Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance/I. Der staufische Reichsgedanke
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I. Der staufische Reichsgedanke
Geht ein Ahnen durch die Welt in jenen seltenen Augenblicken, wenn ein herrschgewaltiger Gigant geboren wird? Die Sage der Völker von ihren übermenschlichen Heroen scheint das vorauszusetzen. Von dem großen Alexander raunte sie, daß Gott Ammon in Drachengestalt ihn gezeugt habe, und daß bei seiner Geburt die Erde unter Donner und Blitz erbebte. Die Mutter des ersten römischen Imperators, bei dessen Geburt die Welt kreißte, sah vor ihrer Niederkunft im Traume, wie sich ihr ein Drache nahte, während ein anderes Gesicht kündete, aus ihrem Schoße gehe die Sonne auf.
Der antike Dämon der Weltherrschaft – ersichtlich der Kosmosdrache, der mit Tatzen, Schuppenleib und Schweif den Erdball umklammert – wird in der Sage auch der Vater jenes Staufers, der als letzter in der Reihe der römisch-deutschen Cäsaren das, wie er glaubte, schicksalsmäßig der ewigen Roma für immer zugefallene Imperium über die Welt in seiner antiken Größe wiederherstellen wollte.
Das Traumbild der Mutter Friedrichs II. von ihrer Empfängnis durch den Lindwurm kleidet in großartiger Weise den in der staufischen Reichsidee noch einmal vor seinem Untergang verklärten erhabenen Irrtum des Mittelalters ein von dem die Welt befriedenden Kaiser. Drei kaiserliche Recken wagten sich an das Unmögliche, den Weltherrschaftsgedanken aus dem Reiche des mittelalterlichen Wähnens in die Wirklichkeit des Lebens zu überführen. Er konnte nicht körperlich werden im Irdischen. Seinen Trägern aber verlieh er überragende Erhabenheit, wundervollen Schwung, tragische Größe.
In den Tagen des Rotbart dichtete ein Mönch des Klosters Tegernsee, in dessen enge Zelle ein heller Strahl von dem Sonnenglanze fiel, der Kaiser Friedrich I. auf der Höhe seiner Macht umgab, ein „Spiel vom Antichrist“. Die bis in die frühesten christlichen Zeiten zurückreichende Vorstellung von der Sabbatruhe der Welt unter einem gewaltigen Weltkaiser vor dem Ende aller Dinge wird in dieser gegenwartsfrohen, naiven dichterischen Einkleidung zur Verherrlichung der staufischen Politik verwertet. Das Spiel läßt den Rotbart die Worte sprechen: „Die Macht, welche unsere Vorfahren verfallen ließen, wird die Macht unserer Allgewalt wieder erlangen.“ Es zeigt in dramatischen Bildern, [2] wie er wirklich die Welt bezwingt. Den nationalen Patriotismus der Dichtung, der sich in dieser in das weite Gewand uralter Weltherrschaftsgedanken hüllt, offenbaren die Verse:
„Bluten muß man können, gilt's des Volkes Ehre!
Mannheit schützt den Herd, daß ihn kein Feind versehre!
Ist Recht durch List verkauft, kauft man's zurück durch Blute,
Der unverletzten Zier des Kaisertums zu Gute.“
Hier spricht das völkische Hochgefühl, das auch den Kaiser und seine Umgebung erfüllte.
Als auf dem Tage von Besançon im Jahre 1157 der Kardinal Roland ein päpstliches Schreiben verlas, in welchem das Kaisertum mit dem allerdings doppelsinnigen, aber doch nach allem Vorhergegangenen nur eindeutigen Worte „beneficium“ als Lehen der Kurie bezeichnete, da hätte man ohne das Eingreifen des Kaisers den Legaten fast erschlagen. Friedrich aber im Vollgefühl seiner Herrschgewalt schrieb dem Papste die zornigen Worte: „Das ertragen, das leiden wir nicht; eher legen wir die Krone nieder, als daß wir die Krone des Reiches zugleich mit unserer Person so in den Staub ziehen lassen!“ Dieses Machtbewußtsein des Herrschers hatte begonnen, sich dem ganzen Volke mitzuteilen. Sein erstes allgemeines nationales Fest feierte dieses deutsche Volk am Pfingstfeste 1184, dem Tage, an welchem des Rotbart älteste Söhne den Ritterschlag empfingen. Eine wahre Heerschau über seine reisigen Scharen konnte damals der Kaiser abhalten. An die 70000 Ritter, so berichten die Quellen gewiß übertreibend, aber gerade in dieser Übertreibung den Eindruck widerspiegelnd, den das Fest machte, seien damals im goldenen Mainz zusammengeströmt. Helle Daseinsfreude kennzeichnete diesen glänzenden Tag. „Frau Welt“ selber hatte dazu geladen, Frau Welt, die den Kaisergedanken, den man damals feierte – zuvor eine mehr oder minder schemenhafte Idee – den Menschen faßbar und greifbar zu machen suchte.
Der von der Antike geprägte und von dieser als dauerhafter denn Erz betrachtete Kaisergedanke hatte im Mittelalter eine theologisch-philosophische Patina erhalten. Diese wird in der staufischen Epoche entfernt. Der Kaiser selber zieht jene alte Weltidee aus der Höhe des Überirdischen herab und versucht, sie fest auf diese Erde zu stellen. Da soll sie sein, was sie in den Tagen der Cäsaren Roms war: der Bürge der Einheit der in den römischen Kulturkreis einbezogenen Welt und der Träger der Weltordnung. Dieses in seinen geistigen Wirkungen weltgeschichtliche, kühne Unterfangen kam dem mählich sich wandelnden Zeitbewußtsein entgegen. Die Geister fingen an, zu begreifen, daß das Ziel der vorangegangenen Jahrhunderte: der Gottesstaat, nicht zu verwirklichen sei, solange Menschen Menschen sind; und das Kaisertum, das jetzt mit Entschiedenheit von dem erdenfernen Ideal der Väter zu der Wirklichkeit dieses Lebens schwenkte, hat, trotzdem es schließlich den noch einmal zusammengerafften Kräften der versinkenden Epoche erlag, grade durch die Tragik seines Endes den Zweifel der tiefer Blickenden an der Berechtigung und Möglichkeit des theokratischen Herrschaftsgedankens in die Erkenntnis der im Staate ruhenden Naturnotwendigkeiten gewandelt. Das römische Recht, das „Kaiserrecht“, bereitete diese Verweltlichung der Lehre vom Staate vor. Die grundsätzliche Änderung der Auffassung des Kaisergedankens tastete nun aber nicht nur an das innere Wesen der erstrebten päpstlichen Theokratie, sie berührte auch die Gewissen der Einzelnen.
Nicht ohne inneren Kampf wird Barbarossa den Kaisergedanken von dem Traumbild des Gottesstaates abgelöst haben. Für die allumfassende Herrschaftsidee hatte ihn sein Oheim, der gelehrte Bischof von Freising, Otto, begeistert. Dessen „Bücher von den zwei Staaten“, dem irdischen und dem himmlischen, stehen noch ganz im Banne des Gesichtes vom Gottesreich und dessen Gegenbild
[3] [4]auf dieser Erde, das der gewaltige Augustinus geschaut hatte. Die Entwicklung und der Widerstreit dieser beiden Staaten macht auch in der Geschichtsphilosophie Ottos den Inhalt der Weltgeschichte aus. Mit dem Propheten Daniel, der mit einer zuvor nie vernommenen Stärke dem Gefühle der Menschheit Ausdruck verliehen hatte, erscheint ihm die Geschichte als ein zeitlich begrenztes Drama, das der Ewige zu einem bestimmten Zwecke leitet. Die Übergänge der vier Weltreiche bilden die Handlung dieses Dramas, dessen Katharsis in dem überall durchblickenden Gedanken der kommenden Sabbatzeit des Friedens liegt. Das letzte, das römische Reich, muß nach dieser Periodisierung dauern bis an das Ende der Tage. Von Rom, so führt Otto aus, ging die Herrschaft über die Welt auf die Griechen, von den Griechen auf die Franken, von den Franken auf die Langobarden, von den Langobarden auf die Deutschfranken über. Mit der ganzen Bitterkeit seines Herzens sieht er, wie des Reiches Kräfte durch das Anwachsen der immer mehr verweltlichten Kirche dahinschwinden. Er scheut sich nicht auszurufen: „Es dürften vor allen die Priester der Schuld zu zeihen sein, welche das Reich mit ihrem Schwerte, das sie doch selbst von der königlichen Gnade haben, zu schlagen wagen.“ Den Koloß des Nebukadnezar, der auf tönernen Füßen ruht, deutet er auf die verweltlichte Kirche.
Barbarossa hat dieses um 1146 entstandene Werk seines Oheims gekannt. Die Idee des Kaisertums trat also zunächst in geistlichem Gewande in den Gesichtskreis des jungen Herrschers. Freilich lagen schon in Ottos scharfer Kritik des kurialen Machtstrebens die Keime zu einer weltlichen Wertung des Kaisergedankens. In der Luft des sich immer mehr und in immer weiterem Umkreise durchsetzenden römischen Rechtes sollten diese Keime aufgehen. Die „beseelte Weltordnung auf Erden“ hatte Justinian sich genannt und ausgerufen, daß er über den von ihm gegebenen Gesetzen, aber niemals unter diesen stehe. Diese undeutsche absolutistisch-mystische Auffassung der von keinem kirchlichen Zwang eingeschränkten geheiligten Herrschaft lehnte der Rotbart zunächst ab. Nach Rahewin sagte er auf dem Reichstage zu Roncaglia im Jahre 1158: „Obwohl wir den königlichen Namen tragen, so wollen wir doch lieber ein gesetzliches Regiment führen, das auf Erhaltung der Freiheit und des Rechts eines Jeden gerichtet ist, als, wie man es für königliche Art ausgibt, alles ungestraft zu tun, durch Ungebundenheit übermütig zu werden, und die Pflicht [5] des Regierens in Stolz und Herrschbegier zu wandeln.“ Was Wunder aber, daß der leidenschaftliche Trieb zur Macht, der in den Staufern loderte, in der Folge immer mehr in diesem Kaiserrechte Roms seine Stütze suchte, daß allmählich „ein gewisses staufisches Reichsprogramm, eine staufische Theorie des Imperium“ sich herausbildete. Schon durch ihr bloßes Wiedererstehen stärkten jene Rechtssätze das kaiserliche Ansehen. Die Neigung der Staufer zur Selbstherrlichkeit festigte und formte sich unter ihrem unwiderstehlichen Einfluß allmählich zum Bewußtsein, rechtmäßig die unbedingte Gewalt inne zu haben. Die damit zugleich wieder Leben gewinnende Idee des alten Imperium Romanum drängte zur Wiederherstellung der früheren geschlossenen Einheit des Weltreiches, erweckte den mit dem Namen Roma verknüpften Trieb nach Ausdehnung, bedingte die Verlegung des Schwerpunktes der Herrschaft nach Italien und die Entnationalisierung des Kaisergedankens.
Diesem staufischen Reichsgedanken entstanden zwangsläufig zwei Gegner. Selbstverständlich war der Papst der erste. In dem Weltreiche eines absoluten Herrschers war für seine Theokratie kein Raum mehr. Unter Konrad III. schon hatte Gratian die Forderung der Kurie aufgestellt: Unbeschränktheit der päpstlichen Herrschaft in der Kirche, völlige Unabhängigkeit von der weltlichen Macht, Unterwerfung der weltlichen Gewalt unter die geistliche. Und an die Mitwirkung des Papstes bei der Kaiserkrönung des großen Karl anknüpfend bildete sich die Lehre von der „Übertragung des Reichs an die Franken“ durch die Kirche heraus. Auf Grund dieser Forderungen und Lehren begann das Papsttum den Kampf auf Leben und Tod mit dem staufischen Kaisertum.
Ein anderer Gegner des Kaisergedankens war die legistische Partei. Aus Langobarden setzte sich diese vornehmlich zusammen. Denn die Langobarden [6] waren, nachdem sie in dem italienischen Volkstum und in dessen Gesittung aufgegangen waren, die eigentlichen Träger eines sich scharf gegen den weltlichen Feudalismus und gegen die geistliche Vorherrschaft kehrenden nationalitalienischen Kulturgedankens geworden. Die schöpferischen Begründer der Städtekultur Oberitaliens sollten ja später die Befreier des menschlichen Geistes werden. Ihre Ideale suchte diese legistische Partei nicht im kaiserlichen, sondern im republikanischen Rom. Die italienischen Kommunen, die sich wirtschaftlich und sozial so erstaunlich entwickelt hatten, lebten, wie Friedrich, in der Gedankenwelt des römischen Rechts. Sie aber pochten auf die aus diesem hergeleitete Volkssouveränität. Um ihre bedrohte Stadtfreiheit kämpften sie gegen des Rotbarts und seiner Nachfolger kaiserlichen Absolutismus, in dem zunächst noch ein gut Teil des mittelalterlichen städtefeindlichen Feudalismus lebendig war. Die Macht der Zukunft, die bürgerliche Kultur, sollte von den neuen staufischen Cäsaren ja auch dann noch verkannt werden, als in dem zweiten Friedrich bereits die Ahnung des modernen Staates aufgegangen war. Indem sich der Staufer Kaisertum gegen den Geist des Lebendigen auf die Schemen der Vergangenheit berief, mußte es zugrunde gehen.
Der leidenschaftliche Streiter wider die Weltanschaung der vergangenen Jahrhunderte und der glühende Vorkämpfer des legistischen Gedankens, Arnold von Brescia, unternahm den Versuch, diesen nach Rom zu bringen. Wenn er gehofft hatte, mit lodernder Fackel an ragender Stätte, auf dem Kapitol, dem Palladium der Menschheit, einen die Gemüter der Welt erregenden Brand entfachen zu können, so hatte er sich gründlich geirrt. In diesem römischen Volk zerlumpter, unwissender Bettler, das nicht die geringste Teilnahme für die soziale und wirtschaftliche Aufwärtsbewegung der italienischen Bürgerschaften gezeigt hatte, war nichts mehr von dem Geiste der Katonen und Scipionen lebendig. Es war nur ein Strohfeuer der Begeisterung, als dieses Volk das Kapitol stürmte und an dieser heiligen Stätte den Senat wiederherstellte. Damals tauchten auch die stolzen Titel der republikanischen Zeit Roms wieder auf. Ein Anhänger Arnolds sandte an Kaiser Friedrich ein Schreiben, in dem er den souveränen Willen des römischen Volkes über das Kaisertum stellte. Den gleichen Geist atmete das von Otto von Freising überlieferte Schreiben des römischen Senates an den Rotbart vom Jahre 1155. Hier werden der Roma die Worte in den Mund gelegt: „Du warst ein Fremdling aus den Gebieten jenseits der Alpen. Ich habe dich zum Fürsten eingesetzt. Was mein nach dem Rechte war, habe ich dir gegeben.“ Bedeutsam ist Friedrichs Antwort. Nicht durch die Wohltat irgend eines Menschen, sagt dieser, sondern durch Tapferkeit hätten seine Vorfahren das Kaisertum den Griechen und Langobarden entrissen. Alle Einrichtungen des alten Imperium, auf das jetzt die nachgeborenen Römer pochten, seien nun bei den Deutschen: die Konsuln, der Senat, das Heer. Wörtlich ruft er aus: „Ich bin der [7] legitime Besitzer! Entreiße, wer es kann, den Schlüssel der Faust des Herkules! Der Fürst hat dem Volk, nicht das Volk dem Fürsten Gesetze zu geben!“ Der päpstlichen Lehre von der Übertragung des Reiches durch die Kirche und der Auffassung der Legisten von der Erwählung Karls des Großen durch das souveräne römische Volk wird hier die Lehre von dem Rechte der Eroberung gegenübergestellt.
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Das Mittelalter hatte stets eine hohe Achtung vor ererbten Rechten. Nun bot zwar das römische Recht den Machtäußerungen des Kaisers eine Grundlage, nicht aber stützte es dessen Legitimität. Daß die Frage der Rechtmäßigkeit des deutschen Kaisertums die Gemüter damals beschäftigte, geht schon aus der Tatsache hervor, daß die alte Sage von der Abstammung der Deutschen von den Trojanern, in denen ja auch die Römer ihre Vorfahren erkannten, wieder Verbreitung finden konnte. Diese erdichtete Blutgemeinschaft mit den Lateinern sollte die Legitimität begründen. Doch gegen die Behauptung der göttlichen Legitimierung durch die Vermittlung des Papstes und gegen die vorausgesetzte Wahl und Anerkennung durch das souveräne römische Volk bedurfte es eines besseren Rechtstitels, der besonders auch den germanischen Gemütern faßbar war. Und das war das Recht der Eroberung.
Ein Wort des Hieronymus: „Den Kaiser macht das Heer!“ hat dadurch, daß es zufällig in das Dekret Gratians Aufnahme fand, kanonische Geltung erlangt. Dieses Wort spielte wohl auf tatsächliche Verhältnisse in der Geschichte des Kaisertums an, hatte aber niemals wirkliche Rechtskraft. Das hinderte nicht, daß es im Mittelalter bis auf den Sachsenspiegel, wo es als Rechtssatz wiederholt wird, wirklich als römischer Rechtssatz angesehen wurde. Karl der Große – sich wohl unbewußt auf dieses Wort des Hieronymus stützend – hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er sich das Reich mit seinem guten Schwerte erstritten habe. Die ihm Nahestehenden im Frankenreiche dachten so wie er. Sie feierten seine Herrschaft schon vor der Kaiserkrönung als eine kaiserliche. Später berichtet Widukind von Korvey, daß das Heer seinen glorreichen Führer, den Sachsen Otto, vor der Kaiserkrönung auf dem Lechfelde als Vater des Vaterlandes und als Kaiser ausgerufen habe. Auf dieses Recht der Macht, das zwar seinerseits wieder ohne juristische Begründung blieb, was aber diese Zeit übersah – war doch im Mittelalter auch die Souveränität des römischen Volkes eine lächerliche Fiktion –, griff nun auch Barbarossa zurück. Auf keine andere Weise konnte er seine Autonomie Kanonisten und Legisten gegenüber verteidigen. Weitere deutsche Volkskreise werden diese Berufung auf das Recht des guten Schwertes verstanden haben; jedenfalls jubelten diese dem allwaltenden Kaiser, der da in Wahrheit ein römischer Kaiser sein wollte, begeistert zu. Hell klingt dieser Jubel aus dem Schrifttum dieser Zeit.
Der Archipoeta feiert Friedrich als Cäsar der Welt, der zum König über die anderen Könige gesetzt sei, der, wie dereinst Augustus, den Erdkreis geteilt und das Reich seinem alten Zustand zurückgegeben habe. Und erst die hingerissene nähere Umgebung des Rotbart! Das freilich auf Heinrich VI. bezogene Lob der staufischen Politik in dem Briefe Konrads von Querfurt, des Erziehers dieses Kaisers, der zuvor Kaplan und Kanzler Barbarossas war, gibt die Stimmung wieder, welche in den Tagen Friedrichs I. den Hof und die Reichsministerialität erfüllte. Dieser Kleriker „von klassischer Bildung, ein Mann des Schwertes und der Wissenschaft, ein Freund der Schönheit und des Schmuckes, ein heller, freudiger Weltgenießer“, beschreibt die Schönheiten Italiens, die er freilich durch die mythologische Brille sieht, und ruft aus: „man brauche die Grenzen der deutschen Herrschaft nicht mehr zu verlassen, um das von Angesicht zu Angesicht zu sehen, was man sonst nur in der Schule in den Werken der alten Dichter gelesen habe: das Imperium über den Erdkreis, das alte Imperium Romanum.“ Er glaubt also an dessen glorreiches Wiedererstehen, setzt dieses aber schon in eine merkwürdige Beziehung zu dessen antiker Größe und zu Italien.
Das gesteigerte Machtstreben der Staufer äußert sich – abgesehen von der strafferen Zusammenfassung der innerdeutschen Kräfte – vornehmlich in der Betonung ihres europäischen Führerberufes, in dem Versuch, ihre Machtstellung im Konzerte der abendländischen Völker auch offenbar zu machen, sowie endlich in dem Drang nach Ausweitung der Grenzen des römisch-deutschen Imperium [9] über den engen Bereich jenes wirklichen Machtgebietes hinaus, den das Trugbild des dominium mundi im früheren Mittelalter innegehabt hatte.
Der berühmte Kanonist von Bologna, Huguccio von Pisa, der einen Innozenz III. im kanonischen Recht unterweisen durfte, statuiert zum Dekrete Gratians, daß auch die Franzosen und Engländer und „die anderen ultramontanen Nationen“ durch römisches Recht gebunden seien, weil sie dem römischen Reiche unterworfen seien, oder sein sollten. Er kennt nur den Kaiser und unter ihm in den Provinzen nur Könige. Hier taucht der Begriff des Provinzkönigs, des kleinen oder, wie Walther von der Vogelweide sagt, des armen Königs auf. Dem römischen Recht entstammte demnach jener herabsetzende Titel, den Friedrich I. gern anwandte, und den sein Kanzler Reinald noch zum „Königlein“ vergröberte. Was Wunder, wenn darob der Engländer Johannes von Salisbury zornig ausrief: „Wer hat die Deutschen zu Richtern der Völker gemacht? Wer hat den dummen, wütenden Menschen die Macht gegeben, daß sie nach Willkür neue Fürsten setzen über die Häupter der Menschenkinder?“ Über seinen Versuch hinaus, die kleinen Könige Europas mit hochfahrenden Worten vor der Öffentlichkeit herabzusetzen, um seine abendländische Führerstellung dadurch offenbar zu machen, ist Friedrich I. nicht gegangen. Ein Glücksfall: die Gefangennahme des englischen Königs Richard Löwenherz führte später seinen Sohn Heinrich VI., der „die Könige der Provinzen“ zu Lehnsleuten herabzudrücken trachtete, diesem Ziele scheinbar eine kurze Weile näher. Dem zur selbstbewußten Kraft erstarkten nationalen Trieb gehörte aber doch die Zukunft, mochten auch da und dort die im letzten Grunde immer noch feudalen Machtansprüche dieser beiden Staufer sich vorübergehend durchsetzen. Ein Friedrich II. hat den gewaltigen Wandel der abendländischen Staatenwelt erkannt und die Folgerungen aus dieser Erkenntnis gezogen.
Diese universelle Politik Friedrichs I. und Heinrichs VI. ist durchaus mittelalterlich, mittelalterlich ist auch ihr Streben, ein wahrhaftes Weltreich aufzurichten. Nach wie vor übernimmt ein Chronist vom anderen die Lehre von dem römischen Reiche als dem letzten Weltreiche Daniels. Die wirkliche geschichtliche Entwicklung entsprach natürlich den tatsächlichen Verhältnissen. Sie wurde von der gottesstaatlichen Idee höchstens hier gefördert, dort gestört und gehemmt. Niemals aber hatte vor den Staufern ein Herrscher ernstlich daran gedacht, sich die umwohnenden „kleinen Könige“ alle dauernd zu unterwerfen oder gar die Grenzen des Abendlandes in seinem Herrschaftsstreben hinter sich zu lassen. Grundsätzlich neu war die Forderung Friedrichs I., daß ihm nicht nur die Provinzkönige des Westens, sondern auch der byzantinische Kaiser untertan sein müßten. Dem Hunger des sechsten Heinrich nach Macht waren auch die fernen Gebiete Syriens und Nordafrikas nicht mehr zu weit. – Grundsätzlich neu an der Reichsidee der Staufer war auch die von Friedrich I. eingeleitete, von Heinrich VI. [10] noch stärker vorbereitete und dann von Friedrich II. durchgeführte Verlegung des Schwerpunktes des Reiches nach Sizilien.
Lange zuvor schon träumte der Staatsmann Leo von Vercelli in der Kanzlei Ottos III. von einer Erneuerung des Imperium Roms und einer Wiederkehr der Antike. Er brachte die Kaiseridee in einen lebendigen Zusammenhang mit der Idee von der Größe der versunkenen und der neu erstehenden ewigen Stadt. Sein phantastischer Herrscher und Freund war solchen Gedanken nur zu leicht zugänglich. Die Legende auf Ottos Münzen lautet: „Erneuerung des römischen Reiches.“ Seit 998 weilte Otto III. dauernd in Italien. Von Rom aus will er die Welt regieren. „Aus Liebe zu den Römern“, ruft er diesen zu, „habe ich meine Sachsen und alle Deutschen, ja, mein eigen Fleisch und Blut hingeworfen!“ Nur ein Romantiker, der das Augenmaß für die Wirklichkeit verloren hatte, konnte so sprechen und handeln. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts begegnet der cäsaristische Romgedanke in topographischen Beschreibungen Roms. Unter diesen lassen die „Mirabilia Romae“ schon einen Hauch des klassischen Altertums spüren und etwas von der sentimentalen Art der späteren Renaissance, die Trümmer der antiken Wunderwelt zu betrachten. Auf den lateinischen Kaisergedanken zielt auch in der staufischen Zeit der stolze Ausspruch des Magisters Boncompagno: „Das heischt das Gesetz: Italien ist nicht eine Provinz, sondern die Herrin der Provinzen!“ Von den Ansprüchen des Rotbart auf die tatsächliche Herrschaft über die Stadt der Augusti war der Weg zu jenem Romgedanken der italienischen Ideologen nicht allzuweit. Friedrich I. schreibt dem Papste 1159: „Da ich durch göttliche Anordnung römischer Kaiser genannt werde und bin, so würde ich nur den Schein der Herrschaft heucheln und den leeren Namen ohne Inhalt führen, wenn die Hoheit über die Stadt Rom unserer Hand entwunden würde.“ Nicht nur das Bleigewicht des Romgedankens zog die römisch-deutsche Kaiseridee nach ihrem ursprünglichen Sitze zurück, sondern auch die Erkenntnis, daß damals nur in Italien eine wirkliche unbedingte Herrschaft, wie sie das römische Recht statuierte, und wie sie dem Machtwillen des Kaisers entsprach, aufgerichtet werden konnte. Im zerrissenen, feudalistischen Deutschland war der Kaiser nicht der mächtigste Fürst. Hier zwangen ihn die Verhältnisse, [11] sich einer Partei anzuschließen und damit sich in Abhängigkeit von dieser zu begeben. Italien aber, wo die Stadtfreiheit die Reste des Lehnswesens weiter und weiter zurückdrängte, wo das römische Recht anhub, eine Macht zu werden, schien ihm für seine imperialistischen Pläne die Grundlage geben zu können. In der Tat machte Friedrich I. den Versuch, Italien durch Reichsbeamte unmittelbar verwalten zu lassen. Dadurch begann er, im welschen Lande mit dem Feudalismus aufzuräumen: der moderne Beamtenstaat kündete sich an. Sein Plan, Italien – vorerst soweit es Reichsland war – zu einem einzigen großen Wirtschaftsgebiet zu machen, entbehrte nicht der Großartigkeit. Hätte der Wille zur Nation in Italien damals schon als eine einheitliche Kraft gewirkt – hier wäre ihm der Weg zur Una Italia erschlossen gewesen. Ganz besonders großartig aber erscheint dieser Plan vom Gesichtspunkt einer weltumfassenden Politik aus. Wäre diese möglich gewesen: nur so hätte sie zum Ziele gelangen können.
Noch deutlicher erkennbar wird die Absicht Friedrichs, den Schwerpunkt des Reiches nach dem Süden zu verlegen, durch die Vermählung seines Sohnes Heinrich mit der Erbin des sizilischen Reiches, Konstanze. Die durch diese Ehe kraft Erbrechts in Aussicht stehende Vereinigung Siziliens mit dem deutschen Reiche bedrohte den Papst nicht nur dadurch, daß sie ihm die Hauptstütze seiner Macht, eben jenes Sizilien, nahm, sondern besonders dadurch, daß sie ihm den gefährlichsten Grenznachbarn gab, den das in dem römischen Kaisergedanken beschlossene Machtstreben und der in diesem jetzt wieder wirksame Romgedanke immer mehr dazu anspornen mußte, Italien und Rom, „den Sitz des Imperium“, sich untertan zu machen. Das war in der Tat die Absicht des Rotbart. Wenn er bald nach dessen Verlobung seinem Sohne, nachdem dieser vom Patriarchen von Aquileja zum König von Italien gekrönt war, ohne Mitwirkung der Kurie den bislang ungewöhnlichen Titel „Cäsar“ verlieh, so ist das mehr wie eine antike Erinnerung. Heinrich VI. im Besitze der sizilischen Pforte zum Morgenland dachte schon daran, vom Mittelpunkt dieses südlichen Königreichs aus ein stolzes dominium mundi zu begründen. Er kam diesem Ziele immer näher, ohne aber jemals die Sicherung der Grundlage seiner Weltpolitik, Siziliens, aus den [12] Augen zu verlieren. Tatsächlich waren es ja auch nur im wesentlichen die weit ausgreifenden Pläne seiner normannischen Vorgänger, die er dabei wieder aufnahm, Pläne, die wirtschafts- und handelspolitisch einem Beherrscher dieser Insel nahegelegt wurden, die aber vom nordischen Standpunkt aus gesehen als Weltmachtspolitik großen Stiles erschienen und für diesen sizilischen König als Kaiser es auch waren. Deutsche Heerführer und deutsche Dienstmannen verwalteten zwar das ihm zugefallene Erbe. Aber diese Weltpolitik gefährdete doch den deutschen Charakter dieser Herrschaft. Wenn Heinrich VI. eifrig bestrebt war, das römisch-deutsche Reich ebenso zu einem Erbreich zu machen, wie es das sizilische Königreich war, so wären mit der Durchführung dieses Planes Deutschland, Italien und Sizilien ein Erbbesitz des staufischen Hauses geworden, so wäre damit die Gefahr einer völligen Verwelschung des Kaisergedankens gegeben gewesen. Denn ein Herrscher über diese Gebiete mußte als Staatsmann unbedingt von dem festgeschlossensten Machtgebiet innerhalb des Gesamtreiches – und das war Sizilien – ausgehen und von dort aus fortschreitend dessen in seiner Person gipfelnde Organisation über die anderen Teile des Reiches ausdehnen. Das bedeutete die dauernde Verlegung des Schwerpunktes des Reiches in den italienischen Süden, die Verwelschung des Kaisergedankens. Immerhin! Dieses sizilische Königreich schien unerschöpflich zu sein an finanziellen Mitteln. Hier blühte eine aus antiken, byzantinischen, arabischen und normannischen Elementen sich zusammensetzende Mischkultur; hier waren jene wirtschaftlichen Kräfte, deren ein deutscher Kaiser bedurfte, um Italien zu unterwerfen, um das Erbrecht des sizilischen Königs auch für das ganze Reich durchzusetzen, um damit das Wahlrecht und die Sondergewalt der deutschen Fürsten auszuschalten, um die Kaiseridee dauernd aus der päpstlichen Umklammerung zu lösen, um den Vorrang vor den Fürsten des Abendlandes zu verwirklichen, um von der sizilischen Schwelle der Weltherrschaft aus die Länder des Mittelmeers unter die Hoheit des Weltkaisers zu zwingen. Das ist die zu schwindelnder Höhe sich erhebende staufische Reichsidee in ihrer kühnsten Ausprägung in den Tagen Heinrichs VI.! –
In Deutschland verfolgte Walter von der Vogelweide in atemloser Spannung dieses gigantische Ringen Heinrichs um die Macht in der Welt. Dieser Herrscher erschien ihm als idealer Kaiser, dem deutsche Reichspolitik Weltpolitik war. In dieser Auffassung war er eins mit den Reichsministerialen, die durchaus imperialistisch gesinnt waren. Auch diese betrachteten die Weltherrschaft geradezu als den nationalen Beruf der Deutschen. Als dann der Kaiser seiner Hoffnungen plötzlich dahingegangen war, da schildert Walter das Chaos, das über das kurz zuvor so machtgebietende Reich hereinbrach. Damals raunte man sich in Deutschland zu: Dietrich von Bern sei auf schwarzem Rosse erschienen und habe dem Römischen Reiche Unheil verkündet. Was Heinrich VI. in wenigen Jahren – wie fiebernd in der Ahnung des frühen Todes – geschaffen hatte, war so ausschließlich das Werk seines Geistes und seiner Kraft, entbehrte so vielfach des Zusammenhanges mit den Mächten des geschichtlichen Beharrens, daß es mit seinem Hinscheiden sofort zusammenbrechen mußte. Streng genommen wurde mit ihm das römisch-deutsche Kaisertum in seiner mittelalterlichen Gestalt zu Grabe getragen. Bürgerkriege brachen in Deutschland aus, wo der Bruder des verblichenen Herrschers, Philipp, mit dem Welfen Otto IV. um die Königskrone kämpfte, bis er dem Mordstahl des Wittelsbachers erlag. Während der Gegner dieses Staufers dann in Deutschland allgemeiner anerkannt wurde, war der kleine Sohn Heinrichs VI., Friedrich II., der König Siziliens, in Deutschland ein Vergessener. Niemand schien hier zu ahnen, daß im fernen meerumspülten Märchenlande ein taten- und geistesgewaltiger Titane aufwuchs, „ein Verwandler der Welt“.