Predigt über Röm. 12, 12

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Adolf von Stählin
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Predigt über Röm[erbrief] 12, 12
Untertitel: gehalten am Missionsfeste zu Nürnberg in der Kirche zu St. Lorenzen den 16. Juni 1885
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage: 3
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Joh. Phil. Raw’sche Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Nürnberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


|
Unsere Losung am Missionsfest.




Predigt
über
Röm. 12,12
gehalten am
Missionsfeste zu Nürnberg
in der Kirche zu St. Lorenzen
den 16. Juni 1885


von


D. A. von Stählin,
Oberkonsistorialpräsident
in München.




Dritte Auflage.



Nürnberg 1885.
Verlag der Joh. Phil. Raw’schen Buchhandlung
(C. A. Braun).


|

Buchdruckerei Merkur, Nürnberg.



000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000


|  Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater und unserem Herrn Jesu Christo! Amen.
Text: Röm. 12,12:

 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.





 Eine Losung des Christenlebens könnte unser heutiger Text, in Christo Jesu Geliebte, genannt werden; schlagend, mächtig, unvergleichlich bezeichnet er Grundkräfte des christlichen Lebens und weckt zum Gebrauch derselben. Eine Losung des Christenlebens ist er, aber nicht auch des Missionslebens, eine Losung für ein Missionsfest, wie wir es heute feiern? Ich glaube, er ist auch dies. Christentum und Mission sind ja überhaupt unablöslich mit einander verbunden. Das Christentum ist die Religion der Mission. Schon ehe es in die Welt trat, wurde es von den glänzendsten Missionsverheißungen begrüßt; und kaum hat seine Geburtsstunde geschlagen, so eröffnet es, nicht blos gehorsam einem erhabenen Missionsbefehl, sondern auch vermöge eigenen unmittelbaren Lebens- und Liebesdrangs seinen Missionslauf. Und wenn bald gegen eine Religion, die den Beruf in Anspruch nimmt, Salz und Licht der Erde zu sein, obwohl ihr Reich nicht von dannen, alle Erdenmächte sich verschwören, so dringt diese Religion gerade unter Druck und Anfechtung wunderbar vorwärts und sieht ihre Schranken nur in den Enden der Erde. Christentum ist Mission und Mission ist Christentum und soll dies bleiben. Nie darf die Mission ihre Träger und Hebel, die ihr im echten, biblisch-evangelischen Christentum gegeben sind, abtreten an andere Mächte, so verlockend deren Erbietungen auch sein mögen, an Kultur und Humanität, an eine religiös verallgemeinerte, christlich verblaßte Weltanschauung und Geistesrichtung; damit würde sie sich gerade die Wurzeln ihrer Kraft abgraben und ertöten. Wenn aber Christentum und Mission innerlichst zusammen gehören, tief mit einander verwachsen sind, gegenseitig einander fordern, können wir an einem Fest wie dem heutigen oft genug hinabsteigen in die Grundquellen echten, wahren, lebendigen Christentums, sind wir nicht immer von neuem angetrieben, die Grundkräfte desselben in Bewegung zu setzen und uns anzueignen? Soll mit der Stärkung der Missionsarbeit an einem Missionsfest von diesem Grunde aus nicht Stärkung und Belebung unserer Kirchenarbeit überhaupt gegeben sein; soll von unserem Feste auf diesem Wege nicht eine hebende, weckende, begeisternde Kraft auf unser gesamtes| geistliches Schaffen und Wirken ausgehen? In diesem Sinne machen wir heute die Christenlosung: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet!“ auch zur Missionslosung.

 Die Losung gilt aber dem Einzelnen nur in der Gemeinschaft und für sie. Das Christentum ist Gemeinschaft; und die Mission ist Pflicht und Ehrensache der ganzen Kirche; von einem Missionsfest zum andern soll dies gepredigt werden. Mit vereinten Kräften soll diese Reichssache betrieben, der Reichskrieg gegen die Burgen und Bollwerke des Heidentums geführt werden. Da soll niemand zurückbleiben, wer ein Christ ist, wer ein Christ sein will. Missionsfeste sollen Sammelpunkte der Kraft, Verbrüderungsfeste für Erfassung und Erreichung unserer großen Arbeitsziele sein. Auf Missionsfesten schöpft man stärkende Luft wahrer, aus der Ewigkeit stammender und in die Ewigkeit führender Gemeinschaft; hier dringen wir aus der Einsamkeit und drohenden Vereinsamung in das weite, weit und freimachende Gebiet echter Kirchen- und Reichsgemeinschaft ein. Zu solcher Gemeinschaft wollen wir uns heute zusammenschließen, teure Brüder! Laßt uns heute gemeinsam treten vor unsern himmlischen Feldherrn und ewigen Siegesherrn, laßt uns an der Losung uns erkennen und mit ihr uns rüsten zu neuem Kampf und neuem Sieg!

Unsere Losung am Missionsfest

ist der Gegenstand meiner heutigen Betrachtung; sie lautet:

1) vorwärts in Hoffnung,
2) vorwärts in Geduld,
3) aufwärts im Gebet!


I.
 Vorwärts in Hoffnung! rufen wir einander zu, weil der Apostel uns mahnt: seid fröhlich in Hoffnung, uns auffordert zu freudiger Hoffnung, zu hoffender Freude. Ein großes Hoffnungsziel steht vor uns: ewiges Heil, ewige Herrlichkeit. Die Vorfreude der Freude, die mit Erreichung dieses Zieles anbricht und nimmer aufhören wird, soll uns jetzt schon durchdringen. Aber ein bloßes Ausruhen in den Gütern der zukünftigen Welt ist christliche Hoffnung nicht, sondern weil geeint mit dem Glauben, in welchem wir jetzt schon Alles haben, eine lebendige persönliche Kraft, die uns vorwärts treibt zum Ziele der Vollendung. Vorwärts in Hoffnung, war die Losung der Kirche von Anfang. Das Hoffnungsziel gilt nicht blos dem einzelnen, es gilt der ganzen Christengemeinde. Unser Ziel ist das ewige Reich unseres Gottes, die herrliche Vollendung der Kirche, der Menschheit, der Welt. Fest und unerschütterlich steht der Grund unserer Hoffnung; er steht und fällt mit Christus dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Er ist der Anfänger und Vollender unseres Christenstandes; in ihm dem Verklärten ist auch die Vollendung und Verklärung seines Reiches verbürgt. Wie hat die erste Gemeinde nach diesem Ziele ausgeblickt, nachdem die Welt trost- und hoffnungslos geworden war! O welch ein Gegensatz zwischen der düstern Verzweiflung| an Gegenwart und Zukunft, wie sie zur Zeit, da Christus in die Welt kam, weit verbreitet war, und dem seligen Leben der ersten Christen in Glaube und Liebe, in wunderbarer Hoffnungsfreudigkeit! Aber Hoffnungsfreudigkeit ist nicht blos ein Vorrecht der ersten Christengemeinde; alle christliche Lebensarbeit, alle christliche Erkenntnißarbeit, die gesamte Kirchenarbeit schaut aus nach dem Ziele der Hoffnung, kein Werk aber mehr als das Werk der Mission. Die Mission ist ja selbst die Vorstufe in der Durchführung des göttlichen Liebesrates an den Geschlechtern der Menschen, die Vorbedingung des Abschlusses aller Welt- und Reichsgeschichte. Denn unser Herr hat gesagt: „es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kommen (Matth. 24,14.).“ Die Mission wirkt und schafft, bis die Schar, stehend vor dem Stuhl und vor dem Lamm, angethan mit weißen Kleidern und Palmen in ihren Händen, gesammelt aus allen Heiden und Völkern und Sprachen vollzählig geworden (Offenb. Joh. 7,9); die Mission wandert über die Erde und wirbt für den Himmel, bis endlich die Stimme der Vollendung über Erd und Himmel ertönt: „es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus worden und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offenb. Joh. 11,15)“. Die Mission als Vorläuferin der in die Ewigkeit einmündenden Erfüllungszeit ist selbst Gegenstand der Christenhoffnung, sie lebt als Mithelferin zur Vollendung des göttlichen Ratschlusses von der Hoffnung wie kein anderes Werk. Alles aber, was sie ist und lebt und wirkt, ist sie, lebt sie, wirkt sie in Christo, der unsere Hoffnung (1. Tim. 1,1), die Hoffnung der Herrlichkeit (Kol. 1,27) ist, in dem Christus, in welchem als dem ewigen Gottessohne der Ratschluß der Erlösung für alle gefaßt wurde, der dießen Ratschluß durch Menschwerdung, Leiden und Sterben für alle vollbracht hat, und der ihn einst in Herrlichkeit hinausführen wird. Wie große Höhepunkte stehen vor unserem Glaubens- und Hoffnungsauge die erste und die zweite Zukunft des Herrn, die Reichsgründung und die Reichsvollendung; zwischen diesen Höhepunkten bewegt sich wie in einem tiefen Thale auf viel verschlungenen Pfaden der große Kampf, die große Arbeit der Mission. Zwischen der einmaligen Erlösungsthat und der ewigen Erlösungsfeier steht das mählich verlaufende Werk der Aneignung der Erlösung, der Errettung der einzelnen Seelen und ganzer Völker aus der grauenhaften Nacht des Götzendienstes zu dem wunderbaren Lichte unseres Herrn Jesu Christi. Jeder ernstliche Missionsangriff ist eine Weissagung auf den letzten Kampf zwischen Christus und dem Fürsten der Welt, jeder Missionserfolg eine Vorausnahme des letzten Sieges unseres Herrn Jesu Christi, jede Missionsfeier soll ein Vorblick sein auf die ewige Siegesfeier des Herrn und der Seinen.
.
 Auf einem hohen Berge, im Herrn Geliebte, zeigte der Versucher dem Erlöser alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Eine Weltherrschaft, erkauft mit der Huldigung dem Fürsten der Welt dargebracht, hat der Herr abgelehnt. Auf einem Berge Galiläas schaut er der Auferstandene alle Völker der Erde und ihre Reiche zu seinen Füßen liegend als Preis der| Dornenkrone, der Selbsterniedrigung bis zum Tode, des Opfers am Kreuze. Da ergeht aus seinem Munde der große Missionsbefehl: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker“, und dieses Befehlswort umschließt der Erlöser mit einem ebenso majestätischen Zeugnis- und Verheißungswort: „mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, „und siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende (Matth. 28,18–20)“. Geliebte in dem Herrn! Ein berühmter englischer Feldherr, der ein besonderes Verdienst an der Niederwerfung der Macht des ersten Napoleons hatte, erwiderte einem Geistlichen, der gegen die Mission Bedenken äußerte: „mein Herr, die Marschordre Ihres Königs lautet: gehet hin in alle Welt, und der ist ein schlechter Soldat, der der Ordre seines Königs nicht gehorcht“. Das größte an diesem großen Befehl ist aber, daß er von lauter Verheißung umgeben und selbst Verheißung ist. Hoffnung und Verheißung, tief in einander verschlungen, tragen die Mission. Manche der gewaltigsten Thaten der Weltgeschichte waren ungeheuere Wagnisse; die sie vollbrachten, hatten keine Verheißung auf ihrer Seite. Was wird in unseren Tagen von Vielen gewagt, geopfert um wirrer Zukunftsgedanken und Zukunftsbilder willen, die nur ein entsetzliches Zerrbild göttlicher Verheißung sind. Missionsthaten, kleine und große, haben aber Gottes Verheißungen für sich! Das alte und das neue Testament fließt von solchen über, das neue zumal ist eine große Missionsurkunde. Für die Missionsarbeit gilt das Wort: erwarte Großes von Gott, versuche Großes für ihn! Missionsarbeit ist eine fröhliche, freudige Arbeit, denn sie ist eine Arbeit in sicherer und gewisser, von Gottes Wort bezeugter, von Gottes Geist versiegelter Hoffnung, eine Arbeit in immer neuer Hoffnung, aber auch stets neuer Hoffnungserfüllung, bis alle Missions-, alle Christen-, alle Kirchenhoffnung erfüllt ist. Die Missionslosung kann nur lauten: vorwärts in Hoffnung.

 Blickt, im Herrn Geliebte, auf den, der der Anfänger und Vollender in allen Dingen, auch im Werke der Mission ist, der das Wort gesprochen: „wie mich der Vater gesendet, so sende ich euch.“ Wie war er so fröhlich in Hoffnung, als er Samariens Saaten zur Ernte wogen sah: „Hebet eure Augen auf und sehet in das Feld; denn es ist schon weiß zur Ernte“, rief er seinen Jüngern zu (Joh. 4,35). Wie drängt es ihn angesichts des Kreuzes vorwärts zur eigenen Verherrlichung, zur Verherrlichung in der Welt: „und ich, wenn ich erhöht sein werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen“, spricht er (Joh. 12,32). Und sein Apostel Petrus blickt bereits in seiner zweiten Missionspredigt auf die Vollendung aller Dinge, auf die Zeit der Erquickung von dem Angesicht des Herrn hinaus (Apostelg. 3,20). Und Paulus schaut in unserem Briefe zurück auf wunderbar erfüllte Hoffnung, da er von Jerusalem an und umher bis an Illyrien alles mit dem Evangelium erfüllt (Röm. 15,19), schaut hoffend vorwärts bis in den fernsten Westen, bis nach Spanien (Röm. 15,24). Der Missionsblick des einen Apostels geht auf das Ende und Ziel der Wege Gottes, der des andern auf die Grenze des römischen Weltreichs, dessen weite Räume ihm der Herr, der zu ihm gesprochen: „ich will dich ferne unter die Heiden senden (Apostelg. 22,21)“, als Missions-, als Siegesbahn angewiesen.

|  Es ist doch etwas Großes, Geliebte, um den Gedanken, daß alles Schaffen und Wirken auf dem Gebiete der Mission zuletzt einmündet in die Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn und seines Reiches. Es ist aber auch etwas Großes, glauben und schauen zu dürfen, wie Wege und Gebiete von Gott selbst bereitet sind, auf denen die Missionshoffnung im einzelnen sich verwirklicht. Wundersam verschlingen sich in der Mission Gottes Erlöserwege mit den großen Geschichtswegen der Menschheit. Christus selbst hält die Zügel des Weltregiments in seiner Hand und stellt es in den Dienst seines Erlöserwirkens. Die Ueberwindung des Römerreichs durch das Wort vom Kreuz, der Gang des Evangeliums zu Germanen und Slaven, die Christianisierung unseres Weltteils predigt uns dies im großen, wie im kleinen der Gang der lutherischen Mission im vorigen Jahrhundert zu den Tamulen des fernen Indiens. Und dem 19. Jahrhundert, in welchem wir stehen, das wir das Jahrhundert der Entdeckung, der Erfindung, des großen Welt- und Völkerverkehrs nennen dürfen, ist eben damit durch Gottes Walten auch der Stempel des Missionsjahrhunderts aufgedrückt. Er selbst hat die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch gemacht, daß der König der Ehren einziehe. In kleinen, engen, aber in Hoffnung fröhlichen Kreisen begann am Ende des vorigen, am Anfang dieses Jahrhunderts ein Missionsleben sich zu regen, das nun gewaltig vorwärts gedrungen. Aus einigen wenigen sind 80 Missionsgesellschaften, aus 200 sind 3000 Missionare geworden, die kaum eine Million Mark betragende jährliche Missionseinnahme ist zu 34 Millionen Mark gestiegen; es sind durch die evangelische Mission des 19. Jahrhunderts mehr Christen gewonnen worden, als die Apostel am Ende ihrer Laufbahn eingebracht hatten; die evangelische Mission wächst immer mehr heran zur Weltmission. Das Ende der geographischen That wird in Wahrheit stets der Anfang des Missionsunternehmens. Der kühne Reisende, der ein zweiter Columbus den dunklen Weltteil durchbrach, hielt unmittelbar nach seiner Entdeckungsreise in einer Stadt des südlichen Frankreichs selbst eine Art Missionspredigt. „Glaubt ihr“, sprach er etwa, „meine Reise habe nur als Beitrag der geographischen Wissenschaft gedient? Diese unendliche Oberfläche, die sich offenbart und ihre Geheimnisse darreicht, bietet der zivilisierten Welt 40 Millionen Wilde, die den Finsternissen des Heidentums sollen entrissen werden. Diese Schwarzen sagen auch durch meine Vermittlung: ihr seid reich und intelligent, wir arm und elend, ohne Kleider, und im Schoße einer splendiden Natur sterben wir vor Hunger und zehren einander auf. Habt ihr kein Erbarmen? Bringt uns den Trost, den eure Religion euch gewährt. Wir hören, daß es unter euch Männer gibt, die durch ihre Bildung und ihr Amt berufen sind, diesen himmlischen Trost auszuteilen. Könntet ihr uns nicht solche zusenden?“ Ist das nicht auch ein vorwärts in Hoffnung? Und wenn Gott das deutsche Volk wunderbar erhöht hat unter den Völkern der Erde, und dasselbe anfängt andern Völkern nach sich auszubreiten auf Erden; wenn dort in der Metropole des deutschen Reichs der deutschen Nation zu Ehren über Afrikas neu entdeckte Länder im Namen der Christenvölker Beratung gepflogen wird und die Beratung| pflegen an dem heilvollen Werke der Mission nicht vorüber können, so ist dies auch ein vorwärts in Hoffnung. Wer ermißt aber, wie viel noch zu geschehen hat? Tausend Millionen liegen noch in der Nacht des Heidentums. Einer der bedeutendsten und thätigsten evangelischen Missionare des Jahrhunderts hat gemeint: „Die Kirche hat bis hieher mit der Mission nur gespielt“. Aber darum umsomehr: vorwärts in Hoffnung, bis endlich der Riesenbaum des Heidentums gefällt ist und das Kreuz zu Jesu Ehren auf Erden triumphiert.

 Vorwärts in Hoffnung, sei auch unsere Losung! Es ist unter uns in der Sache der Mission in den letzten Jahren erfreulich vorwärts gegangen. Aber gilt von unserer Kirche für dies große Werk auch wirklich das Wort: Sie hat gethan, was sie konnte (Marc. 14,8)? Beantwortet selbst die Frage! Wir aber rufen: vorwärts in Predigt und Belehrung über die Mission, vorwärts in Erweckung der Teilnahme an der Mission, vorwärts in Belebung der Ueberzeugung, daß die Mission allgemeine Christenpflicht ist, vorwärts in fröhlichem Gebersinn, vorwärts aber vor allem in fröhlicher Hoffnung! Für geistliche Arbeit gibt es keinen stärkeren Hebel als Hoffnungsfreudigkeit. Hoffnungsfreudigkeit in unserem Sinn ist höchster idealer Sinn, Begeisterung für die denkbar höchsten Ziele. In der Mission sehen wir wie in einem Spiegel die ganze Größe, Höhe und Tiefe, die ganze Herrlichkeit des göttlichen Haushalts, des göttlichen Werkes an uns sündigen Menschen. Wir schauen rückwärts auf Christi gnadenreiches Walten unter den Völkern der Erde, vorwärts auf den Triumph seiner Herrlichkeit. Keine seiner Verheißungen ist bis jetzt hingefallen; dem, was noch übrig ist, wird die Krone der Erfüllung auch nicht mangeln. Kleinmut und Verzagtheit ziemen sich nicht für solche, die um die Fahne sich geschart, auf der geschrieben steht: Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit. Christus selbst geht voran. Mir nach, spricht Christus unser Held. Ein böser Knecht, der still darf stehen, wenn er den Feldherrn sieht angehen. Gewiß, das Weh der Gegenwart durchzuckt auch unser Gebein, hellen Auges gewahren wir die Riesenschatten, welche über unsere Zeit trotz ihrer Vorzüge gelagert sind. Aber Klagen allein ist eine wohlfeile Kunst. Der Herr ist nun und nimmer nicht von seinem Volk geschieden. Aus der Gegenwart baut sich die Zukunft. Unser ist die treue Benützung der Gegenwart für die Hoffnungsziele der Zukunft. Grämlicher Pessimismus lockt nicht zu unseren Fahnen. Frohe Zuversicht allein kann unsere Jugend entflammen und das Feuer der Begeisterung in ihr für den großen Dienst der Kirche daheim und draußen wecken. Wo das Herz in steter Buße sich beugt, darf das Haupt auch stets in Hoffnung sich erheben. Unsere Losung sei: Vorwärts in Hoffnung! aber auch


II.
vorwärts in Geduld! Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, schreibt der Apostel. Hoffnung schafft Geduld, Geduld Hoffnung. Unser ganzer Lauf bis zum großen Hoffnungsziele ist Geduld. Die Gestalt| unseres Lebens ist Kampf und Leid, Trübsal, die uns Gott, Trübsal, die uns andere auferlegen. Unter dieser Kampf- und Leidensgestalt seines Lebens hat der Christ sich in Geduld zu bewähren, und nur die Geduld fördert ihn auf dem Weg zum Ziele. Es gibt nichts Größeres als Geduld. Alle christlichen Tugenden kommen in der Geduld wie in einem Brennpunkt zusammen. Geduld Gottes Schickung gegenüber, Geduld dem Nächsten gegenüber sind in der Wurzel eins. Geduld ist Demut, Glaube, Treue, Liebe. Christliche Geduld ist etwas ganz anderes als was vor Christo einen ähnlichen Namen trug. Das war stolze Verachtung des Uebels, kalte oder verbitterte Resignation, eine erkünstelte Höhe, von der so leicht ein Sturz in klägliche Tiefe erfolgte. Christliche Geduld ist eine beständige Wanderung aus der Enge in die Weite, in die Weite der Liebe Christi, aus der Tiefe in die Höhe, zur frohen Fernsicht göttlicher Verheißung. Geduld ist Stärke in Schwachheit, Macht in Ohnmacht, Freiheit in Gebundenheit, Geduld ist Himmels- und Erdenblick in friedevoller Vermählung. Darum ist des Christen Losung wirklich: vorwärts in Geduld.

 Was von dem einzelnen Christen, gilt aber auch von der ganzen Kirche. Der Stand der Gemeinde Christi ist für den gegenwärtigen Zeitlauf ein Stand der Bedrängnis, wenn auch die Gestalten dieser Bedrängnis wechseln; darum hört auch das Leben der Gemeinde nicht auf, ein Leben in Geduld zu sein; ihre Arbeit ist eine Arbeit in Geduld, ihr Sieg ein Sieg der Geduld.

 Geduld schöpft aus göttlichem Urquell; Gott selbst heißt ein Gott der Geduld (Röm. 15,5). Die Wege Gottes mit der Menschheit heißen Geduld. Er hätte den von ihm abgefallenen Menschen verdammen, vertilgen können, er trug ihn in Geduld. Er wartete in Geduld, bis der Boden bereitet war, in welchen das himmlische Erlösungsreis sich senken konnte; er wartet in Geduld, bis die Kräfte der Erlösung den einzelnen, den Völkern, der ganzen Menschheit sich eingesenkt.

 Und was ist es Großes um die Geduld Christi? Als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, wandert er über die Erde und übt Geduld gegen seine Feinde und Freunde. Am Kreuze hängend, unter dem Triumphe der Weltsünde, der Weltlüge, des Welthohnes schweigt, duldet, leidet er; seine schweigende Geduld, seine duldende Liebe ist der Welt Versöhnung. Das Kreuz, das große Geduldszeichen, verklärt sich zum Siegerthrone über das weite Erdenrund hin unter seinem geduldigen Warten, unter der geduldigen Arbeit der Kirche.

 In tragender, hoffender Geduld folgt die Gemeinde Christo nach. Vorwärts in Geduld! war ihre Losung, so lange sie sich getreu blieb. Ihr größter Apostel und größter Missionar preist, wo er vor der Gemeinde zu Corinth in großen Zügen sein apostolisches Vorbild entrollt, in erster Linie die Geduld, die große Geduld in Trübsalen, in Nöten und Aengsten (2 Cor. 6,4); in und mit ihr ward ein Trübsalslauf ohne Gleichen zum wunderbar raschen Siegeslauf des Evangeliums. Und die Kirche, die über den Gräbern der Apostel sich baute, hat, in heißer Verfolgung von der| Erde verwiesen, gezwungen, auch unter der Erde ihre Tempel zu bauen, in großer Geduld das Erdreich erobert. Oft hat sie in der Hitze der Anfechtung die Frage der Jünger wiederholt: „Herr, wirst du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel (Apostelg. 1,6)?“ Sie lebte, sie duldete, sie blutete in der siegesfreudigen Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn. Er kam nicht in sichtbarer Herrlichkeit, aber was allen weit unglaublicher war als die sichtbare Wiederkunft des Herrn, was keiner der Lehrer und Blutzeugen der alten Kirche zu hoffen gewagt, geschah: der Inhaber der Weltmacht, der römische Kaiser, legte sein Verfolgungsschwert dem Gekreuzigten zu Füßen, wurde selber Christ und Bekenner. So ward die Geduld gekrönt, aber auch der Geduldssinn der Gemeinde Christi auf neue schwere, wenn auch anders geartete Proben gestellt und oft genug in Welt- und Herrschersinn verkehrt. Weltreich und Gottesreich reichten einander die Hand, bald auch Kaisertum und Papsttum, die großen Schöpfer einer neuen, der mittelalterlichen Welt. Oft genug wurde jetzt an die Stelle der alten Losung: vorwärts in Geduld, heidnischen Völkern gegenüber die andere gesetzt: vorwärts mit dem Gesetz des Zwangs, mit dem Schwerte der Unterdrückung. Um so ehrwürdiger sind uns aber die Männer, denen die Mission des Schwerts selbst das tiefste Leid bereitete, und die nicht aufhörten, mitten unter dem kriegerischen Getöse der Zeit und der traurigen Verkehrung des Evangeliums des Friedens in ein Zwangsgesetz äußerer Herrschaft der Mission des Kreuzes, der Mission der Geduld das Wort zu reden und sie selbst in bewundernswerter Selbstverleugnung zu üben. Die Geduld hatte damals doppelten Preis. In großer Geduld haben der edle, tiefinnerliche Ansgar, der nach gewaltigem Wirken im Norden unseres Vaterlands und Weltteils mit den Worten starb: Gott sei mir Sünder gnädig, der im Thun und Leiden nicht zu ermüdende Vizelin, ein Sendbote unter den nördlichen Slaven, der apostolisch eifrige und wirksame Otto von Bamberg, der Bekehrer der Pommern, ihre Ernte eingebracht. Geduld bis zum Tode wollten der liebeglühende Adalbert von Prag, der ideal gerichtete, für Völkerbekehrung begeisterte Bruno von Querfurt bewähren, bis sie unter den wildesten der Heiden, auf altpreußischer Erde ihr Blut als Märtyrer der Mission verspritzten. Geliebte, das Christentum Deutschlands ist die Frucht größter Geduld, einer Arbeit der Geduld, welche ein Jahrtausend überragt; wer zählt all die Friedensboten, deren Füße die deutsche Erde gesehen, deren Schweiß und Blut sie getrunken!
.
 Und nun seht euch, Geliebte, die Missionskarten unserer Tage an! Welche Strecken und Weiten, wo alles noch schwarz ist, begraben in tiefe Nacht des Heidentums! Wie kleine rote Inseln liegen sie da, die Stationen und Stätten, wo der Name Jesu, des Hochgelobten genannt wird. Wie lange wird es währen, bis das uns stammverwandte Hinduvolk ein christlich Volk geworden! Die Mission ist und bleibt eine große Schule der Geduld. Es kostet Geduld, oft Jahre lange Geduld, bis eine einzelne Seele auf frischem Missionsfeld dem Ruf des Evangeliums sich öffnet; es kostet Geduld, die junge Missionspflanze zu bewahren unter Störung und Anfechtung einer feindseligen Umgebung, sie auszuwurzeln aus dem alten| Boden heidnischer Gewöhnung, sie einzusenken in den neuen Lebensgrund christlicher Gemeinschaft; Geduld, die einzelnen Seelen zu Gemeinden zu sammeln; Geduld, die Gemeinden unter Schwachheit und Versuchung zu erziehen zu christlicher Selbständigkeit; es kostet geduldiges Warten, bis die einzelnen Seelen und einzelnen Gemeinden sauerteigartig das Leben des Volkes durchdrungen haben und das Alte in ein Neues verwandelt ist.

 Und dann, Geliebte, wir dürfen es nicht verschweigen: das ganze Weh der kirchlichen Gegenwart zieht mit hinaus auf den Kampf- und Arbeitsboden der Mission. Was wäre die Mission, wenn eine in sich geschlossene, von dem gleichen Missionsdrange all ihrer Glieder beseelte Kirche sie trüge! Nun lernen die Heiden mit dem Christentum häufig gar bald auch die traurige Zerrissenheit seiner Bekenner kennen, nun wollen Gegensätze, welche die evangelische Kirche durchziehen und an denen wir uns in der Heimat müde arbeiten, fast auch dem friedlichen Gebiete der evangelischen Mission nahe rücken, nun wird von einer Seite über die ganze evangelische Mission, der wahrlich der Beweis des Geistes und der Kraft nicht fehlt, gerade gegenwärtig in betrübendster Ungerechtigkeit der Stab gebrochen, nun gefährden solche, welche den Namen Christi tragen, aber seine Kraft verleugnen, wie oft durch eigene Sünden, durch himmelschreiende Sünden, begangen an Heiden und neugewonnenen Heidenchristen, den mühsam aufgeführten Bau der Mission.

 Doch, Geliebte, auf dem Gebiet des göttlichen Reiches ist mit der freudigsten, hoffnungsreichsten Begeisterung für Gottes Werk stets auch das tiefste Weh über menschliche Gebrechen und menschliche Sünde verknüpft, welche dies Werk stören und trüben. So war es, so ist es, so wird es bleiben; es steht aber auch in Kraft Pauli Mahn- und Trostwort: „seid geduldig in Trübsal“. Es gilt dies Wort bei dem Doppelblick auf Kirche und Mission: wir müssen beide zusammenschauen in ihrem gemeinsamen Kampf, ihrem gemeinsamen Weh für die gemeinsame Arbeit der Geduld. In der Geduld beugen wir uns in Demut vor unserem Gott, werden klein, arm und gering. Als Christen müssen wir das Kreuz der Kirche der Gegenwart tragen und es uns dienen lassen nicht bloß zum Gericht über andere, sondern vor allem zu demütig innerlichem Selbstgericht. In all unseren Kirchenarbeiten, Kirchennöten, Kirchensorgen haben wir immer wieder nur das eine zu bekennen: nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.

 Wenn wir vor uns selber immer kleiner, und Christus uns immer größer wird; wenn die Widerstandskräfte daheim und draußen, alle Schwankungen des Schiffleins Christi auf unruhiger, tief erregter Meerfahrt uns nur immer tiefer hinein in den überschwenglichen Reichtum der Macht und Gnade Christi, zu immer festerem Umfassen seines Kreuzes treiben; wenn alles Fragen und Irren auf religiösem, aller Kampf und Gegensatz, alle Zerrissenheit und Zerbröckelung auf kirchlichem Gebiete uns nur zu immer größerer Treue gegen den Herrn und sein unvergängliches Wort aufrufen; wenn die brennende Jesusliebe uns im Herzen wohnt und ihren Wiederhall findet in dem lebendigen, begeisterten, glaubensmutigen| Zeugnis von ihm, und sich zugleich darlebt in einer Liebe, die alles verträget, alles glaubet, alles hoffet, alles duldet, in williger Anerkennung der Gemeinsamkeit des Glaubens an den einen Herrn und der Liebe zu ihm, wo sie sich findet; wenn wir um keinen Preis uns verdrängen lassen von der aus Gottes Wort erkannten Wahrheit, aber auch des Zuges zu dieser Wahrheit, der Annäherung an sie uns freuen, wo sie sich uns kund gibt, auch unter der Hülle mancher Unklarheit, unter der Schlacke mancher Entstellung – dann, dann lebt etwas von apostolischem Geduldsmaß in uns.

 In dieser Geduld kommen wir vorwärts, hier in der Heimat, draußen auf dem Kriegsfelde der Mission. Die unruhige Hast, die jagende Eile ist das Zeichen der Gegenwart, das Zeichen der Kirche soll die Geduld, die Geduld Christi mit ihrer leibhaften Erscheinung, dem Kreuz auf Golgatha, bleiben. Vorwärts in Geduld, erscheint als der größte Widerspruch, denn Geduld ist Selbstbeschränkung, Verzicht auf Selbstkraft und Selbstherrlichkeit. Das Wort: „laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, ist aber die Lösung des Widerspruchs. Die Geduld Gottes wartet, warten wir auch! Im Reiche Gottes geht alles mählich, langsam, senfkornartig. Heiland, Deine größten Dinge beginnest Du still und geringe! Er führt sie auch fort still und geringe; und doch ist sein Gang durch Welt und Zeit ein hoher und majestätischer Gang. Und zuletzt führt er alles herrlich hinaus. Unsere Losung sei: Vorwärts in Geduld! und endlich


III.

aufwärts im Gebet! Haltet an am Gebet, mahnt der Apostel. Kein Vorwärts im Reiche Gottes ohne ein Aufwärts. Aufwärts und immer wieder aufwärts! ist Christenlosung. Alles wahre Gebet ist im Grunde ein anhaltendes Gebet. Alles geistliche Wesen stammt ja aus der Ewigkeit, und will deshalb fort und fort auch aus der Ewigkeit genährt sein. Das Gebet ist aber das Eindringen in die Ewigkeit, das Herabholen der Kräfte der Ewigkeit in dies zeitliche, irdische Leben. Das Christenleben ist Gebet und aber Gebet und zum dritten Gebet. Aber auch alle kirchliche Arbeit muß, wenn sie frisch, lebendig, fruchtbar bleiben soll, ohne Unterlaß vom Gebet betaut sein. Und das Werk, das wir heute treiben, auf’s innigste mit dem Liebesrat unseres Gottes verwachsen und wie dieser aus der Ewigkeit stammend, die Mission, will ganz besonders von den Flügeln des Gebetes getragen sein. An einem Missionsfest soll alles einander zurufen: Aufwärts, aufwärts, im Gebet!

 O Geliebte! es findet doch eine wunderbare Wechselwirkung statt zwischen oben und unten, zwischen dem Herrn im Himmel und seiner Gemeinde hier auf Erden. Da wirkt der Herr durch sein Wort und sein Sakrament, durch seines heiligen Geistes Kraft auf uns, er läßt durch uns sein Wort ausgehen in der Mannigfaltigkeit der Zungen; in 354 Sprachen wird das Evangelium gegenwärtig verkündet; er schafft Buße und Glaube unter den Fernen und Fremden durch sein Evangelium, er| zieht durch seinen Geist das natürliche Leben der Völker in den Bereich der Erlösung und ruft neue Lebensgebilde zum Lobe seines Namens hervor. Er will aber nicht bloß auf uns, durch uns wirken; wir dürfen auch mit ihm, wir dürfen auf ihn, den Allerhöchsten, wirken; wir thun solches im Gebet. Im Gebet werden wir des Herzens unseres Gottes mächtig, einen wir uns mit dem göttlichen Macht- und Gnadenwillen. Im Gebet erheben wir uns zur Herrschaft über die Welt, zur Teilnahme an Christi Weltherrschaft in Wahrheit und Liebe. Das Gebet bildet eine Scheidewand zwischen denen, welche beten, und denen, welche nicht beten. Das Gebet macht auch einen gewaltigen Unterschied unter den Thaten, die auf dieser Erde geschehen. Die einen sind aus Glaube und Gebet geboren, oder haben doch Glaube und Gebet zum Hintergrund, die andern sind aus der gebetlosen Tiefe des ungebrochenen Menschenherzens, aus der Naturkraft des selbstischen, glaubenverlassenen Menschenwillens hervorgegangen. Gott benützt die Vollbringer auch solcher Thaten zu seinen Zwecken, wirft sie aber fort, nachdem er sie als blinde Werkzeuge gebraucht, und macht aus ihren Werken oft etwas ganz anderes, als was sie gewollt und erstrebt. Was aber aus Gebet und Glauben geboren, geht unmittelbar über in den Vollzug des göttlichen Ratschlusses und ist ein freier Beitrag für den Fortgang des göttlichen Reiches; was dieser reinen, von göttlichen Kräften bewegten Quelle entstammt, geht nicht unter im Strom der Zeit und überdauert die Flucht der Jahre. Was der betende Paulus geschaffen, ist ein Grundpfeiler der Kirche bis auf diese Stunde. Was Luther unter ungeheurem Kampf erstrebt, ward ihm zum Gebet; in schwerster Zeit hat er alle Tage drei Stunden zum Gebet verwendet. Das Evangelium, das der glaubende Luther in die Welt wieder hineinrief, das Evangelium, dem der betende Luther zum Siege verhalf, ist nicht untergegangen; kann, darf, wird nicht wieder untergehen.
.
 Ich vergesse aber, Geliebte, die Mission nicht. Gewaltig bewegt dieser Gebetsgeist gerade die Mission. Wir können, im Herrn Geliebte, in der heiligen Schrift eine große Gebetsleiter verfolgen, an der die Mission emporsteigt, um eine weltbewegende Macht zu werden. Auf der ersten Stufe steht unser Herr, der Menschensohn, der Herabstieg aus der Höhe in die Tiefe, um Grund und Anfang in allem zu werden. Vor dem Anbruch des großen Tages, da er seine Apostel, die Friedensboten für die ganze Welt, erwählte, ging er auf einen Berg und betete und blieb über Nacht im Gebet bei seinem Vater (Ev. Luc. 6,12 ff.). Das Abendgebet unseres Heilands schmolz zusammen mit seinem Morgengebet, wo es galt, die Finsternisse des Heidentums niederzuringen und den Morgenaufgang eines neuen Lebens für die umnachtete Welt zu bereiten. Das Gebet begleitet weiter den Apostel Paulus auf allen Stufen seines großen Missionslebens. Als das Wort der Sendung an ihn ergangen, finden wir ihn betend in Damaskus (Apostelg. 9,11); als Paulus seine große apostolische Missionswanderung antrat, zog er aus unter dem Segen und der Macht gemeinsamen Gebets (Apostelg. 13,1-3). Als der erste bedeutende Missionserfolg erzielt war, ward derselbe unter Gebet dem Herrn befohlen| (Apostelg. 14,23); als Paulus den Missionsschauplatz in Vorderasien, wo er das Gewaltigste vollbracht, verließ, um der Gefangenschaft in Jerusalem und Cäsarea entgegenzugehen, nahm er betenden Abschied, um seinen Lauf und sein Amt mit Freuden zu vollenden (Apostelg. 20,36.24). Seine Briefe beginnt und schließt er zumeist mit Gebet für die Stärkung der Gemeinden, für den Fortgang des göttlichen Reiches. Die Gemeinden ruft er zur betenden Mitarbeit für das große Werk der Mission auf. Beten sollen die Thessalonicher, daß das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei ihnen (2. Thess. 3,1); beten sollen die Colosser und Epheser, daß Gott die Thür aufthue zur Bezeugung des Geheimnisses Christi (Col. 4,3. Eph. 6,19); kämpfen soll die Gemeinde zu Rom im Gebete, daß er, der Apostel, errettet von seinen Feinden mit Freuden und im vollen Segen des Evangelii Christi zu ihr komme, um weiter unter den Heiden zu opfern dieses Evangelium (Röm. 15,30. 32.16); betend blickt Paulus über den ganzen Erdkreis, betend wandert er als ein Gefangener in dem Herrn nach dem großen Mittelpunkt der damaligen Welt, nach Rom, betend und mit großer Zuversicht tritt er in Rom ein, um auch hier zu predigen das Reich Gottes und zu lehren von dem Herrn Jesu mit aller Freudigkeit (Apostelg. 28,15.31).
.
 Und die evangelische Mission? Wir wollen geschehene Versäumnis, Geliebte, nicht entschuldigen. Aber das ist gewiß, als für die evangelische Mission die Stunde geschlagen, da ward auch Luther’s Gebetsgeist in ihr lebendig. Der erste aller evangelischen Missionare, Eliot, der ein wahres Paradies Gottes in den Urwäldern Neuenglands pflanzte, war ein Beter, der in seinem dreißigjährigen Wirken das Gebet nicht allein zu seiner täglichen Uebung machte, sondern oft noch besondere Tage zum Gebet bestimmte. Mit den betenden Worten starb er: „komm, o Herr, in deiner Herrlichkeit, lange habe ich auf dich gewartet, laß nur das Werk unter den Indianern fortleben, wenn ich sterbe!“ Ziegenbalg, der Begründer unserer lutherischen Mission, war ein Beter, dem unter schweren Kämpfen „das Gebet, der Gang zu unserem lieben Vater im Himmel das allerkräftigste Hilfsmittel war“; Hans Egede, diese Heldenseele auf dem Gebiete der Mission, war ein Beter, dessen anhaltendem Gebete die grönländische Mission mit ihren unsäglichen Schwierigkeiten Anfang und Fortgang verdankte; Thomas von Westen, der hellste Stern unter dem sogenannten nordischen Siebengestirn, der Apostel der Finnen, war ein Beter, der sich seine Wanderung in den äußersten Norden vom Gebete weihen und beflügeln ließ, um dann mit apostolischer Kraft und apostolischen Erfolgen alle Buchten und Felsen der Nordlande zu durchziehen. Und so könnte ich fortfahren. Ich frage aber: Sind wir Beter? Sind die Geistlichen Beter? Sind die Gemeinden mitarbeitend und mitkämpfend im Gebet? Oder ich will nur sagen: sind recht viele Gemeindeglieder wirkliche Beter? Wir reden von der Mission, wir sammeln für die Mission; beten wir auch für sie? Wollen wir es doch bekennen, daß Trägheit und Lässigkeit unserer verderbten Natur, daß ein trauriges Gesetz der Schwere uns immer zur Erde herabziehen und den Aufschwung der Seele hindern| wollen. Darum wollen wir heute in festlicher Stunde uns ein: „aufwärts im Gebet“ gegenseitig zurufen. Es sind ja gewiß Seelen genug unter uns, die es mit tiefster Beugung rühmen, daß nur Gottes unverdiente Erbarmung und das Gebet sie bis zu dieser Stunde getragen haben. Aber kommen wir denn in unseren Gebeten von unsern persönlichen, wenn auch geistlichen Anliegen hinein in die großen Reichsgedanken und Reichszwecke unseres Gottes? Ist das nicht gerade das Große bei dem Apostel, daß das Persönliche und Amtliche, das Besondere und Allgemeine so ganz in einander übergehen? Blicken wir nicht zu viel einwärts, anstatt alle Tage uns kleiden zu lassen in das strahlende Gewand der Gerechtigkeit Christi und dadurch neugestärkt frisch und fröhlich Kampf und Arbeit wieder aufzunehmen? Nicht zuviel rückwärts, statt das Gute, das wir durch Gottes Gnade thun durften, in den Schätzen Gottes, aber auch Untreue und Versäumnis in dem Abgrund göttlicher Barmherzigkeit ruhen zu lassen, nicht zu viel erdwärts, auf die scheinbar krummen Wege und wirren Pfade im irdischen Pilgerlauf der Kirche, statt zu der ewigen Harmonie des göttlichen Heilsrats und dem unwandelbaren Lichte der göttlichen Verheißung uns zu erheben? Darum vor allem: aufwärts im Gebet! Ist das Gebet nicht die Macht, die uns mit Gott eint und alles Widrige zwischen ihm und uns beseitigt? Ist aber Gott für uns, wer mag wider uns sein? Kann unsere Sache stille stehen, wenn sie Gottes Sache geworden ist? Darum aufwärts im Gebet! Ist das Gebet nicht die Macht, die uns unter einander eint? Wäre nicht ein ganz anderer Geist der Liebe und Einigkeit unter uns, wenn wir mehr mit einander und für einander beteten? Einheit, Einheit prediget uns der heutige Tag; in wahrer Geisteseinheit sollen Gottes Werke getrieben werden. Wäre unter uns nicht weniger Streit und Hader, weniger Urteilen und Verurteilen, weniger Sünde gegen das 8te Gebot, wenn mehr Gebet und Fürbitte unter uns waltete? Darum aufwärts im Gebet! Unsere Kirche steht inmitten der Wahrheit, wie keine andere. Ist’s aber gerade ein Vorzug von ihr, daß der Bruderzwist so laut durch ihre Hallen tönt in alter und neuer Zeit? Unsere Einheit ist weit größer, als sie oft nach Außen erscheint. Wird sie aber nicht auch mehr in die Erscheinung treten, wenn wir fleißiger für einander, mit einander vor dem Throne Gottes uns versammeln? Darum aufwärts im Gebet, im Gebet, das da lautet: Dein Name werde geheiliget. Dein Reich komme! Gottes Reich komme immer mehr zu uns; denn die Heimat, unsere Gemeinden, unser Volk geben wir nicht auf; wir wollen vielmehr für sie ringen und beten in heißer Liebe; Gottes Reich komme immer mehr zu den armen Heiden, bis es kommt, kommt in großer Kraft und Herrlichkeit! Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet! Amen.