Pomologische Monatshefte:1. Band:7. Heft:Zur Beseitigung der Namenverwirrung in der Pomologie

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Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 7, Seite 311–313
Eduard Lange
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Ueber die fragliche Identität von Liegel’s Dechantsbirn mit der Holzfarbigen Butterbirn
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Sollen wir unsere Obstbäume durch Aussäen von Kernen vorzüglicher Früchte, ohne Veredlung heranzuziehen suchen …?
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Zur Beseitigung der Namenverwirrung in der Pomologie.

Ueber die Namenverwirrung in der Pomologie klagen die Theoretiker wie die Praktiker mit gleichem Rechte, und es sind schon mancherlei Versuche gemacht worden, dieses Uebel zu heilen. Die pomologischen Schriftsteller haben, seit Oberdieck damit wieder rühmlich vorgegangen, mit erneutem Eifer die Synonymen gesammelt und dadurch aufmerksamen und gründlichen Obstzüchtern allerdings ein neues Mittel geboten, sich durch die Irrgänge dieser Wissenschaft hindurch zu winden. Nur darf es ihnen dabei nicht an gehöriger Muse, Ruhe und Beharrlichkeit fehlen. Sonst werden sie vor den Synonymen in v. Biedenfeld’s „Handbuch aller bekannten Obstsorten“ nicht minder zurückschrecken als vor denen in Dochnahl’s „Sicherem Führer zur Obstkunde.“ Zum Beleg will ich nun den Rothen Stettiner anführen, für den v. Biedenfeld 60 Synonymen ohne Autorennamen, Dochnahl aber zuerst ebenfalls 60 ohne deren Autoren und dann noch 14 mit Angabe der Autoren aufzählt, so daß man, wenn dieser Namen-Sammlerfleiß noch weiter fortschreitet, wohl fürchten muß, mit der Zeit jeder nur einigermaßen verbreiteten Obstsorte fast unter allen nur möglichen Namen zu begegnen. Es dürfte daher auch hierin bald ein bestimmtes Maß zu halten seyn, indem man sich z. B. auf die Synonymen beschränkt, die entweder in anerkannten pomologischen Werken gebraucht sind, oder für die man wenigstens die Gegend bestimmt anführen kann, in welcher sie allgemein in Gebrauch sind, wie dieß Letztere namentlich Lucas in seinen „Kernobstsorten Württembergs“ gethan hat. Dabei wird es aber, trotz der sorgfältigsten Beschreibungen, noch immer möglich bleiben, daß man unter einem und demselben Namen in zwei verschiedenen Gegenden zwei äußerlich wohl ähnliche, dennoch aber verschiedene Obstsorten baut und an beiden Orten ächt zu haben glaubt. Noch häufiger aber wird trotz den ausführlichsten und genauesten Beschreibungen der andere Fall vorkommen, daß man nämlich in verschiedenen Gegenden eine und dieselbe Obstsorte lange unter zwei verschiedenen Namen fortzüchtet und selbst in pomologischen Werken beschreibt, ohne ihre Identität zu ahnen. Ueberhaupt können die Bücher mit ihren Abstractionen nie die Sinnenwahrnehmungen, denen diese entnommen sind, ersehen, zumal bei einer Wissenschaft, wo die feinsten Unterschiede, für welche die gewöhnliche Umgangssprache oft nicht einmal eine [312] Bezeichnung hat, nicht selten Alles entscheiden müssen. Es ist daher auch hier auf die bloße Theorie nie sehr großes, ja meistens sogar viel zu wenig Gewicht gelegt worden.

Desto mehr hat man sich von jährlichen Obstausstellungen und Pomologenversammlungen versprochen. Bei diesen sind ja nicht allein die streitigen Gegenstände, sondern auch ihre Vertreter und zugleich auch berufene unparteiische Richter an Ort und Stelle. Aber mag das auch wahr seyn, so fehlt dabei doch stets die gehörige Zeit, um die Acten einzusehen und vor der schnell abzugebenden Entscheidung gründlich zu prüfen. Auch ist es nicht möglich, eine solche jährliche Ausstellung so anzusetzen, daß dabei auch nur die Hälfte unserer Obstsorten wirklich am Platze seyn kann. Man wählt dazu gewöhnlich nicht unpassend den Herbstanfang. Da sind aber, um nur von dem Stein- und Kernobst zu reden, schon alle unsere Kirschen (bis etwa auf die Schattenweichsel) und eine große Menge Pflaumen, Aprikosen, Sommeräpfel und Sommerbirnen passirt; das spätere Herbst- und das Winterobst aber noch völlig ungenießbar, das Letztere selbst in den rauheren Gegenden noch nicht einmal völlig ausgewachsen und gereift. Man kann daher, wie gesagt, dem Auge der anwesenden Pomologen nur etwa die Hälfte des in diesem Jahre wirklich erbauten Kern- und Steinobstes vorführen; die Hauptprobe aber für die wirkliche Güte der wirklich zur Ausstellung gebrachten Sorten, die Probe des Kostens wird sich bei der Versammlung selbst etwa auf den 30sten Theil beschränken müssen, indem davon die ganze Fülle des späten Herbst- und des Winterobstes ausgeschlossen bleiben muß. Auch lehrt den Kenner schon ein flüchtiger Blick auf eine solche öffentliche Ausstellung, daß er es hier nicht mit eigentlichen Normalfrüchten, welche in Größe und Färbung die charakteristischen Merkmale der Sorte am entschiedensten zeigen, zu thun habe, sondern daß die ihm hier vorliegende bunte Sammlung größtentheils aus ungewöhnlich großen und schönen, oft sogar wahrhaft monströsen Exemplaren besteht, wie solche nur in einem besonders üppigen Boden und in der sonnigsten Lage gewonnen zu werden pflegen. Solche Früchte setzen freilich den harmlosen Beschauer in Staunen und können wohl auch den strebsamen Obstzüchter zu erhöhtem Eifer für seine Pflanzungen anspornen, den lernbegierigen und gründlichen Obstkenner aber werden sie niemals völlig befriedigen. Dazu kommt noch die Unruhe und Zerstreuung, welche solche große Versammlungen durch neue interessante Bekanntschaften, durch mancherlei Sorgen und Arbeiten für Aufstellung und Ordnung der Ausstellung oder für die Unterhaltung der willkommenen Gäste herbeiführen, und endlich noch ein nicht kleiner Schwarm von bisweilen eingebildeten Halb- und Viertelspomologen und die dankbar anzuerkennende Anwesenheit hochgestellter Gönner und Freunde der Pomologie, deren wohlwollende Unterstützung die Führer der Versammlung durch aufmerksames Entgegenkommen zu erwidern haben. Ist es nun ein Wunder, wenn unter solchen Constellationen Uebereilungen und Mißgriffe nicht ganz vermieden werden können? Und reicht dann wohl die Menge und der Eifer der Versammelten hin, um die wohlbegründeten Einwendungen Sachkundiger zu entkräften, welche dergleichen Fehlgriffe bald genug entdecken und nachweisen werden? So anregend und fördernd daher auch dergleichen Versammlungen und Ausstellungen für die gesammte theoretische und praktische Pomologie seyn mögen, zumal wenn dieselben die [313] eigentlichen Prüfungsarbeiten und die Zusammenstellung der wissenschaftlichen Ergebnisse nach Art der Nordamerikaner sogleich unter einzelne Commissionen anwesender Sachkundiger vertheilen, so dürften doch auch diese Versammlungen und Ausstellungen zur Auflösung der noch immer wachsenden Namensverwirrung in der Pomologie keineswegs hinreichen, ja selbst nicht einmal die erste entscheidende Stimme besitzen. Wohl aber mag ihnen die Verbreitung und Anerkennung der gewonnenen Resultate als ihre Hauptaufgabe vorbehalten bleiben. Gewonnen aber müssen die wissenschaftlichen Resultate durch anerkannte und bewährte Sachkundige werden. Den Weg dazu denke ich mir so: Unsere anerkannten Pomologen, wie v. Flotow, Liegel, Lucas und Oberdieck, kommen unter einander überein, sich gegenseitig mehrere Jahre nach einander Normalfrüchte ihrer verschiedenen Obstsorten, sobald diese reif werden, unter den von ihnen gebrauchten Namen zur Prüfung zu übersenden und schreiben jeder die dabei gewonnenen Resultate sofort sorgfältig nieder, um sie nach Vollendung der ganzen Prüfung gegenseitig auszutauschen. Je allseitiger und öffentlicher dieses geschieht, und je ausführlicher namentlich auch die Pomologenversammlungen von den nach und nach gewonnenen Ergebnissen und von den noch streitigen Punkten in Kenntniß gesetzt werden, desto besser. Denn auch bei ihnen wird es nicht an Kräften und gutem Willen fehlen, das gemeinsame Werk zu unterstützen, wie denn überhaupt ein derartiger Früchteaustausch gar nicht häufig und allseitig genug vorgenommen werden kann. Es wird daher auch den, die Revision unserer Pomologie in die Hand nehmenden Pomologen, zumal wenn sie an verschiedenen Orten Deutschlands wohnen, nicht schwer werden, die ihnen etwa noch fehlenden verbreitungswürdigen Obstsorten zur Ansicht und Prüfung zu erhalten. Was aber nicht verbreitungswürdig ist, braucht auch nicht beschrieben zu werden. Denn auch hier ist Maß und Ziel zu halten, so sehr sich auch ein gewisser pomologischer Absolutismus gegen eine solch’ weise Beschränkung sträuben mag.

Wenn wir so unter der Leitung zuverlässiger und anerkannter Führer vorwärts schreiten, so dürften schon einige Jahre hinreichen, um über die Identität oder Verschiedenheit der allermeisten verschieden oder gleich benannten Obstsorten in’s Reine zu kommen und so die praktische Grundlage für eine Pomologie zu gewinnen, wie sie ohne solchen Früchteaustausch durch keine lediglich aus Büchern gemachte Zusammenstellung und durch keine, wenn auch noch so große Ausstellung zu Stande gebracht werden kann. Denn unsere Pomologie bedarf, nachdem Diel’s, Liegel’s und Anderer Beschreibungen genugsam abgeschrieben und umgearbeitet worden sind, jetzt nicht mehr neuer Compilationen oder neuer systematischer Anordnungen, sondern kurzer, kritischer, auf eigener Anschauung und Prüfung beruhender Originalschilderungen.