Moltke in den Sommerferien

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Titel: Moltke in den Sommerferien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 524–526
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Generalfeldmarschall Graf von Moltke.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von R. Huthsteiner.

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Moltke in den Sommerferien.

Wenn der Frühling kommt, der Schnee aus den Gängen des Thiergartens hinweg schmilzt und das erste junge Grün Bäume und Sträucher deckt, hält es den Feldmarschall nicht länger in Berlin. Den langen Winter hindurch hat er tagtäglich von Morgens sieben Uhr am Schreibtische gesessen, Berichte und Eingaben studirend, denkend und arbeitend. Mit seiner charakteristischen festen Handschrift, die dadurch, daß er sich immer nur einer Gänsefeder bedient, ein fast alterthümliches Gepräge erhält, hat er seine Bemerkungen niedergeschrieben, die, in der strengen Logik ihrer Gedankenentwicklung, in der überzeugenden Richtigkeit ihrer Schlüsse, in ihrer knappen, alles Ueberflüssige vermeidenden Fassung noch immer unerreicht dastehen und Zeugniß geben von der ungeschwächten Schärfe dieses wunderbar klaren Geistes, an dem die Jahre spurlos vorüber zu gehen scheinen. Fast keine Sitzung des Reichstages hat er versäumt; eines der pflichttreuesten Mitglieder, hat er den Saal nur selten vor dem Schluß der Verhandlungen verlassen, oft erst gegen sechs Uhr zurückkehrend, um abgespannt und erschöpft sein einfaches Mittagsmahl einzunehmen. In seinem Arbeitszimmer warten neue Stöße von Briefen, neue Arbeiten auf ihn; nur selten gönnt er sich eine halbe Stunde der Ruhe, und oft sieht man bis tief in die Nacht hinein hinter den Fenstern über dem großen Portal des Generalstabsgebäudes die stille Lampe brennen, bei deren Schein der Siebenundachtzigjährige für die Sicherheit des Vaterlandes arbeitend sitzt, während gegenüber bei Kroll das lustige Berlin sich amüsirt.

Schloß Creisau.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Nun aber scheint die Sonne so verlockend; die Staare sind angekommen; aus der starren Ruhe des Winters erwachend, beginnt die Natur sich zu regen; der Frühling lockt mit seiner jungen Schönheit hinaus aufs Land. Nach der arbeitsvollen Winterszeit sehnt sich der Feldmarschall nach der Ruhe des Sommers. Schwerfälligkeit in den Vorbereitungen der Abreise, langes Vorherbestimmen des Reisetages kennt er nicht. Ein mäßiger Koffer genügt, um die Bedürfnisse für den Sommer aufzunehmen; in einer halben Stunde ist er gepackt; ein sonniger Morgen bestimmt den Entschluß zur Abfahrt. Nie sieht man den Feldmarschall heiterer, als wenn er im schlichten Civilanzug Berlin verläßt, um sich auf sein schlesisches Gut Creisau zu begeben. Ungeduldig die Ankunft des Zuges erwartend, wandelt er, die Hände auf den Rücken gelegt, den Perron des Bahnhofs Friedrichsstraße auf und ab. Wenn er das Interesse bemerkt, das seine Erscheinung erregt, zieht er sich möglichst zurück; er möchte am liebsten ganz unbemerkt bleiben, was ihm freilich nie gelingt; denn Jedermann kennt ihn und Alle grüßen ihn achtungsvoll. Regelmäßig wählt der Feldmarschall den Morgens nach Breslau abgehenden Schnellzug zur Reise. Er liebt es, am Tage zu reisen und vom Fenster des Koupés aus die Gegend zu betrachten. Bei der ihm eigenen scharfen Beobachtungsgabe entgeht Nichts seinem Blick. Er beobachtet den Stand der Saaten, die Verschiedenartigkeit des Anbaus, die Veränderungen der Vegetation, je mehr der Zug nach Osten vorrückt; er kennt jeden Höhenzug, jeden Flußlauf im Gelände; er weiß die Namen aller sichtbar werdenden Ortschaften zu nennen, ja selbst die Besitzer der meisten Güter, an denen die Eisenstraße vorbei führt. Immer wählt er seinen Platz so, daß er das Gesicht der Fahrtrichtung zuwendet; unbekümmert um Zug und Staub steht er am offenen Fenster, wenn in blauer Ferne die Kontouren des Riesengebirges sich abheben, und verfolgt mit den scharfen grauen Augen die Thäler und Höhenzüge. In weitester Entfernung erkennt er die feinen Linien der Chausseen; er weiß, von wo sie kommen, über welchen Gebirgsrücken sie führen, welche Ortschaften sie verbinden. Nie benutzt er ein Glas, um in die Ferne zu blicken; nur beim Lesen kleiner Schrift bedient er sich eines Binocles. Sein Blick hat ein eigenthümlichss Wahrnehmungsvermögen für jede geringste Abweichung von dem Horizontalen oder Senkrechten; die [525] unbedeutendste Neigung einer Mauer, einer Säule erkennt er sofort, wo die Augen von Hunderten, die täglich darauf ruhten, nichts bemerkten.

In Kohlfurt wird zu Mittag gespeist. Mitten unter den Gästen, die der Zufall hier an den bereit stehenden Tafeln zusammengeführt, sitzt der Feldmarschall. Es würde ihm nicht einfallen, vorher ein besonderes Diner zu bestellen; wo alle Anderen satt werden, wird es auch für ihn genügen. Flüsternd geht die Mittheilung von Tisch zu Tisch: „Das ist Moltke!“ und mit staunendem Interesse betrachten die Zunächstsitzenden ihren berühmten Tischnachbar.

In Schweidnitz wartet der Wagen, der Moltke nach halbstündiger Fahrt nach seinem Gute bringt.

Vor der Einfahrt in den geräumigen Gutshof steht eine 1870 gepflanzte Eiche, unter derselben ein Granitblock mit dem eingehauenen Datum: „Sedan 1. 9. 1870.“ Das große, im Renaissancestil erbaute Schloß liegt von den Wirthschaftsgebäuden getrennt durch eine grüne Mauer von Bäumen und Sträuchern. Zwei Kanonen sind vor demselben aufgestellt. Sie wurden dem Feldmarschall durch das Telegramm des Kaisers vom 18. August 1871 zum Geschenk gemacht und sind aus dem vorigen Jahrhundert stammende, in Soissons eroberte bronzene 15 Centimeter-Kanonen in Blocklafetten. Eine steinerne Treppe führt zu dem Portal des Schlosses hinan, durch das man in einen geräumigen Vorsaal tritt. Alle Zimmer des Schlosses sind groß und weitläufig. Nirgends zeigt sich eine Spur von Luxus; da sind keine Portièren, keine Teppiche, keine weichen Fauteuils, in denen man behaglich versinkt, nichts von all dem Komfort, mit dem die verwöhnten Wohlhabenden unserer Zeit ihre Häuslichkeit auszustatten lieben. Alles kennzeichnet die Bedürfnißlosigkeit des Besitzers. Moltke hat es niemals geliebt, sich zu verwöhnen; in seinem arbeitsvollen Leben war kein Raum für den Genuß träger Bequemlichkeit. Wie er, wenn er spricht oder schreibt, alles Ueberflüssige vermeidet, nur den Kern der Sache im Auge haltend, so hat auch alles Ueberflüssige des äußeren Lebens niemals Einfluß auf ihn gewinnen können, und wie er seine großen Erfolge hauptsächlich dem Umstand verdankt, daß keine Nebensache jemals die Richtung seines Blicks ablenkte oder irrte, da sein Auge immer das Richtige erkannte und festhielt, so legt er auch den Lebensformen, die ihn umgeben, nur wenig Werth bei. In antiker Größe betrachtet er die Arbeit als das Beste des Lebens und als den schönsten Genuß desselben das Bewußtsein strenger Pflichterfüllung. Wie die ganze Denkungsart und Sinnesweise dieses seltenen Mannes im wahrsten Sinne des Wortes vornehm ist, wie während eines langen thatenreichen Lebens niemals auch nur der Schatten einer selbstsüchtigen Handlung auf dieselben fiel, so ist auch der Eindruck des Heims, welches er sich geschaffen; ohne Prunk, ohne weichliche Bequemlichkeit, aber still, groß und vornehm.

Der Feldmarschall liebt sein Creisau, wie man eben seine eigene Schöpfung liebt, und in der That ist Creisau, wie es sich heute dem Auge zeigt, seine eigenste Schöpfung. Als er im Jahre 1868 das Gut kaufte, war es ziemlich vernachlässigt und heruntergekommen; jetzt ist es wirthschaftlich und landschaftlich eins der schönsten Güter im Kreise. Der Park, der sich an das Schloß anschließt, ist von dem Feldmarschall ganz neu geschaffen; er selber ging mit dem Nivellirinstrument in mühevoller Arbeit umher, den Lauf der Wege bestimmend, die er, jede unnöthige Steigung vermeidend, durch das hügelige Terrain führte; er selber bestimmte die Anpflanzung der Baumgruppen, die Anlage der Bosketts, die Ausfüllung von Vertiefungen, die Ausrodung unbrauchbaren Buschwerks. Zu Hunderten ließ er seinen Lieblingsbaum, die Eiche, pflanzen, wohl bewußt, daß nach menschlicher Berechnung er selber nicht mehr die Vollendung dessen erleben werde, was er schuf aber unbeirrt den Blick auf die Zukunft gerichtet. „In hundert Jahren muß es hier schön sein,“ äußerte er einst, und die Natur, dankbar für die Pflege, die ihr zu Theil ward, lohnt doch schon jetzt dem Manne, der sie liebt. Er, der mit 68 Jahren anfing, die ersten Bäume zu pflanzen, kann jetzt nach 20 Jahren schon in ihrem Schatten spazieren gehen; mächtig hat der gute Boden die Pflanzungen in die Höhe getrieben; die schwachen Bäumchen sind erstarkt; die Eichenalleen haben sich geschlossen, und schon tritt der Plan des Ganzen in die Erscheinung, den feinen Schönheitssinn des Schöpfers bekundend.

Grabkapelle im Park zu Creisau.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Dieser Park ist die stäte Freude und Beschäftigung des Feldmarschalls während seines Sommeraufenthalts. Auch in Creisau ist er immer früh auf. Er kennt nicht die vorbereitende Bequemlichkeit eines Morgennégligés. Schlafrock und Pantoffeln existiren nicht unter seinen Garderobestücken. Sobald er aufgestanden ist, kleidet er sich zum Ausgehen an; nie bedient er sich der Hilfe seines Dieners beim Ankleiden; kein Wetter hält ihn ab, stundenlang draußen zu sein. Die einzige Koncession, die er dem herabströmenden Regen macht, ist das Hinaufschlagen des Rockkragens, aber dann muß es schon stark kommen. Nachdem er, meist um sieben Uhr, seinen Kaffee getrunken hat, erledigt er bis gegen zehn Uhr schriftliche Arbeiten; dann geht es hinaus. In der Brusttasche des Rocks steckt die Gartenschere; in der Hand trägt er einen Stock, der sich zur Baumsäge spannen läßt. So wandert er, vom Alter kaum gebückt, durch die Gänge seines Parks, bleibt hier und dort stehen, um einen dürren Zweig abzusägen oder mit der Schere die Wildschößlinge zu beschneiden. Bisweilen muß ihn der Förster begleiten, um hier und da einen Baum zu fällen, der eine Aussicht verwachsen hat; denn schon sind die Anlagen auf dem Entwickelungspunkt angekommen, wo es den dichtgepflanzten Bäumen zu eng wird neben einander und wo der schwächere, der nach dem ewigen Gesetz der Natur neben seinen kräftigeren Nachbarn verkümmerte, weggeschlagen werden kann.

Nicht immer aber entschließt sich der Feldmarschall dazu, einem solchen verkümmerten Bäumchen vollends das Leben zu nehmen; oft wendet er gerade seine Sorgfalt einem Bäumchen zu, das nicht vorwärts kommen kann. Es ist derselbe Zug seiner Natur, die immer bereit ist, dem Schwachen zu helfen, der sich auch hier [526] bethätigt. Sorgfältig verschneidet er die überhängenden Zweige, um dem Kleinen Luft und Licht zu schaffen, und freut sich, wenn es ihm gelingt, Leben und Blühen bei demselben hervorzurufen. Wie er Hunderten seiner Mitmenschen geholfen hat und in seiner stillen Weise noch immer hilft, so zieht es ihn auch hier zu den Schwachen; dieser starke Geist, der in seiner Jugend die harte Schule des Lebens durchmachte, der aus eigener Kraft das geworden, was er ist, war immer bereit, von dem Ueberschuß seiner Kraft an den Schwächeren abzugeben, dem zu helfen, der nicht, wie er, es vermocht hat, den Kampf des Lebens zu bestehen ohne andere Stütze als die Energie des Willens und die hart erworbene Fähigkeit des Entsagens. In der Brust dieses schlichten Mannes schlägt ein warmes mitfühlendes Herz, und niemals hat er unter der Last seines Ruhms und seiner Ehren es verlernt, menschlich zu fühlen und zu handeln.

Bis an den Fuß eines mit Fichten dicht bewachsenen Hügels ziehen sich die Anlagen hin. Auf dem Gipfel desselben öffnet sich ein schöner Blick auf den ganzen Komplex des Gutshofes; weit hinten sieht man die Thürme der Stadt Reichenbach. Hier hat der Feldmarschall eine kleine Kapelle erbaut; in derselben steht ein Sarg, die Ueberreste seiner früh verstorbenen Gemahlin enthaltend. Fast täglich besucht er diesen stillen Ort, um einen Blüthenzweig, eine Rose auf den Sarg zu legen und mit entblößtem Haupt der Verstorbenen zu gedenken. Tiefe Stille herrscht hier oben; die dunklen Nadelhölzer stehen ernsthaft umher, und durch die blauglasigen Fenster fällt gedämpftes Sonnenlicht in den kleinen Raum. Um die Thür aber und über das Dach hinweg schlingt eine Kletterrose ihre üppigen Ranken; Tausende von Blüthen und Knospen winken herab mit duftender Pracht und umschließen wie die Verheißung immer neu erstehenden Lebens die Stätte des Todes.

Von dem Gutshof her tönt jetzt die Glocke, welche die Leute nach der Mittagspause zur Arbeit ruft. Es ist 1 Uhr, die Stunde des Mittagessens im Schloß. Eine Viertelstunde vor Beginn desselben wird vor dem Hause das Tamtam gerührt, um alle Bewohner zum Essen zusammen zu rufen; denn nicht einsam lebt der Feldmarschall in diesem. Einer seiner Neffen, ein anerkannt tüchtiger Landwirth, führt ihm die Bewirthschaftung des Gutes; ein zweiter, Hauptmann im Generalstab, ist sein Adjutant und begleitet ihn für den Sommer nach Creisau, mit ihm seine junge Frau, eine geborene Komtesse Moltke, und deren drei Kinder. Diese ganze Familie sammelt sich um den Mittagstisch. Der Feldmarschall ist ein großer Kinderfreund. Willig läßt er sich von den Kleinen aus seinem Arbeitszimmer heraus an den Tisch ziehen; freundlich fragt er nach ihren kleinen Erlebnissen und dankt für die Blumen, die sie ihm während seiner Abwesenheit auf den Arbeitstisch gestellt haben.

Das Mittagsmahl selbst geht rasch vorüber. Der Feldmarschall liebt es nicht, lange bei Tisch zu sitzen. Im höchsten Grade mäßig, ißt er nur wenig und liebt einfache Hausmannskost. Sein tägliches Getränk ist ein leichter Moselwein, von dem er jedoch kaum eine halbe Flasche täglich genießt. Nach Tische wird eine Cigarre angesteckt; dann zieht sich der Feldmarschall zurück, um eine Stunde zu ruhen, die eingelaufenen Zeitungen zu lesen und Unterschriften zu erledigen.

Das Arbeitszimmer des Feldmarschalls ist im höchsten Grade einfach gehalten. Weiße Tüllgardinen vor den Fenstern, damit das Licht frei hereinfallen könne, ein großer offener Schreibtisch mit einem einfachen Rohrsessel davor, ein alterthümliches Sofa mit einem Mahagonitisch machen so ziemlich das Ameublement aus. Ein eigenthümlicher Schmuck ist ein fast die ganze eine Wand einnehmender Stammbaum der Familie Moltke. Es ist dieses eine Arbeit des Feldmarschalls, die Frucht mühevollsten Studiums in vielen ihm bereitwillig geöffneten Archiven und Kirchenbüchern. Vom Jahre 1220 beginnend, wo der Stammvater des Geschlechts, ein Ritter Mathäus Moltke, zuerst aktenmäßig nachweisbar ist, breitet sich die Familie, ohne Unterbrechung von Vater auf Sohn weitergeführt, in die verschiedensten Zweige aus; in Schweden, Oesterreich, Württemberg, Preußen leben Angehörige des Geschlechtes; in Dänemark gehören dieselben zu den reichst begüterten des Landes. Durch fünf Jahrhunderte erhielt sich der alte Stammsitz der Moltkes Toitenwinkel und Samow in Mecklenburg in dem Besitz des Zweiges, dem der Feldmarschall entsprossen ist und der bereits drei Feldmarschälle aufweist. Noch der Vater Moltke’s war in Mecklenburg angesessen, bis die Napoleonischen Kriegsjahre ihm auch diesen letzten Besitz entrissen. Jetzt hat der Feldmarschall sich aufs Neue angesiedelt in den lieblichen Fluren Schlesiens, umgeben von den Schlachtfeldern des großen Königs.

Nachmittags wird, wenn das Wetter es nur irgend zuläßt, spazieren gefahren, immer im offenen Wagen. Wie man den Feldmarschall selbst bei schlechtestem Wetter nie mit einem Regenschirm sieht, so sieht man ihn auch nie im geschlossenen Wagen. Sein eiserner, durch die Strapazen seiner zahlreichen Reisen abgehärteter Körper scheint unempfindlich gegen die Unbilden der Witterung, und wenn er ausfährt, so will er auch sehen. Meilenweit durchstreift er im Wagen die Umgegend. Wenn er eine größere Tour unternimmt, bezeichnet er vorher auf der Karte den Weg, der gefahren werden soll, und giebt nachher aus dem Gedächtniß dem Kutscher die Straßen an, die er einzuschlagen hat, sich niemals auch nur in der Wahl eines Feldweges irrend.

Wenn Besuch im Hause ist, wenn die jüngere Generation der Neffen und Nichten sich um den Chef der Familie versammelt hat, dann liebt es der Feldmarschall, sich Nachmittags am Croquett zu betheiligen. Er kann unermüdlich eine Partie nach der andern spielen, fast immer des Sieges gewiß. Abends um 8 Uhr wird Thee getrunken. Der Morgenkaffee, das Mittagessen um 1 Uhr und Abends der Thee sind die einzigen Mahlzeiten, die der Feldmarschall genießt. Niemals hat er Essen und Trinken als etwas Anderes betrachtet, als die Befriedigung einer natürlichen Nothdurft; niemals hat er den materiellen Genüssen des Lebens eine Herrschaft über sich eingeräumt. Wie er ein mäßiger Esser ist, so ist er auch ein mäßiger Raucher; dagegen ist er, wie Viele, die geistig angestrengt arbeiten, ein starker Schnupfer und geht nie aus, ohne die Dose bei sich zu führen.

Nach dem Thee kommt der allabendliche Whist. Es ist bekannt, daß der Feldmarschall fast keinen Abend hingehen läßt, ohne seine Partie zu machen. Während aller Feldzüge, die er leitete, war die Partie seine tägliche Erholung. Er gebrauchte sie, um seine Gedanken auf etwas Mechanisches abzuleiten, sie gewissermaßen zu einer Ruhepause zu zwingen. Um gut zu spielen, mußte er dem Gang des Spieles aufmerksam folgen, und wie er nichts, was er unternimmt, halb thut, so beherrscht er auch dies Spiel mit vollendeter Meisterschaft.

Sonntags besucht der Feldmarschall regelmäßig die in dem eine halbe Stunde entfernten Dorf Gräditz gelegene Kirche. Meistens geht er zu Fuß hin und zurück. Als ihm einst einer seiner Verwandten Vorwürfe machte, daß er bei Regen und Wind nicht habe anspannen lassen, um zu fahren, antwortete er: „Bei dem Wetter konnte ich doch unmöglich Kutscher und Pferde hinausjagen.“ Diese Rücksichtnahme auf Andere kennzeichnet vollkommen den Mann, der niemals an sich selber denkt, der oft in fast herber Weise ihm gebotene Dienstleistungen zurückweist, von Jugend auf gewohnt, sich selber zu helfen, und dem es peinlich ist, wenn er bemerkt, daß seinetwegen Umstände gemacht werden.

Von Zeit zu Zeit kommt einer der Officiere vom großen Generalstab von Berlin herüber zum Vortrag. Dann kann der Feldmarschall wieder Tage lang am Schreibtisch sitzen, bis die Arbeit beendet ist und er wieder die Muße findet, sich des Landlebens zu freuen. Dann wandelt er wieder unter seinen Bäumen einher: die schlanke Gestalt im einfachen Gehrock ist etwas vornüber gebeugt; der Schritt ist noch immer elastisch und leicht; das gänzlich bartlose Gesicht von zarter blasser Farbe mit seinem fein geschnittenen Profil zeigt die Runzeln des Alters. Aber in diesen festen charaktervollen Kopf hat das Leben nicht die tiefen Furchen eingegraben, welche Genüsse und Leidenschaften hinterlassen; nur die geistige Arbeit hat ihre edlen Linien auf seine hohe Stirn und um die ernsten Augen gezogen. Edel und vornehm ist die ganze Erscheinung, über der wie ein Hauch die Reinheit eines langen Lebens liegt, das nie getrübt wurde von Allem, was niedrig ist.