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MKL1888:Privatposten

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Privatposten“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 17 (Supplement, 1890), Seite 672674
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Privatposten. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 17, Seite 672–674. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Privatposten (Version vom 10.08.2022)

[672]  Privatposten, Anstalten, welche gegen Bezahlung die gewerbsmäßige Beförderung und Bestellung von Briefsendungen und Paketen unternehmen, soweit die genannten Gegenstände nicht nach dem Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reichs vom 28. Okt. 1871 durch die Staatspost befördert werden müssen. § 1 dieses Gesetzes verbietet die Beförderung aller versiegelten, zugenähten oder sonst verschlossenen Briefe sowie aller Zeitungen politischen Inhalts, welche öfter als einmal wöchentlich erscheinen, gegen Bezahlung, von Orten mit einer Postanstalt nach andern Orten mit einer Postanstalt des In- oder Auslandes auf andre Weise als durch die Post. Hinsichtlich der politischen Zeitungen erstreckt dieses Verbot sich nicht auf den zweimeiligen Umkreis ihres Ursprungsortes. Das Gesetz enthält keine Bestimmung, was unter einem Brief zu verstehen ist. Sowohl bei der Beratung des Postgesetzes vom 2. Nov. 1867 als auch bei der Beratung des Gesetzes vom 28. Okt. 1871 ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob nicht eine bestimmte Begriffsbestimmung des Wortes „Brief“ in das Gesetz aufzunehmen sei. Man hat aber in der Überzeugung davon Abstand genommen, daß eine vollständig zutreffende Erklärung von Brief so überaus schwierig sei, daß es richtiger schien, den Sprachgebrauch und die Postordnung entscheiden zu lassen (vgl. Bericht des Bundesratsausschusses vom 23. April 1871, S. 2). In der That sind auch in der praktischen Anwendung noch nie Zweifel darüber entstanden, ob eine Postsendung in die Kategorie der Briefe gehöre, während anderseits die Versuche, eine Erklärung von Brief zu geben, stets mißglückt sind, denn es gehört durchaus nicht zum Wesen eines Briefs im Sinn des Postgesetzes, daß derselbe z. B. eine geschriebene oder gedruckte etc. Mitteilung enthält. Ein verschlossener Umschlag, in welchem sich ein Stück leeres Papier befindet, das nach Verabredung der Korrespondenten eine bestimmte Bedeutung hat, würde unzweifelhaft als Brief im Sinn des § 1 des Gesetzes vom 28. Okt. 1871 anzusehen sein, und dasselbe würde sogar von einem verschlossenen Umschlag gelten, welcher ganz leer ist (Laband, Staatsrecht, Bd. 2, S. 309, Anm. 1).

Es dürfen somit durch P. befördert werden, 1) innerhalb desselben Ortes: alle Arten Sendungen, 2) zwischen verschiedenen Orten, an welchen sich Postanstalten befinden: unverschlossene Briefe, falls sie nicht in verschlossene Pakete gelegt werden, Karten, Kreuzbandsendungen, Pakete ohne verschlossene Begleitadresse, politische Zeitungen, innerhalb eines Umkreises von 2 Meilen (jetzt 15 km) von ihrem Erscheinungsort gerechnet, und politische Zeitschriften (periodische Druckschriften, welche in größern Heften erscheinen). Auf allen der Privatunternehmung gesetzlich nicht verschlossenen Gebieten haben die P. sich versucht, zunächst in der Beförderung und Bestellung von Paketen, wo der Kampf gegen die Staatspost am aussichtsvollsten schien. Im Ausland, wo die Post den Paketverkehr überhaupt nicht oder doch erst seit kurzer Zeit vermittelt, haben es einige Privat-Paketbeförderungsanstalten zu hohem Ansehen und erheblichem finanziellen Erfolg gebracht, so die „Continental Daily Parcels Express“ in London, gegründet 1849 für die Beförderung von Paketen, Warenproben etc. zwischen England und dem Festland, „Harnden’s Express“ und Adam’s Express“ in den Vereinigten Staaten von Nordamerika und einzelne „Messageries“ in Frankreich. Die 1888 in Paris eingerichtete „Poste aux Colis“, übrigens eine von der französischen Regierung mit Alleinberechtigung ausgestattete und unter Staatsaufsicht stehende Aktienunternehmung, ist noch zu [673] jung, als daß über ihre Thätigkeit oder ihren Erfolg ein Urteil gefällt werden könnte. In Deutschland, wo die Staatspost den Paketdienst besorgte, wurde es der Privatunternehmung schwer, festen Fuß zu fassen. Als ersten Versuch in dieser Beziehung richtete die Norddeutsche Paketbeförderungs-Gesellschaft nach der durch Bundesgesetz vom 2. Nov. 1867 erfolgten Aufhebung des Postzwanges für Pakete, Wert- und Geldsendungen 1868 in Berlin ein Aktienunternehmen im großen Stil ein, welches den Paketdienst zwischen den größern Städten Deutschlands nicht nur, sondern auch zwischen deutschen Städten und Plätzen des Auslandes besorgen und, den Ankündigungen gemäß, 25–50 Proz. billiger arbeiten sollte als die Post. In den bedeutendern Plätzen wurden Agenturen, in minder bedeutenden bloße Annahmestellen eingerichtet; die eingelieferten Pakete wurden nach ihren Bestimmungsorten sortiert, alle nach demselben Bestimmungsort gerichteten Pakete in Körbe oder Säcke verpackt, mit der Eisenbahn oder sonstiger Beförderungsgelegenheit als Eilgut an die Empfangsagentur befördert und von dort den Adressaten zugeführt. Ein Vergleich der ausgegebenen Tarife dieser Gesellschaft mit den Posttarifen ließ aber bald erkennen, daß für Pakete bis zum Gewicht von 15 kg auf Entfernungen von 5–10 Meilen die beiderseitigen Portosätze gleich waren; weiterhin bei zunehmendem Gewicht und zunehmender Entfernung war der Unterschied in den beiderseitigen Sätzen nicht erheblich. Dies und Unregelmäßigkeiten in der Beförderung, entstanden durch Unzuverlässigkeit des Personals, da bei Auswahl der Agenten nicht Befähigung, sondern vielmehr die Beteiligung in Zeichnung von Aktien maßgebend gewesen war, bewirkten, daß das Publikum sich von der Gesellschaft abwandte, welche nach nicht ganz dreijährigem Bestehen sich auflöste. Kleinere Unternehmungen derselben Art dagegen, welche sich nur mit der Beförderung von Paketen zwischen bestimmten Orten befaßten, hielten sich; es waren deren 1886: 59 vorhanden, und ihre Zahl mag heute noch annähernd dieselbe sein. Sie haben alle nur einen mäßigen Verkehr, zumal durch Reichsgesetz vom 17. Mai 1873 das Postporto der Pakete bis zum Gewicht von 5 kg für Entfernungen bis zu 10 Meilen auf 25 Pf., für alle weitern Entfernungen auf 50 Pf. ermäßigt worden ist. Der erste Versuch, P. mit erweiterter Thätigkeit, meist Privatstadtposten genannt, einzurichten, wurde 1873 in Berlin gemacht, wo die Schreibersche Brief- und Druckschriftenexpedition mit der ausgesprochenen Absicht, der Staatspost Abbruch zu thun, Briefe und Druckschriften im Ort für 2 Pf. das Stück beförderte. Diese im Volksmund Zweipfennigpost genannte Einrichtung ging schon 1874 ein. Seitdem sind in etwa 35 größern deutschen Städten unter den verschiedenartigsten Benennungen P. gegründet worden. Die Unternehmer lehnten sich in den Betriebsverhältnissen mit mehr oder weniger Erfolg an die staatspostlichen Formen an und versuchten, durch niedrige Tarife die Konkurrenz mit der Staatspost aufzunehmen. Nach meist nur kurzem Bestehen gingen viele Anstalten wieder ein, und Anfang 1890 bestanden in folgenden deutschen Städten noch P.: Berlin, Bochum, Braunschweig, Chemnitz, Dresden, Erfurt, Frankfurt a. M., Gießen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Karlsruhe i. B., Köln, Magdeburg, Mainz, Straßburg i. E., Wiesbaden. Sie alle, mit Ausnahme des Berliner Unternehmens, fristen ein kümmerliches Dasein; eine Haupteinnahmequelle vieler ist, daß ihre Wertzeichen von Markensammlern gekauft werden. Diejenigen P., welche an ihre Aufgabe mit Ernst und gutem Willen herangetreten sind, haben keinen Erfolg gehabt, einmal, weil die Gründer in finanzieller Beziehung von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, und dann, weil ihre Leistungen in keiner Weise genügen. Die weitaus größte Zahl der P. ist mit zu geringen Kapitalien gegründet worden, als daß die zu einem großartigen Betrieb erforderliche Ausrüstung hätte beschafft und ein tüchtiges Personal gewonnen und bezahlt werden können. Ferner glaubten die Begründer der Anstalten, mit einem billigern Tarif auszukommen als die Post. Das ist aber ein Irrtum, denn selbst der letztern ist es nicht möglich, bei der zwölfmaligen täglichen Bestellung, bei dem großen Fuhrpark, ferner bei der Konkurrenz, die das Fernsprechwesen dem Stadtbriefwesen macht, das Stadtbriefporto, welches in Berlin 10 Pf., in den übrigen Städten 5 Pf. beträgt, zu ermäßigen. (In Paris ist die Stadtbrieftaxe auf 15 Cent. festgesetzt, also 21/2 Cent. mehr als in Berlin, und in England kostet ein Stadtpostbrief ganz allgemein 1 Penny = 10 Pf.) Die Herabsetzung des Stadtbriefportos auf 5 Pf. würde für Berlin allein jährlich einen Ausfall von 1,500,000 Mk. bedeuten. Die unbefriedigenden Leistungen der P. haben ihren Grund in dem Mangel eines tüchtigen, geschäftsgewandten und zuverlässigen Personals, welches nur durch die Schule der Erfahrung zu gewinnen ist. Auf diesem Gebiet war der Wettbewerb mit der Staatspost von vornherein aussichtslos; die Klagen über verspätete Bestellung, Verletzung des Briefgeheimnisses, Verlustfälle etc. häuften sich und erschütterten das Vertrauen des Publikums. Das einzige leistungsfähige Unternehmen, welches einen gewissen Erfolg aufzuweisen hat, ist die Berliner Paketfahrtgesellschaft. Im J. 1884 mit einem Grundkapital von 680,000 Mk. (seit 1887 auf 1 Mill. Mk. erhöht) ins Leben gerufen, richtete die Gesellschaft zunächst einen Paketdienst in Berlin und dessen Vororten ein, dehnte denselben dann, ebenso wie die oben erwähnte Norddeutsche Paketbeförderungs-Gesellschaft, auf mehrere große Plätze (62 im J. 1889) des Reichs aus und besorgte daneben in der Reichshauptstadt die Beförderung von Reisegepäck von und zu den Bahnhöfen, Spedition und Eilgutverkehr nach dem In- und Ausland, Briefbeförderung und Beförderung von Drucksachen, Zirkularen etc. innerhalb des Stadtbezirks Berlin und Einziehung von Quittungen, Rechnungen, Versicherungspolicen, Vereinsbeiträgen etc. Seitdem die Gesellschaft auch noch Omnibuslinien (5) für Personenbeförderung eingerichtet hat, nennt sie sich Neue Berliner Omnibus- und Paketbeförderungs-Aktiengesellschaft. Im Geschäftsjahr 1888/89 betrug ihre Gesamteinnahme 1,652,783 Mk. (davon entfallen auf den Paket- und Briefbetrieb 162,057 Mk.), die Gesamtausgabe 1,350,026 Mk.; der Bruttogewinn belief sich auf 317,269,40 Mk., so daß nach den üblichen Abschreibungen ein Nettoüberschuß von 76,686,33 Mk. vorhanden war, welcher die Verteilung einer Dividende von 6 Proz. an die Aktionäre gestattete, während die erste überhaupt gezahlte Dividende im Geschäftsjahr 1887/88 nur 11/2 Proz. betragen hatte. Die Gesellschaft hat nach ihrem Geschäftsbericht im J. 1888/89: 1,745,224 Pakete (einschließlich des Gepäcks der Reisenden) befördert. Dem gegenüber sei bemerkt, daß die Staatspost über 100 Mill. Pakete jährlich befördert, und daß davon auf Berlin allein nahe an 17 Mill. entfallen. Diese Ziffern und die Bemerkung in dem [674] Gesellschaftsbericht, daß der Briefverkehr (ohne Angabe von Zahlen) befriedigend sei, lassen den Schluß zu, daß der Schwerpunkt des Geschäftsbetriebes der Gesellschaft in dem Omnibusbetrieb, in der Besorgung von Reisegepäck, in dem Inkassogeschäft etc., aber keineswegs in dem Paket- und Briefbeförderungsdienst liegt.

Nach den vorliegenden Erfahrungen darf die Existenzberechtigung sowohl als die Lebensfähigkeit der P. überhaupt in Frage gezogen werden. Ihr einziger Vorzug: daß sie billiger arbeiten, ist nicht ausschlaggebend und hat den Zusammenbruch einzelner Anstalten nicht nur nicht aufgehalten, sondern eher beschleunigt. Keinenfalls hat die Post von der Konkurrenz dieser Anstalten etwas zu befürchten, und obwohl von vielen Seiten, namentlich in der Presse, angeregt worden ist, daß die Post dahin streben solle, das Monopol auf den Stadtbriefverkehr auszudehnen, hat die deutsche Postverwaltung sich fortgesetzt dagegen ablehnend verhalten. Von andern Ländern ist Dänemark zuerst gegen die P. gesetzlich vorgegangen: durch das Postgesetz vom 5. April 1888 ist die Einrichtung von Stadtprivatposten verboten; in Schweden darf nach dem Gesetz vom 21. Dez. 1888 keine Privatpost in solchen Orten bestehen, wo die Postverwaltung eine lokale Briefbestellung unterhält.

Nach dem Chronisten Pelisson-Fontanier wurde die erste Stadtpost 1653 von dem Maître des requêtes (Staatsrat, Berichterstatter über Bittschriften) Vélayer in Paris errichtet, die indes nicht lange bestanden zu haben scheint. Auf Grund eines von Ludwig XIV. erhaltenen Privilegiums ließ Vélayer in den verschiedenen Stadtteilen von Paris Briefkasten aufstellen und die in dieselben eingelegten Stadtbriefe gegen die Gebühr von 1 Sou bestellen. Im J. 1760 gründete der Rat am Rechnungshof in Paris, C. Humbert Piarron de Chamousset, eine Privatpost, da die bestehende Staatspost Ortsbriefe nicht beförderte. Ähnliche Anstalten entstanden in Lyon, Marseille, Bordeaux, Nantes, Montpellier, Rouen, Lille, Nancy und Straßburg; keiner von ihnen war ein langes Leben beschieden. In Hamburg wurde 1797 eine Fußbotenpost errichtet, für deren Zustandekommen die Hamburger Kaufmannschaft 9000 Mark Kurant zusammenbrachte, und die bis zur Besetzung Hamburgs durch die Franzosen bestand. Eine Fußbotenpost in Berlin, gegründet 1800, mußte 1806 den Betrieb einstellen und erhielt erst 21 Jahre später in der königlichen Stadtpost eine Geschäftsnachfolgerin. Die 1714 in London eingerichtete Pennypost war von Anfang an Staatsanstalt.