Melpomene/Band 1/092 Bei der Leiche eines Raubmörders, der gerädert wurde

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< 092 Bei der Leiche eines Raubmörders, der gerädert wurde >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Melpomene
Seite: Band 1, S. 283–291
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[283]

92. Bei der Leiche eines Raubmörders, der gerädert wurde.

Melod. III. XVIII.

1. In welchem Sturme von Gefühlen
Empöret heut sich unser Herz!
Denn Menschlichkeit und Abscheu wühlen
Durch unsre Brust in höchstem Schmerz.
[284] Denn ach! wir stehen bei der Leiche
Von einem jungen Bösewicht,
Den unter wiederholtem Streiche
Des Henkers Rad in Stücke bricht.

2. Er war ein Mann von zwanzig Jahren,
An welchem Sorgfalt, Ernst und Lieb
Der Kinderzucht verloren waren,
Und jede Zucht vergeben blieb.
Denn Stürme wilder Leidenschaften,
Die jedes Band der Menschlichkeit
In seiner kühnen Brust erschlafften,
Verkürtzten seine Lebenszeit.

3. Er war als Knab ein Glied geworden
Der ehrgeachten Metzgerzunft,
Und suchte also durch das Morden
Der Thiere seine Unterkunft.
Durch dieses war das Blutvergiessen
Und Morden seine größte Lust,
Er sah das Blut mit Freude fliessen
Aus der durchstochnen Thiere Brust.

4. Er war dabei dem Müssiggange,
Der Hoffart, der Unmässigkeit,
Dem Zorne und dem Wohllusthange
Ergeben ohne Schüchternheit,
Bei seiner thörichten Verschwendung
Bedurfte er des Geldes viel,
Und ohne weisliche Verwendung
Versuchte er sein Glück im Spiel.
[285]
5. Allein da ward er oft betrogen,
Und öfter gieng das Geld ihm aus,
Und dennoch ward er angezogen
Zum theuren Spiel, zum Tanz und Schmaus:
Er mußte nun auf Mittel sinnen,
Wie dieses zu verbessern sey;
Da fiel ihm, sicher zu gewinnen,
Das Rauben und das Morden bei.

6. Und leider fand sein Mordgedanken
Nach seinem Wunsch Gelegenheit,
Und, ohne hin und her zu wanken,
War er sogleich zur That bereit.
Er kam zu einem Petschaftstecher
In Dischingen, und sprach ihn an,
Und machte dessen Herzensbecher
Zu leeren schon den kühnen Plan.

7. Woher mein Freund! wohin des Landes?
So redte er ihn freundlich an,
Und wessen Amtes? wessen Standes?
Ihr seyd gewiß ein Handelsmann?
Der Mann erwiederte dem Frechen:
Ich bin ein armer Jud, und alt,
Und nähre mich mit Petschaftstechen,
Und werde nur gering bezahlt.

8. Da müßt ihr euch nach Ulm begeben,
Erwiederte der Metzgerknecht,
Gewiß, da könnt ihr besser leben;
Denn auf dem Lande geht es schlecht.
Dahin geht eben meine Reise,
[286] So sprach der Jud vertrauenvoll.
So so! versetzte schlauerweise
Der Metzgerknecht, da thut ihr wohl.

9. Wir können miteinander gehen,
Wenns euch beliebt, so fuhr er fort.
Da wird mir eine Ehr geschehen,
So nahm der Jude gleich das Wort:
Ihr könnt vielleicht rekommandiren
Etwas von meiner Stecherey,
Und unter Weges diskuriren
Wir für die Langweil Allerley.

10. Sie zahlten also ihre Zechen,
Und gehen miteinander fort
Bis an die Galgensteig, und sprechen
Verschiedenes von hier und dort.
Nun kamen sie an das Gewässer
Der Donau an dem Strassenrand; –
Auf einmal zog sein scharfes Messer
Der Metzger aus mit kühner Hand.

11. Er schwang es mit verdektem Schwunge
Und stieß es rasch mit Riesenkraft
Dem armen Juden durch die Lunge
Und in das Herz bis an den Schaft;
So brachte er noch ohn’ Erbarmen
Ihm sieben Todesstiche bei,
Und untersuchte dann den Armen:
Ob er mit Geld versehen sey.

12. Er nahm ihm seine Silberlinge
Und warf ihn in den Fluß hinaus,
Und eilte froh und guter Dinge
[287] Mit seinem Schatz zum Kirchweihschmaus,
Und glaubte sich vor dem Entdecken
So sicher, daß er dessenthalb
So wenig Angst empfand und Schrecken,
Als hätt gestochen er ein Kalb.

13. Allein er ward sogleich auf frischer,
Und kaum vollbrachter That, entdeckt.
Es hatten nemlich ein’ge Fischer
Hier ihre Angeln angelegt,
Und als sie nachzusehen kamen,
Ob sich kein Fisch gefangen hab,
So schauten sie hinein, und nahmen
Die Leiche wahr im Wassergrab.

14. Sie fischten also diese Leiche,
Und zogen sie heraus ans Land,
Und machten eilig im Bereiche
Der Nachbarschaft den Fang bekannt.
Der Wirth in Dischingen erfuhr es,
Sah die gefundne Leiche an,
Erkannte sie sogleich, und schwur es:
Das hab der Metzgerknecht gethan.

15. Indeß war Tanz im Rodelthale,
Und unser Metzgerknecht dabey,
Und tanzte unschenirt im Saale,
Auf einmal kam die Polizey:
Er wollte sich vor ihr verbergen,
Und nahm in stiller Eil die Flucht;
Allein er wurde von den Schergen
An allen Orten aufgesucht.
[288]
16. Man griff ihn auf in seinem Bette,
Den mörderischen Bösewicht,
Belegte ihn mit Band und Ketten,
Und schleppte ihn vor das Gericht;
Auch zeigte sich sogleich am Messer
Und an den Kleidern schwarzes Blut:
Bei diesem Anblick ward er blässer,
Und es entfiel ihm Kraft und Muth.

17. Und als man ihn zu Rede stellte,
Gab er sogleich die Antwort ab:
Daß aus Begierde nach dem Gelde
Den Juden er gemordet hab. –
Das Urtheil kam von dem Gerichte:
Weil er den Juden ohne Gnad
Gemordet hab, der Bösewichte,
So soll er sterben durch das Rad.

18. Und wirklich wird es hier vollzogen
Auf diesem blutigen Gerüst,
Das schon von unzählbaren Wogen
Des Volkes dicht umgeben ist;
Schon wirft man ihn gewaltsam nieder
Auf einen Block zum Blutgericht,
Auf welchem jedes seiner Glieder
Durch einen Stoß des Rades bricht.

19. Der Henker schwinget ohn’ Erbarmen
Das zentnerschwere Radgewicht,
Und stoßt es auf die Brust des Armen,
Daß krachend sie zusamen bricht;
Zerquetschet ist des Herzens Höhle,
[289] Das blutentleerte Auge bricht,
Und seine fluchbeladne Seele
Entflieht zum göttlichen Gericht.

20. Noch schlug man ihm auf gleiche Weise
Gewaltsam alle Glieder ab,
Und flocht ihn zu der Raben Speise
Aufs Todeswerkzeug ohne Grab;
Schon locket der Geruch des Aases
Sie scharenweis zu ihm herbey,
Und bei dem Anblick ihres Frasses
Erheben sie ein Siegsgeschrey.

21. Sie fressen seine Eingeweide,
Und hacken ihm die Augen aus,
Und finden ihre gröste Freude
Bei diesem delikaten Schmaus;
Doch bald verscheucht das Heer der Raben
Der unausstehliche Gestank,
Und eh sie ihn zerfleischet haben,
Verlassen sie die Schinderbank.

22. Indessen ward vom Sonnenbrande
Die Leiche ganz zu Kohl verbrannt,
Und des Verbrechers Straf und Schande
Zur Warnung allgemein bekannt. –
Der Wandrer wendet seine Blicke
Mit Abscheu von dem Anblick ab,
Und denkt mit Angst auf ihn zurücke,
Und wünschet ihm ein kühles Grab.

23. Auch wir, geliebte Freunde! wenden
Den scheuen Blick von seinem Rad.
[290] Indem wir ihn zum Himmel senden,
Und flehn für ihn zu Gott um Gnad:
Er wolle seiner sich erbarmen,
Und ihm Barmherzigkeit verleihn,
Und dem Unglücklichen, dem Armen
Bei dem Gerichte gnädig seyn.

24. Denn ach! auch wir sind arme Sünder,
Und weichen von dem Tugendpfad,
Und als des Vaters böse Kinder
Bedürftig seiner Huld und Gnad;
O kehrten wir voll Schmerz und Reue
Zurück, wie der verlorne Sohn,
Damit er gnädig uns verzeihe
Auf seinem strengen Richterthron.

25. Laßt uns die Binde der Verblendung
Von unserm Geistesauge ziehn,
Und Hoffart, Habsucht und Verschwendung,
Und Müssiggang und Spiele fliehn;
Denn diese Leidenschaften stürtzen
Uns auf die Lasterbahn hinab,
Um unser Leben abzukürzen
Auf einem Rade ohne Grab.

26. Und auf die Strafe der Verbrecher,
Die sie erreicht hienieden schon,
Verstosset einst der strenge Richter
Sie noch von seinem Gnadenthron:
Hinweg von mir, Vermaledeite!
So ruft er mit gereiztem Grimm,
Dem Feur der Hölle dort zur Beute,
Das ewig brennt mit Ungestümm.
[291]
27. Wer aber glaubet, daß er stehe,
Der hüte sich, daß er nicht fällt,
Und daß er nicht zu Grunde gehe
Beim Übergang in jene Welt;
Denn wer mit heimlichen Verbrechen
Belastet hier sein Leben schließt,
Dem wird Gott einst sein Urtheil sprechen,
Wie dem, der auf dem Rade büßt.

28. Nun laß dir noch, du armer Sünder!
Voll Mitleid eine Thräne weihn;
Villeicht wird Gott mir dir gelinder,
Als deine strengen Richter seyn;
Er wolle wegen deiner Strafe,
Die du erlittest, gnädig seyn;
Er führe dich, wie seine Schafe,
Auch einst in seinen Schafstall ein.