Moderne Geister-Offenbarungen

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Titel: Moderne Geister-Offenbarungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 795–797
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Moderne Geister-Offenbarungen.

Die Lehre der Spiriten. – Sitzung im Breslauer Verein. – Spiritistisches Abenteuer in München.

Der Spiritismus oder Spiritualismus (Geisterlehre), seit dessen erstem Auftauchen nun gerade zwei Decennien verflossen sind, macht in der letzten Zeit wieder da und dort so viel von sich reden und beschäftigt die Gemüther in so lebhafter Weise, daß ich nur den Dank der Gartenlaube-Leser zu verdienen glaube, wenn ich heute über diese mitten in dem realistischen Treiben unserer Tage so seltsam dastehende Erscheinung einen nach den räumlichen Verhältnissen des Blattes eingehenden Bericht erstatte.

Die Lehre der Spiriten, Spiritisten oder, wie sie namentlich in Amerika heißen, der Spiritualisten, ist ungefähr folgende: In der Natur zeigt Alles eine stufenweise Entwicklung, nirgends finden wir eine Kluft, überall fortschreitende, naturgemäße Entwicklung, aus welcher zuletzt durch Gottes Willen und Allmacht der Mensch hervorging. Dieser besteht von Geburt ab gewissermaßen aus drei Theilen: dem Körper, dem Geiste und dem „Fluidum“, einem Theile des Urfluidums, woraus, nach der Ansicht der Spiritisten, die Welt erschaffen. Letzteres, eine Art Aether, hat den ganzen Körper des Menschen durchdrungen, ist in ihn „versenkt“ und vermittelt dessen sinnliche Wahrnehmungen seinem unsterblichen Geiste. Es nur empfindet, fühlt (das Schöne, Gute) und ohne dasselbe würden Körper und Geist nie in Beziehungen treten können. Der Tod des Menschen erstreckt sich nur auf seinen Körper; das Fluidum mit dem Geist wandert in eine andere Welt, ersteres als neuer unsichtbarer Leib des Geistes. Alle Leidenschaften des Individuums, welche hienieden der freie Wille nicht besiegt hatte, behält es, vermag aber, in Abwesenheit des Körpers, nicht diese zu befriedigen; der fluidale Leib leidet daher mehr oder weniger Qual und Pein, die sich verringern, wenn der Geist die ihm drüben vom Schöpfer noch immer und in reichem Maße ertheilten Winke und Rathschläge benutzt und sich bessert. Jeder Geist im Jenseits kann, wenn er will, mit den Menschen in Verbindung treten, respective mit den in diese „eingekörperten“ Geistern, indem er sein Fluidum auf das Fluidum des betreffenden Menschen wirken läßt, der dann Medium wird und heißt.

Der Spiritist will nicht Geister beschwören, da er wohl weiß, daß es von dem freien Willen des Geistes abhängt, ob er sich mittheilen wolle, oder nicht; dabei kommt es noch darauf an, ob diejenige Person, welcher er sich mittheilen will, auch die nöthigen Eigenschaften besitzt, damit sie ihm als Medium zu einem schriftlichen Verkehre dienen könne; das heißt, es hängt davon ab, ob das Fluidum eines Geistes und dasjenige des Menschen (eines Mediums) so geartet sind, daß sie sich verbinden können; denn nur in diesem Falle kann ein Geist auf den Organismus eines Menschen wirken. Das Fluidum des Mediums, das mit seinem Nervensystem eng verbunden ist, muß also im Stande sein, dem Geiste als Leiter zu dienen.

Die Manifestationen der Geister sind zweierlei: intelligente oder physische. Die ersteren geschehen bewußt, indem das schreibende Medium mit Wissen sich dem Willen des sich offenbarenden Geistes überläßt, oder unbewußt, indem Dichter, Denker, Künstler ihre Gedanken von außen durch den Geist mitgetheilt erhalten (Inspiration). Die physischen Manifestationen sind diejenigen, mit welchen die Geister auf das Gehör, Gesicht (durch persönliche Erscheinung), ja selbst auf das Gefühl wirken. Die Spiritisten weisen den Vorwurf, sie seien bemüht, durch die Manifestationen der Geister voreilig den Schleier von Dingen zu ziehen, die Gott absichtlich verhüllt habe, mit der Bemerkung zurück, daß die „schlechten oder leichtsinnigen“ Geister überhaupt Nichts mittheilen können, weil sie Nichts wissen, daß sie vielmehr den Menschen durch Lügen und Vorspiegelungen zu ärgern suchen – daß aber die guten Geister, wenn sie Etwas mittheilen, dies nur mit Erlaubniß und auf Veranlassung Gottes thun.

Dies ungefähr sind die Grundlehren des Spiritismus, dessen Anhänger, auf zehn bis zwölf Millionen geschätzt, über alle fünf Welttheile verbreitet sind. Eine zahlreiche periodische Literatur (in Amerika erscheinen allein vierzehn spiritistische Journale, während die Zahl der über diesen Gegenstand dort erschienenen Bücher auf mehr als vierhundert angegeben wird) vermittelt den Verkehr zwischen den einzelnen Vereinen und Gesellschaften, die in Frankreich, Italien, Spanien, England, Rußland, Mexico bestehen und in den allerletzten Jahren sich auch in Pesth, Lemberg, Prag, sowie in mehreren Städten Deutschlands, wie Wien, Leipzig, Breslau etc. constituirt haben.

Ueber den Spiritistenverein in der letztgenannten Stadt nun bin ich in der Lage, detaillirtere und um so zuverlässigere Mittheilungen zu machen, als ich der Berichterstattung für die Gartenlaube halber dem Vereine beitrat und seinen Sitzungen persönlich beiwohnte. Der Bericht dürfte auch darum Anspruch auf Beachtung haben, weil seine Schilderung so ziemlich auf das Treiben aller anderen Vereine anwendbar sein wird.

Die Gesellschaft der Spiritisten zu Breslau, an deren Spitze als Leiter ein homöopathischer Arzt steht, will alle Thatsachen aus spiriten Erfahrungen studiren und auf das moralische Seelenleben anwenden, wobei alle Erörterungen über Politik und confessionell-religiöse Streitfragen ausgeschlossen bleiben. Zuerst benutzte man, um mit nicht eingekörperten Geistern sich in Verbindung zu setzen, den Psychographen, das heißt eine hölzerne Maschine, bestehend aus einer beweglichen Vorrichtung mit einem Zeiger, dem ein Alphabet untergelegt wurde, die dadurch in Bewegung nach den Buchstaben gerieth, daß Jemand, welcher das nöthige Fluidum besaß, an jenem Zeiger mit seiner Hand festhielt. Zuerst wurden so Buchstaben, dann Worte und zuletzt ganze Sätze gegeben, welche mit der Verstandeskraft und dem Wissen des Anhaltenden in keiner Verbindung stehen konnten. Später zeigten sich somnambule Media, dann geistig Inspirirte, welche, ohne zu schlafen, über hohe, geistige Dinge sprachen, die weit über dem eigenen Fassungs- und Ideenkreis des Inspirirten lagen. Zuletzt entwickelte sich das sogenannte inspirirte Schreiben, bei welchem ein Medium eine Feder ergreift und nun, ohne zu sprechen, dasjenige aufzeichnet, was der citirte Geist ihm eingiebt, und ihm folgte das inspirirte Sprechen.

Der Breslauer Verein bemüht sich nun, alle die oben geschilderten Lehren und Einrichtungen zur moralischen Vervollkommnung seiner Mitglieder zu benutzen und theils durch eigene Experimente, theils auch aus medianimischen Schriften, wie z. B. „das Licht des Jenseits“ von Constantin Delhez, einer spiritischen Monatsschrift, sich zu erbauen. Gegenwärtig zählt der Breslauer Verein nur zwanzig Mitglieder, besitzt aber doch mehrere sehr ergiebige Medien, nämlich einen männlichen Somnambulen, der aber ziemlich passiv ist, einen vierzehnjährigen Knaben, den Sohn des oben erwähnten Vereins-Leiters, der als Inspirirter durch einen geistigen Führer spricht, zwei Frauen, welche an dem Psychographen durch Magnetismus aus Mittheilungen geistiger Führer Belehrungen im Sinne der reinsten Moral erhalten, und endlich vier medianimisch schreibende Männer.

Dies sind die activen Mitglieder des Breslauer Spiritisten- Vereins, der jede Sitzung mit den Worten: „Gott! Setze Dich. Ich bin August X, Wilhelm Y oder Peter Z!“ beginnt und jede mit der Weisung. „Nun, Adieu, höre auf!“ schließt. Darunter sind jedoch nicht die Zusammenkünfte der Vereinsmitglieder, sondern die Sitzungen des sogenannten Anhaltens und Inspirirtwerdens zu verstehen.

Nachdem ich die allgemeinen Grundlehren des Spiritismus, wie sie mir theils aus Studium, theils aus Anschauung bekannt geworden, schilderte, will ich jene geheime Spiritisten-Sitzung beschreiben, welcher ich beizuwohnen Gelegenheit hatte. Sie fand zu Breslau am Sonntag, den vierzehnten November 1869, Vormittags 91/4 Uhr statt, und um für sie Zutritt zu erlangen, mußte ich Mitglied des Spiritisten-Vereins werden, als welches ich zu der Sonntags-Sitzung besonders eingeladen worden. [796] Als ich in das elegante Zimmer bei dem Leiter des Breslauer Vereins eintrat, erblickte ich einen auf drei Füßen stehenden runden Tisch, auf dessen Platte man einen weißen Bogen Papier mit zwölf Kupferstiftchen befestigt hatte, worauf oben die Worte: „Heilig ist Gott der Vater. Amen!“, links eine Paraphrase des Vater-Unsers, rechts das Wort „Nein!“, ein großes und ein kleines Alphabet, sowie die Zahlen von 1 bis 9 und 0 geschrieben standen. Auf der Mitte des Tisches war in Form eines sogenannten Storchschnabels ein braunpolirter Psychograph befestigt, vor dem ein kleines weißes elfenbeinernes Crucifix stand.

Bevor die Sitzung begann, traten der Leiter, ein Breslauer Arzt, dessen vierzehnjähriger bleicher Sohn, den die Gesellschaft für ein inspirirtes Medium hält, und der Schatzmeister des Vereins zu mir, reichten mir und sich untereinander zum Gebet die Hände, worauf der Arzt Gott den Vater (Jesum Christum halten sie nur für einen sehr fein organisirten Bruder) um Segen und Erleuchtung für das Beginnen bat. Hierauf setzte sich das vierzehnjährige Medium in die Ecke des im Zimmer aufgestellten Divans und sprach, ohne jedwede Aufregung, im einfachsten Ton von der Welt Folgendes:

„Ich bin Johann Sparmer. Setze Dich! – Es giebt Vieles zwischen Himmel und Erden, was wir nicht verstehen – so sagen die Menschen – aber sie geben sich nicht Mühe, dieses Etwas zu erkennen, zu wissen, was eigentlich dieses Etwas ist, um es dann zu verstehen. ‚Es ist unmöglich!‘ sagen sie. O nein! – Einestheils wollt Ihr es nicht untersuchen, weil es Euch allerdings aus den ehrgeizigen Träumen herausreißt; anderntheils könnt Ihr es nicht, Ihr seid in Eurem Geiste noch zu schwach! Dieses Etwas will ich Euch erklären. Es ist der Magnetismus. Dieser regiert, so zu sagen, unter der Oberleitung Gottes das ganze Weltall; jedes Geschöpf, jede Welt, Alles, was in der Welt ist, besitzt Magnetismus; der magnetische Strom zieht durch Alles. Alle Verbindungen, mögen sie sein, wie sie wollen, sind durch Magnetismus hervorgerufen. Daß Manches sich nicht verbindet, wird dadurch hervorgebracht, daß, so zu sagen, Nordpol zu Nordpol, Südpol zu Südpol zusammenkommen; am geregeltsten in seinen Wirkungen ist der Magnetismus bei dem entwickelten Geschöpfe, dem Menschen und dem Geiste des edlen und starken Geschöpfes. Die Geister – auch schwache – umgeben den Menschen, durch den Magnetismus wirken sie auf ihn; es ist ein Gefühl, welches sich der des magnetischen Stromes Unkundige nicht erklären kann, der Kundige jedoch benutzt ihn, je nach der Stärke seines Geistes, der Gute in einer Gott wohlgefälligen Weise, um sich zu belehren und zu steigen, und später, wenn er Lehren genug gesammelt hat, zur wahren Erkentniß des Weltgeistes, der Vernunft und Gottes zu kommen; der Schwache dagegen, um ihn zu seinem materiellen, irdischen Nutzen zu verwenden. Man nennt dies den Geisterverkehr!

Ich weiß nicht, ob ich dies genügend klar machen kann, es ist eine Tiefe darin, welche eben nur Gott, der vernünftigste und edelste Geist, ausfüllen kann. Ich werde heute schließen. Ueber die besonderen Einwirkungen der Geister auf die Medien werde ich in einer späteren Sitzung sprechen!“ – Dies waren, nach stenographischer Aufzeichnung, die Aeußerungen des vierzehnjährigen inspirirten Medii, Aeußerungen, welche der halb erwachsene Knabe ohne irgend welche Exaltation seinem Vater dictando mittheilte, woran er noch folgendes kurze Gebet knüpfte, das man auch als vom Geiste Sparmer inspirirt annahm: „Gott, ich bitte dich, erleuchte alle unsere Brüder, Menschen wie Abgeschiedene, daß sie dich in deiner wahren Größe erkennen mögen und immer weiter vorschreiten auf dem Wege des Lichtes! – Nun Adieu, höre auf!“

Als ich nach dieser Inspirationssitzung wahrscheinlich ein sehr ungläubiges, oder doch zweifelvolles Gesicht machte, wurde ich gefragt, was ich von dieser Auseinandersetzung und Offenbarung halte, worauf ich erwiderte: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, weil ich keinen Beweis habe, daß überhaupt ein ‚sogenannter Geist‘ das eben Gehörte inspirirt hat, da wohl anzunehmen ist, daß ein vierzehnjähriger Knabe, der im Spiritismus groß gezogen und einigermaßen geistig begabt, solche allgemeine Phrasen wie die obigen zu machen im Stande ist. Aber angenommen, der Knabe sei wirklich inspirirt, so imponire mir der völlig unbekannte Geist Sparmer keineswegs, da er keine hervorragende Persönlichkeit gewesen!“ – Der Führer entgegnete hierauf, daß er diese meine Antwort vorhergesehen, ich aber wohl noch später an die Unfehlbarkeit des inspirirten Medii glauben würde. Hiernach erschien ein junges Mädchen, die Wirthschafterin des Arztes, am Psychographen, legte ihre Hände auf und schrieb: „Heilig ist unser Gott und Vater! Ich bin Eleonore Gleisberg (die geistige Führerin des Mädches). Meine Lieben, Ihr fühlt immer noch nicht, wie schwach Ihr ohne höheren Beistand seid. Ich weiß, woran das liegt, auch Ihr wisset es, nur gehet Ihr zu leicht darüber hin. Es ist dies nicht gut, besser wäre es, wenn Ihr, wie ich Euch früher schon sagte, mit Liebe und ernstem Gebet daran gehen wolltet. Nehmt meine Worte, welche immer aus wohlgemeintem Herzen kommen, mit Liebe und Ueberlegung auf. Ich werde meine Anhänglichkeit zu Euch nicht aufgeben, nur würde meine Freude groß sein, wenn ich sähe, daß meine Arbeit Früchte bringen möchte; denn meine Ermahnungen haben oft wenig Erfolg. Nun Adieu!“

Ebenso wenig wie die Inspiration befriedigte mich die Sitzung an dem Psychographen, weshalb ich bat, selber einen Geist citiren und diesem eine Frage vorlegen zu dürfen. Das Erste wurde abgelehnt, das Zweite gestattet, indem man mir bedeutete, ich müsse aber die geistige Führerin des Mediums, also hier die Eleonore Gleisberg, befragen. Ich legte danach dem abgeschiedenen Geiste die einfache Frage vor: „Welcher Unterschied ist zwischen Glaube und Wissen?“ worauf man mir entgegnete, daß jene philosophische Frage für die geistige Führerin der Wirthschafterin, hier also des psychographirenden Medii, zu schwierig sei, man überhaupt auch nur solche Fragen an die Geister thun dürfe, welche über den Ideenkreis nicht hinausgingen, in welchem sie sich als eingekörperte Geister, d. h. als lebende Menschen, bewegt, und daß die Mutter des jungen Mädchens, ihre geistige Führerin, eine einfache Frau gewesen. Als ich hierauf den Geist meiner vor einigen Jahren verstorbenen Mutter citiren wollte und ich die Ueberzeugung aussprach, daß mir dieser, sei eine Correspondenz überhaupt möglich, gewiß erscheinen würde, verneinte man auch dies mit dem Bemerken, daß dieser Geist, als ein edler und feingebildeter, schon in einer Atmosphäre schwebe, aus der er nicht mehr zu mir dringen könne. Da ich keinen Beweis vom Gegentheil beibringen konnte, mußte ich mich bescheiden und die Sitzung wurde mit einem Gebet beschlossen, und ich verließ unbefriedigt und unüberzeugt das Zimmer und das Haus.

Bei dieser Gelegenheit kommt mir ein anderes spiritistisches Abenteuer in das Gedächtniß, das ich schon in früheren Jahren gehabt habe und das ich den Lesern der Gartenlaube nicht vorenthalten will, weil sie das am Ende noch interessanter oder doch – unterhaltender finden dürften, als das ersterzählte von Breslau. Während meines Aufenthaltes in München vor mehreren Jahren lernte ich den Redacteur einer dortigen ultramontanen Zeitung kennen, der sich viel mit Mystik und religiösen Forschungen beschäftigt hatte und in Folge dessen stets salbungsvolle, von Frömmigkeitsbalsam triefende Floskeln auf den Lippen trug und dadurch einen ebenso unangenehmen als peinlichen Eindruck machte. Seine Gattin war eine wohlthätige hübsche Münchenerin mit sehr weltlich-lüsternem Blick, und ihre schönen schwarzen Augen schauten begehrlich in die blühende Gotteswelt hinein, doch war auch sie, wenigstens äußerlich, von dem Gifte eines heuchlerischen Pietismus afficirt und betrachtete ihren heiligen, der Offenbarung seliger Geister so nahen Mann mit einer wahren Verehrung, und jedes seiner Worte schien ihr eine köstliche Perle, ein Himmelsthautropfen zu sein, den ihre schönen Augen begeistert von seinen Lippen küßten.

Dieses Ehepaar führte mich nun zu einem ihnen befreundeten Oekonomen, der einen Psychographen und außer diesem ein magnetisch schreibendes Medium besaß und auf meinen Wunsch mit beiden experimentiren wollte. Bei unserem Eintritt saß die Magd Marie, das Medium, starr und steif in einem Winkel des Zimmers und erhielt erst Leben, als man vor der Sitzung soupirte, bei welchem Souper sie einen höchst prosaisch-irdischen Appetit entwickelte, woraus ich schloß, daß sie einen besonders starken Geist besitzen müsse, da der Träger dieses Geistes, ihr Körper, ein so bedeutendes Consum zu seiner Existenz nöthig habe. Unser Wirth hatte ein durchaus nichtssagendes Gesicht, ausdruckslose Augen und einen rothen Zwickelbart. Der Mann erregte bei Tisch meine ganze Bewunderung, da er zu gleicher Zeit ebenso viel Braten und Salat zu sich nahm, als er eifernde und polternde Reden über die Genußsucht der halsstarrigen bösen Welt von sich gab. Das Medium Marie war klein, von sehr schwächlichem Körperbau, [797] äußerst dünnem Haarwuchs, fieberhaft gerötheten Wangen, und hatte matte blaue Augen, die nur während des Schreibens einigen Glanz erhielten. Außerdem hatte sie nicht das Aussehen der sonstigen sogenannten „Somnambulen“, auch gab sie ihre Mittheilungen nicht im magnetischen Schlafe, sondern im Wachen, während eines exaltirten Zustandes, der sich vorher durch ein heftiges Zittern des ganzen Körpers ankündigte. Daß sie sehr magnetisch, erschien mir evident, doch war wohl ihr ganzes Nervensystem überreizt und geschwächt und schien ihre Gehirnthätigkeit deprimirt, während die Ganglien auf’s Höchste gereizt waren, und es ist lächerlich, diesen ihren Zustand über das gesunde, eigene Selbstbewußtsein zu stellen und davon religiöse Aufschlüsse von abgeschiedenen Geistern aus dem Jenseits zu erwarten.

Nach beendeter Mahlzeit nahm das Mädchen eine große Schiefertafel und einen neuen scharfgespitzten Schieferstift, ergriff diesen lose an dem entgegengesetzten Ende zwischen zwei Fingern und zitterte heftig. Bevor die Manipulation begann, nahm unser Wirth ein großes Folio-Buch und notirte darin meinen Vor- und Familien-Namen, Stand, Geburtsort und Alter, woraus der Redacteur den abgeschiedenen Geist des alten Sokrates befragte, ob er geneigt sei, mir zu antworten. Nach dieser Frage sah das Mädchen starr auf die Tafel und bald schrieb sie mit Blitzesschnelle in lang gezogenen, für mich fast ganz unleserlichen Buchstaben die Worte. „Ich habe es schon gesagt!“ – Nachdem der Redacteur und der Oekonom diese Antwort mit verklärten Mienen aufgenommen, sehr fromm die Augen verdreht und die Worte. „Gelobt sei Jesus Christ!“ gemurmelt hatten, theilte mir der Wirth sehr vergnügt mit, daß Sokrates gestern geäußert, er kenne mich schon seit längerer Zeit, woran ich die bescheidene erste Frage knüpfte, wo und wann ich die Ehre gehabt hätte, ihm bekannt zu werden? – worauf das Mädchen schrieb. „Wir kennen Alle, nennt man die Namen!“ – Nach dieser wahrhaft sokratischen Antwort fragte ich zweitens: „Was ist der thierische Organismus in seiner Beziehung auf sich betrachtet?“ – Statt der einfachen Antwort: „Sensibilität, Irritabilität und Reproduction!“ – wurde geschrieben: „Ist noch nicht an der Zeit!“ – Meine dritte Frage war: „Was ist Irritabilität?“ – Die Antwort hätte sein müssen: „Irritabilität ist die Reizbarkeit, welche der Organismus in sich trägt und gegen welche er auch reagirt. Sie steht darum dem Proceß der Assimilation entgegen!“ – Hierfür ließ Sokrates schreiben: „Ist schon gesagt!“ – Darauf bedeutete man mir, daß die entkörpertem, abgeschiedenen Geister durchaus Nichts sagten, was schon einmal gedruckt sei.

Die seligen Geister haben demnach mehr Respect vor dem geistigen Eigenthum der armen Schriftsteller, als die profane, unselige, heutige Welt, für welchen Aufschluß ich dem Herrn Redacteur sehr dankbar bleibe. Da man mich aufforderte nur religiöse Fragen und keine profan-wissenschaftliche zu stellen, so fragte ich ferner: „Wie verhält sich die Gottheit und Menschheit in Christo zu einander?“ – worauf die Sibylle unter sehr heftigen Zuckungen des ganzen Körpers die Worte aufzeichnete: „Lies, Joseph!“ – So hieß nämlich der Bruder des Medii mit Vornamen. Als dieser aber aus seinem Buche, in dem er alle Fragen und Antworten eifrig protokollirt, keine passende Antwort finden konnte, bezeichnete sie eine Stelle des Buches ganz genau, worauf mir Herr Joseph länger denn zehn Minuten ein Gewirr von exaltirten und mystischen Phrasen vorlas, das mir zuletzt völlig unverständlich blieb, dem Herrn Redacteur aber die begeisterte Exclamation entlockte: „So ist es!“ – wonach das Mädchen sehr eifrig die Worte niederschrieb: „Jetzt ist die Frage gelöst!“ – Da man meine stumme Verwunderung über diesen crassen Unsinn für den Ausdruck meiner tiefsten Ueberzeugung nahm, so lud man mich ein, unter dem Hinweis auf die mir durch jene Antworten zu Theil gewordene Begnadigung, eine auf meine Person bezügliche religiöse Frage zu thun, worauf ich zu wissen wünschte: „Wie sich mein Glaube zu den hier empfangenen Offenbarungen verhalte?“ – und die Antwort darauf war: „Du mußt es sein!“ – Jetzt hatte ich vollkommen genug und der Herr Redacteur nahm statt meiner das Wort, indem er fragte: „Meine liebe Frau ist leidend, was soll ich thun?“ – worauf das Mädchen die einzig vernünftige Antwort niederschrieb: „A–r–z!“ – Er bat sodann noch um Aufklärung darüber: „Ob die Insecten ihre jetzige Gestalt bereits im Paradiese gehabt hätten?“ – und nun ward ihm durch die Pythia die denkwürdige Antwort: „Mensch und Thier hatten nicht die Bestimmung wie nach dem Fall!“ –

Hierauf erklärte Maria, daß der Geist von ihr gewichen und sie, müde und abgespannt, sich nach ihrem Bette sehne; sie verließ das Zimmer, während unser Wirth mir erklärte, daß ihm noch niemals der Fall vorgekommen sei, daß ein zum ersten Male Anwesender, wie ich, überhaupt eine Antwort erhalten habe, und ich die mit mir gemachte Ausnahme als eine besondere Begnadigung des Himmels in demüthigem Glauben und brünstigem Gebete dankbar anerkennen müsse. Als ich darauf erwiderte, daß ich aus der heute gewonnenen Anschauung durchaus keine tiefere Ueberzeugung von der Einwirkung der Geister auf den Menschen gewonnen hätte, freute er sich über meine Aeußerung, die er nicht nur natürlich fand, sondern, wie er sagte, erwartete, indem er mich versicherte, das Gegentheil gar nicht geglaubt zu haben. Er sähe es mir aber an, daß ich sehr zum Glauben neige, ein tüchtiger Spirit werden und bald würdig sein würde, in ihre Gesellschaft zu treten. Hiernach schloß der Redacteur die Sitzung mit den Worten: „Gelobt sei Jesus Christ!“

Wie sind die Leute doch in ihrem Wahne glücklich, wie beruhigt und sicher fühlen sie sich, während der Wissensdurstige, der Forscher in steter Aufregung, fortwährendem Ringen nach Wahrheit schwankt und wankt, grübelt und denkt, annimmt und verwirft, um immer neu einzusehen, daß er nicht am Ende seines Forschens ist!