Old Bailey und das neue Geschwornengericht von Hayti

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Titel: Old Bailey und das neue Geschwornengericht von Hayti
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aus: Das Ausland, Nr. 72. S. 287–288.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Old Bailey und das neue Geschwornengericht von Hayti.


Der neue Straf-Codex von Hayti, welcher im Anfang des Jahres 1827 publicirt wurde, setzt in Criminalsachen die Entscheidung durch Geschwornengerichte fest. Am letzten 15. November fand in Port-au-Prinze die erste Sitzung der Assisen in dem Justizpalaste statt, welcher zu diesem Zweck besonders eingerichtet und erweitert worden war. Die Verhandlungen wurden durch den ältesten Richter und den Regierungs-Commissär, Bürger Ardouin, eröffnet, welcher an die Jury zwei Reden voll edler Gedanken und freisinniger Grundsätze richteten. „Die Fortschritte der Bildung,“ sagte der Richter-Senior, „haben gegenwärtig in jedem Volke den Wunsch aufgeregt, jene liberale Institution wieder ins Leben zu rufen, deren Ursprung sich in der Nacht der Jahrhunderte verliert, und welche nur durch finstern, argwöhnischen Despotismus unterdrückt werden konnte. In England, wo ihr wohlthätiger Einfluß schon seit langer Zeit gefühlt wird, wurde sie von dem berühmten Blackstone als die stärkste Schutzmauer der Freiheit, als das heiligste Bollwerk der Nation bezeichnet.“

Die erste Person, welche nun in Hayti von einer Jury gerichtet wurde, war eine Frau, die Bürgerin Genevieve Bastian, angeklagt, in dem Hause des Bürgers Destruisseau Bellanton, mit dem sie lebte, Feuer eingelegt zu haben, wie es schien aus Eifersucht und Rache. Sie war, als sie das Verbrechen beging, in vorgerückter Schwangerschaft – ein Zustand, in welchem, wie ihr Vertheidiger bemerkte, viele Frauen ihres Geistes nicht ganz mächtig sind. Während der Untersuchung hatte, wie es schien, die Gefangene auch wirklich mehrere Anzeichen von Verstandesverwirrung gegeben, und selbst der Ankläger gab zu, daß Genevieve nicht immer richtig im Kopf gewesen sey. Die Angeklagte bekannte sich zu dem Verbrechen mit einer Art wahnsinniger Heftigkeit, und beschrieb in der leidenschaftlichsten und unwilligsten Sprache, wie sie zu jener Rache durch die fortgesetzte üble Behandlung, Hintansetzung und die zahllosen Treulosigkeiten Bellantons getrieben worden sey.

Das Geschwornengericht sprach sie von dem Verbrechen der Brandstiftung frei, weil sie sich in jenem Augenblicke in einem Zustande temporärer Geistesverwirrung befunden habe. Nachdem der Richter-Senior ihre Freisprechung verkündigt hatte, befahl er, sie unverzüglich in Freiheit zu setzen.

Nun kam die Sache des Capitain Carl Augustin, der als Mörder angeklagt war, zur Berathung. Am 17. Juli 1827 hatte Capitain Augustin mit seiner Frau zu Hause über das tadelnswerthe Betragen einiger seiner Schuldner gesprochen, unter welchen er den Bürger Charlemagne erwähnte, ihren nächsten Nachbar, mit dem er schon seit einiger Zeit in Feindschaft lebte. Charlemagne hörte davon, begann auf Augustin zu schimpfen, welcher seinerseits ebenfalls wieder auf ihn schimpfte. Nun drohte Charlemagne mit Thätlichkeiten, drang, trotz der Gegenvorstellungen des Capitain Laventure, eines andern Nachbarn, [288] in Augustins Wohnzimmer, und wollte von da in das anstoßende Schlafzimmer, in welchem Augustin gerade war, eindringen. Dieses Cabinet war von dem Wohnzimmer blos durch einen mit Leinwand überzogenen Lattenverschlag getrennt. Augustin, der fieberkrank darniederlag, zog seinen Säbel, und da Charlemagne sich nicht wollte abhalten lassen, ins Zimmer zu dringen, wobei der stets drohte, Augustin zu mißhandeln, so stach letzterer mit seinem Säbel durch den Leinwandvorhang, und verwundete Charlemagne nahe beim Herzen. Dennoch machte dieser noch einen wiederholten Versuch, ins Schlafzimmer zu dringen, ward aber durch Capitain Laventure und durch die Tochter des Angeklagten zurückgedrängt. Er kehrte nach Hause zurück, und verschied nach wenigen Minuten. Capitain Laventure und andere Zeugen bestätigten das friedliche Benehmen des Angeklagten, und die häufigen Versuche von Beleidigungen und Gewaltthätigkeiten, welche der Verstorbene gegen ihn gemacht habe.

Nach einer sehr geschickten Rede des Vertheidigers des Angeklagten an die Jury, ward dieser vollkommen freigesprochen, augenblicklich in Freiheit gesetzt, und ihm sein Säbel von einem der Beamten des Gerichtshofs zurückgestellt.

Liest man diese großmüthigen Aussprüche über zwei des Todes Angeklagte, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Assisen von Port-au-Prince die Eröffnung des Geschwornengerichts durch Milde und durch menschliche Berücksichtigung der Leidenschaft ehren wollten. Welche Ansicht auch der Jurist über eine solche Beurtheilung von Vergehen haben mag, so legt es doch ein ehrenvolles Zeugniß für Hayti ab, daß diese Neger-Jury die europäischen Gerichte an Menschlichkeit übertrifft, ohne von der Straflosigkeit des Vergehens eine gefährliche Rückwirkung auf den Staat befürchten zu dürfen.

Man vergleiche mit den obigen Aussprüchen einmal[WS 1] die beiden folgenden, welche am 23. vor. Mts. von einer Jury in London gefällt wur. den.[1]

(Old-Bailey, vor dem Richter Gasellen.) Joseph Lefevre und Heinrich Freeman, zwei kleine Knaben, jener von 13, dieser von 12 Jahren, deren Kopf kaum bis an das Gatter der Gerichtsstube reicht, stehen auf den Tod angeklagt, weil sie in das Wohnhaus von James Bennet eingebrochen und dort zwei Päckchen Spielkarten, im Werth von einem Schilling (ungefähr 30 Kreuzer) gestohlen haben sollen.

Der Ankläger hält einen kleinen Laden in der Hackney-Straße. Am 1. Februar bemerkte man, nachdem es etwas dunkel geworden war, die beiden Buben um den Kramladen schleichen. Nach einiger Zeit brach der kleine Lefevre eine Fensterscheibe ein, nahm die zwei Päckchen Spielkarten heraus, und reichte sie seinem Kameraden. Sie waren eben im Begriff die Päckchen zu öffnen, aber ein Nachbar, der Zeuge des ganzen Vorfalls gewesen war, sprang herbei, zugleich hörte die Frau des Kramladens das Geräusch, und die beiden Buben wurden augenblicklich in Verhaft gebracht.

Der Richter erkundigte sich bei den Zeugen genau nach dem Zustande der Fensterscheibe; aber es schien, daß, obgleich sie einen Sprung hatte, sie doch durch Kitt wieder gut befestigt worden war. Die Karten wurden vorgewiesen. Es waren gewöhnliche Kinderspielkarten, wie man sie für 3 oder 4 Pence (8 bis 10 Kreuzer) das Päckchen kauft. Verschiedene Personen bezeugten, daß die Knaben sonst von gutartigem Character seyen.

Mr. Gasellee legte nun der Jury die Sache vor. Er machte sie darauf aufmerksam, wie er durch jede mögliche an die verschiedenen Zeugen gerichtete Fragen den schwersten Punkt der Anklage aus dem Wege zu räumen versucht habe; leider aber sey ihm dieß nicht gelungen. Der Einbruch in ein Wohnhaus sey klar erwiesen, und dieß sey, dem Gesetze zufolge, ein Capitalverbrechen, wie unbedeutend auch der Werth des gestohlenen Eigenthums seyn möge. Trotz des zarten Alters der Angeklagten, habe die Jury doch blos auszusprechen, ob sie den Zeugen glaube oder nicht. Glaube sie ihnen (und er sehe nicht ein, wie sie anders thun könnten) so bleibe ihr keine Wahl als die Angeklagten schuldig zu finden. Was ihr endliches Schicksal seyn werde, das müsse ein Höherer[2] entscheiden, der diesem Falle jede mögliche Aufmerksamkeit schenken werde.

Nach einer Berathung von einigen Minuten erklärten die Geschwornen die beiden Knaben des Todes schuldig, doch würdig der Begnadigung, wegen ihrer großen Jugend und ihres sonstigen guten Characters. Auch die Frau des Anklägers bat um ihre Begnadigung.

Nun werden zwei junge Freudenmädchen, Eleonora Bryant und Maria Ryan, jene 17, diese 18 Jahre alt, vorgeführt. Sie sind angeklagt, die Elisabeth Locker auf des Königs Landstraße (on the King’s highway angefallen, und ihr mit Gewalt ihren Mantel vom Leibe gerissen zu haben.

Die Anklägerin ist ein armes Weib, welche in der Nacht, in der sie beraubt wurde, von ihrer Arbeit nach Hause zurückkehrte, aber mit ihrer Hausvermietherin Streit bekam, und nun nicht wußte, wo sie übernachten sollte. Sie stand in der Edgeware-Straße, als die beiden Mädchen auf sie zukamen, und sie fragten, warum sie hier stehe. Sie erzählte ihnen ihren Fall, worauf diese sich sogleich erboten, sie für diese Nacht bei sich zu behalten. Das Weib nahm das Anerbieten an, und begleitete sie. Die Mädchen aber gingen quer über einen freien Platz auf einen Teich zu, der hier zum Behuf eines öffentlichen Canals gegraben worden war. Hier angekommen, stieß Bryant die Frau in den Teich, schlug auf sie, kniete auf ihren Rock, um sie zu verhindern, wieder aus dem seichten Wasser herauszukommen, während Ryan ihr den Mantel vom Leibe zog, den sie den andern Morgen verkaufen wollte, bei welcher Gelegenheit man denn beide Mädchen festsetzte.

Sie läugneten die Thatsache selbst nicht, nur schob immer eine die Schuld auf die andere, woraus die vollständigste Verwirrung entstand.

Die Geschwornen beriethen sich, und fällten das Urtheil: Schuldig – Tod!


  1. Morning-Herald, February 25.
  2. Der König, dem das Recht der Begnadigung zusteht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: niemal, vergl. Seite 306, unten