MKL1888:Aristotĕles

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 1 (1885), Seite 815817
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Aristotĕles. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 815–817. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Aristot%C4%95les (Version vom 07.05.2022)

[815] Aristotĕles, der einflußreichste Philosoph und Naturkundige Griechenlands, wurde 384 v. Chr. zu Stagira in Chalkidike an der Küste des Strymonischen Meerbusens geboren, weshalb er auch häufig der Stagirit genannt wird. Sein Vater Nikomachos, Leibarzt und Freund des makedonischen Königs Amyntas II., leitete sein Geschlecht von Asklepios ab und war durch mehrere Schriften über Arzneikunde und Naturlehre als Schriftsteller aufgetreten. Als A. sein 17. Jahr zurückgelegt hatte, ging er nach Athen, um Platon zu hören, zu dem er jedoch in kein dauerhaftes freundschaftliches Verhältnis getreten zu sein scheint. Nach dem Tod Platons (347) verließ A. Athen und begab sich zu Hermias, dem Beherrscher von Atarneus, konnte sich aber, als dieser schon drei Jahre danach auf Befehl des Perserkönigs schimpflich hingerichtet wurde, nur durch die schleunigste Flucht gleicher Gefahr entziehen und trug die Liebe zu seinem Freund auf Pythias, die Schwester (oder Nichte) desselben, über, mit der er sich (345) vermählte. Zwei Jahre später wurde er vom König Philipp von Makedonien zur Erziehung des damals 13jährigen Alexander berufen. Nach des letztern Thronbesteigung lebte A. anfänglich in philosophischer Abgeschiedenheit zu Stagira, siedelte aber 335 nach Athen über, wo er sich in dem nach dem benachbarten Tempel des Apollon Lykeios benannten Lyceum, das wie Platons Akademie mit schattigen Baumgängen und Anlagen zum Lustwandeln umgeben war, einrichtete. Weil A. mit seinen Schülern in diesen Gängen auf und ab wandelnd zu philosophieren pflegte, wurde ihnen der Name Peripatetiker beigelegt. Seine Vorlesungen unterschied er in Morgen- und Abendvorträge, zu deren erstern nur die vertrautern Freunde des Philosophen Zutritt hatten, die in die tiefer gehenden philosophischen Untersuchungen, in das System und die höhere Spekulation eingeführt werden sollten. Diese Vorträge hießen akroamatische; es waren dies esoterische Untersuchungen, deren Gegenstände, der Metaphysik und Theologie, Physik und Dialektik angehörend, in streng wissenschaftlicher Form behandelt wurden. In den Abendstunden wurden exoterische Untersuchungen vorgenommen, welche sich auf Rhetorik, Sophistik und Politik bezogen, die praktische Bedeutung und den praktischen Zweck der Gegenstände im Auge hatten und allgemeine Verständlichkeit in populärer Form bezweckten. In dieser Zeit seiner ausgedehnten Lehrthätigkeit während seines zweiten, 13jährigen Aufenthalts in Athen wurden seine wichtigsten philosophischen und naturwissenschaftlichen Werke abgefaßt. Die litterarischen Hilfsmittel, welche nötig waren, um die unermeßliche Fülle von Erfahrungskenntnissen aufhäufen und die Masse von Materialien gewinnen zu können, wie sie in den Werken des A. verarbeitet enthalten sind, wurden ihm durch die Unterstützung Alexanders verschafft, dessen Freigebigkeit ihn in den Stand gesetzt hatte, sich eine reiche Bibliothek zu erwerben. Um das große Werk über die Geschichte der Tiere, das dieser schon in Stagira vorbereitet hatte, zu fördern, schenkte ihm Alexander nicht nur beträchtliche Geldsummen, sondern stellte auch alle die zu seinen Diensten, die in Asien oder Griechenland in irgend einer Beziehung Tiere unter Aufsicht hatten, wie die Besitzer von Teichen, Waldungen, Viehherden u. dgl. Obgleich die Zuneigung, die Alexander seinem Lehrer bisher bewiesen, in der Folgezeit, angeblich infolge der Tötung des Kallisthenes (323), eines Neffen und Zöglings des A., erkaltete, galt A. den Feinden des Königs als Makedonierfreund, und als die Athener alle Anhänger der makedonischen Herrschaft innerhalb der Stadt verfolgten, stand A. unter ihnen obenan. Auf Anstiften des Hierophanten Eurymedon durch einen angesehenen athenischen Bürger, Demophilos, der Gottlosigkeit oder Irreligiosität angeklagt, weil einige Lehrsätze des Philosophen im Widerspruch mit der Volksreligion standen, floh A., ohne die gerichtliche Entscheidung abzuwarten (322), nach Chalkis auf Euböa, wo er seine Lehrvorträge bis zu seinem 322 im 63. Lebensjahr erfolgten Ende fortsetzte. Er hinterließ eine unmündige Tochter, Pythias, und einen Pflegesohn, Nikanor, außerdem eine Geliebte, Herpyllis, von der ihm der bei des Vaters Tod noch sehr junge Nikomachos geboren worden war. Das schönste uns erhaltene Porträt des A. ist die (sitzende) Statue im Palazzo Spada zu Rom, eine der ausdrucksvollsten Porträtstatuen des Altertums.

Schriften des Aristoteles.

Von den sehr zahlreichen Schriften des A. (nach einigen 400, nach andern gar 1000) sind aus dem Altertum drei Verzeichnisse auf uns gekommen: das des Diogenes Laertius, das des sogen. Anonymus Menagii und ein aus arabischer Quelle stammendes in der von Casiri herausgegebenen Bibliothek der arabischen Philosophen (abgedruckt bei Buhle, „Werke des A.“, Bd. 1). Das letztere stimmt am meisten mit den uns erhaltenen Schriften überein; alle aber weichen von den Angaben andrer Schriftsteller und unter sich bedeutend ab. Die Alten teilten seine Schriften in esoterische und in exoterische ein, von denen die erstern als wesentliche Glieder in dem systematischen Zusammenhang der philosophischen Schriften sich geltend machten, während die letztern unmittelbar für das Publikum bestimmt waren. Die meisten der noch vorhandenen Schriften fallen in den erstern Kreis. Den Fächern nach sind zunächst die vorhandenen logischen Schriften des A. unter dem Namen „Organon“ in ein Ganzes vereinigt worden (herausgeg. von Th. Waitz, Leipz. 1844–46, 2 Bde.; deutsch von Zell, Stuttg. 1836–1861, 8 Bde.; von Kirchmann, Heidelb. 1883). Es besteht aus sechs kleinen Schriften, welche von der Natur und der Bildung der Schlüsse und des Beweises durch Schlüsse handeln, und unter welchen die sogen. „erste Analytik“, die über den Schluß, und die „zweite Analytik“, die über den Beweis, die Definition und Einteilung und über die Erkenntnis der Prinzipien handelt, die wichtigsten sind. Von den übrigen betrifft die Schrift „Über die Kategorien“ (deren Echtheit bestritten wird) die höchsten Allgemeinbegriffe, die (gleichfalls unsichere) Abhandlung „Über die Auslegung“ den Satz und das Urteil, die sogen. „Topik“ die dialektischen oder Wahrscheinlichkeitsschlüsse, und endlich die Untersuchung „Über die sophistischen Schlüsse“ die Trugschlüsse der Sophisten und deren Auflösung. Unter dem Namen „Organon“ (Werkzeug) sind dieselben zusammengefaßt worden, weil A. die Logik oder, wie er sie nennt, „Analytik“ nicht als einen Teil der Philosophie selbst, sondern als eine „Propädeutik“ (Vorschule) zu dieser betrachtet.

[816] Aus der rhetorischen Klasse besitzen wir von A. nur ein einziges, aber sehr wichtiges Werk, „Rhetorica“, das 335–322 entstanden ist (hrsg. von Spengel, Leipz. 1867, 2 Bde.; deutsch von Stahr, Stuttg. 1864). Es umfaßt alle Gattungen der Beredsamkeit, die nach dem Unterschied der politischen, gerichtlichen und Prunkreden eingeteilt werden, und gibt an, wie man für jede dieser drei Gattungen zweckmäßige Gedanken auffinden könne. Ein andres rhetorisches Werk, „Rhetorica ad Alexandrum“, ist unecht. Vielleicht der erste Entwurf zu einem größern Werk über Ästhetik oder ein unvollständiger Auszug aus demselben ist die „Poetik“ (hrsg. von Vahlen, Berl. 1874; mit der „Rhetorik“ zusammen von Bekker, das. 1859; mit Übersetzung von Susemihl, 2. Aufl., Leipz. 1874, und von M. Schmidt, Jena 1875), welche über das Prinzip der Kunst sowie über die Tragödie und epische Poesie die wichtigsten Aufschlüsse gibt und trotz ihrer mangelhaften Beschaffenheit auf alle Kunstbetrachtung (in Deutschland besonders seit Lessing) den wirksamsten Einfluß ausgeübt hat. Zu der physikalischen Klasse gehören die acht Bücher der Physik („Auscultatio physica“, hrsg. von Bekker, Berl. 1843; von Prantl, Leipz. 1879; deutsch von letzterm, das. 1854), worin die allgemeinsten Gründe und Verhältnisse der gesamten Natur dargestellt werden, und an welche sich die zwei Bücher vom Entstehen und Vergehen („De generatione et corruptione“) anschließen, worin von den Bedingungen und Grundverhältnissen des Werdens und Vergehens der irdischen Körper gehandelt wird (mit der Schrift „De coelo“ hrsg. von Prantl, Leipz. 1881; ins Französische übersetzt und erklärt von Barthélemy Saint-Hilaire, Par. 1862, 2 Bde.). Diese beiden Schriften umfassen die höchsten Gesetze der äußern Erscheinungen; für die innern finden sie sich in den drei Büchern über die Seele („De anima“, hrsg. von Trendelenburg, 2. Aufl., Berl. 1877, und Torstrik, das. 1862; deutsch von Kirchmann, Leipz. 1872), in welchen A. seine Lehre über das Wesen, die Vermögen und Eigenschaften der Seele aufstellt und begründet. Den Übergang zu der empirischen Betrachtung der Lehre von der Seele bilden einige Schriften naturwissenschaftlich-philosophischen Inhalts, welche unter dem gemeinsamen Namen „Parva naturalia“ zusammengefaßt werden. Auf dem Gebiet der Naturgeschichte schlug A. den Weg der Empirie ein, indem er die Erscheinungen der Natur, die Teile des Weltganzen, die organischen und unorganischen Naturkörper im Konkreten und Einzelnen betrachtete. Von den Werken über die unorganische Natur ist nicht ein einziges erhalten. Die Schriften über die organische Natur betreffen die Naturgeschichte der Pflanzen und Tiere und die Physiologie der letztern. Die „Historia animalium“, deren 10. Buch unecht, das Hauptwerk des Altertums über die Geschichte der Tiere, wurde herausgegeben von Schneider (Leipz. 1812, 4 Bde.) und Aubert und Wimmer (mit Übersetzung, das. 1868, 2 Bde.); letztere gaben auch ebenso die „Zeugung und Entwickelung der Tiere“ (das. 1860) heraus. Den Organismus der Pflanzen hatte A. in einem besondern Werk: „De plantis“, dargestellt. Das Original dieser Schrift ist verloren gegangen; die griechische Bearbeitung eines lateinischen Textes, der selbst wieder aus einer arabischen Übersetzung des Originals übertragen war, ist erhalten. Aus der mathematischen Klasse sind erhalten: „De insecabilibus lineis“ und „Quaestiones mechanicae“, wozu noch zwei Werke aus der angewandten Naturlehre kommen: „De coelo“, in 4 Büchern (hrsg. von Prantl, mit Übersetzung, Leipz. 1857), von den Gestirnen und ihrer Bewegung, und „Meteorologica“, in 4 Büchern, von den Lufterscheinungen handelnd (hrsg. von Ideler, Berl. 1834–36, 2 Bde.). Die „Metaphysik“ (hrsg. von Schwegler, Tübing. 1847, und Bonitz, Bonn 1848; deutsch von Schwegler, Tübing. 1846–48) verdankt ihren Namen dem zufälligen Umstand, daß die 14 Bücher, aus denen sie besteht, ohne Titel in der Reihe der Aristotelischen Handschriften zunächst hinter den physikalischen standen. In ihrer jetzigen Gestalt, in der sie unmöglich von A. herrühren können, sind mehrere Bücher nicht metaphysischen, sondern logischen Inhalts, andernteils wieder Überarbeitung einzelner Teile, die nebeneinander gestellt worden sind, oder Kompilation selbständiger Abhandlungen, die Spätere ohne innern Zusammenhang in die Sammlung gereiht haben. Die moralisch-politische Klasse umfaßt einige der wichtigsten Schriften des A. Über die Sittenlehre existieren unter dem Titel „Ethik“ drei Werke, von denen die sogen. Nikomachische Ethik (hrsg. von Zell, Heidelb. 1820, 2 Bde.; von Michelet, Berl. 1829–35, 2 Bde.; von Bekker, 4. Aufl., das. 1881; von Grant, mit englischem Kommentar, 4. Aufl., Lond. 1885, 2 Bde.; von Ramsauer, Leipz. 1878; deutsch von Garve, Berl. 1798–1806, 2 Tle.; von Stahr, Stuttg. 1863) von A. selbst abgefaßt ist, während die sogen. Eudemische ein Werk seines Schülers Eudemos und die „Magna moralia“ (hrsg. von Susemihl, Leipz. 1883) betitelte kürzeste Schrift ein Auszug aus beiden vorgenannten sein soll. Die „Politik“ (hrsg. von Stahr, Leipz. 1836–39; Bekker, 2. Aufl., Berl. 1878; Susemihl, Leipz. 1872 und, mit Übersetzung von demselben, das. 1878; deutsch von Garve, Bresl. 1794–1802; von Stahr, Stuttg. 1861; Bernays, Leipz. 1872) enthält in 8 Büchern die Lehre von dem Zweck und den Elementen des Staats, eine Darstellung der verschiedenen Regierungsformen, Nachrichten und Urteile über die wichtigsten Verfassungen und ihre Stifter, zuletzt das Ideal eines Staats und die Lehre von der Erziehung als dessen wichtigster Bedingung. Über das Hauswesen (Ökonomik) existiert ein besonderes Werk in zwei Büchern, von denen das erste Buch wahrscheinlich nur in einem Auszug des Theophrast auf uns gekommen, das zweite am Ende unvollständig und als unecht nachgewiesen ist. Von des A. historischen Schriften sind aus einer Geschichte der Philosophie ein Bruchstück: „De Melisso, Xenophane et Gorgia“, dessen Echtheit zweifelhaft ist, und wenige Bruchstücke des für die Altertumskunde unersetzlichen Werks „Politien“ vorhanden, einer Sammlung aller bis zu des A. Zeit bekannt gewordenen Staats- und Gesetzverfassungen des Altertums, worin die politischen Einrichtungen sowie die Sitten und Gebräuche von 158, nach andern von 250 Städten geschildert waren. Die vorhandenen angeblichen Briefe des A. sind teils offenbar untergeschoben, teils von zweifelhafter Echtheit.

Gesamtausgaben. Sämtliche Werke des A. wurden herausgegeben zuerst von Aldus Manutius (Vened. 1495–98, 5 Bde.), dann von Sylburg (Frankf. 1587, 5 Bde.), Casaubonus (Leid. 1590, 2 Bde.), Duval (Par. 1639) und Buhle (Zweibr. 1791–1800, 5 Bde.; mit lat. Übersetzung). Eine neue Ausgabe besorgte Bekker im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Bd. 1–4, mit lat. Übersetzung, Berl. 1831; Bd. 5, hrsg. von Bonitz, die Fragmente und den Index enthaltend, [817] 1871), auf welche sich auch die Didotsche Ausgabe (Par. 1848–74, 5 Bde.) stützt. Eine Sammlung der Fragmente ist Roses „A. pseudepigraphus“ (Leipz. 1863). Übersetzungen von gesammelten Werken des A. erschienen in den bekannten Stuttgarter Klassikersammlungen, eine neue, mit Einleitungen, in Kirchmanns „Philosophischer Bibliothek“.

[Litteratur.] Vgl. Buhle, Vita Aristotelis (im 1. Bd. der Werke); Stahr, Aristotelia (Bd. 1: „Das Leben des A.“, Halle 1830; Bd. 2: „Die Schicksale der Aristotelischen Schriften etc.“, das. 1832); Brandis, A., seine akademischen Zeitgenossen und nächsten Nachfolger („Geschichte der griechisch-römischen Philosophie“, 2. Teil, 2. Abt., Leipz. 1853–57); Lewes, Aristotle (Lond. 1864; deutsch von Carus, Leipz. 1865); Grote, Aristotle (2. Aufl., das. 1879); Grant, Aristotle (Lond. 1874); Heitz, Die verlornen Schriften des A. (Leipz. 1865); Bonitz, Aristotelische Studien (Wien 1862–66, 4 Bde.). Aus der Litteratur über die einzelnen Kreise der Aristotelischen Schriften sind hervorzuheben (in der Reihenfolge obiger Anordnung): Kampe, Die Erkenntnistheorie des A. (Leipz. 1870); Eucken, Die Methode der Aristotelischen Forschung (Berl. 1872); Sottini, Aristotile e il metodo scientifico (Pisa 1873); Teichmüller, Aristotelische Forschungen (Halle 1867–69, 2 Bde.; die Poetik und Kunstlehre betreffend); Reinkens, A. über Kunst, besonders über Tragödie (Wien 1870); Döring, Die Kunstlehre des A. (Jena 1876); Eberhard, Die Aristotelische Definition der Seele (Berl. 1868); F. Brentano, Die Psychologie des A. (Mainz 1870); J. B. Meyer, A.’ Tierkunde (Berl. 1855); Sundevall, Die Tierarten des A. (Stockh. 1863); Glaser, Die Metaphysik des A. (Berl. 1841); Eucken, Die Methode der Aristotelischen Ethik (das. 1870); Rassow, Forschungen über die Nikomachische Ethik des A. (Weim. 1874); Oncken, Die Staatslehre des A. (Leipz. 1870).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 4546
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[45] Aristoteles. Das Altertum kannte unter dem Namen des A. Beschreibungen von 158 Staatsverfassungen griechischer und barbarischer Völker, die sogen. Politien. Von diesen wurde am meisten benutzt die „Politeia der Athener“, wie die zahlreichen Citate alter Schriftsteller aus derselben zeigen, zu denen ein zuerst 1881 veröffentlichtes, von Th. Bergk mit glänzendem Scharfsinn als dieser Schrift angehörig erkanntes Bruchstück aus einem Berliner Papyrus kam (vgl. Diels in den Abhandlungen der Berliner Akademie, 1885). Fast das ganze Werk ist in allerneuester Zeit auf der Rückseite von vier aus Ägypten stammenden [46] Papyrusrollen des Britischen Museums, deren Vorderseiten aus dem 11. Regierungsjahr des Vespasian (78/79 n. Chr.) datierte Rechnungen tragen, entdeckt und von Kenyon herausgegeben worden (Oxford 1891). Auf Grund des von demselben bald darauf veröffentlichten Faksimiles („Facsimil of Papyus CXXXI in the British Museum“, Oxf. 1891) gaben die Schrift in wesentlich verbesserter Gestalt heraus Kaibel und v. Wilamowitz-Möllendorff (2. Aufl., Berl. 1892) und van Herwerden und Leeuwen (Leiden 1891). Eine vortreffliche deutsche Übersetzung, die bereits in 2. verbesserter Auflage vorliegt, gaben kurze Zeit nach dem Erscheinen von Kenyons Ausgabe Kaibel und Kießling (Straßb. 1891); eine andre deutsche Übersetzung ist von Polland (Berl. 1891); auch Übersetzungen ins Französische und Italienische sind inzwischen erschienen. Diese Entdeckung ist als ein litterarisches Ereignis zu bezeichnen; seit den Tagen der Poggio, Sozomeno, Landriani ist kein Fund von gleicher Bedeutung aus dem Gebiete der antiken Litteratur gemacht worden. Die Schrift, welche, wenn von A. selbst herausgegeben, nach gewissen erwähnten Thatsachen nicht lange vor seinem Tode 322 die vorliegende Gestalt erhalten haben muß, zerfällt in zwei ungleiche Teile: der erste, größere, dessen Anfang in der Handschrift fehlt, gibt eine sich mehrfach zu einer Erzählung der Ereignisse erweiternde historische Darstellung der athenischen Verfassungsentwickelung von den ältesten Zeiten bis zur Restauration nach Thrasybulos (403); der zweite, statistische, dessen Schluß infolge der Zerstörung der letzten Rolle nur trümmerhaft erhalten ist, schildert die zur Zeit des Verfassers geltenden athenischen Einrichtungen. Daß die Schrift mit der im Altertum unter dem Namen des A. gelesenen identisch ist, erweist die Übereinstimmung mit den Citaten der alten Schriftsteller; auch darf für sicher gelten, daß das Altertum, welches zwischen authentischen und nicht authentischen Politien des A. unterschied, gerade diese für authentisch gehalten hat. Allerdings wäre dies kein ausreichender Beweis für die Abfassung durch A. selbst, da man nachweislich gleich nach seinem Tode begonnen hat, ihm Schriften seiner Schüler und Freunde beizulegen. Von den Politien hatte schon früher V. Rose („Aristoteles pseudepigraphus“, Leipz. 1863) überhaupt nacharistotelische Entstehung behauptet, und es sind auch gleich nach der Veröffentlichung der athenischen Politie Zweifel erhoben worden, ob sie wirklich von A. herrühren könne, so von J. Schvarcz („Die Demokratie“, II. 1, Leipz. 1891), Fr. Cauer (Stuttg. 1891), Fr. Rühl (im „Rheinischen Museum“, 1891); vgl. dagegen Gomperz, Die Schrift vom Staatswesen der Athener und ihr neuester Beurteiler (Wien 1891); Bauer, Litterarische und historische Forschungen zu Aristoteles’ Άϑηναίων πολιτεία (Münch. 1891); P. Meyer, Des A. Politik und die Άϑηναίων πολιτεία (Bonn 1891). Diese Zweifel gründen sich weniger auf den Stil, der in auffälligem Gegensatze zu den sonst erhaltenen Schriften des A. fast elegant ist und die rhetorischen Kunstmittel der Zeit maßvoll benutzt, denn das Vorhandensein durch fließenden Stil ausgezeichneter Schriften des A. ist ja ausdrücklich bezeugt; sie gründen sich vielmehr auf Mängel in der Komposition des Werkes, einzelne Widersprüche gegen anderwärts vorgetragene Ansichten und Angaben des A., auch einzelne offenbare Irrtümer u. a., was man einem A. nicht zutrauen zu dürfen glaubt. Aber selbst wenn die Schrift nicht von dem großen Stagiriten selbst, sondern von einem Angehörigen des unter seinem Einfluß stehenden Kreises abgefaßt sein sollte, ist sie doch von sehr hohem Werte. Der Stoff ist aus den besten, damals noch vorhandenen Quellen gesammelt und chronologisch festgestellt, die Darstellung mit erlesenem Urkundenmaterial ausgestattet, das ganze Werk im Hinblick auf Herodot, Thukydides und Xenophon geschrieben und daher für diese Schriftsteller, neben denen es als Quelle für die athenische Geschichte fortan einen Ehrenplatz einnehmen wird, nicht nur eine Kontrolle, sondern auch ein wesentliches Korrektiv, zumal es gerade die dunklern Partien aufhellt, die bei jenen lückenhaft dargestellt sind.