Oberlandesgericht Zweibrücken - Jüdische Friedhöfe

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Titel: Oberlandesgericht Zweibrücken – „Jüdische Friedhöfe“
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aus: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) 1997, S. 363-364
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Siehe Archivrecht
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Oberlandesgericht Zweibrücken, Urteil vom 21. Februar 1997 – 2 U 30/96 – „Jüdische Friedhöfe“

Der Kl. begehrt Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz wegen angeblicher Verletzung seines Urheberrechts.

Der Kl. ist Schriftsteller und Historiker. Im Auftrag der Stadt L. erstellte er in den Jahren 1986 bis Anfang 1988 eine Gesamtdokumentation der jüdischen Friedhöfe in L. und Le. Nach Fertigstellung wurde diese in einer Feierstunde im Februar 1988 der Stadt L. übergeben, wo sie anschließend im Stadtarchiv verwahrt wurde. Verhandlungen des Kl. zur Veröffentlichung der Dokumentation als sogenanntes „Memor-Buch“ mit der Stadt L. scheiterten aus finanziellen Gründen.

Mit Schreiben vom 30. 5. 1988 erteilte der Kl. an den Stadtbürgermeister Anweisung, keine Fotokopien von der Dokumentation für Institutionen oder Private auszufertigen. Lediglich Kopien von einzelnen Seiten für Veröffentlichungen oder an Angehörige von Verstorbenen sollten bei Angabe seines Copyright weitergegeben werden dürfen.

Die Bekl. zu 2) ist als Stadtarchivarin bei der Stadt L. beschäftigt; der Bekl. zu 1), ihr Ehemann, ist Studiendirektor a. D. Nach Erstellung der Dokumentation durch den Kl. erschien ein von der Stadt L. herausgegebenes, von den Bekl. verfaßtes Buch mit dem Titel „Die ehemalige jüdische Gemeinde in L., Erinnerung und Gedenken“. Die zweite Auflage dieses Buches erschien im Jahre 1992. In diesem Buch befinden sich zahlreiche Zitate aus der Dokumentation des Kl.

Mit Schreiben vom 18. 5. 1993 forderte der Kl. von den Bekl. – erfolglos – u. a. die Einstellung des Verkaufs des Buches, die Abgabe einer Unterlassungserklärung und Rechnungslegung.

Der Kl. hat vorgetragen: Seine Dokumentation stelle als eine persönliche geistige Schöpfung im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit ein urheberrechtlich geschütztes Werk dar, aus dem die Bekl. unberechtigt ganze Passagen, Wortlaute und Zitate übernommen hätten. Eine generelle Erlaubnis zum Gebrauch habe er jedoch nicht erteilt (wegen des erstinstanzlichen Vortrags des Kl. und der von ihm gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen).

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme (Einholung einer amtlichen Auskunft der Stadt L.) hat das LG durch Teilurteil dem Unterlassungsbegehren des Kl. stattgegeben, außerdem den Anspruch auf Auskunftserteilung teilweise zuerkannt.

Gegen dieses Urteil haben die Bekl. Berufung eingelegt.


Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufung der Bekl. bleibt in der Sache ohne Erfolg, denn das LG hat dem Kl. zu Recht die von ihm geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Auskunft zuerkannt. Die von der Bekl. mit ihrer Berufung hiergegen erhobenen Einwände sind nicht stichhaltig.

I. …

II. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist § 97 Abs. 1 UrhG, bezüglich des Auskunftsverlangens in Verb. mit §§ 242 , 259 , 260 BGB.

Die Bekl. sind als Autoren des Buches „Die ehemalige jüdische Gemeinde in L.“ passivlegitimiert. Die Ansprüche aus dem Urhebergesetz richten sich zunächst gegen denjenigen, der die Rechtsverletzung selbst begangen, d. h. bewußt verwirklicht hat, wobei ein Unrechtsbewußtsein nicht erforderlich ist. Mehrere Mittäter haften als Gesamtschuldner (§ 830 Abs. 1 BGB), so daß der Verletzte es in der Hand hat, alle in Anspruch zu nehmen oder einen herauszugreifen. Die Rechtsverletzung begangen hat jeder, dessen Verhalten für die Verletzung ursächlich gewesen ist (vgl. Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 8. Aufl., § 97 Rdn. 16). Ein solcher adäquater Kausalzusammenhang besteht zwischen dem beanstandeten Verhalten der Bekl. und der eingetretenen Rechtsverletzung.

Daß daneben eventuell auch die Stadt L. als Herausgeberin des Buches urheberrechtlich in Anspruch genommen werden kann (vgl. Fromm/Nordemann, a.a.O., zur Haftung von Veranstalter und Musiker), ist im Verhältnis zwischen Kl. und Bekl. unerheblich.

1. Voraussetzung für die oben genannten Ansprüche ist, daß es sich bei den Dokumentationen über die jüdischen Friedhöfe in L. und Le. (auch „Gesamtdokumentation“ genannt), um ein geschütztes Werk des Kl. im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 (Schriftwerk) bzw. Nr. 7 (bezüglich der Lagepläne und Skizzen) UrhG handelt.

a) Dies hat das LG unter Hinweis auf die auf einer Konzeption beruhende wissenschaftliche Bearbeitung der gesammelten und kommentierten, bzw. übersetzten Texte (vgl. BGH GRUR 1980, 227, 231 – Monumenta Germaniae Historica) zutreffend bejaht. Die von den Bekl. hiergegen erhobenen Einwendungen sind unbegründet.

Daß einige der vom Kl. aufgeführten Arbeitsgänge – für sich gesehen – nicht den Werkbegriff des Urheberrechts nicht erfüllen, ist unerheblich. Diese Arbeiten belegen jedoch die erforderliche Forschungsarbeit, deren Ergebnis in den nachfolgenden Dokumentationen abschließend sprachlich Ausdruck gefunden hat. Die Tätigkeit des Kl. erschöpfte sich nämlich nicht nur in der bloßen Numerierung der Gräber und der Übersetzung der hebräischen Grabinschriften.

Ebenso unerheblich für die Stellung des Kl. als Urheber ist, wer die tatsächlichen Arbeiten auf seine Veranlassung ausgeführt hat, so daß eine Beweisaufnahme hierüber entbehrlich ist.

aa) Soweit die Bekl. die Schutzfähigkeit der Dokumentationen damit bestreiten, es habe sich bei der Übersetzung der Grabinschriften nur um einfache Übersetzungen gehandelt, führt dies ebenfalls zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Abgesehen davon, daß die Übersetzung nur eine Einzeltätigkeit im Rahmen der Erstellung der Gesamtdokumentation darstellte, beinhalten Übersetzungen grundsätzlich eigenschöpferische Leistungen, da die neue Sprachform Einfühlungsvermögen und stilistische Fähigkeiten erfordert und damit den individuellen Geist des Übersetzers zum Ausdruck bringt (vgl. Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht, 6. Aufl., S. 113; Schricker/Loewenheim, a.a.O., § 3 Rdn. 18). Nach dem unstreitigen Inhalt der „Vorworte“ zu seinen Dokumentationen hat der Kl. diese Inschriften sinngemäß übersetzt. Die generelle Schutzfähigkeit von Übersetzungen gilt hier um so mehr, als für Übersetzungen dieser Art besondere kulturgeschichtliche Kenntnisse erforderlich sind. Mit den in der Literatur (vgl. z. B. Hubmann, a.a.O.; Schricker/Loewenheim, a.a.O.) genannten Ausnahmefällen (routinemäßige Übersetzung eines Geschäftsbriefes, eines Theaterprogramms, einer Speisekarte, Gebrauchsanweisung oder Erzeugnis eines Übersetzungscomputers) ist der vorliegende Fall der Übersetzung alter Grabinschriften nicht vergleichbar.

bb) Die Tatsache, daß beide Bekl. an den Vorarbeiten zur Erstellung der Dokumentationen beteiligt waren, entwertet nicht die schöpferische Leistung des Kl., da dies nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien in einer dem Kl. als Beauftragtem der Stadt L. untergeordneten Funktion, somit als Gehilfe, nicht als Miturheber (vgl. zu diesem Begriff: Fromm/Nordemann, a.a.O., § 8 Rdn. 5) geschehen ist.

Bei der Bekl. zu 2) folgt dies schon aus ihrer Stellung als Stadtarchivarin; der Bekl. zu 1) hat seine privaten [364] Geschichtskenntnisse dem Kl. zur Verfügung gestellt. Die dienende Funktion ihrer Mitarbeit vor Erstellung der Dokumentationen wird auch aus dem von den Bekl. selbst vorgelegten „Vorwort“ des Kl. zu seiner Arbeit deutlich.

2. Die Bekl. haben gegen das Urheberrecht des Kl. verstoßen, indem sie Teile seines Werkes durch die Übernahme in ihr Buch erstmals veröffentlicht haben, obwohl gemäß § 12 UrhG dem Urheber selbst das Recht zusteht, zu bestimmen, ob und wie sein Werk veröffentlicht werden soll. Dem Urheber ist es auch vorbehalten, den Inhalt seines Werkes öffentlich mitzuteilen oder zu beschreiben, solange weder das Werk noch der wesentliche Inhalt oder die Beschreibung des Werkes mit seiner Zustimmung veröffentlicht ist.

Ob die Bekl. darüber hinaus durch Übernahme einzelner Textstellen – wie das LG (ausschließlich) meint – auch gegen das Vervielfältigungsrecht des Kl. als Urheber (§ 16 UrhG) verstoßen haben, kann offenbleiben. Wenn nichtveröffentlichte Werke der Literatur oder Musik durch Dritte ohne Erlaubnis des Urhebers öffentlich zur Schau gestellt werden, ist jedenfalls § 12 Abs. 1 UrhG verletzt (vgl. Fromm/Nordemann, a.a.O., § 12 Rdn. 9).

a) Das Werk des Kl. war – wie das LG zutreffend ausgeführt hat – weder veröffentlicht (§ 6 Abs. 1 UrhG) noch erschienen (§ 6 Abs. 2 UrhG). Das unveröffentlichte Werk genießt jedoch ebenso urheberrechtlichen Schutz wie das veröffentlichte oder erschienene (vgl. Hubmann, a.a.O., S. 94).

aa) Die Veröffentlichung eines Sprachwerkes setzt voraus, daß es einem nicht bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen zugänglich gemacht wird (vgl. Fromm/Nordemann, a.a.O., § 6 Rdn. 1; Schricker/Katzenberger, a.a.O., § 6 Rdn. 11; Hubmann, a.a.O., S. 95).

Der Kl. hat jedoch seine Gesamtdokumentation der Stadt L. übergeben, wo sie im Stadtarchiv verwahrt wird und laut Auskunft der Stadt L. und der beigefügten Benutzungsordnung für das Archiv nur bei Nachweis eines besonderen Interesses eingesehen werden darf. Dies stellt keine Veröffentlichung an einen unbestimmten Personenkreis dar (vgl. Schricker/Katzenberger, a.a.O., § 6 Rdn. 14). Die (evtl.) öffentliche Vorstellung der Gesamtdokumentation des Kl. in einer Feierstunde und der Bericht hierüber in der Tagespresse stellen keine Veröffentlichung im Sinne des UrhG dar.

bb) Das Werk des Kl. ist auch nicht erschienen, da – abgesehen von der fehlenden Öffentlichkeit – dies die Herstellung einer ausreichenden (mindestens 50 Exemplare, vgl. z. B. Fromm/Nordemann, a.a.O., § 6 Rdn. 2) Zahl von Vervielfältigungsstücken voraussetzen würde. Diese Anzahl ist jedoch nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien keinesfalls erreicht.

b) Beide Bekl. haben gegen dieses Veröffentlichungsrecht des Bekl., das sämtliche Teile seines Werkes erfaßt, verstoßen, indem sie einzelne Passagen aus den Dokumentationen in ihrem Buch wiedergegeben haben. Der Umfang der Wiedergabe ist unstreitig, da die Bekl. der (vom Senat überprüften) Auflistung des Kl. hinsichtlich der beanstandeten Textstellen nicht widersprochen haben.

– Der Vortrag der Bekl., der vom Bekl. zu 1) verfaßte historische Teil des Buches beruhe auf einer eigenständigen Leistung und sei bereits 1987, d. h. zeitlich vor Übergabe der Dokumentationen des Kl. im Februar 1988, fertiggestellt gewesen, ist schon deshalb nicht richtig, weil in diesem Text mehrere Zitate aus dem Werk des Kl. enthalten sind, zum Teil sogar komplette Textübernahmen. Inwieweit der historische Teil auf eigenen Forschungen des Bekl. beruht, ist angesichts der offensichtlichen Übernahme der vom Kl. übersetzten Grabinschriften unerheblich. Soweit der Bekl. zu 1) sich auch in diesem Zusammenhang wiederum darauf beruft, er habe dem Kl. selbst historische Einzelheiten mitgeteilt, ist dies als Hilfstätigkeit urheberrechtlich ohne Belang.

– Die Bekl. zu 2) hat bei der Abfassung des sogenannten familiengeschichtlichen Teils des Buches durch vielfache Übernahme von Personendaten und auch der Numerierung der Gräber aus den Dokumentationen des Kl. gegen dessen Urheberrecht verstoßen. Soweit sie sich auf eigene Nachforschungen in alten Archiven und Melderegistern beruft, verkennt sie wiederum, daß – zumindest bezüglich der vom Kl. übernommenen Textstellen – dies in Hilfstätigkeit für diesen Kl. erfolgt ist.

Der Vortrag der Bekl. zur früheren „Konzeption“ der Familientafeln durch die Bekl. zu 2) ist ebenfalls schon mangels substantiierten Vortrages dieser „Konzepte“ unsubstantiiert, das diesbezügliche Beweisangebot außerdem grundsätzlich unzulässig.

c) Das Verhalten der Bekl. war rechtswidrig.

aa) Beide Bekl. können sich angesichts der Tatsache, daß das Werk des Kl. nicht veröffentlicht oder erschienen ist, nicht auf das Zitierrecht des § 51 Nr. 1 und 2 UrhG berufen, wie das LG zutreffend ausgeführt hat.

bb) Die Bekl. können sich auch nicht auf die allgemeine Erlaubnis des Kl. gegenüber der Stadt L. vom 30. 5. 1988 berufen, da darin ausdrücklich nur die Herstellung von Fotokopien einzelner Seiten der Dokumentationen, nicht jedoch die Übernahme des Ergebnisses der Forschungen des Kl. in anderen Druckwerken erlaubt ist. Dies wird auch deutlich durch den Vorbehalt des Kl. bezüglich möglicher Veröffentlichung in dem jeweiligen Deckblatt seiner Dokumentationen. Dieser Vorbehalt umfaßt durch den Zusatz „oder andere Formen der Veröffentlichung“ auch die Wiedergabe von Teilen des Werkes des Kl., wie es die Bekl. getan haben. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Urkunde ist eine Beweisaufnahme hierüber nicht erforderlich.

cc) Die Bekl. können sich auch nicht auf eine besondere, speziell ihnen vom Kl. erteilte Erlaubnis berufen. Weder die Tatsache, daß der Kl. der Bekl. zu 2) eine Kopie der Dokumentation bezüglich des Friedhofs in Le. überlassen hat – ohnehin nur ein Teil der Gesamtdokumentation – noch die Tatsache, daß der Kl. von der Absicht der Bekl. wußte, ein Buch über die ehemalige jüdische Gemeinde zu veröffentlichen, erfüllt die notwendigen Voraussetzungen der Einräumung von Nutzungsrechten (§ 31 UrhG), die einen rechtsgeschäftlichen Vertrag voraussetzt (vgl. Fromm/Nordemann, a.a.O., vor § 31 Rdn. 12).

Anmerkungen (Wikisource)

Bei dem Buch, das in diesem Urteil behandelt wird, handelt es sich um: Anton und Anita Rings: Die ehemalige jüdische Gemeinde in Linz am Rhein; Erinnerung und Gedenken. Stadt Linz am Rhein, 1989