehrten und den im pfadlosen Bergwald suchenden Jäger aufspürten, um ihn zu der stundenweit entfernten Stelle zu führen, wo seine Beute zu finden war. Da mag man es wohl begreifen, wenn solch ein Hund dem Jäger um keine Summe feil ist, und mag es verstehen, wenn es von den beiden im Volksliede heißt:

„Und das is Dir a Lieb’
Ohne Falsch, ohne End’,
Und das is Dir a Lieb’,
Wo kein’ Eifersucht kennt.

Und ich und mei’ Hundei,
Wir zwei halten z’samm’,
Wie d’ Stern’ mit’n Himmi,
Wie der Wald mit die Baam’.“

Das alles, von Anfang bis Ende, lernt sich nun freilich für Söllmann nicht so leicht und schnell, wie es da gesagt ist. Und gar fleißig hat in dieser Schule das Haselnußstöcklein mitzureden. Es faßt und lernt der eine Hund wohl leichter als der andere, auch will ein jeder in dieser Schule nach seinem Temperament behandelt werden. Ein „weicher“ Hund will mehr mit guten Worten gezogen sein, ein Schlag zur Unzeit kann ihn für immer scheu und stützig machen; ein anderer wieder, einer von der „groben“ Art, der braucht seine gesunden Hiebe ebenso nothwendig wie die volle Schüssel. Der verständige Jäger wird in beiden Fällen das richtige Maß zu halten wissen, er wird seinen Hund weder verzärteln, noch durch grausame Strafen „verschlagen“. Allerdings giebt es auch Ausnahmen, aber sie beweisen immer jenen Satz, daß die falsche oder schlechte Behandlung des Hundes einen schlechten Jäger verräth. Solch einer wird sich schließlich auch des gealterten Hundes ohne sonderliche Gemüthsbewegung entledigen, während dem echten Weidmann mit dem Verluste seines Hundes immer ein Stück eigenen Lebens vom Herzen geht. Es ist aber auch eine harte Sache für den Jäger, wenn er dem treuen Gesellen, mit dem er in einsamer Höhe Leid und Freud’ getheilt hat durch lange Jahre, die Kugel geben muß, um das von Alter und Strapazen gebrochene Thier doch wenigstens vor elendem Siechthum zu bewahren. – –

Da kommt mir die Erinnerung an einen Oktobertag, an dem ich zur Hirschbrunft auf die Berge stieg. Der Jäger, welcher mich führen sollte, erwartete mich in der Jagdhütte. Ich freute mich schon des lustigen Alten, machte aber verdutzte Augen, als ich seine trübselige Miene sah und den mürrischen Gruß hörte, den er mir bot. „Ja was is denn?“ meinte ich kopfschüttelnd. „Was machst denn Du heut für an Kopf? Mir scheint, heut’ hast an schiechen Tag?“

„Ja,“ murrte er mit heiserer Stimme vor sich nieder, „woltern an schiechen Tag! Mein’ Söllmann hab’ ich derschießen müssen – weißt, weil’s halt gar nimmer mit ihm ’gangen is. Den ganzen Sommer hab’ ich ihm noch ’s Gnadenbrot ’geben – aber den Winter hätt’ er nie nimmer überstanden – auf ei’m Aug’ hat er schon nix mehr g’sehen, und ’s Schnaufen hat er auch bald nimmer vermocht. No mein, da hat’s schon ihm z’lieb sein müssen, wann’s mich gleich so viel hart an’kommen is – denn so an Hund giebt’s ja gar nimmer, und wie der an ei’m g’hängt is, das kann ich kei’m Menschen net sagen! Aber no – – heut’ in der Fruh, da hab’ ich ihm fürs letztemal noch a Fleisch auf’kocht, und nachher hab’ ich ihn ’nausg’führt ins Holz, an a recht a schöns Platzl hin. G’wiß wahr, dreimal hab’ ich auffahren müssen mit der Büchs, so viel haben meine Händ’ ’zittert – und wie ich’s dengerst z’samm’bracht hab’, da hat er sich g’streckt im Schnall – a kleinwunzigs bißl hat er noch g’wedelt – und g’rad a wengerl hat er den Grind noch g’hoben und hat sich umg’schaut nach meiner, mit zwei so trübe, traurige Augen, wie wann er im letzten Schnaufer noch sagen hätt’ mögen: So? so machst es Du mit mir – mit mir …“

Dem Alten schlug die Stimme über; schnüffelnd fuhr er sich mit dem Aermel über die Nase und wandte sich ab, damit ich die Zähren nicht sehen sollte, die ihm über die furchigen Backen niederkollerten in den grauen Bart.