Raisonnirendes Theaterjurnal von der Leipziger Michaelmesse 1783
Geburt und Rang erheben Ew. Gnaden – doch das sind nur zufällige Attribute, und nicht ihnen allein, sondern ihnen, mit entschiedenen charakteristischen Verdiensten verbunden, widmet jeder, der Sie zu kennen das Glück hat, jene zu schäzen weiß, innigste Ehrerbietung. Erlauben Sie, gnädige Frau, daß [6] ich von leztern nur eins, Ihre Lieblingsneigung zur Lecture, und das aus selbiger geschöpfte Vermögen, über litterarische Producte mit dem richtigsten Discernement zu urtheilen, absondern – es laut preisen darf. Auch als Freundin der Dramaturgie distinguiren sich Ew. Gnaden. Ich berufe mich diesfalls auf die fleißigen Besuche, mit denen Sie das Leipziger Schauspielhaus in voriger Michaelmesse beehrten, auf die fixirte Attention, so Sie dem Theater schenkten, und auf den warmen Antheil, welchen Sie augenscheinlich an jedem Vorgang nahmen, der von der Bühne auf Verstand und Herz der Zuschauer kräftig wirkte. Fade wäre mein Einfall, wenn ich mit allen diesen Prämissen [7] Ew. Gnaden nur die mindeste Schmeicheley vorsagen wollte – zu gedrukten Schmeicheleyen würde ich mir einen weit erhabnern Gegenstand aus Ihren moralischen Vollkommenheiten gewählt haben. – Erwähnen mußte ich aber das hier niedergeschriebene, um den gegenwärtigen Schritt, da ich Ihnen, gnädige Frau, als einer fleißigen, einsichts- und gefühlvollen, Leserin, als einer dramaturgischen Dilettantin, diese kleine Brochure ehrerbietig zueigne, sattsam zu rechtfertigen. – Wenn Sie das Büchelgen durchblättern, wenn Sie hie und da etwas finden, das Sie an Auftritte erinnert, die Ihnen bey der ehemaligen Vorstellung Beyfall oder Tadel ablokten, [8] wenn Ihr Urtheil nur mit einigen meiner Raisonnemens übereinstimmt, und Sie dadurch bewogen werden, dieses Jurnal, als ein nicht ganz unwürdiges Product, in Ihre Lesebibliothek aufzunehmen, dann, gnädige Frau, erfolgt alles, was sich wünschet
Mehrentheils bestimmt ein auftretender Schriftsteller die Absicht, in der er schreiben, und den Gegenstand, welchen er behandeln will, durch eine zierliche Vorrede; ohne solche förmlich zu rubriciren, bezeuge ich blos nachrichtlich, daß ich die müßigen Stunden, so meine in Leipzig habenden Geschäfte mir übrig lassen, dazu anzuwenden denke, jedes Gefühl, welches die theatralischen Vorstellungen der Churfürstl. Sächsisch. Schauspielergesellschaft während jeziger Messe in mir erregt haben, pünktlich so, wie ich es empfunden, niederzuschreiben.
Unrecht wird mir das Publicum thun, wenn es mich für einen dictatorischen Recensenten, der seine Meinungen andern, als Orakelsprüche, aufdringen will, hält; ich schäze mich selbst nicht dafür, und habe weder Beruf, [10] noch sufficiente Penetration, noch Absicht, mich als einen solchen zu produciren.
Blos nach denen auf mich erfolgten Eindrüken werde ich in gegenwärtiger Brochure abwechselnd den Werth der gegebenen Stüke, die Art wie die Acteurs ihre Rollen dabey ausgeführt haben, und was etwa sonst bey jeder Vorstellung mir, als Zuschauer, aufgefallen, beurtheilen.
Mir ist daran gelegen, meine übrige Zeit mit Beschäftigung auszufüllen – denn jede müßige Minute verlängert sich mir zur Stunde – Ob der Inhalt dieser wenigen Bogen das Publicum intereßiren wird? davon belehre mich die Erfahrung, und das Urtheil meiner Leser – wenn ich welche finde.
Donnerstags, den 2ten October, eilte ich, bald nach meiner Ankunft in Leipzig, zum Schauspielhaus am Rannstedter Thore. [11] Da ich mich anheischig gemacht, jedes meiner Gefühle über die hiesigen theatralischen Vorstellungen niederzuschreiben; so erlaube mir es Herr Bondini, wenn ich mich zuerst mit einem kleinen Tadel an ihn verwende. Ich trat ins Parterr, da noch etwa fünf Minuten an drey Viertel auf sechs Uhr fehlten, und wäre beynahe, der Dunkelheit halber, die lezten Stufen am Eingang herunter gefallen, obgleich beyde Cronleuchter schon illuminirt waren. – Auf einen brannten acht, auf dem andern nur sieben, Lichte. Wie kann eine so geringe Erleuchtung auf den Raum des hiesigen Amphitheaters die nöthige Wirkung thun? – und nöthig ist sie doch in der That – Wo eine Gesellschaft Churfürstlicher Schauspieler Vorstellungen giebt, muß jede Kleinigkeit im äußern Anstand der Würde des Ganzen entsprechen, und ich glaube, der Entrepreneur thut sich selbst Schaden, oder vernachläßiget wenigstens seine Pflicht gegen den feinern Theil des Publicums, wenn er das Lüster, [12] welches man hier mit Recht erwartet, gar zu öconomisch einschränkt. Besser wäre es, der Eingang würde lieber später geöfnet, und es brennten alsdann schon sämtliche Lichte, auch die vor und in dem Orchester.
Man gab heute ein Schauspiel von J. G. Dyk, nach dem Destouches, unter dem Titel: Schwazhaftigkeit und Ehrgeiz. Von seinem Werth wäre viel zu sagen, wenig zu loben, das mehreste zu tadeln. Wiederhohlt aber bemerke ich, daß ich nicht förmliche Recensionen schreibe, wie könnte ich auch das, – zumal bey mir unbekannten Stüken – da ich keinen Text vor mir habe, sondern mich blos an die Eindrüke halten muß, welche die Vorstellungen auf mich machen? Bey der heutigen stieß – ich kann es nicht läugnen – mein Gefühl an manches Paradoxon. Ein König, im Mittelpunkt seines Hofs, dessen Hauptgeschäfte sich darauf concentrirt, von einer schönen Dame zur andern, wie ein Schmetterling auf dem Blumenbeet, zu hüpfen! [13] – der Gegenstand ist, frey gesagt, bald zu erhaben, bald zu erniedrigend, fürs Theater, zumal wenn man die Geschichte nicht aus den Quellen des Alterthums hergeleitet, sondern auf unsere neuern Zeiten fixirt, nicht auf einen Sultan, sondern auf einen Europäischen König, gepaßt sieht. Dies war hier der Fall, Handlung und Costume bezeichneten es wenigstens also. – Ein König, nachdem er unter verschiedenen Abwechselungen mit Maitressen sich ermüdet, und dadurch seine Würde dergestalt herabgesezt, zu haben scheint, daß jede Dame seines Hofs, selbst die schon bejahrte Frau Gräfin von Hurt, auf ihn Jagd zu machen für Beruf hält, verliebt sich in eine aufblühende Comtesse von Bruchthal, wählt zur ersten Vertrauten bey der neuen Intrigue, das Cammermädgen im Hause seines Cabinetsministers, und dann zum zweyten, seinen Mignon, einen ausschweifenden Jüngling; durch jenes bestellt er Briefe, durch diesen mündliche Anträge. Wer hätte nicht glauben [14] sollen, er hege dabey die Absicht, die neue Geliebte zum blosen Schlachtopfer seiner, an ihren vielen Vorgängerinnen gesättigten, Begierden zu machen? – Ich erwartete nichts anders, und verwunderte mich sehr, zu erfahren, daß die Intention des Königs, ohne nur den mindesten vorgängig gewagten Versuch zur Verführung, geradezu aufs Heirathen abzweke. Um selbige zu verfolgen, kömmt er bald zu Fuße, bald zu Wagen, in das Haus seines Cabinetsministers, producirt sich jedesmal unter der einzigen Distinction des Verliebten, ohne an den wichtigsten Staatsgeschäften, die zur nemlichen Zeit darinn verhandelt wurden, und nichts geringers, als einen importanten Friedensschluß mit einem benachbarten Potentaten, zum Gegenstand hatten, eher ernsthaften Antheil zu nehmen, bis er, erst im lezten Act, durch die Harangue des ältern Grafen von Hurt fast bey den Haaren dazu gezogen wird. In der Hize seiner Leidenschaft steigt die Dankbarkeit gegen [15] den dabey gebrauchten Unterhändler, den jüngern Grafen von Hurt, so hoch, daß er ihm seine leibliche Schwester zur Gemahlin verspricht. – Schade, ewig Schade, daß er nicht noch einen Bruder hatte, den er mit Jungfer Bug, wenn sie zuvor in Grafenstand, und etwa zur Oberhofmeisterin der künftigen Königin, erhoben worden wäre, zur schuldigen Vergeltung für die richtig bestellten Liebesbriefe, messalliren konnte! – Endlich, da er bey Entwiklung des Knotens erfährt, daß der Gegenstand seiner unüberwindlichen Neigung nicht ihn, sondern seinen Mignon, von jeher geliebt, daß dieser ihn allenthalben mit Lug und Trug hintergangen hat, daß unter einem Fräulein von Altberg, welches er gelegentlich bey denen im gräflich Hurtischen Hause gemachten Visiten kennen gelernt, gegen dessen Reize sein fühlbares Herz in dem nemlichen Zeitraum, da er den Plan, die Comtesse von Bruchthal auf den Thron zu heben, am hizigsten verfolgte, schon manche [16] augenscheinliche Schwäche verrathen hatte, eine Prinzeß, noch dazu die Schwester seines furchtbaren Nachbars, verstekt sey; giebt er seine königliche Hand, welche, äußersten Falls, seine Vasallin nur in der einzigen Rüksicht, ihren eigentlichen Geliebten vom Untergang zu retten, sich würde haben aufdringen lassen, der entlarvten Prinzeß Ulrike, bestimmt seine Schwester, die er kurz zuvor in die Arme eines Grafen werfen wollte, zur Gemahlin eines Monarchen, und ratihabirt dadurch einen Friedensschluß, von dem das Wohl seiner Staaten und Unterthanen unzertrennlich abhieng – welchen aber sein Cabinetsminister, nebst dem fremden Gesanden, schon eine Stunde vorher wechselseitig unterschrieben hatte.
Den wider alle Vernunft, Wahrscheinlichkeit, und Erfahrung, contrastirten Charakter dieses Königs hatte heute Herr Schuwaert, als Acteur, zu suteniren. Ich kann es ihm glauben, daß er alle, dem Verfasser bey [17] dessen Anlegung entwischten, Ungereimtheiten gefühlt haben, und daß ihm also seine Rolle peinlich geworden seyn, muß. – Man sahe dies auch seinem Spiel an. – Majestätische Würde bey jedem Schritt, bey jedem Wort, bey jeder Handlung, behaupten, und doch auch, als schmelzender Liebhaber in dem Wohnzimmer seines Ministers ab und zu laufen; bald mit einer geschwäzigen Hofdame, bald mit einem enthusiastischen Vertrauten, bald mit einer zurükhaltenden Geliebten, von Herzensangelegenheiten; bald mit einem ernsthaften Cabinetsminister von Staatsgeschäften und Friedensschlüssen, sich unterreden; auch bey verschiedenen dieser Auftritte sich von der Tochter eines fremden Abgesanden, ja von ihm selbst, beobachten lassen; und dann bey der Entwiklung erfahren, daß die Dame sein Geheimniß schon öffentlich ausgeplaudert, der Vertraute ihn belogen, die Geliebte nie mit ihm simpathisirt habe, daß der Minister an erhabnen patriotischen [18] Sentimens ihn weit übertreffe, und daß seine künftige Gemahlin alle seine Schwachheiten mit Augen gesehen – das waren zu widernatürliche, zu beschämende, Situationen, um sich nicht oft zu vergessen. Bald trug sich Herr Schuwaert so gravitätisch, als wenn er vom Throne Audienz gäbe, bald bückte er sich so tief, wie ein Cammerjunker; bald titulirte er seinen Favorit Sie, bald Er. Nichts aber fiel mir mehr auf, als da er jenen mit den leztern Worten: „Gehe er zu seiner Armee!“ von sich entfernte. Dies sollte die künftige Bestimmung des disgracirten Admirals seyn? – aber was hat ein Admiral bey der Armee zu thun? – Ueberhaupt läßt sich bey obigem Befehl nichts verünftiges denken. Einen vom Hof verbannten Officier kann der Suverain wohl zu seinem Regiment, oder in sein Guvernement, relegiren, aber in denen Worten: „zu seiner Armee“ liegt wahrlich kein Menschenverstand. Wollte man sie auch dadurch entschuldigen; die königliche [19] Armee habe, bey der zeitherigen Ungewißheit über Krieg und Frieden, noch im Lager gestanden, so war es doch nun, nach Abschluß des leztern, entschieden, daß die Regimenter wieder in ihre Standquartiere einrüken mußten. Welchen Ort im Lande sollte also der arme Admiral zum künftigen Aufenthalt wählen, um dem Befehl des Monarchen Genüge zu leisten? – Entweder Herr Schuwaert versprach sich in diesen Worten, oder, dem Texte seiner Rolle treu bleiben, war hier unverzeihlicher Fehler. Als König, war Herr Schuwaert sehr mittelmässig gekleidet, er trug Stiefeln zu atlaßnen Beinkleidern; wenn das Negligee vorstellen sollte, so würde er wohl gethan haben, wenigstens silberne Sporen anzulegen; und wozu überhaupt ein Negligee, warum nicht im brillantesten Hofkleide, er, der auf lauter Eroberungen ausgieng? – Daß er seine Person etwa durch die Kleidung unkenntlich machen wollte, daran war nicht zu denken; denn [20] ein Bedienter aus dem Hurtischen Hause verkündigte einmal seine Ankunft mit dem Geschrey: „der König fährt vor.“ Von diesem Vorfahren mußten ja alle Nachbarn, und alle Leute auf der Strasse, Zeugen gewesen seyn. Jedoch die größte Schuld bey denen hier gerügten Unschiklichkeiten fällt auf den Verfasser des Stüks, nur die mindere auf den Acteur, welcher sich zu sehr in widernatürlich embaraßante Situationen verwikelt befand.
Weit glüklicher als für Herrn Schuwaert war heute, bey Vertheilung der Rollen, das Loos für Madam Reineke, und für die Herrn Reineke, und Opiz, ausgefallen. Sie drey arbeiteten doch noch unter Charaktern, die der Verfasser mit mehr Vernunft, Wahrscheinlichkeit, und Weltkenntniß, ausgezeichnet hatte, als den Königlichen; sie konnten solche durch ihre Kunst erhöhen, und erhöhten sie wirklich. Das Ganze bey Madam Reineke, als Gräfin von Hurt, war dem ihrigen [21] angemessen, und, ich dächte, besser als sie hätte es keine andere machen können.
Herr Reineke – wer kennt nicht sein entschiedenes Verdienst als Schauspieler? – zeigte bey der Rolle des Cabinetsministers, Graf von Hurt, sich in der Würde eines grossen Mannes, von eben so edeln Grundsäzen, als Manieren, die ihm so natürlich ist; nur wünschte ich, er hätte, um auch heute Vollkommenheit zu erreichen, gewisse kleine Bienseancen nicht vernachläßiget. War es wohl schiklich, daß er seinen Bruder, als jener vom König zum erstenmal im Zorn verstoßen wurde, ihm hastig nacheilend, beym Arme zurükhalten wollte; oder daß er, da sein Urtheil gemildert war, ihn, im Beyseyn des Monarchen, umarmte? Der wahre Hofton fodert die äußerste Delicatesse, und Gegenwart eines Königs, grenzenlosen Respect. Endlich, warum bat Herr Reineke knieend um seine Dienstentlassung? Fußfälle sind jezo nicht mehr sehr in der Mode, seinen Bruder [22] konnten böses Gewissen, und Furcht für der Strafe, noch eher dazu hinreißen. – Dies Wenige überlasse ich dem würdigen Herrn Reineke zur beliebigen Prüfung – sein eignes Gefühl entscheide, ob das meinige richtig gewesen ist.
Herr Opiz geht mit muthigen Schritten auf dem Wege zur Vervollkommung noch immer vorwärts; man wird es gewahr, wenn man seine Action lange nicht gesehn hat, und das nemliche bestätigt auch meine Erfahrung. Hätte er aber nicht bey denen Charaktern, die er heute begleitete, erst als Oberster, dann gar als Admiral, Graf von Hurt, etwas mehr Würde annehmen, am wenigsten in denen Auftritten, wo sein König gegenwärtig war, so sehr in den lustigen Stuzer ausarten sollen – als er es wirklich that? – Ueberhaupt kam es mir, wenn ich den König und ihn beysammen sahe, unwahrscheinlich vor, daß jener bey dem gesezten, ernsthaften, Wesen, mit dem er sich producirte, seine höchste Gunst [23] an einen Jüngling sollte gefesselt haben, der beständig, wie ein Silphe, um ihn herum flatterte. – Diesen auffallenden Contrast konnte Herr Opiz durch etwas mehr Modestie in seinem Betragen leicht vermeiden.
Madam Schuwaert maintenirte den Charakter der Comtesse von Bruchthal nur unvollkommen. War ihr, dem Texte zufolge, die Zuneigung des Königs lästig, so sollte sie in den Unterhaltungen mit ihm weit weniger Freundlichkeit, lauter ernsthaften, kalten, Respect, zeigen; so aber dachte man immer, wenn man den König mit Zärtlichkeitsversicherungen in sie dringen, und ihr dazu in die freundlichen Augen, sahe, jezt eben würde sie sich mit überströmender Gegenliebe in seine Arme werfen. Noch am besten executirte sie das Tetatet, wo sie dem Onkel die wahren Gesinnungen ihres Herzens eröfnete.
Weit angemessener, als jene, leistete Madam Koch ihrer Bestimmung Genüge. Der unschikliche Schritt, daß sie unter verstelltem [24] Namen in einer fremden Residenz mit dem Abgesanden ihres Bruders umherzog, die Person des für sie bestimmten Gemahls erst mit eignen Augen messen, sein Betragen ausspioniren wollte, Zuschauerin seiner Galanterien war, und ihm ihre endliche Eroberung doch so federleicht machte, den ihr gewiß keine Prinzeß unserer Zeiten nachthun wird, kömmt nicht auf die Rechnung der Schauspielerin, sondern des Autors. Doch warum ließ sie sich vom Cabinetsminister, Graf von Hurt, als er sie schon für die Prinzeß Ulrike erkannt hatte, die Hand mit dem Handschuh küssen, und warum zog sie ihn aus, da er bey ihr, als declarirter Braut des Königs, die nemliche Respectsbezeugung wiederhohlte? – Im erstern Fall vergaß sie sich, im leztern handelte sie mit dem passendesten Anstand.
Madam Günther gab sich ein sehr wichtiges Air; hören mußte man es aus dem Discurs, ansehn konnte es ihr Niemand, daß sie nur der Gräfin von Hurt Cammerjungfer [25] vorstellen sollte; aber bey dem Selbstgefühl, die Briefbestellerin des Königs, und in das Interesse seiner Heirathsbewerbungen verflochten, zu seyn, war ihr jenes noch zu verzeihen. Jungfer Bug gieng ja auch überdies gar mit nach Hofe – wie hätte sie sonst gegen die Gräfin von Hurt, auf Erfodern, so zuversichtlich behaupten können, daß bey der leztern Cur die zärtlichen Blike des Königs nicht auf die gnädige Frau Cabinetsministerin, sondern auf ihre Nichte, geheftet gewesen? Jedoch Madam Günther hat diese unerhörte Rapsodie des Autors, der dadurch seine wenige Welt- und Hofetiketenkentniß augenscheinlich verräth, ebenfalls nicht zu verantworten, sondern sie gereicht vielmehr zu einiger Rechtfertigung ihres heutigen Betragens.
Herr Henke weise ja, wenn sein Contract es erlaubt, künftig alle Gesanden, und solche Rollen, die einen Acteur von feinem Geschmak und Anstand erfodern, weit von sich weg, oder arbeite wenigstens mit unermüdetem [26] Fleiß an seiner Veredelung, er hat ja ein so vollständiges Modell zur Imitation an Herrn Reineke immer um und neben sich. Betrug er sich nicht bey dem heutigen Geschäft, in Vollmacht seines Monarchen Frieden, und wechselseitige Vermählungen zwischen Königen und Prinzeßinnen, zu schliessen, pedantischer, steifer, als mancher Rector der kleinsten Stadtschule? – Wie rostig war er gekleidet? – Ganz unrecht war es wahrlich nicht, daß er zu mehrerer Unterstützung so interessanter Angelegenheiten an der Prinzeß Ulrike eine persönliche Begleiterin hatte – er allein würde wenig ausgerichtet haben.
Entweder fehlt es Herrn Stierle an natürlichem Gedächtniß, oder er hatte seine heutige Rolle, als Vater der beyden Grafen von Hurt, nicht genung einstudiert – wie konnte er sich sonst so oft versprechen? – Sein jüngster Sohn kündigte ihm von Seiten des Königs Ernennung zum geheimen Rath, und Empfang des Ordens, an, ob er nun gleich, [27] nach seiner charakteristischen Stimmung, sich dieser ihm wiederfahrnen zeitlichen Ehre nicht sehr erfreute, so stritt es doch gegen alle dem Monarchen schuldige Ehrfurcht, daß Baron von Hurt in der Folge nicht mit dem Ordenszeichen erschien. Hätte es ihn aus dem Schooße seiner geliebten ländlichen Ruhe gerissen, und an den Hof gefesselt, so wuchs die Vermuthung zur Wahrscheinlichkeit, er habe in einer Privataudienz die ihm zugetheilte Begnadigung ganz verbeten; weil aber dafür Niemand von ihm die mindeste Dienstleistung verlangte, die sein Lieblingssistem erschüttren konnte, so blieb es, dächte ich, für ihn absolute Respectspflicht, das empfangene Ordenszeichen, wenigstens so lange, als sein Aufenthalt in der Residenz währte, zu tragen – zu Hause auf seinem Gute konnte er es ja noch immer damit halten, wie er wollte.
Nun noch ein Paar Worte an den Verfasser dieses Stüks. Warum wählte er nicht lieber einen kleinen fürstlichen Hof zum [28] Standpunkt seiner Geschichte, wenn sie ja modern seyn sollte? – Dann hätte freylich von keinen Flotten, Armeen, Admiralen, Cabinetsministern, die Rede seyn dürfen, aber dann würde auch die Handlung im Ganzen einigen Schein vernünftiger Wahrscheinlichkeit gewonnen haben, und die angezeigten contrastirenden Situationen, deren hier immer eine die andere jagt, würden jedem critischen Zuschauer zwar sonderbar, selten, aber doch nicht, in neuern Zeiten unerhört, vorgekommen seyn. – Findet man wohl, wenn man auch ein ganzes Seculum zurükrechnete, ein einziges historisches Beyspiel, daß ein König um die Hand seiner Unterthanin öffentlich geworben, oder seine leibliche Schwester seinem Favorit, und Diener, zur Gemahlin versprochen hat? Meßalliancen in fürstlichen Familien bestätiget hingegen noch immer die neueste Geschichte, als wahrhaft erfolgte Thatsachen.
[29] Freytags, den 3ten October, gab man die Nebenbuhler, ein englisches Originallustspiel von Scheridan, welches Herr Engelbrecht für deutsche Bühnen localisirt hat. Sein Inhalt ist allgemein bekannt. Schon im Jahre 1776. wurde es zu Hamburg aufgeführt, und erhielt daselbst den für jede gute deutsche Uebersezung durch Madam Akermann, und Herrn Schröder, determinirten Preiß von dreyßig Thalern. Mir schien es ehedem, da ich es im ersten Bande des hamburgischen Theaters einmal gelesen habe, weit unterhaltender, als heute bey der wirklichen Vorstellung. Davon nun weiß ich keinen überzeugenderen Grund, als diesen, anzugeben, daß der vorzüglichste Werth des Stüks auf einem dem Uebersezer sehr wohl gerathenen Dialog beruht, welcher denn freylich für den Leser allemal auffallender ist, als für den Zuschauer, von dessen Schönheiten jede tief in erstern eindringt, lezterm hingegen manche entwischt, weil jener alle Worte vor Augen [30] hat, dieser aber die Handlung immer mit mehrerer Attention verfolgt, als den Discurs. In denen Nebenbulern nun ist die Handlung fast gerade in so viel einzelne Theilgen zerstükt, als Personen auftreten, richtige Combination so verschiedener Individualitäten mit einem Hauptsujet hingegen ganz vernachläßiget, oder deutlicher – man vermißt ein solches schlechterdings; unter denen aufgestellten mannichfaltigen Charaktern sind nur wenige hervorstechend, die meisten alltäglich, daher treibt denn der aus obigem allen erwachsende Contrast den aufmerksamen Zuschauer, wie stürmische Wellen den schwankenden Kahn, immer von einem Gegenstand zum andern, ohne daß er weiß, an welchen seine wärmste Theilnehmung sich eigentlich halten soll; das Interesse des Ganzen aber verliert dadurch dergestalt, daß man vom Anfang bis zum Ende in leeren Erwartungen hingehalten wird, und, wenn der Vorhang fällt – unbefriedigt nach Hause gehen muß.
[31] Herr Reineke, als Baron Abslut, der Vater; Madam Henke, als Frau von Storrwald; und Herr Thering, als Junker Akerland, sutenirten die drey wichtigsten Rollen des Stüks mit vieler Geschiklichkeit. Ihre muntere, expreßive, Action schüzte mich für jeder Ermüdung, die sich meiner in den mehresten andern Scenen, wo keins von ihnen auf der Bühne war, bemächtigte.
Nächst jenen machten Herr Opiz den Hauptmann Abslut; Herr Schirmer den Falkland; Herr Schuwaert den Ritter Lucius; Madam Schuwaert Fräulein Lidien; Madam Koch Fräulein Julien; Madam Günther das Cammermädgen, Lucie; die Herrn Ulrich und Wagner zwey Bedienten, Valentin und David; und endlich Herr Zuker den Kutscher Thomas. – Mehr, und etwas Wichtigeres, kann ich von ihnen insgesamt, nach meinem Engagement, für heute nicht niederschreiben.
[32] Die Entführung aus dem Serail, eine comische Oper, wurde Sonnabends, den 4ten October, gegeben. Eine, auch die beste, Oper gewährt mir nicht die mindeste Satisfaction, ich halte die Zeit, sie mit anzusehen, für ganz verloren. Auf der Bühne erwarte ich interessante Vorstellungen solcher Scenen, welche entweder die Geschichte, als wirklich erfolgt, bestätigt, oder die doch, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, und nach aller Wahrscheinlichkeit, täglich erfolgen können. Je ähnlicher selbige aus der Natur copirt sind, desto tiefern Eindruck machen sie auf Verstand und Herz bey denen Zuschauern. Wenn mir aber – wie es nach dem Grundgesez der Oper geschieht – Menschen, die einander unterhalten wollen, ihre Gedanken, Empfindungen, und Entschlüsse, vorsingen; wenn ein verzweifelnder Romeo an Juliens Sarge mit der intendirten Vergiftung Anstand nimmt, bis er erst eine schmelzende Arie vollendet hat, dann bleibt für mich weiter nichts [33] übrig, als meine Herzensfreundin, die arme Natur, welche bey jeder Oper so jämmerlich auf die Folter gespannt wird, zu bemitleiden. Gern räume ich ein, daß Opern, die durch Composition eines geschikten Tonkünstlers sich auszeichnen, für Freunde und Kenner der Music die angenehmste Unterhaltung bewirken können – aber nur für mich nicht, weil ich von Tonkunst und Music gar keine Kenntnisse, mithin auch kein richtiges Gefühl, habe; es gehört angebohrnes Talent dazu – mir ist solches nicht zu Theil worden. Keineswegs aber verdenke ich es dem Directeur einer deutschen Schauspielergesellschaft, wenn er das Publicum, dessen Geschmak so verschieden ist, und das so sehr nach Abwechslungen geizet, zuweilen mit einem Singestük bewirthet – nur ich besuche gewiß keines. Um deswillen blieb ich auch heute zu Hause, dabey aber verliert mein Jurnal nicht das mindeste; ich hätte ohnedem von der heutigen Vorstellung, deren alleiniger Werth durch [34] die Schönheiten der Composition bestimmt werden mußte, kein Raisonnement fällen können, weil auch ich das Gesez der allgemeinen Klugheit: über Dinge, die man nicht versteht, kein Urtheil zu wagen, heilig beobachte.
An denen Meßsonntagen ist es im Schauspielhause gemeiniglich sehr voll – Mit dieser Vermuthung eilte auch ich heute, den 5ten October, früher als sonst, es zu erreichen. Kaum fand ich noch einen bequemen Plaz, ob es gleich nur erst fünfe geschlagen hatte. Angenehm ist es freylich nicht, wenn man so lange stehen, und warten, muß, ehe das Orchester die Sinfonie intonirt; aber noch weit ärgerlicher war die Art, wie heute das Parterr, und einige Frequentanten der Gallerie, ihre Ungeduld durch Pochen, Pfeifen, lautes Brüllen, zu erkennen gaben. Unverantwortlich wird ja die allgemeine Achtung, welche ein Zuschauer dem andern, welchen vorzüglich das leipziger Publicum so vielen Fremden, die, von allen Gegenden her zusammenfliessend, [35] in denen Messen sein Theater besuchen, worunter sich Personen vom ersten, ja gar von fürstlichem Range, auszeichnen, schuldig ist, durch dergleichen Sottisen beleidigt; wenn ungezogne Menschen, um sich die Langeweile zu vertreiben, zu halben Viertelstunden bald mit Stöken und Absäzen die Cadence des Zapfenstreichs trummeln, daß der Boden davon schüttert; bald ein anderes Stükgen pfeifen; bald zu wiederholten malen das militärische Commandowort, Ruhe! dazwischen brüllen, daß einem die Ohren gellen; und dadurch von Zeit zu Zeit ein ähnliches Getöse unterhalten, wie man es nur in Dorfschenken, wenn Bier und Brandewein das Gehirn der bäurischen Gäste im höchsten Grade erhizt haben, zu hören gewohnt ist. Herzlich froh war ich, als die ersten Töne der Instrumente dem Unfug ein Ende machten.
Nun tröstete ich mich mit der Idee, für den ausgestandnen Verdruß durch eine unterhaltende Vorstellung entschädigt zu werden – [36] Liebe macht den Mann, ein Lustspiel nach dem Englischen, von Kolley Cibber, war zur heutigen angekündigt worden. Erbärmlich aber wurde meine Erwartung getäuscht – Mehr Unsinn kann man nicht leicht zusammenhäufen, als in diesem Stük anzutreffen ist. Pantalon und Colombine fehlten noch, sonst wäre es ein leibhaftes Monument des verjährten welschen Geschmaks in der Dramaturgie gewesen. Plan, Einheit der Handlung, bestimmter Zweck, waren nirgends anzutreffen – wo sollte man also nur das mindeste Interesse ausspähen? Zu Madrit, im Hause eines Don Antonio, befand man sich, da der Vorhang aufgezogen wurde – bald aber reißte alles, was gegenwärtig war, über Meer und Wellen nach Lissabon, und die Attention der Zuschauer wurde mit fortgeschleppt. Auch dort ließ man sie an keinem bestimmten Ort ausruhen, sondern trieb sie, wie einen Pudel, bald in dem Audienzsaal des Guverneurs, bald in den Wohn- und Schlafzimmern seiner [37] Nichte, bald in dem Palais einer Buhlerin, bald auf den Strassen und öffentlichen Pläzen der Stadt, herum. Die individuellen Charaktere waren so alltäglich, so rebutant, ausgezeichnet, daß man sich für keinen einzigen – es hätte denn aus Mißmuth geschehen müssen – erwärmen konnte. Dem zufolge hörte man auch lauter fade Propos, und sahe lauter Handlungen, für denen einem, weil sie unwahrscheinlich, aberwizig, oder niedrig, waren, ekelte. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, den gedrukten Text zu dieser Farce ausfindig zu machen, aber in allen Buchläden vergeblich darnach gefragt; denn gerne hätte ich alsdenn jeden meiner Leser, der sie nicht mit eignen Augen gesehn, zur Bestätigung dessen, was ich jezt davon niederschreibe, auf jenen verwiesen. Um also mein gefälltes Urtheil, das manchem zu hart scheinen könnte, öffentlich zu rechtfertigen, will ich nur einige einzelne Vorgänge detailliren – man erwarte ja dabey aber keine historische [38] Connexion, weil, wenn ich auch Zeit und Papier verderben, und die verhandelte Geschichte vollständig erzählen, wollte, ich mein Unvermögen, aus einem so verworrenen Chaos ein zusammenhängendes Ganzes zu entwikeln, treuherzig bekennen muß.
Don Antonio, Einwohner zu Madrit, hat zwey Söhne, die beyde auf Reisen sind. Carlos, der älteste, kömmt als ein tiefsinniger Gelehrter zurük, der, wo er geht und steht, ein Buch in der Hand hält, und sich dergestalt drinnen vertieft, daß er an alle dem, was in der Welt, ja selbst an dem, was zunächst um ihn, vorgeht, nicht den mindesten Antheil nimmt. Sein jüngerer Bruder, Clodio, hingegen trift mit ihm an einem Tage im väterlichen Hause ein, und producirt sich, als den ausgelassensten französirenden Faselhans, den man sich nur denken kann. Lezterer nimmt den Vater dergestalt für sich ein, daß er auf die absurde Idee geräth, den ältern zu enterben, damit der jüngste desto leichter ein reiches, [39] und schönes, Mädgen aus der Stadt, Angelinen, des Don Charino Tochter, heirathen kann. Schon ist dem Carlos der Antrag gemacht, drey Theilen seines väterlichen Vermögens, zu Gunsten des Clodio, zu entsagen; schon hat der Notarius eine Renunciationsacte darüber entworfen, und schon steht jener im Begriff, sie zu unterschreiben, als er Angelinen zu sehen bekömmt. Ihr Anblik thut mehr, als electrische, Wirkung auf ihn – er metamorphosirt augenbliklich den eiskalten Philosophen in den hizigsten Liebhaber; nun unterschreibt Carlos die bewußte Acte nicht, sondern kehrt das Rauche heraus, duellirt sich mit Clodio, desarmirt ihn, und entführt Angelinen vor dessen sichtlichen Augen. Sein Onkel, Don Luis, unterstüzt Carlos mit Rath und That bey dem ganzen Unternehmen, und wird auch sein Begleiter. Die Flüchtigen nehmen ihren Weg über den Ocean, und gerathen, ich weiß wahrlich nicht mehr, ob durch Kaperey und Gefangenschaft, [40] oder durch Sturm und Schiffbruch, oder aus Vorsaz – nach Lissabon. Clodio, nebst denen beyden Vätern, Antonio und Charino, eilt ihnen nach; auch diese führen Schiksal, oder Instinct – ebenfalls nach Lissabon. Daselbst geräth Clodio einmal Abends auf freyer Strasse mit einem, ihm ganz fremden Menschen erst in nichtsbedeutenden Wortwechsel, dann in Zweykampf, und strekt ihn mit dem ersten Stich zu Boden. – Der Gefallne ist Don Duarte, des portugiesischen Guverneurs Neffe, ein Libertin von Profession. – Anfänglich freut Clodio sich herzlich, daß der Stoß seines Degens so wohl gerathen, bald aber, da er die Gerichtsdiener herbeyeilen sieht, ergreift er das Hasenpanier, retirirt sich ins nächste Haus, das er unverschlossen findet, und sucht sich bey der Nacht, ohne zu wissen, wo er ist, im ersten besten ofnen Zimmer zu versteken – Haus und Zimmer gehören der Donna Elvira, einer Nichte des Guverneurs. Ob Mondensucht, [41] oder welches Geschäfte sonst, schuld daran ist, daß Elvira bey später Nacht allein im Zimmer herumwandelt, kann ich nicht enträthseln, genung sie ist gegenwärtig, als Clodio hereinschleicht; fragt ängstlich, wer da sey; und will wissen, was der Ankommende bey ihr im Finstern zu suchen habe? Clodio, ein declarirter Freund von Abendtheuern, zeigt große Lust, hier ein verliebtes zu wagen, und auszuführen – als er aber merkt, daß die Donna mit ihm nicht gleich gestimmt ist, erzählt er sein Schiksal, einen Unbekannten auf der Strasse erstochen zu haben, und bittet flehentlich um Schuz für den Nachforschungen der Gerechtigkeit. Die sehr menschenfreundliche Elvira verspricht ihm welchen, und verstekt ihn in ihr Schlafcabinet; bald hernach bringen verschiedne Bediente mit Fakeln den Duarte, als Leiche, getragen; Elvira erkennt ihn für ihren Bruder, beobachtet aber die Geseze der Gastfreyheit so heilig, daß sie weder alsbald, noch unmittelbar drauf, da die Wache [42] Haussuchung thun will, den von ihr selbst verstekten Mörder verräth, sondern erst, da sie leztere, unter der Autorität einer Nichte des Guverneurs, entfernt hat, läßt sie Clodion mit dem ernsten Befehl, bey Lebensgefahr keinen Augenblik länger im Hause zu verweilen, entwischen. Wer hätte nun nicht glauben sollen, Don Duarte würde zu seinen Vätern versammelt werden, Clodio aber über Hals und Kopf aus Lissabon fliehen? – Doch, keines von beyden erfolgte. Geraume Zeit hernach erscheinen sie zusammen auf einem öffentlichen Plaz der Stadt – keiner kennt den andern. Clodio ist schon halb betrunken, zecht aber noch frisch aus einer bey sich habenden Weinflasche, und fodert Duarten auf, ihm Bescheid zu thun. Sie trinken mit einander, werden auch bald so vertraut, daß ersterer lezterm sein vorgehabtes Duell, den erfolgten Mord des Gegners, und das nächtliche Schiksal, von einer Donna in ihrem Schlafzimmer für denen Nachforschungen der Wache verstekt [43] worden zu seyn, erzählt. Clodio hat noch immer ein Lüstgen, mit gedachter Donna, von der er sich, ob er sie gleich, der Dunkelheit halber, nicht einmal sehen können, sehr enthusiastische Vorstellungen macht, eine Liebesintrigue zu enfiliren. Nach einigen, dem Duarte ertheilten, Bezeichnungen der Gegend, wo das Duell vorgefallen seyn soll, und des Hauses, in welches Clodio sich geflüchtet haben will, schließt jener, daß der Erzähler sein Gegner, die erwähnte Donna aber seine Schwester, Elvira, seyn müsse – doch läßt er sich von dem allen nichts merken. Clodio giebt ihm einen Brief, den er gern an seine Unbekannte bestellt haben will, Duarte nimmt ihn an, verspricht sie auszukundschaften, verkleidet sich, bringt den Brief in Elvirens Hände, und wird – unbegreifliches Wunder! – von ihr nicht erkannt. Clodios kühne Declaration reizt Elviren zur Rache wider den Mörder ihres Bruders; um selbige desto zuverläßiger und eclatanter auszuführen, verbirgt [44] sie ihre geheime Absicht, ladet Clodion in der zärtlichsten Antwort zu sich ein, und ermuntert ihn zu den schmeichelhaftesten Hoffnungen. Clodio erscheint, von Duarten begleitet, Elvira empfängt ihn in einem Zimmer, wo große Gesellschaft, auch ihr Onkel selbst anwesend, ist, und erklärt alsbald laut, besonders dem Herrn Guverneur mit vielen Pathos: hier sey der Mörder seines Neffen, den er unverzüglich in Arrest bringen, auch sofort, nach Vorschrift der Geseze, hängen zu lassen, die Güte haben würde. Clodio vermaladeyt sein Schiksal, wimmert über den Verlust seines jungen Lebens, und bezeigt sich, als wenn ihn der Strik schon am Hals kizelte. Nun demasquirt sich, zu jedermanns unaussprechlicher Verwunderung, Don Duarte, das heißt, er wirft eine Larve und eine alte Peruque von sich, und erklärt, daß er die Gelegenheit zum Streit mit Clodio neulich vom Zaun gebrochen, im Duell nur verwundet, und wieder curirt, durch dieses Notabene [45] aber aus einem Wüstling in einen vernünftigen Mann umgewandelt worden sey. Diese Apologie macht Clodion Luft zum Herzen, besonders aber schlägt sie bey Elviren sehr günstig für ihn an – rasche Dankbarkeit überwältigt ihren Zorn – den Mörder ihres Bruders wollte sie schlechterdings gehangen wissen, aber dem Verbesserer seiner Denkungs- und Lebensart schenkt sie zur Belohnung ihre Hand. – Wie das hier erzählte alles zugegangen, wie es möglicher Weise nur so zugehen können, das verlange man nicht von mir zu wissen; denn mein bisgen Menschenverstand reicht nicht so weit, um dergleichen überhäuften Unsinn nur zur mindesten Wahrscheinlichkeit vereinigen zu können. Wenn aber die Leser des Jurnals nicht, wie Clodio selbst, ganz vergessen haben, in welcher Absicht jener nach Lissabon gekommen war, und dahero auch von den Schiksalen der übrigen Gesellschaft, gern informirt seyn wollen, so diene ihnen folgendes zur beliebigen Nachricht.
[46] Angelina ist von einer vornehmen portugiesischen Coquette, der Donna Enrica, als Gesellschafterin aufgenommen worden. Carlos, und sein Onkel, laufen eine zeitlang, unstet und flüchtig, auf den lissaboner Strassen herum. Bey der Gelegenheit sieht ersterm Enrica von ihrem Balcon so tief in die Augen, daß sie sich gleich sterblich in ihn verliebt. Sie wirft ihm ein Päktgen Ducaten von oben herunter, in ihr Schnupftuch gewikelt, vor die Füsse, läßt ihn in der Folge, nach Landessitte, bey der Nacht, durch Bravos arretirt, in ihr Zimmer bringen, erklärt ihm heftige Liebe, und fodert Erwiederung. Er, nicht so wankelmüthig, wie sein Bruder Clodio, bleibt Angelinens Andenken treu, will von keinem neuen Engagement etwas wissen, und refusirt alles, was die zuvorkommende Donna ihm darbietet. Sie entrüstet sich heftig, giebt ihm aber doch noch einige Stunden Bedenkzeit, und behält ihn unterdessen, als Gefangnen, im Hause. Gar zu strenge wird er dabey [47] nicht beobachtet, er schleicht herum, und rencontrirt unvermuthet seine Angelina. Beyde sind entzükt, einander wieder zu sehen, zerschmelzen fast in wechselseitiger Freude und Zärtlichkeit – werden aber, indem sie sich eben die süssesten Dinge vorsagen, von Enricen überrascht. Diese enträthselt nunmehr den Grund von Carlos ihr bezeigtem Kaltsinn, tobt wie eine Furie, droht Rache, läßt sich aber allmählig besänftigen – und befördert die Verbindung des liebenden Paares. Die lezte Scene versammelt die ganze Madritter Reisegesellschaft, jung und alt, nebst denen so in Lissabon an ihren Schiksalen Antheil genommen, zur nemlichen Zeit in Elvirens Visitenzimmer, als Clodio sich ebendaselbst in der Crisis befindet, gehangen zu werden – Nach publicirter Generalamnestie, paaren sich die Damen, Elvira mit Clodio, Angelina mit Carlos, Enrica – um nicht allein leer auszugehn – mit Don Manuel, einem braven portugiesischen Seeofficier – [48] und jedes Individuum freut sich, daß der glüklichste Erfolg von allen Seiten so viel verworrene Händel entwikelt hat. – Nun, meine Leser, freuen Sie sich nicht auch? Wahrscheinlich darüber am meisten, daß ich Sie nicht länger mit dem Commentar solcher Absurditäten aufhalten darf.
Von Ausführung des Stüks will ich gerne weiter nichts erwähnen, denn wie könnte ich in einem solchen den oder jenen Schauspieler loben oder tadeln – ohne ihn auf beyde Fälle offenbar zu beleidigen?
Die Rollen der Angelina, der Elvira, der Enrica, des Antonio, des Charino, des Carlos, des Clodio, des Luis, des Guverneurs, des Duarte, und des Manuel, waren durch Madam Schuwaert, Madam Koch, Madam Günther, Herren Stierle, Günther, Schuwaert, Opiz, Reineke, Henke, Schirmer, und Zuker besezt. – Herr Opiz zeichnete sich durch sein possierlich lebhaftes, und Herr [49] Henke durch sein jämmerlich steifes, Spiel vor allen aus.
Wäre nur wenigstens Herr Reineke heute nicht auf der Bühne erschienen, dann hätte ich noch zu meiner Beruhigung glauben dürfen, eine Reise, eine Krankheit, oder sonst ein ungefährer Zufall, habe ihn ganz ausser Stand gesezt, sich um alles, was heute auf dem Theater vorgieng, nur im mindesten zu bekümmern. – Wie aber er, als Regisseur, ein so abgeschmaktes Stük an einem Meßsonntag, wo der Zusammenfluß der Fremden am größten ist, zum Vorschein kommen zu lassen, dadurch sein eignes Discernement, und den guten Ruf der ganzen Gesellschaft, so sehr zu decreditiren, vermochte, dies bleibt mir noch unbegreiflicher; als daß Don Duarte von Onkel und Schwester für todt gehalten, und nicht begraben – aus dem Hause sich lebendig eclipsiren, und nicht vermißt – Elviren ein Liebesbriefgen behändigen, und nicht erkannt werden konnte. –
[50] Eben so treuherzig als, ich vorigen Freytag unbefriedigt, gestern aber ganz mißvergnügt, aus dem Schauspielhaus gegangen zu seyn, äusserte – weil ich die Möglichkeit, daß durch vorsichtige Auswahl eines guten Stüks, durch adäquate Besezung derer Rollen, und durch gleichmäßig angespannten Eifer, jede einzelne zu erschöpfen, in allen Vorstellungen Vollkommenheit erreicht werden kann, schlechterdings vorausseze – eben so unumwunden contestire ich meine Zufriedenheit mit alle dem, was ich heute, Montags, den 6ten October, auf dem Theater gesehn und gehört habe.
Es wurden die Holländer, oder, was vermag eine vernünftige Frau nicht: gegeben. Herr Bok hat dieses italiänische Product, dessen eigentlicher Verfasser, unter dem Titel, die Kaufleute, Goldoni ist, umgearbeitet, und für unsre Bühnen brauchbar gemacht. Der erste Band des vermischten Theaters der Ausländer, welchen Herr Bok im Jahr [51] 1778 herausgab, fängt damit an. Es hat sehr viel innern Werth, und manche erhabne Schönheiten, obgleich der Plan mit äußerster Simplicität angelegt ist; ein Vorgang fließt aus dem andern aufs natürlichste her, und jeder wirkt, als unzertrennliche Triebfeder, zur endlichen Entwikelung; kurz hier findet man das, wonach man sich bey vielen Stüken vergeblich sehnt – passende, richtig abgemeßne, Oeconomie. Die Charaktere sind durchgängig nach der Natur ausgezeichnet, und jeder derselben wurde heute auf der Bühne durch expressive Action verschönert.
Herr Stierle marquirte zwar bey seinem Spiel ein gezwungnes Wesen, und eine auffallende Aengstlichkeit – beydes thut gemeiniglich keinen günstigen Effect – zu seiner heutigen Rolle aber war es passend, da er in der Person des Jochim Lernach einen Kaufmann vorstellte, der auf dem Punct stand, banquerot zu werden, und durch die dissolute Aufführung seines Sohnes täglich gekränkt wurde.
[52] Herr Opiz zeigte mit Ausdruk und Wahrheit, in Ton und Handlung, als Heinrich Lernach, einen jungen Wüstling, welchen Begünstigungen des Glüks, übertriebne Nachsicht seines Vaters, vorzüglich aber schlechte Gesellschaften, und ein rasender Hang zum Spiel, sehr, aber demungeachtet noch nicht von Grund aus, verderbt hatten; der besonders den Werth des Geldes nicht zu schäzen wußte, bey voller Casse der beste Bezahler, wenn es ihm aber an Gelde fehlte, effronte genung war, von jedem, ohne Rüksicht aufs künftige Widergeben, unter den nachtheiligsten Bedingungen, zu borgen, und den, der ihm verlangten Credit versagte, zu brutalisiren. Davon legte er in der Scene mit Anngen, die ihn um vorgeschoßne hundert und funfzig Thaler mahnte; in der, wo er Herrn Amputatorius zweytausend Ducaten, gegen verschriebne acht Procent Interessen, abschwazte; und endlich in der [53] wo er dem Holländer van der Hoeft um deswillen äusserst grob begegnete, weil er ihm nicht eben so viel aufs neue borgen wollte, als er selbigem bereits schon schuldig war, deutliche Proben ab. Bey dem allem hatte Lernach kein böses Herz, und innres Gefühl von Ehre war bey ihm, troz aller Ausschweifungen, nicht völlig erstikt worden. Dies beurtheilte Sara, van der Hoefts Nichte, ganz richtig – drum gelang es ihr auch, als sie ihm die fingirte Neigung seiner Schwester gegen einen Menschen von schlechter Lebensart, dessen Fehler sie nach der Reihe herrechnete, erzählte, erst seine Ehrliebe rege zu machen, und dann, als sie ihm sagte, jenes wäre nur ein Mährgen, das Original der detaillirten Schilderung aber sey er selbst, ihn zur Erkentniß seiner bisherigen niedrigen Conduite zu bringen, und vor ihren Füssen bittre Reue äussern, künftige Besserung angeloben, zu sehen. Eben in dieser Scene, wo Sara den jungen Lernach so meisterlich in die Enge [54] marquirte Herr Opiz durch eine künstliche Pantomime, da er, während der langen Gesezpredigt, die Sara Lernachen hält, erst ganz stumm, in sich vertieft, saß; zuweilen, bald mit den Zähnen knirschte, bald die Hände rang; nach und nach in stille Wehmuth gerieth; sich unvermerkt Thränen aus den Augen wischte; und endlich, mit dem Gesicht in Saarens Schoos sinkend: „seyn sie mein guter Engel, Sara!“ ausrief, sein heutiges Meisterstük; so wie er durchgängig, auch da besonders, als er mit mörderischem Vorsaz gegen sich selbst das Pistol ladete, abermals von Saren überrascht, zur Vernunft zurükgeführt, wurde, und bey der feyerlichen Aussöhnung mit seinem Vater, durch die affectuoseste Action sich des vollkommensten Beyfalls würdig machte.
Doch auf Herrn Opiz allein, konnte lezterer sich nicht heften, weil auch um selbigen Herr Reineke weteiferte. Wie groß, und mannigfaltig, sind nicht die Gaben dieses vollendeten [55] Schauspielers? Die Diversität der Rollen, welche er übernimmt, giebt ihm Gelegenheit, solche dergestalt zu zeigen, daß er auch die höchsten Erwartungen der Zuschauer noch immer mit dem, was er er wirklich leistet, überspringt. Vortreflich machte er heute den Holländer van der Hoeft, dessen Ganzes, von der unbedeutendsten Miene bis zur wichtigsten Handlung, den Mann von entschiedener Rechtschaffenheit, Großmuth, und Menschenliebe, bezeichnete; in dessen Busen, bey aller Kälte, die seine äussern Manieren begleitete, doch das wärmste Gefühl für das, was wirklich schön und gut war, glühte; der jede Schmeicheley mit einem troknen: „sehr obligirt!“ erwiederte; der ein abgesagter Feind aller Complimente, und Weitschweifigkeiten, war; der allenthalben nur die Kürze liebte, sich aber durch ein gesagtes Wort, eben so fest gebunden achtete, als wenn er zehn Eide geschworen hätte; der fremde Verdienste eben so geschwind, als Laster an andern, penetrirte, [56] und daher dem Tugendhaften mit thätiger Freundschaft zuvor kam, eben so offenbar aber auch den Nichtswürdigen ins Angesicht verachtete. Wenn dem Dichter des Stüks der Ruhm gebührt, van der Hoefts Charakter mit den originellesten Zügen ausgemahlt zu haben, so muß man Herrn Reineke das Lob zueignen, daß er sich keinen derselben entwischen ließ, sondern jeden einzelnen durch sein herrliches Spiel hob, und veredelte.
Herr Thering besizt eine ihm ganz eigne Kraft, chargirt comische Rollen mit passender Laune zu suteniren – heute legte er, als Amputatorius, sehr amusante Proben seines Talents ab.
Fechner, des alten Lernachs Buchhalter, und Baron Gabriel, des jüngern Gesellschafter, waren, nach dem Zusammenhang, zwey nicht gar wichtige Personen, welche durch die Herren Zuker, und Schirmer, ohne große Anstrengung, vorgestellt werden konnten – was sie zu thun hatten, das erfüllten sie.
[57] Sara van der Hoeft paradirte nicht mit jenen Weiblichkeiten, in denen unsre Modefrauenzimmer Verdienst suchen – Aecht brillanter Verstand, das beste Herz, und humoristische Munterkeit, waren die hervorstechenden Attribute ihres eigenthümlichen Charakters. Die gütige Natur hatte sie mit der angenehmsten Bildung beschenkt, nach der Natur waren aber auch ihre moralischen Schönheiten gemodelt. Rein waren ihre Empfindungen, sie scheute sich aber auch nicht solche zu äussern. So wie sie dachte, und fühlte, gerade so redete, und handelte sie. Aus einer Neigung für den jungen Lernach, die sich ihrer bemeistert hatte, machte sie daher kein Geheimniß; ohne selbige zu masquiren, gab sie sich aber erst sichtbare Mühe, an der sittlichen Besserung des Geliebten zu arbeiten. Es gelang ihr. Sie brachte ihn zur Erkentniß seiner Fehler, sie rettete ihn aus der Verzweiflung, sie führte ihn auf den Weg der Tugend zurük, und schenkte dann dem Bekehrten freymüthig [58] ihre Hand. Meisterlich paßte das naive Spiel der Madam Reineke zu dem Charakter dieses liebenswürdigen Mädgens. Vorzüglich wußte sie jene Scenen, da sie mit Lernachen bald zu wizeln, bald ernsthaft zu philosophiren, bald ihm die erhabensten Moralen in langen Monologen vorzupredigen, hatte, mit so vieler Laune, Energie, und Suade, zu würzen, daß niemand nur die mindeste Anwandlung von Langerweile dabey bekommen konnte; vor allen andern aber hat gewiß die Pointe, wo sie zu Lernachen bey Zurükgebung des Pistols sagt: „und nun – jagen sie sich die Kugel durchs Gehirn, wenn sie der starke Geist sind,“ auf jeden Zuhörer, Madam Reineke zur Ehre, den kraftvollesten Effect gemacht.
Leopoldine Lernach – auch ein herrliches Mädgen, war zwar nicht so offen, sondern weit schüchterner, hatte weniger hervorstechenden, aber doch eben so viel richtigen, [59] Verstand, weniger Wiz, aber mehr schmachtende Sanftmuth, und gewiß ein eben so vortrefliches Herz, als ihre traute Freundin, Sara. Madam Günther spielte diese Rolle mit vieler Innigkeit; nur den eigentlichen Coup de Maitre in selbiger verfehlte sie, meines Erachtens, ein wenig. Ich rede hier von dem Blik, den sie, statt eines wörtlichen Geständnisses ihrer Liebe, van der Hoeften im zweyten Auftritte des dritten Acts geben wollte. Der sollte eigentlich nichts weiter, als ein flüchtiger, verschämter, sanfter, Blik seyn, Madam Günther aber begleitete ihn mit einem Kopfniken, und mit einer convulsivischen Bewegung, die sichtbarlich ihren ganzen Körper erschütterte – dadurch artete sie in Grimmasse aus, und negligirte ihre charakteristische Schüchternheit mit einem mal zu sehr.
Madam Seconda hatte, als Anngen, Leopoldinens Cammerjungfer, nicht viel zu thun, desto besser machte sie die ganze Scene, [60] wo sie sich mit dem jungen Lernach, wegen hundert und funfzig Thaler, erst zankte, bald aber wieder aussöhnte.
Endlich muß ich noch eine kleine Bemerkung, gegen die heutigen Anschlagezettel beyfügen. Auf selbigen hätte, statt: eine vernünftige Frau, schlechterdings: ein vernünftiges Frauenzimmer, stehen sollen, denn Sara, die den ausschweifenden Lernach zur Erkentniß feiner Fehler, zum ernsthaften Vorsatz der Besserung, bewog, sowohl, als Leopoldine, die warme Liebe ins Herz des kalten Holländers flößte, dadurch aber alle zwischen jenem und ihrem Bruder entstandene Mißhelligkeiten, zur Rettung ihres Vaters, und zum Wohl der ganzen Familie, glüklich redreßirte, waren beyde keine Frauen, sondern noch unverheirathete Mädgen. So viel ich mich erinnere, hat auch Herr Bok diesen Widerspruch vermieden, und sich auf seinem Titel ausdrüklich des Worts Frauenzimmer bedient.
[61] Dienstags, den 7den October, gab man den argwöhnischen Liebhaber, ein Lustspiel von Brezner, dessen erste Vorstellung, wenn ich nicht irre, vorigen Winter zu Berlin erfolgt, und das ganz gewiß erst heuer gedrukt worden, ist – hier wäre also einmal ein vaterländisches Fabricat, zu dem der Stof nicht mit drey Groschen vom Thaler veraccisirt werden durfte. Unter jene dramaturgische Seltenheiten, welche mit magnetischer Kraft den Zuschauer dergestalt an sich ziehen, daß alle andre Gefühle bey ihm stille stehen, kann es freylich kein Kenner erheben, aber gefallen muß es allenthalben, wo es so gut aufgeführt wird, wie heute auf der hiesigen Bühne – denn auch der minder penetrante Zuschauer findet dabey Unterhaltung, und der Eigensinn des delicatesten keinen Stein des Anstosses – sondern Amusement.
Amalie Berg, Madame Reineke, ein junges, schönes, reiches, Mädgen, sahe sich mit [62] Freyern umgeben, deren immer einer den andern jagte; bey dem seltnen Vorrecht einer gänzlichen Unabhängigkeit verfolgte sie aber sehr behutsam die Idee: keinen andern zum künftigen Gatten zu wählen, als den, mit welchem sie ganz glüklich zu werden in Voraus berechnen konnte.
Unter Amaliens declarirten Anbetern bemerkte man erstlich, einen Hofrath Albert, Herrn Schuwaert, dem kein inneres, und äusseres, Verdienst zum würdigsten Manne fehlte, der sie aber alle durch charakteristischen Hang zum übertriebensten Mißtrauen, zur thörigsten Eyfersucht, verdunkelte. Seine Prätensionen auf Amaliens Gunst, waren die ältesten, sie verkannte auch seinen Verstand, seine Rechtschaffenheit, keinesweges, aber sie zitterte für den Folgen seiner argwöhnischen Laune, mit der er sie schon als Liebhaber täglich quälte, und maß nach den Zänkereyen, die er jezt schon unaufhörlich anzettelte, das, [63] was sie bey einer engern Verbindung mit ihm gewiß zu erwarten hatte, richtig ab.
Nächst diesem bestürmte Belton, Herr Opiz, mit allen Airs, und Zudringlichkeiten, eines originellen Chevaliers, der jedes Mädgen gleich beym ersten Anblik zu fesseln glaubt, Amaliens Herz. Allein, je suffisanter er auf den allgewaltigen Eindruk seiner Person, und seiner Gewandheit, bey Amalien rechnete, sie schon für eroberte Beute ansahe, desto gründlicher schloß jene, daß ein Liebhaber, der gar zu viel verspricht, immer als Ehemann am wenigsten erfüllt. Divertissement machte sie sich daraus, und sahe Beltons poßirlichen Springen um sie herum eine Weile zu, sagte ihm aber, wenn er von Feuer und Flammen schwadronirte, wenn er glühende Gegenliebe bey ihr unumgänglich voraussezte, ganz gelassen ins Gesicht, sie sey kalt wie Eis – und warf, als Albert ihn für einen gefährlichen Nebenbuhler beargwohnte, sich beschwerte, [64] daß Amalie einem solchen Windbeutel Gehör, wohl gar Vorzug, geben könne, die Frage auf, ob sie sich seiner nicht bedienen dürfe, den Herrn Hofrath auf die Probe zu stellen, oder mit jenes Pfötgen Castanien aus den Kohlen zu langen?
Endlich führte auch noch ein gewisser Klau, in dessen Rolle heute Herr Kaseliz, als neu aufgenommner Acteur, ohne etwas Extraordinaires zu leisten, aber auch ohne sie zu verderben, debutirte, ein pedantischer Amtmann, der mit Amalien in Proceß verwikelt war, sich vom nächstbevorstehenden Ausgang wenig Gutes versprach, und daher den hochweisen Plan ausgedacht hatte, durch Vergleich, dessen Basis eine Vermählung zwischen der Gegnerin und seinem Sohn seyn sollte, wenigstens die Trümmern aus dem Schiffbruch zu retten, Amalien noch einen dritten Freyer, seinen Erstgebohrnen, Baldrian, von Ferne her, von Habsburg aus, zu.
[65] Baldrian Klau soll, nach der Idee des Herrn Brezner, ein junger achtzehnjähriger Gukindiewelt seyn – dawider contrastirte nun freylich das Alter des Schauspielers, dem heute diese Rolle zugetheilt worden war, gar sehr; doch gieng, nach meinem Gefühl, nichts dabey verlohren, vielmehr paßten die andern personellen Attaribute des Baldrians, dessen robustes Gewüchse, starke Knochen, und körperliches Gewicht, wiederholt herausgestrichen wurden, zu der Figur des Herrn Therings ungleich besser, und das Comische in dem Begriff, ihn Amaliens Liebhaber machen zu sehen, wurde auffallender, als wenn der Acteur noch keinen Bart gehabt hätte. Alle übrige vom Verfasser vorgeschriebene Präcautionen beobachtete Herr Thering aufs genaueste; seine Kleidung, seine Attituden, sein ganzes Spiel, bezeichneten pünctlich den, auf dem Lande erzognen, Neuling in städtischen Gesellschaften, ohne den Baldrian zum puren ungeschliffnen Bauer herabzuwürdigen.
[66] Doctor Flappert, Amaliens Vormund, ein wahres Original, auf dessen Auszeichnung der Dichter viel Fleiß verwendet, das ihm aber auch ganz unvergleichlich gelungen – ein geschikter, thätiger Advocat, und zugleich der größte Gurmand, den man sich denken kann; voller Eyfer bey Abwartung seiner Geschäfte, dann aber am emsigsten, wenn er was delicates zu schnabuliren hatte; kein förmlicher Chicaneur, und Rechtsverdreher, aber doch von Schlendriansgrundsäzen verderbt genung, um seinen Clienten, wenn sie nur das rechte Flekgen bey ihm trafen, goldne Berge, Dinge, zu versprechen, von denen er im Voraus wußte, daß er sie nie würde bewerkstelligen können. Wer ihm Geldbestechungen anbot, kam weit linker Hand, wer aber seinem lüsternen Gaum opferte, hatte ihn augenbliklich auf der Seite. – Dies erfuhr Amtmann Klau – Hundert offerirte Luisdor brachten den Doctor so in Wuth, daß er dafür ausspukte, aber mit der [67] blossen Erzählung, von was für gutem Geschmak, Wildpret, und Fische, auf Baldrians Gute wären, und mit dem Versprechen, ihm einen Habsburgischen Schwartenmagen zu kosten zu geben, besänftigte er ihn wieder endlich zog er ihn vollends durch einen Ohm Sechsundsechziger dergestalt in sein Interesse, daß er mit Hand und Mund angelobte, die Verbindung zwischen Amalien und Baldrian aus allen Kräften zu befördern. Kurz darauf hingegen bezauberten Flapperten ein Fäßgen englische Austern, welches ihm Hofrath Albert schikte, und zwölf Rebhüner, womit Belton ihn beschenkte, dergestalt, daß er, die unmittelbar vorher gegen den Amtmann Klau eingegangnen Verbindlichkeiten ganz vergessend, leztern beyden in der nemlichen Viertelstunde, einem nach dem andern, Amaliens Besiz unter seiner Vermittlung mit gleicher Gewißheit zusicherte. Herr Günther executirte diese Rolle meisterlich, alles war Leben und Fröhlichkeit an ihm – durch sein possirliches: [68] „Poz Fischgen“ trug er gewiß, der vielfältigen Wiederhohlungen ungeachtet, ein Grosses zur Hebung des ganzen Stüks bey.
Frank, Amanuensis beym Doctor Flappert, ein edeler Jüngling, von der Natur mit ausserordentlichen Gaben des Körpers, und Geistes, beschenkt, in dessen Charakter Gerechtigkeitsliebe, und Wohlthätigkeit, die Hauptzüge sind – nach der Idee des Dichters; ein completer Siegwart – nach der Expreßion, mit welcher Herr Distler unter dieser Rolle heute ebenfalls debutirte. Inniges Gefühl für wahrhafte Schönheiten wärmte sein Herz, und erzeugte darinnen Liebe für Amalien; aber zu sehr von dem Abstand zwischen ihm und ihr geschrekt, verheimlichte er jene so lange, bis die Cammerjungfer, Madam Günther, ihn zur wahrscheinlichsten Hofnung, er sey ihrer Gebieterin gar nicht gleichgültig, aufmunterte, und Amalie selbst in einem sehr interessanten Tetatet durch ihr [69] ganzes Betragen solche bestätigte. Dann brach Frank mit dem Geständniß seiner Leidenschaft hervor; flohe aber im Augenblik voller Furcht, Amalien dadurch beleidigt zu haben, aus ihren Augen; und wurde endlich, da jene sich hinlänglich überzeugt hatte, mit Albert, mit Belton, mit Baldrian, könne sie unmöglich, aber mit einem Manne, wie Frank, müsse sie unfehlbar, glüklich werden, durch das freywillige Geschenk ihrer Hand, so überrascht, daß er nur die wenigen Worte: „danken kann ich ihnen nicht; ich bin zu voll; lesen sie mein Herz in meinen Augen“ – herzustammeln vermochte.
Ehe ich die Feder heute niederlege, erlaube mir Herr Brezner noch die treuherzige Frage an ihn selbst: stehen wohl Titel und Inhalt dieses Stüks in recht harmonischer Verbindung? – Hofrath Albert zeichnet sich durch argwöhnische Laune, gerade nicht mehr als Belton, durch Faseleyen, als Baldrian, [70] durch hölzerne Sitten, als Frank, durch Empfindsamkeit, aus, und doch produciren sie sich insgesamt, als Amaliens Liebhaber; mit gleichem Recht könnte daher der Titel, statt, der argwöhnische, auch der flatterhafte, der ungehobelte, der schmelzende Liebhaber, heissen. Weil aber das Hauptinteresse darinne liegt, daß ein verständiges Frauenzimmer aus vier Anbetern gerade den würdigsten zum künftigen Ehegatten wählt, so müßte nothwendig bey einem andern Titel, z. B. die richtige Wahl, oder, Wahl nach Verdienst, dessen Combinaison mit dem Sujet weit expressiver seyn.
Nun endlich noch ein Wort mit Herrn Bondini – Wenn er doch ehestens seine theatralische Garderobe mit einem neuen, und bessern, Schlafrok bereicherte! denn, poz Fischgen, den grün damastnen, worinne Herr Hofrath Albert heute paradirte, habe ich – haben gewiß auch mehrere Zuschauer – schon seit geraumen Jahren zu kennen die Ehre.
[71] Mittwochs, den 8ten October, erfolgte eine Wiederhohlung der comischen Oper: die Entführung aus dem Serail. – Aus bereits angeführten Gründen – passe ich für heute.
Vorgestern schrieb ich von theatralischen Seltenheiten, die mit unwiderstehlicher Kraft jeden Zuschauer dergestalt fesseln, daß, wenn er sie betrachtet, alle andre Gefühle in ihm stille stehen. – Heute, Donnerstags, den 9ten October, sahe man eine solche wirklich, in der Vorstellung des Meißnerischen Schauspiels, Johann von Schwaben. Es hat, einige Nuancen, die mit Religionsbegriffen zu nahe verbunden, und daher absolut fürs Theater zu erhaben, sind, weggerechnet, ganz ausnehmende Schönheiten, worunter der treflichste Dialog besonders hervorsticht. Alle Personen reden, wie denkende Köpfe, mit Wärme und Energie, ohne ins Unnatürliche auszuschweifen; der attente Zuschauer aber wird nicht mit blossen Declamationen erhabner [72] Sentimens eingeschläfert, sondern auch vom Anfang bis zum Ende durch die wichtigsten Handlungen intereßirt. Da vielleicht das Stük noch nicht allgemein bekannt ist, so verdient es um so mehr, daß ich mich beym Detail seines Hauptinhalts verweile.
Durch Verbrechen hat sich König Albert nicht allein auf Deutschlands Thron geschwungen, – denn unter andern mordete er den Grafen von Hennegau, welcher ihm im Wege stand, mit Gift – sondern er häuft auch, um sich darauf zu mainteniren, um seine usurpirte Macht täglich zu erweitern, als regierender König eine Ungerechtigkeit zur andern. Die größte übt er an seinem Neffen, und Mündel, dem Prinz Johann von Schwaben, aus. Denn, ob selbiger gleich die Jahre der Mannheit erreicht, schon eclatante Proben seines reifen Verstandes, seines unerschroknen Muths, in denen Versammlungen des königlichen Raths, im Angesicht der Feinde, abgelegt [73] hatte, so verlängert dennoch Albert die Rechte der Vormundschaft über ihn von Monaten zu Jahren, und zaudert, unter lauter kahlen Vorwänden, ihm sein väterliches Erbtheil, das Herzogthum Schwaben, zur eignen Regierung einzuräumen. Doch nicht Herschsucht allein, sondern auch niedrigere Leidenschaften, reissen Alberten zu grausamen, und ungerechten, Thaten hin. Als offenbarer Wollüstling erlaubt er sich jede, durch die er seine Begierden befriedigen kann. – Helenen von Bardenburg hat er aus den Armen eines edeln Ritters, Rudolph von Palm, der sie liebte, der von ihr geliebt wurde, entführt, genothzüchtigt, und vier Jahre lang in einem verstekten Waldschloß von treuen Bösewichten, als Gefangne, bewachen lassen. Bey solchem Verhalten mußte Albert nothwendig ein Greuel seiner Unterthanen, und Nachbarn, mußte er mit Feinden umgeben, seyn, deren gereizte Rache ihm, nach dem Grundsaz damaliger Zeiten, Verderben und Tod schon [74] längst heimlich geschworen hatte. Eleonore von Hennegau, deren Vater Albert vergiftet, Prinz Johann von Schwaben, dem er sein Herzogthum vorenthielt, und Ritter von Palm, welchen er durch Helenens Raub zum elendesten Menschen gemacht, waren ihm die nächsten, und täglich am Hofe. Eleonore besonders, ein Weib von männlichen Geist, konnte nicht eher ruhen, bis sie ein theures Gelübde: ihres Vaters Mord an Albert blutig zu rächen, welches sie mit jedem Morgen erneuerte, erfüllt sahe – nur fehlten ihr geraume Zeitlang Mitverbündete, die sie thätig bey dessen Ausführung unterstüzten. Johann von Schwaben liebte schon längst Eleonoren inbrünstig; sie bequemte sich endlich zu einer heimlichen Heirath mit ihm, unter der einzigen Bedingung, daß er ihren, und seinen, Feind, Albert, vernichten sollte. Noch zog sie Palmen, selbst Mathilden, Alberts Buhlerin, mit in ihr Interesse; erstern dadurch, daß sie eine Zusammenkunft zwischen [75] ihm und seiner vormaligen Geliebten bewerkstelligte, in der Palm aus Helenens Munde alle, ihm vorher noch unbekannte, Abscheulichkeiten erfuhr, so Albert an ihr ausgeübt hatte; leztere, daß sie ihr Briefe zu lesen gab, die Albert ehedem an Helenen geschrieben, Mathilde aber für neu halten mußte: Beyde wurden dadurch zu glühender Eyfersucht, zu entschloßner Rache, hingerissen. – Nun war Eleonorens Wunsch erreicht, ein fürchterliches Complot wider Albert vereinigt, sie die Anführerin davon. – Jene insgesamt, und einige andere Ritter, welche über des Königs Ungerechtigkeiten aus eigner Erfahrung zu klagen Ursache hatten, beschworen feyerlich Alberts Tod. Mathilde selbst lieferte ihn an einem verabredeten, einsamen, Ort in die Hände seiner Feinde; der Tiran fiel unter ihren vereinigten Schwerdern, Eleonore aber versezte ihm mit eigner Hand den tödlichen Dolchstich ins Herz. – So – und bis dahin, wurde die Geschichte auf der hiesigen [76] Bühne, in vier Acten, verhandelt. Nach der von Herrn Plümike gefertigten Bearbeitung des Meißnerischen Originals, geht sie, in einem fünften Aufzug, noch weit über Alberts Tod hinaus, ist auch schon in den ersten vieren mit verschiedenen Personen und Scenen erweitert, die bey der heutigen Vorstellung, theils ganz weggelassen, theils abgeändert wurden. So sahe man z. B. Alberts minderjährige Prinzen, und den Bischof von Basel, gar nicht auftreten; Eleonore fand sich zur feyerlichen Verschwörung ohne Panzer und Helm, in ihrem gewöhnlichen Anzug, blos verschleiert, unter der Eiche ein; Mathilde war keine Augenzeugin von Alberts Ermordung, auch Helene erschien nicht dabey, als Nonne, um Eleonoren den Dolch zu entreissen, und dem Sterbenden damit den lezten Stoß zu geben.
Die Schauspiel thaten ihr Möglichstes, jede erhabne Schönheit des Stüks zu veredeln – aber in Lobeserhebungen erschöpfen müßte [77] der sich, welcher allen Ruhm wörtlich verkündigen wollte, den heute Madam Reineke durch ihre unnachahmliche Action, als Eleonore, erwarb. Wie expressiv bezeichnete sie nicht die Attribute einer edeln Seele – nach damaligen Begriffen – eines männlichen Muths, und einer unauslöschlichen Rachsucht, die der Dichter Eleonoren beylegt, in denen Scenen, wo sie Johanns zudringlicher Liebe nach, sich, zwar ohne Priester und Sacrament, aber unter Ablegung eines schaudervollen Eides, den er erst aus ihrem Munde wiederhohlen mußte, als Gattin ergab; wo sie diese Verbindung in Alberts Gegenwart gestand; wo sie ihren Gemahl zur Vollendung der angelobten Rache von Zeit zu Zeit ermunterte; wo sie, bey der nächtlichen Zusammenkunft unter der Eiche, die Unentschlossenheit der Verbundnen beschämte, nicht, wie jene, das Rollen brüllender Donner über ihrem Haupte achtete, sondern frey hervortrat, bey den Worten: „hier steht sie, die dies Werk gebahr,“ auf sich [78] selbst zeigte, mit Johanns Schwerd in der Hand, den emphatischen Monolog zum Himmel redete, dadurch Männern, Rittern, das Bekenntniß: „du bist größer, Weib, als wir alle!“ abdrang, und die wirkliche Verschwörung beschleunigte; wo sie endlich zu dem schon unter Schwerdstreichen gefallnen, im Blut schwimmenden, König sich niederbükte, dem Sterbenden ins Ohr schrie: „Albert, Albert, lieber Albert, sammle noch einmal all’ deine Kräfte, und höre! Die, die uns hier verbarg, die um alles wußte, die deine Trabanten entfernte, – war deine theure Mathilde – – – – – – – schmerzt dir dies nicht tiefer noch, als unsre Wunden schmerzten: – Wohlan mit dem Gefühl fahr’ hinab, hinab zur Hölle!“ – und ihm dann den lezten Dolchstoß ins Herz gab. Wer das alles so mit ansah, und hörte, vergaß entweder die Schauspielerin ganz, und glaubte mit Gewißheit, die von glühender Rache wider den Mörder ihres Vaters schäumende [79] Tochter, welche den Plan, sie zu sättigen, erst mit der klügsten Vorsicht angelegt hatte, dann aber auch mit männlichem, jedem Hinderniß, jeder Gefahr trozenden, Muthe vollendete, vor Augen zu haben; oder mußte, wenn er sich dabey erinnerte, daß die nemliche Person, deren heutiges Spiel sein Herz mit Schaudern füllte, ihm jüngst als Sara van der Hoeft die sanftesten Gefühle eingeflößt hatte, desto wohlwollender Madam Reineke – die Virtuosin – bewundern.
Madam Günther vernachläßigte in der Rolle der Mathilde keinen einzigen Zug, wodurch eine scharfsinnige, im Hofton geübte, königliche Maitresse, voller Prätensionen, sich zu distinguiren vermögend ist.
Madam Schuwaert erschien zwar, als Helene, nur ein einzigmal auf der Bühne, bey der Zusammenkunft mit dem Ritter von Palm, und in der unmittelbar darauf folgenden Scene, wo, nachdem jener sie verlassen, ihr Endurtheil: [80] „meine Gattin vermagst du nie zu werden!“ ausgesprochen hatte, Eleonore sie trösten wollte; aber beyde spielte sie auch mit desto feurigerer, zu Herzen dringenderer, Energie.
Herr Stierle mußte den König Albert machen – mußte, schreibe ich wohlbedächtig, und seufze dabey – denn zu beklagen ist es wahrlich, wenn dergleichen wichtige Rollen einem Acteur aufgedrungen werden, dem Mutter Natur die unentbehrlichsten Talente dazu ganz versagt hat. – Wer aus der Gesellschaft aber sollte sie sonst übernehmen, da Herr Reineke schon engagirt war? – Daß doch Herr Bondini sich von einem Spengler trennen konnte, daß er sich doch nicht ernsthafter bemüht, einen so wichtigen Verlust zu ersezen! – Herr Stierle wird jenes Plaz nie ausfüllen.
Johann von Schwaben wurde durch Herrn Opiz meisterlich executirt; gewiß, seine Talente schimmern in edeln Rollen, wo er den gesezten jungen Mann vorstellt, weit um sich [81] greifender, als wenn er unter der Distinction des lustigen Stuzers aus allen Kräften faselt.
Herr Reineke leistete, als Ritter von Palm, denen hohen Erwartungen, so man sich von ihm immer, noch ehe er auftrit, machet, vollständigste Genüge – gebohren muß der Acteur noch werden, der sein heutiges Spiel, in der Scene mit Helenen, durch Uebertreffung verdunkeln kann.
Alberts begünstigten Rath, von Eldad, machte, nach dem Ausspruch des Anschlagezettels, Herr Henke, nach dem Zeugniß meiner Augen aber, Herr Wagner, und jener den Ritter von Eschenbach – doch will ich es nicht für gewiß behaupten; irren ist menschlich, und eben so sehr ein etwa vorgefallner, Drukfehler verzeihlich.
Von Eldad ist der eigentlichste Pendant zum Oldenholm im Hamlet – ein ausgelernter Höfling, ein alter Schmeichler, der jedem gerne nach dem Munde redet, sein eigen Geschwäz [82] aber mit Metaphern auszuschmüken liebt. Der Acteur spielte ihn, so wie Herr Schuwaert den gefangnen Schweizer, Mecheln, mit Expression, und Anstand.
Unter denen übrigen Rollen, welche man, in dem Verhältniß gegen die bereits bemerkten, für episodisch ansehen konnte, zu denen man Claren, Mathildens Schwester; Theresen, Eleonorens Mädgen; die Ritter von der Wart, von Eschenbach, von Reinfeld, nebst Mechelns Reitknecht, rechnen mußte, und die durch Madam Koch, Madam Henke, Herrn Schirmer, Herrn Henke, oder, wenn der Anschlagezettel nicht verdrukt gewesen, Herrn Wagner, und Herrn Zuker, besezt waren, wurde keine verdorben.
Dank, warmen Dank, dem Herrn Sprikmann, als Autor; und Dank auch jedem, der heute, Freytags, den 10ten October, im Lustspiel: der Schmuk, auf der Bühne Meisterstüke ausarbeitete, für die angenehmen Stunden, [83] so ich diesmal im Parterr zubrachte, für die Empfindungen, welche mir ans Herz drangen, von denen ich noch erfüllt bin, da ich schon wieder zu Hause am Schreibetisch size. Hatte ich nun nicht Recht, wenn ich an einem der vorigen Tage die Möglichkeit behauptete, es könnten Stoff und Ausführung in einem Stük zu gleichmäßiger Perfection emporsteigen, und, so oft dieses nicht geschehe, sey jeder critische Zuschauer befugt, über nicht gesättigte Erwartungen zu klagen? Verließ heute wohl ein einziger das Schauspielhaus anders, als ganz zufrieden? Ich habe herzinniglich, mehr wie einmal, gelacht, mir aber auch noch öfterer, von Ausdruk und Handlung erschüttert, feuchte Augen ausgewischt. Sicherer kann der Beweiß, daß ein gutes Stük, an dessen glüklichen Ausführung jeder Acteur in seiner Rolle, und alle zusammen im Ganzen, mit rechtem Eifer arbeiteten, für jede Classe von Zuschauern, und zugleich fürs allgemeine Publicum, Genüge geleistet habe, [84] nicht ausfallen, als wenn ein Mann, von gesundem Verstand, und richtigen Gefühl, dabey lachen, und weinen muß. Wer mehr verlangt, überspannt seine Foderung, und wird unbillig.
Wie vortreflich sutenirte nicht Madam Reineke ihre Rolle, als Francisca, wie ganz zeigte sie sich nicht, als gute Frau, wie fein wußte sie empfindsamen Ernst mit jovialischer Laune zu mischen, und dadurch für ihren Verstand, und für ihr Herz, allgemeinen Beyfall zu erobern. Gewiß, jeder glükliche Ehemann im Amphitheater, sahe das wahre Ebenbild seiner theuren Gattin; jeder mißvergnügte, das herrlichste Model, nach dem seine Frau sich umformen konnte; und jeder noch hoffende Jüngling, das Ideal seiner sehnlichsten Wünsche für die Zukunft – in Franciscen leibhaftig vor sich stehen. Eleganter kann ich Madam Reineke für alles, was sie heute auf der Bühne sagte, und that, nicht loben; und doch wird jedermann weder das Lob selbst, [85] noch die Voraussezung, worauf es sich gründet, für übertrieben halten.
Mit Madam Schuwaert, als Julie von Rebenthal, mußte man ebenfalls sehr zufrieden seyn; ihr Meisterstük vollendete sie in der Scene, wo sie, von Franciscens feinem Verstand übermeistert, von ihren unwiderstehlichen Gründen, deren immer einer nach dem andern Julien sichtbarlich tiefer ins Herz drang, zur Erkenntniß gebracht, wurde; zerknirscht über das Unrecht, so sie dem würdigen Carl bisher angethan, und eben aufs höchste treiben wollte, in halber Verzweiflung abgieng; und, ob sie gleich noch keinen festen Entschluß geäußert hatte, dennoch jeden Zuschauer in der sichern Erwartung, sie würde nicht auf dem fatalen Ball erscheinen, sich nicht von Frizen entführen lassen, ganz mit ihrer vorigen Leichtsinnigkeit wieder ausgesöhnt, zurükließ.
[86] Luise von Wegfort hatte sich durch Liebe zu einem Jüngling von unregelmäßiger Lebensart verstriken, zwar nicht zum sträflichsten Verbrechen, aber doch zu Gefälligkeiten, deren Erfolg sie bis zur Flucht aus dem väterlichen Hause trieb, hinreissen lassen, und innres Bewußtseyn ihrer unbeflekten Ehre konnte sie für den strengsten Urtheilen der Welt nicht schüzen, weil der Schein wider sie war. Natürlich also das verschämte Wesen, welches Madam Koch allenthalben marquirte, natürlich, daß sie immer den Kopf hieng, und die Augen niederschlug, natürlich, daß sie bey jedem Schritt mit sich selbst uneinig zu seyn schien, ob sie ihn vor- oder rükwärts thun wollte. So lange Madam Koch, bey dieser Attitude, der Natur und ihrer Rolle treu blieb, that sie alles, was man von ihr erwarten konnte. Gekränkte Liebe, Trostlosigkeit über Frizens Untreue, Wuth über seinen schriftlichen Antrag: ihm zu entsagen, wurden einmal Meister über sie, und brachen [87] aus; auch da hielt ihr Spiel dem Ausdruk die Wage – aber in der Pantomime, da sie Frizens Brief beantwortete, gesticulirte sie zu heftig, ihre Hand zitterte nicht, nein, sie schleuderte mit selbiger Züge aufs Papier, aus denen schlechterdings keine leserlichen Worte werden konnten.
Madam Günther war ganz, was sie seyn sollte – eine Wirthin, die mit emsigem Fleiß, mit schlauer Vorsicht, ihr Hauswesen in Ordnung hielt; bey der unermüdetes Bestreben nach sicherm Gewinn alle andere Reflexionen verdrängte; und die dem simplern, aber auch weit gutherzigern, Manne bey jeder Gelegenheit das Uebergewicht ihrer Person, und ihres Verstandes, recht lebhaft empfinden ließ.
Lob, verdientes Lob, für Madam Henke wird es seyn, wenn ich ihr zusichere, daß durch ihr heutiges Spiel in den nemlichen Grade, wo Francisca, als die liebenswürdigste Frau, [88] und Schwester; Julie, und Luise, als sanfte, zwar durch Leidenschaften irregeführte, aber doch endlich den rechten Weg wieder einschlagende, Mädgen, jedem Zuschauer innigste Zuneigung einflößten, die Frau Präsidentin, als eine von Stolz auf Rang und Reichthum aus dem Zirkel der Vernunft getriebne Närrin, als eine durch die spottenden Flatterieen eines schönen Jungen, der ihre bekannte Schwäche zur Erreichung seines Endzweks mißbrauchte, bis zum Schwindel und Wahnsinn erhizte Coquette, sich allgemein verächtlich und lächerlich gemacht haben muß.
Herr Reineke ist so sehr schon an den Weihrauch gewöhnt, welchen jeder Kenner, dessen Talenten streut – und doch bleibt der würdige Mann seiner Pflicht, das Publicum zu satisfaciren, unermüdet treu. Sein Eyfer, sie zu erfüllen, erneuert sich bey jeder Vorstellung, und es gelingt ihm das schwere Unternehmen, selbst diejenigen, welche sich lauter [89] Vollkommenheiten von ihm versprechen, noch über alle Erwartungen zu überraschen, und zu befriedigen. Herrlich gefiel er mir heute, als Hauptmann von Wegfort, in der ersten Scene mit der Präsidentin – seine Action in der, beym Wiederfinden der entlaufnen Tochter, warf aber schon einigen Schatten auf jene – und doch wurden beyde durch die, wo er Carln, als Luisens Verführer, behandelte, und durch den in selbiger hervorbrechenden, alles umfassenden, Glanz seines Spiels dergestalt verdunkelt, daß man vorher gesehne Vollkommenheiten vergessen mußte, um nur mit hinlänglicher Kraft alle gegenwärtigen auffangen, bewundern, zu können. – Herr Reineke hat die Kunst, sich selbst zu übertreffen, in seiner Gewalt.
Herr Opiz zeigte zwar heute abermals prädominirenden Hang zu Buffonerien, aber auch sein Meistertalent, sie mit der nettesten Eleganz auszuführen. Hätte Friz von Feldern [90] nicht nach der Verbindung mit der reichen Julie, als dem einzigen Mittel, seinen Derangemens abzuhelfen, ringen müssen; hätte er nicht den Widerwillen des alten Präsidenten von Rebenthal gegen ihn, so gut als die Thorheit seiner coquetten Gemahlin gekannt; hätte er nicht gewiß gewußt, daß er leztere durch die übertriebensten Caressen, und wahnwizigsten Schmeicheleyen, am sichersten auf seiner Seite erhalten konnte; so wäre sein Betragen gegen das allerliebste Mamagen, tadelhafte Narrheit zu nennen gewesen. Bis an die äussersten Grenzen vernünftiger Wahrscheinlichkeit pußirte es Herr Opiz ohnedem schon – und doch bewirkte er durch die ihm schon zugestandne Eleganz so viel, daß seine Rolle nicht ekelhaft wurde, daß man wenigstens, der öftern Wiederhohlungen ungeachtet, über seine burlesquen Maniemens lachen konnte, nicht klagen durfte, eine sonst so schöne Vorstellung sey dadurch verdorben worden.
[91] Herr Schuwaert, als Carl von Feldern, gefiel mir weit besser, wie vorigen Sonntag in der Rolle des Carlos. Beyde Charaktere sind einander ähnlich, aber mit wenigerer Uebertreibung, als er neulich das Colorit des tiefsinnigen Gelehrten surchargirte, zeigte er heute, daß der wahre Philosoph mit dem Menschenfreunde, der tiefdenkende Kopf mit dem empfindsamsten Herzen, recht füglich in einer Person combinirt seyn könne.
Wenn Herrn Stierle seine Rolle nicht auf die erhabensten Stufen menschlicher Würde erhebt, so leistet er seiner Bestimmung noch allenfalls Genüge. Dies that er denn auch heute; er machte den Präsident von Rebenthal – erträglich. Wichtig ist mir sein Spiel noch nie vorgekommen, auch dann nicht, wenn er nur Hausväter bürgerlichen Standes vorstellt.
Herr Thering wird sein Ziel im Ganzen selten verfehlen, wenn es darauf ankömmt, [92] lachen zu erregen; er konnte daher den Gastwirth, Wippler, unmöglich verderben. – Doch scheint es mir, als wenn er manches Späßgen von eigner Invention anzubringen pflegte. Dann muß er sich aber nur nicht verfahren – dieß begegnete ihm heute; er fiel dem Hauptmann von Wegfort, als jener ihm die Rechnung abfoderte, und den Entschluß, bald abzureisen, verkündigte, mit dem Einwurfe ins Wort: es sey jezt die schönste Jahreszeit – ich weiß wohl, daß er meinte, die bequemste Zeit, sich in der Stadt die Langeweile zu vertreiben, aber der Ausdruk paßte nur nicht auf den Winter; unter schönster Jahreszeit versteht man heitre Frühlings- oder Herbsttage, und Winter war es doch, weil vorher vom Schlittenfahren, vom Schnee im Garten, und vom zu heiß geheizten Zimmer, die Rede gewesen.
Sonabends, den 11ten October, gab man den Schwäzer, ein Originallustspiel von [93] Weidmann. – Wer etwa den Eindruk der gestrigen rührenden Scenen nur allein, und zu tief, ins Herz gefaßt hatte, für dessen Cur war heute, durch die unvermeidliche Erschütterung seines Zwergfells, aufs beste gesorgt; vom Zwergfell bis zum Herzen ist der Weg nicht weit, es mußte auch da alles heraus, was drinne saß, denn wahrlich, zu lachen gabs viel bey der heutigen Vorstellung – dies ist aber auch das Beste, was meine Wenigkeit davon zu rühmen hat.
Wenn ich mir das Stück im Ganzen überdenke, so treffe ich zwischen Titel und Inhalt keinesweges richtige Uebereinstimmung an. St. George, die Hauptperson, redet zwar nicht wenig, aber Modesucht, und Philavtie, stechen weit entschiedner in seinem Charakter hervor, als Schwazhaftigkeit. Weil das Stük, so wie es heute auf der hiesigen Bühne vorgestellt wurde, vielleicht noch unbekannt ist, und ich ihm wenig Gutes nachzurühmen [94] vermag: so entscheide jeder meiner Leser, auch der es nicht mit angesehen, aus folgender Erzählung über mein davon gefälltes Urtheil.
Die ganze Handlung fixirt sich auf das Haus eines Baron von Rosenfeld; fast jeder Bewohner desselben, und jeder, der darinnen ab und zugeht, reitet sein besonderes Stekenpferd. Der Herr Baron, ein Mann von großem Vermögen, winzig kleinem Verstande, und plumpen Sitten, zeigt in seinem Charakter, ausser einem rasenden Attachement an Stall, und Pferde, keine einzige determinirte Bestimmung – beym andern Worte erwähnt er seine lebenden Pferde, ja so gar nicht selten einen Fuchs, der schon vor geraumer Zeit crepirt ist, und wenn er schwört, geschieht es allemal bey diesem theuren Fuchse. Er braucht einen Stall- und auch einen Hofmeister für seinen Sohn; ersterer fodert tausend, lezterer fünfhundert, Thaler jährlichen Gehalt. [95] Jenem bewilligt er sie augenbliklich, wird auch in der ersten Viertelstunde der Bekanntschaft so vertraut gegen ihn, daß er ihn duzt; diesem bietet er dreyhundert Thaler; ermahnt ihn, den jungen Herrn nicht zu scharf anzugreifen, weil kein Gelehrter aus ihm werden solle, und bequemt sich endlich, den gefoderten Gehalt, unter der Bedingung, zu zahlen, wenn der neue Hofmeister den crepirten Fuchs durch ein Sinngedicht der Vergessenheit entreißen würde. In seinem Hause läßt der Baron alles nach dem Willen der gnädigen Frau gehen, nur ein einzig mal, da es daraus ankömmt, ob seine jüngste Tochter ins Closter gethan, oder sein Pferdebestand reducirt werden, soll, maintenirt er sich als Herr, und thut den enscheidenden Ausspruch, lieber die Tochter, als den schlechtesten Klepper, fortzuschaffen. Herr Stierle machte den Baron; Herr Zuker den Stall-, und Herr Wagner den Hofmeister. Ersterer war heute ordentlich in seinem Fache, leztere traten nur in der einzigen Scene, da jener sie in [96] Dienste nahm, auf, hatten jeder kaum funfzig Worte zu reden, und kamen darnach nicht wieder zum Vorschein.
Die Frau Baronin von Rosenfeld, Madam Henke, war ein Weib ohne Gehirn im Kopf, deren einziges Bestreben nach unumschränkter häuslicher Gewalt gieng, die Vergnügen darinnen suchte, jedes menschliche Geschöpf um und neben sich, das mit ihr nicht harmonirte, zu quälen. So bald ihr Starrsinn irgend auf ein Hinderniß stieß, wechselten Schelten, Drohen, Schimpfen, Keuchhusten, Schwindel, und Ohnmachten, in ihren Unterhaltungen ab. In einem Augenblik wollte sie für Verdruß, und Aerger, den lezten Athen ausblasen, im andern fuhr sie, wie eine höllische Furie, auf, kreischte, daß einem die Ohren gellten, foderte Arzney, reichte dem Cammermädgen den sinkenden Arm, und ließ sich weg, aufs Bette, schleppen. Sie hatte einen Sohn und zwo Töchter.
[97] Ersterer, dessen Rolle Monsieur Vettern zu Theil worden war, und ganz hätte wegbleiben können, zeigte, ohne weitere Influenz aufs Ganze, einen tölpischen Burschen von zehn bis zwölf Jahren, dessen innerliche und äussere Meriten man sich, nach dem Maasstab der genossnen Education, und der sonderbaren Einrichtung im Rosenfeldischen Hause, schon lebhaft genung denken konnte, wenn er auch nicht in einigen episodischen Auftritten auf dem Theater herumgeschlendert hätte.
Unter denen beyden Fräuleins, Elisabeth, und Hanngen, besaß die ältere, Madam Günther, die volle Zärtlichkeit der Mutter, da im Gegentheil die jüngste, Madam Schuwaert, der Gegenstand ihres declarirten Hasses war, über den sie alle Augenblike das Gift ihres grämischen Herzens aussprudelte. Einen andern Grund dieser extremen Prädilection, und Abneigung, habe ich nicht ausspähen können, als, daß jene eine Närrin [98] war, welcher Stolz auf Geburt, Schönheit, und geistige Talente, den Kopf verrükt hatte, diese aber, ein stilles sanftes Mädgen, die allem Ungestüm, mit dem ihr begegnet wurde, lauter Geduld und Liebe entgegensezte. Nach einem von der Mama entworfnen Plane, sollte Elisabeth, ihr Liebling, mit dem Chevalier Saint George, der an Thorheit Mutter und Tochter noch weit übertraf, verheirathet werden; weil dieser aber seine Inclination, wider alle menschliche Erwartung, auf das stille vernünftige Hanngen, und nicht auf die ihm ähnliche Närrin, Elisabeth, geheftet hatte: konnte die Frau Baronin Hanngen nicht vor den Augen sehen, sondern versuchte die Möglichkeit, sie aus dem Hause, in ein Closter, zu stoßen.
Nun – nach dieser Charakteristik der Rosenfeldischen Familie – auch zu denen, die täglich im Hause, als wichtige Personen, ab und zugiengen. St. George, und Rudolph, [99] Freyherrn von Bergundthal, waren zwey Brüder, und zwey complette Narren – doch, jeder von besonderm Schlage.
St. George, Herr Opiz, ist kürzlich von Reisen, unmittelbar aus Paris, angekommen, und bringt alle Thorheiten, die nur unter den Franzosen aufzuraffen gewesen sind, in seinem Geist und in seiner Person vereinigt, mit zurük. Unfähig zu jedem andern Gedanken, als dem, wie er durch moderne Sentimens, durch den raffinirtesten Bonton, durch lauter hogutirte Blike, Stell- und Handlungen, alle Männer im deutschen Vaterlande verdunkeln, alle Frauenzimmer besiegen, will, entspricht sein ganzes Thun und Wesen dem großen Endzweck. – Er redet nicht zehn deutsche Worte, ohne eben so viel französische mit unter zu mengen; er geht nicht wie Alltagsmenschen, sondern er schwimmt, und fliegt, nur von einer Stelle zur andern; wenn jemand über ernsthafte Materien sich mit ihm [100] unterhalten will, beschäftigt er sich, seine Frisur oder Kleidung vor einem stets bey sich tragenden Taschenspiegel zu arrangiren – – Ja, a propos! seine Kleidung – die darf man nicht mit Stillschweigen übergehen. Er trägt einen scharlachnen Rok, schwarz frisirt, und gefüttert; eine schwarze Weste; paille Beinkleider; schwarz und weiß piquirte Strümpfe; rothe Bänder, statt der Gürtel- und Schuhschnallen; ein schwarz- und rothes Nöddepee im Degen; einen schreklich großen Chapobas, mit roth und schwarzen Gallonen eingefaßt, und dergleichen Federn aufgepuzt; einen in der Mitte des Rükens hangenden Haarbeutel, von weissem Atlas, mit einem Gitter von schwarzen Chenillen überzogen; in jeder Rokfike ein weisses Schnupftuch mit schwarzen Muschen, zur Hälfte heraushängend; zwey Uhren mit rothen Bändern; nur den linken Schoos des Roks so aufgeschlagen, wie deutsche Handwerkspursche beyde mit prinzmetallnen Haken aufzuheften pflegen; [101] und in der linken Seite das schwarze Centrum aus einer Schießscheibe – St. George behauptet von dieser Kleidung, sie sey die neuste pariser Mode: a la Marlborug; singt einen französischen Chanson auf den Tod des Herzogs von Marlborug; erzählt, daß, als solchen einmal dem schlafenden Dophin die Amme, statt des Wiegenlieds, vorgetrillert, er dem König so ausnehmend gefallen, daß von Stund an dergleichen Tracht zur herrschenden Mode in ganz Frankreich geworden, und bemerkt, nur im Vertrauen gesagt, der schwarze Flek in seiner linken Seite bezeichne den Ort, wo der Herzog von Marlborug den tödlichen Schuß von einer Falconetkugel bekommen habe. Mit so viel herrlichen Attributen ausgerüstet, sucht St. George um Staatsbedienungen nach; nennt sich den Alexander des schönen Geschlechts; wirbt im Rosenfeldischen Hause um das kluge Hanngen; und läßt die närrische Elisabeth, welche sich ihm, in einer sehr hochtrabenden Rede, mit [102] allen ihren Reizen, und Talenten, selbst angeboten hat, in hofnungsloser Liebe verschmachten. Ob nun gleich hierbey St. George zum Grunde seines Mißfallens an Elisabeth vorwendet, sie schwaze zu viel; so kann ich mir doch in dieser Idee des Verfassers keinen richtigen Zusammenhang mit dem Ganzen denken; denn wenn einer unter zwey Mädgen, die gleich schön, gleich reich, sind, nur wählen darf; so wird er gewiß, nach dem natürlichen Lauf der Dinge, diejenige ausheben, welche mit ihm die ähnlichste Stimmung hat. –
Rudolph, Freyherr von Bergundthal, Herr Thering, – ein eben so großer Narr, als sein Bruder, aber, nur von einem andern Zuschnitt – affectirt den tiefdenkenden Gelehrten; geht mit lauter Projecten schwanger, bepakt sich stets mit Acten, wie ein Amtsbote; spricht deutschlatein, in abgemeßnen oratorischen Säzen; ist in seinem äußerlichen Betragen übrigens ein wahrer, hölzerner Peter, [103] und macht bey Fräulein, Elisabeth von Rosenfeld, den Freyer. Er wird bald gewahr, daß er mit seinen Bewerbungen nirgends fortkömmt; glaubt mehr auszurichten, wenn er sich nach dem Model seines Bruders umformte; bittet jenen um Unterweisung; bekömmt sie theoretisch und practisch; kleidet sich ebenfalls a la Marlborug; äfft alle Manieren des St. George so grotesc, als möglich, nach – bleibt aber immer der vorige hölzerne Peter, dessen Person, und Projecte, von jedermann verlacht, und zurückgewiesen, werden.
Noch bemerkt man den Herrn von Tiefenbach, Herrn Schuwaert; einen Mann von Verstand, Rechtschaffenheit, und ausgebildeten Sitten, dem jene Scenen, welche im Rosenfeldischen Hause gespielt werden, zwar äusserst abgeschmakt und ärgerlich vorkommen, der selbiges aber demungeachtet täglich besucht, weil er mit ganzer Seele an Fräulein, Hanngen, hängt, von ihr auch wieder geliebt [104] wird; der aber, da er noch in keiner öffentlichen Bedienung angestellt ist, sich nicht getraut, förmlich um sie anzuhalten.
Es kommen auch ein Kaufmann, Herr Henke, und, ausser drey Bedienten, eine Cammerjungfer, Madam Vetter, zum Vorschein, die aber so wenig zu thun hatten, und das Wenige so unbedeutend ausführten, daß man von ihnen – noch weniger als nichts bemerken kann.
Aus dem vorhergegangenen, ziemlich lang ausgefallnen, Commentar des Stüks, wird vermuthlich keiner meiner Leser klug werden, ob ich gleich alles, wie ich es mit angesehen, treulich niedergeschrieben habe – mir gieng es im Schauspielhause gerade nicht besser. Oft dachte ich, Satire über weibliche Herrsch- über Mode- über Projectsucht wäre die Hauptidee, und dann fiel mir wieder der, dem widersprechende, Titel ein. St. George schwazte zwar, wie ich schon erwähnt, viel, aber [105] wahrhaftig andre nicht weniger, wie er. In einer Scene versuchten es beyde Fräulein von Rosenfeld, ihn mit ihrem Mundwerk in die Enge zu treiben; Herr Opiz strengte dabey die Volubilität seiner Zunge aufs äusserste an, und gab sich alle Mühe, als St. George, über die Fräuleins im Schwazen die Oberhand zu behalten, bald aber schrieen alle drey so kauderwelsch durch einander, und zugleich brach allgemeines Gelächter im Amphitheater so laut hervor, daß kein Mensch mehr ein Wort hören, oder verstehen, konnte.
Jezt will ich meine Leser von der Entwiklung des bereits erzählten Galimathias benachrichtigen – wünsche herzlich, daß sie alsdann klüger seyn mögen als vorher – mehr kann ich nicht thun.
In Fräulein, Elisabeth von Rosenfeld, bewirken die Kälte mit der St. George ihren hochtrabenden Liebesantrag erwiedert, auch ihr überhaupt begegnet hat, und ein naives [106] Geständniß aus Hanngens Munde: daß sie ihr St. Georgen gar nicht streitig machen wolle; daß sie ihn von jeher unerträglich gefunden; daß sie keinen andern, als Tiefenbachen, welcher unterdessen eine wichtige, St. Georgen abgeschlagne, Bedienung erhalten, mit innigster Zärtlichkeit, aber hofnungslos, liebe, weil sie sich dem despotischen mütterlichen Befehl: ins Closter zu gehen, nicht widersezen dürfe, eine gänzliche, unerwartete, Sinnesänderung. Denn, nun resolvirt Elisabeth auf einmal, an Hanngens Glük, mit Aufopferung des ihrigen, zu arbeiten; schiebt bey der Mutter, statt des Heirathscontracts, zwischen ihr und St. Georgen, eine ganz andre Schrift unter, welche deren Consens zu Hanngens Verbindung mit Tiefenbachen enthält, giebt solche, von jener eigenhändig unterzeichnet, in Tiefenbachs Hände, und geht – welcher Heroismus! – welches Wunder! – freywillig in das für Hanngen bestimmte Closter. Wo Hanngen unterdessen stekt, erfährt [107] niemand; im Rosenfeldischen Hause ist sie nicht, denn da glaubt jedermann fest, sie sey schon fort ins Closter; die Mutter triumphirt, alle übrigen, selbst die Domestiquen, klagen darüber laut. Indem kömmt Tiefenbach ausser Athen gelaufen, und stammlet Dank zu den Füssen der Mutter für den unerwarteten Entschluß, ihn mit Hanngens Hand zu beglüken. Die Frau Baronin versteht kein Wort davon, bis er ihr die schriftliche, von ihr selbst autorisirte, Einwilligung dazu darreicht. Statt, wie man von der Baronin charakterischen Heftigkeit gewiß erwarten mußte, sie zu zerreissen, mit Füssen zu treten, giebt sie selbige Tiefenbachen mit einer unbegreiflichen Gelassenheit zurük, und erklärt sich für überlistet, für hintergangen. Nun erscheint auch Hanngen – von woher, darüber bleibt man schlechterdings in Ungewißheit. – Ueber sie soll eben das ganze Ungewitter des mütterlichen Zorns ausbrechen, als ein Bedienter der Frau Baronin einen Brief [108] behändigt – ihn öfnen, und gleich beym Lesen der ersten Zeile ohnmächtig werden, war eins. Nach der Erhohlung, welche der anwesende St. George durch einen ganzen, über die Kranke ausgeschütteten, Flacon mit Eau de Luce bewirkt, erfährt man vom Inhalte des Briefs so viel, daß Elisabeth aus eignem Instinct ins Closter gegangen ist; und dann haut die Frau Baronin den Knoten der ganzen Verwiklung durch die wenigen, an Hanngen gerichteten, Worte, vollends entzwey: „Thue, was dein Herz dir gebietet, thue es aber bald, – ehe ich mich anders besinne.“ St. George erwartet nichts gewisser, als Hanngens Hand in die seinige; nähert sich schon mit den schönsten Complimenten; sieht aber, daß sie solche, der bekannten Stimmung ihres Herzens gemäß, Tiefenbachen überläßt. – Statt, mit voller Verzweiflung auf der Stelle umzufallen, sinkt St. George nur in einen weichen Armstuhl, und fängt an, eine, französische Mordgeschichte zu [109] erzählen, während welcher sich alle Anwesende, eins nach dem andern, davon schleichen. – Schon hat St. George in seiner erschöpften Lunge keine Luft mehr übrig, als er erst gewahr wird, daß er den tauben Wänden bereits lange vorharanguirt haben mag; er springt auf; schmählt auf sein undankbares Vaterland, welches, blind gegen so seltne Verdienste, nicht werth sey, ihn länger zu umfassen; entschließt sich zur schleunigsten Rache; redet vom Augenblik an kein deutsches Wort mehr, sondern verkündigt seinen Vorsaz in blos französischen; macht noch einige Sprünge, und – fliegt nach Paris zurük.
So war der Verlauf und das Ende eines Stüks, das ich für nichts anders, als für eine utrirte Farce, annehmen konnte. Sämtliche Acteurs, die wenigen ausgenommen, welche ernsthafte, oder ganz unbedeutende, Rollen zu suteniren hatten, beeiferten sich heute, mit dem glüklichsten Erfolg, oft ausbrechendes [110] Gelächter zu erregen – unter ihnen allen aber excellirten Herr Opiz, und Herr Thering.
Der Strich durch die Rechnung, ein Originallustspiel von Jünger, wurde, Sonntags, den 12ten October, gegeben. Das Pochen, Pfeifen, Brüllen, im Parterr war heute wieder einmal, ehe der Vorhang aufgezogen wurde, ganz unerträglich – so gar bemerkte ich mit Verdruß, daß ein ungezogner Bursche die Ankunft einer Dame von Stande in der Loge, deren Attitude vielleicht etwas auffallendes für ihn haben mochte, durch wiederhohltes Händeklatschen signalisirte. – O, Leipzig, Leipzig! wo bleibt der verjährte Ruhm, daß Wohlstand, und feiner Ton, in deinen Mauern gelehrt – aber auch ausgeübt, werden? – Doch zur Beurtheilung dessen, was auf der Bühne vorgieng.
Ein alter, reicher Oberster von Hizig, von gutem Charakter, aber noch brausendem [111] Blute, welches ihn zu manchem raschen Entschluß fortriß, den er selbst, bey bald nachfolgender kältern Ueberlegung, tadelte, kömmt in die Stadt von Henrietten, seiner Tochter, einem noch ganz unschuldigen, und seiner Nichte, Charlotten, einem weit muntern, geseztern, Mädgen begleitet. Die Absicht der Reise ist, leztere mit einem gewissen Assessor von Brand zu verheirathen. Ein vorhandnes Testament determinirt die Verbindung, und spricht Charlotten drey Theile ihres Vermögens ab, wenn sie solche verweigert. Gleichwohl fühlt Charlotte keine Neigung zu Branden – ihr Herz ist noch frey; Brand hingegen hängt mit dem seinigen schon fest an Henrietten. Nachdem Brand und Charlotte sich über ihre wechselseitige Gesinnungen gleich anfänglich sehr naiv eclaircirt haben, beschliessen sie, daß Brand, Henrietten entführen, sich mit ihr trauen lassen, soll, damit das Hinderniß seiner Verbindung mit Charlotten unmittelbar von ihm herkomme, dadurch [112] aber dieser ihre Renommee, und ihr Vermögen, sicher gestellt werden. Brand willigt in den Plan; Henriette läßt sich dazu bereden; und Charlotte verspricht, hülfreiche Hand dabey zu leisten, besonders den Sturm, in welchen der alte Onkel, wenn er, was vorgegangen, erführe, unbezweifelt ausbrechen würde, zu besänftigen. Nachts, um zwölf Uhr, soll alles ausgeführt werden.
Im nemlichen Gasthof, wo der Oberste mit seinen Frauenzimmern abgetreten ist, logirt auch Carl, ein junger Officier, der ehedem ein ziemlich lokrer Bursche gewesen, auch jezo noch um Oeconomie sich nicht ängstlich bekümmert. Seit zehn Jahren von seinem Vater enterbt, von dessen Angesichte verbannt, hat er Kriegsdienste genommen; in dem Regimente, wo er noch dermalen als Leutnant engagirt ist, fünf und zwanzig tausend baare Thaler, welche ihm von einem alten Major vermacht worden sind, ausgegeben; dabey [113] aber den Charakter eines braven, ehrliebenden, Officiers, besonders eines sehr großmüthigen Unterstüzers seiner dürftigern Cameraden, jederzeit unbescholten behauptet. Dieser Carl bemerkt in der Auberge Fräulein Charlotten, und ihr erster Anblik verwundet ihn. Ob er nun gleich nicht einräumen will, verliebt zu seyn, so fängt er doch an, einen wahrhaften Ekel für dem bisherigen wilden Leben zu empfinden, und ernste Plane zu einem regelmässigern zu entwerfen. Er sieht in der Folge Charlotten öftrer am Fenster; glaubt in ihren Augen Beyfall an seiner Person zu lesen; verirrt sich einmal – vermuthlich mit gutem Vorbedacht – in ihr Zimmer; findet sie allein, und beyde geben einander in diesem Tetatete sehr unzweydeutige Beweise einer wechselseitig aufkeimenden Leidenschaft. Alte, noch nicht ganz ertödtete, Gewohnheit überrascht hier Carln, da sein anscheinendes Glük bey Charlotten sein Jugendfeuer anfacht; er entfernt sich mit dem Entschluß, aus [114] einigen Flaschen Champagner Muth zu fernern Operationen zu schöpfen.
Unterdessen meldet Charlotte dem Assessor von Brand schriftlich, er soll sich mit einem Wagen, präcise um Mitternacht, vor dem Gasthof einfinden, und seine Geliebte aus einem, ihm genau bezeichneten, Cabinet zur Entführung abhohlen. Charlottens Billet wird von ihrer Cammerjungfer dem Hausknecht zur Bestellung übergeben; dieser aber vergißt den Nahmen des Empfängers, kann die Adresse nicht lesen, und ist so dumm, sich diesfalls bey dem Obersten Rath zu erhohlen. Von Hizig merkt Unrath, erbricht das Billet, und erfährt nur so viel daraus, daß eine Entführung im Werke sey, wer aber eigentlich von Branden entführt werden soll, davon sagt sein Inhalt nichts bestimmtes. Auf jeden Fall entschließt sich der Oberste den Handel zu zerstören; giebt dem Hausknecht das wieder versiegelte Billet zurük; befiehlt ihm, [115] solches alsbald dem Assessor Brand zu überbringen, und stellt sich einstweilen in das beniemte Cabinet auf die Lauer. Branden mag die Zeit zu lang geworden seyn; er begegnet dem Hausknecht am Thore des Gasthofs; läßt sich auf den Canversatsionssaal führen, erfährt, als er beym Schein einer Laterne das Billet liest, daß er zu früh gekommen, schikt den Hausknecht fort, und resolvirt, die bestimmte Mitternachtsstunde hier zu erwarten. Der Oberste tritt, mit dem Licht in der Hand, aus dem Cabinet, scheint sich zwar über Brandens Begegnung auf dem dunkeln Saal zu wundern, läßt sich aber die Gründe, womit jener seine Anwesenheit entschuldigt, auch gar geschwind gefallen, und ladet ihn, aus Malice, zu einer Schale Punsch auf sein Zimmer ein. Brand will die Ehre verbitten, darf aber nicht sagen, welche Geschäfte ihn eigentlich binden, und läßt sich daher vom Obersten, der keine Excusen annehmen will, fortschleppen. Gleich drauf kömmt Carl betrunken [116] in den Saal, der Hausknecht leuchtet ihm, und plauderts bey der Gelegenheit aus, Brand sey im Hause, und wolle in dem vor der Thür stehenden Wagen eine von den fremden Fräuleins entführen. Kaum ist der Hausknecht mit der Laterne wieder fort: so tritt Charlotte herein; leitet die reisefertige Henriette an der Hand; hört des trunknen Carls Tritte; glaubt, es sey der bestellte Brand; wirft ihm Henrietten in den Arm, und ermuntert ihn zur schleunigsten Flucht. Carl, vom Champagner berauscht, kann dem Abendtheuer nicht widerstehen; läßt sichs nicht zweymal heissen, sondern führt Henrietten zur Thüre hinaus an den unten stehenden Wagen; sezt sich mit ihr hinein, und fährt davon.
Kaum sind sie fort, kaum hat sich Charlotte wieder in ihr Zimmer retirirt, so kömmt Brand aus des Obersten Stube, und dieser hinter ihm drein, mit Licht auf den Saal. Hier gesteht Brand, da der Alte ihm sehr heftig [117] zusezt, seine Liebe zu Henrietten, und ihre, unter Charlottens Vorschub, intentirte Entführung. Der Oberste fängt schreklich an zu lärmen; Charlotte kömmt dazu gelaufen; sieht Branden; erfährt, daß nicht er, sondern ein ihr Unbekannter, mit Henrietten davon gefahren sey, und schreyt für Schreken laut auf. Der Oberste flucht, und wettert, Charlotte aber entweicht, da Weinen und Bitten, Versicherungen, sie habe es so gut gemeint, nichts helfen wollen, dem Sturm durch eine abermalige Retirade auf ihr Zimmer. Der Vater fodert von Branden, unter den heftigsten Vorwürfen, seine Tochter zurük; Brand steht da, wie Butter an der Sonne. Jener schimpft, und dieser faßt Feuer; engagirt sich zwar der Entführten nachzueilen, fodert aber zugleich den Obersten, wegen der sich erlaubten Beleidigungen, auf Pistolen heraus. Dieser Muth gewinnt des Alten Herz. Er sagt Branden die Hand seiner Tochter zu, und verspricht ihm, wenn er sie [118] gefunden haben wird, entweder die verlangte Satisfaction, oder Aussöhnung beym Hochzeitmahl im Champagner.
Carl und Henriette sind nicht weit gekommen – etwa zwo Stunden von der Stadt ist eine Wagenachse zerbrochen, und hat die Reisenden, nahe bey einem Gasthof Halte zu machen, genöthigt. Carl, welcher unterwegs den Rausch ziemlich ausgeschlafen, bemüht sich, die furchtsame Henriette, die wegen ihrer fehlgeschlagnen Erwartung, und darüber, daß sie sich von einem fremden Officier entführt sieht, ganz toll werden will, mit der Erklährung zu beruhigen; er sey ein ehrlicher Mann, und jedes honnette Frauenzimmer in seiner Gesellschaft vollkommen sicher. Gelegentlich fragt Carl nach Henriettens Geschlechtsnamen, und wie er von ihr erfährt, sie sey des Obersten von Hizig Tochter: so erkennen sie einander, zu beyderseitiger Freude, als Geschwister. Er verspricht, sie, wenn [119] der Schaden am Wagen wieder hergestellt seyn würde, nach der Stadt zurük zubringen; Henriette hingegen, ihren möglichsten Vorschub zu seiner Aussöhnung mit dem Vater.
In der Zeit, daß die entflohne Henriette aufgesucht, und zurük erwartet, wird, kömmt ein alter Wachmeister, der beym Leutnant Carl Geschäfte hat; fragt nach ihm in der Auberge, und geht einstweilen in die Gaststube, wo sich gerade auch der Oberste, im Nachdenken über den jezigen Verlust seiner Tochter, sowohl, als in Erinnerungen an seinen verstoßnen Sohn, vertieft, befindet. Von Hizig, um die Grillen zu vertreiben, nöthigt dem Wachmeister, ein Glas Malaga zum Frühstük auf; der Wein lößt des Wachmeisters Zunge; er erzählt viel Gutes und Herrliches vom Leutnant Carl von Hizig, unter andern, daß er ihm eben jezt die Nachricht vom erfolgten Avancement zum Capitain überbringe. Nach dieser Erzählung kann der [120] alte Oberste nicht mehr zweifeln, daß dieser hochgeprießne Carl sein, zehn Jahre lang von ihm entfernter, Sohn sey. Aeusserst dadurch bewegt, fertigt er einen Bedienten an den im Hause wohnenden fremden Officier ab, und läßt ihn auf sein Zimmer einladen. Ehe aber die Antwort zurükkömmt, stürzt Charlotte mit dem Geschrey herein: „Henriette ist wiedergefunden!“ Im Augenblik liegen Henriette, und Carl, zu ihres Vaters Füssen, und da zeigt es sich denn, daß es mit der Entführung, weil sie von dem leiblichen Bruder bewerkstelligt worden, keine Gefahr gehabt. Generalpardon für alle, die gefehlt haben, erfolgt aus dem Munde des Obersten, und auf selbigen eine gedoppelte Eheverbindung, zwischen Henrietten und Branden, zwischen Herrn Hauptmann Carl, und Charlotten, in welche der Alte desto lieber williget, damit jene nicht zu einer neuen Entführung Lust bekommen, diese aber den flattrigten Carl durch Verstand, Wiz, Laune, Zärtlichkeit, zum gesezten Manne fixiren kann.
[121] Herr Reineke, als Oberster von Hizig; Madam Schuwaert, als Henriette; und Madam Reineke, als Charlotte, hatten insgesammt heute keine besonders wichtige Rollen auszuführen, doch thaten sie gewiß das ihrige, um solche so interessant, als möglich, zu machen. An Madam Reineke muß ich aber eine kleine Frage richten. Die bewußte Rose, so sie während der ersten Unterredung mit Carln am Busen trug, um die er sie, als um einen Beweiß ihres Wohlwollens, so dringend bat, warf sie, zu schamhaftig, ihm solche gerade hin zu reichen, beym Wegehen auf die Erde – von selbiger erst mußte Carl sie aufheben, und, vielleicht mit Dielenstaub besudelt, küssen – das gefiel mir nicht. – Warum nahm nicht Charlotte die Rose lieber in die Hand? warum stellte sie nicht lieber eine Probe an, wie deren blaße Farbe auf Carls hochrothe Uniform, auf seine blaue Rabate, auf seine Coquarde, absteche? Mitten in dieser Tändeley hätte sie ein Geräusch, die Ankunft des alten Onkels [122] wahrsagend, hören, um nicht überrascht zu werden, davon laufen, und die Rose an Carls Brust, auf seinem Huth, oder zwischen seinen Fingern, aus Eilfertigkeit vergessen können. – Habe ich Recht, Madam Reineke? – Wenn dieß auch nicht in der Rolle vorgeschrieben war: so sollte doch hier die erfinderische Schauspielerin dem Dichter nachhelfen.
Leutnant Carl von Hizig wurde in allen verschiednen Situationen, nüchtern, und trunken, als Wüstling, und als gesezter Mann, vom Herrn Opiz trefflich executirt. Nur dies einzige schien mir anstößig, daß der Hauptmann Carl den Wachmeister Ewald umarmte. Beyde waren noch wirklich im Dienst, und durch diese Vertraulichkeit des Vorgesezten gegen den Subaltern wurden die delicaten Verhältnisse der militairischen Subordination erschüttert. Ich besinne mich wohl, Major Tellheim küßt Paul Wernern auch, aber nicht zu vergessen, daß, als es geschahe, [123] beyde nur privatisirten. – Hier wäre es allenfalls an einem Händedruk, an einem Achselklopfen, an einem, mehr als Worte sagenden, Blick – genung gewesen.
Herr Schirmer that, als Assessor von Brand, nach beßten Kräften das seinige – Mehr Leichtigkeit, und Natur, in der körperlichen Attitude würde, wenn er durch Uebung sie sich zueignen könnte, sein wohlgefallendes Ansehen auf der Bühne sehr erheben; denn besonders, wenn er abgeht, und dem Amphitheater den Rüken kehrt, nimmt er eine Art von Steifigkeit, ein gewisses Wakeln mit dem hinterwärts gebeugten Kopfe, an, woraus viel, dem Auge des geschmakvollen Zuschauers rebutante, Affectation nothwendig erwachsen muß.
Herrn Therings heutige war von mehrerer Wichtigkeit, als die gewöhnlichen Bedientenrollen. Johann ist mit in das Interesse des Ganzen eigenthümlich verflochten; abgerechnet [124] die Familiarität gegen seinen Herrn, welche freylich ein wenig weit gieng, gefiel mir heute Herr Thering recht wohl, besser, als wenn er gar zu viel übertriebne Verzerrungen seiner Mienen, und seines Körpers, zu Markte bringt.
Madam Günther, als Nettgen, that alles, was man von der guten Subrette in einer Nebenrolle fodern, und erwarten konnte.
Herr Wagner excellirte als Hausknecht Conrad; und Herr Schuwaert verderbte den Wachmeister Ewald keinesweges.
Zum Nachspiel wurde die comische Operette, der Faßbinder gegeben – bekannt genung als Original, und Uebersezung, ein mageres Sujet, ohne alles Interesse – es wäre denn, wegen der Music; davon verstehe ich nichts, wie schon gesagt, urtheile also auch nicht davon – ich drängte mich bey noch offner Gardine zum Ausgang.
[125] Otto von Wittelsbach, Pfalzgraf in Bayern, ein Originaltrauerspiel, war zur heutigen Vorstellung, Montags, den 13den October, bestimmt. Von seinem Inhalt sage ich nichts, er ist zu allgemein bekannt. – Es gehört unter die Classe theatralischer Stüke, deren Ausführung auf der Bühne, besonders wegen der vielen Personen, so dazu gebraucht werden, den größten Schwierigkeiten unterworfen ist, die aber auch, wenn sie so glüklich, wie heute, bewerkstelligt wird, den lebhaftesten Effect auf jeden Zuschauer von richtiger Einsicht, und warmen Gefühl, unfehlbar macht. Die importantesten Rollen waren mit eben so discretiver Wahl besezt, als sie mit dem sichtbarlichsten Eifer, mit dem günstigsten Erfolg, bearbeitet wurden; und Kleidungen, nebst denen verschiednen Decorationen, entsprachen der Würde des Sujets vollkommen.
[126] Herr Stierle als Kayser Philipp, strengte, man sahe es, alle Kräfte an, um sein vorgestektes Ziel zu erreichen; daß seine Figur ihn nicht so sehr als sein Eifer secundirte, konnte man heute, bey einer Menge andrer Schönheiten, welche das Auge blendeten, vergessen. Sein Spiel verrieth zwar auch nicht den Mann von alles umfassender Seelengröße, der jeder Beherrscher eines weitläuftigen Reichs seyn sollte, der aber, nach dem natürlichen Lauf der Dinge, nach denen Beweisen der Geschichte, und nach der Erfahrung – nicht allemal – nur selten, mit der Majestät combinirt ist. Philipps von Schwaben moralischer Charakter bestätigt diesen Saz. Je weniger also eigenthümliche Kraft in ihm lag, je mehr sich Philipps schwacher Verstand, und sein falsches Herz, von dem gefährlichen Rath feiler Höflinge leiten, zu niedrigen Entschlüssen, zu noch schlechtern Thaten, hinreissen ließ, desto eher konnte heute Herrn Stierlens Action befriedigen; hätte er aber einen durch Würde, [127] und charakterische Verdienste, gleichmäßig erhabnen Kayser vorzustellen gehabt: dann müßte auch mit Recht mehrerer Tadel auf ihn zurükgefallen seyn.
Das Ideal männlicher Vollkommenheit lag in einem andern Charakter – Otto von Wittelsbach schimmerte in ihrem höchsten Glanze. Groß war seine Seele; aufgeklärt sein natürlicher Verstand; durchaus rechtschaffen und empfindsam sein Herz; warm sein deutsches Blut; schön sein robuster Körper; er dachte wie ein Socrates; er sprach wie ein Cato; und handelte – wie ein Mensch im Raupenstand. Das Gefühl seiner vollendeten Größe hieß ihm, alle niedrige Gesinnungen, alle schlechte Thaten, an jedem andern, wäre er auch ein Kayser gewesen, verachten. Bewußtseyn alles dessen, was er für Philipps Wohl, selbst für seine Erhebung auf den Thron, gethan, berechtigte ihn, zum Ersaz, biedre Gegenbehandlung zu erwarten. Er foderte, [128] was Philipp ihm schon freywillig versprochen hatte; er erhielt es nicht, sondern sahe sich vielmehr durch den schändlichen Brief an den Regent von Pohlen hintergangen. Nun vergaß Otto die Würde des Kaisers, betrachtete Philipp blos, als wortbrüchichen Mann, als heimtükischen Lügner; warf ihm seine Falschheit ins Angesicht vor, und versuchte die Möglichkeit, den Verblendeten zur Selbsterkenntniß, zum Einlenken auf den rechten Weg, zu bringen. Aber alles war vergeblich; Philipp verstekte sich unter den Purpur, und sezte Ottos überwiegenden Gründen kaiserliche Drohungen entgegen. Hier behielt endlich die Menschheit die Oberhand; sie riß Otton mit unwiderstehlicher Kraft zur raschen That, zur Selbstrache an seines Gleichen, die noch damaligen Begriffen für erlaubt gehalten wurde, hin. Doch, kaum war sie vollbracht, so trat das beleidigte Gesez, welches, auch schon in den ältern Zeiten, die Majestät gegen persönliche Angriffe schüzte, vor Ottos Augen; [129] er schrie: Kaysermord! mit einem Ausbruch von Reue, die in stufenweisen Erhöhungen, als er nachher erfuhr, daß er unschuldige Brüder mit in seinen Fall verwikelt; daß er in Philipp nur einen verführten, nicht verhärteten, Feind gemordet; daß der sterbende Kayser ihm verziehen, ihn gesegnet habe, Otton bis zum Augenblik des Todes begleitete. Wer konnte eine so wichtige Rolle erschöpfen, wer anders, als ein Meister in der Kunst, – Herr Reineke? Der that es denn auch mit aller in ihm liegenden Kraft, mit dem glüklichsten Erfolg – Kann man ihn concentriter loben, als durch die Zusicherung, daß sein heutiges, bewundernswürdiges, seelenerhebendes, und herzenerschütterndes, Spiel nicht allein Männer zum Weinen gebracht, sondern auch fließende Thränen aus weiblichen Augen geholt hat – obgleich allenthalben nur von altdeutschen, nicht von modernen, Sentimens die Rede war? Jenes will ich Herrn Reineke, als ein genauer Beobachter dessen, was im Amphitheater vorgieng, [130] gieng, mit Wahrheit contestiren; um ihn aber auch gleichmäßig zu überzeugen, wie wenig meine Attention die Bühne verlassen hat, erinnere ich ihn, daß er in der Scene, wo er mit Princeß Beatrix von seinen Kindern sprach, sie zwey brave, charmante, Buben nennte. – Das lezte Beywort mußte ihm nothwendig echapirt seyn – über Ottos von Wittelsbach Lippen ist es gewiß nie gesprungen.
Otto, und Ludwig, des Pfalzgrafen unerwachsne Söhne, waren mit zwey Kindern, der jungen Vetterin, und dem kleinen Wagner, besezt – Man sahe es den guten Thiergens oft an, daß ihnen, so lange sie auf der Bühne standen, angst und bange werden mochte, doch lag in dieser Schüchternheit gar nichts Unnatürliches, vielmehr erhöhte die liebenswürdige Bildung der beyden Kleinen das Interesse des Ganzen.
Herr Zuker bezeichnete, als Wollf, des Pfalzgrafen Waffenträger, mit dem richtigsten [131] Ausdruk den alten treuen Knecht, welcher in dem Dienst des besten Herrn grau geworden; mit Ehrfurcht gegen seine Größe, mit Liebe gegen seine Güte, fest an ihm hieng; ihm unverbrüchlich treu blieb, bis in den Tod.
Ludwig, Herzog von Bayern, mußte gefallen, da ein so guter Schauspieler, wie Herr Opiz, durch prävenannte Figur, durch eleganten Anzug, durch edle Action, seinen erhabnen Rang, und Charakter, beyfallswürdig sutenirte.
Madam Reineke, Ludmille, rechtfertigte durch ihre Person, durch jedes Wort, das sie sprach, durch jede Handlung, die Wahl ihres Gemahls, nach welcher er sie, zu Bayerns Herzogin erhoben hatte, und drükte die Vorwürfe, so ihm darüber anfänglich gemacht wurden, glüklich nieder.
Cunigunde, Madam Koch, und Beatrix, Madam Schuwaert, beyde Töchter des Kaysers, [132] hatten wenig zu thun, vollendeten aber auch das Wenige mit satisfacirendem Anstand. – Cunigundens Kleidung stach gegen der jüngern Schwester ihre zu merklich ab; sie hätte, meines Erachtens, brillanter seyn können.
Herr Günther war ganz das, was Graf Rapot von Artenberg seyn sollte – ein angehender Höfling, der immer Honig auf der geschmeidigen Zunge, und Gift im tükischen Herzen, hatte.
Herr Wagner hingegen, als Graf Wenzel, executirte eben so treffend, wie jener, den schon in Hofintriguen grau gewordnen Fuchs, welcher keinem, ihm Ueberlegnen, als Mann Stich hielt, der aber an jedem, auch dem Würdigsten, Schalksstreiche auszuüben bereit war.
Ritter Friedrich von Reuß verdiente, als ein biedrer Greiß von deutschem Schrot und Korn, als Ottos wärmster Freund im Glük, [133] und Unglük, Achtung – Herr Schuwaert in dieser Rolle, als Schauspieler, Beyfall.
Sigbritte, Ludmillens Cammerfrau, Madam Seconda; Heinrich von Andechs, Ottos Bruder, Herr Schirmer; Heinrich, Truchseß von Waldburg, Herr Thering; Hanns Wallrich, Reichsehrenhold, Herr Henke; und George, Friedrichs von Reuß, Hausmeister, Herr Ulrich; nebst denen zwey Bürgern aus München; und zwey Einwohnern aus Aicha, waren insgesammt nur in unbedeutenden Nebenrollen angestellt, von denen sich weiter nichts sagen läßt – als, daß keine derselben verdorben wurde.
Nun zum Schluß noch ein Paar Worte mit Herrn Kaseliz. Er sollte, als Graf Heinrich von Kallheim, eine der entscheidendsten Handlungen im ganzen Stük – Ottos Meuchelmord, ausführen – und diesen vollendete er mit erbärmlichem Anstand. Wie lange trappelte er um den Pfalzgraf herum; wie oft [134] zerrte er am Dolch, ohne ihn herauszubringen, und wie unnatürlich stieß er ihn endlich Otton, da er fast drey Schritte hinter jenem stand, von vorne, und oberwärts, in die linke Brust? Warum nicht von hinten zu gerade in die Herzcammer? Hier mußte ja der Stoß leichter den tödlichen Flek treffen, als wenn der Dolch erst durch den Brustknochen durchzudringen hatte. – Ich sahe Herr Reineken bey diesem Vorgang in die Augen, und glaubte zu bemerken, daß die Maladresse seines Mörders ihn sehr embaraßire. Wahr ists, dergleichen Ermordungen machen die schwersten Attituden auf der Bühne; aber dafür sind ja die Proben, daß jeder Acteur in selbigen difficile Maniemens erst so offt wiederhohlt vornehmen kann, bis sie ihm geläufig werden. Dies hätte Herr Kaseliz nur auch thun, und dabey Herrn Reineke zu Rathe ziehen, dürfen, der würde ihn gewiß zurechtgewiesen haben. Denn gerade da, wo Otto, nach dem empfangnen Dolchstich, ehe er sank, beyde Hände hinhielt, [135] war der eigentliche Flek, den Kallheim mit dem tödlichen Stoß treffen sollte.
Dienstags, den 14den October, gab man die eifersüchtige Ehefrau, ein Lustspiel aus dem Englischen, von Bode – abermals nicht neu, sondern schon bekannt. Mithin keine ausführliche Wiederholung von der Geschichte, nur so viel, daß das Sujet überhaupt nicht zu denen interessantesten gezählt werden darf – und dann einige Remarquen über das Verhalten der Schauspieler.
Als Oakly, ein junger Ehemann, der mit inniger Zärtlichkeit an seiner Gattin hieng, ob sie ihn gleich durch ihren unerträglichen Humeur, besonders durch ihre prädominante Eifersucht, alle Freuden des Lebens vergällte; der sich eine Zeitlang von dieser Tirannin, wie ein Kind am Gängelband, herumschleppen ließ; der endlich aber doch so vieler Thorheiten, so täglicher Martern, müde wurde; nun männliche Autorität den weiblichen Grillen, [136] Spott ihren fantastischen Vorwürfen, Gleichgültigkeit ihren jämmerlichsten Klagen, heissesten Thränen, Vapeurs, und Ohnmachten, entgegensezte; wenn sie schrie und tobte, seinen befehlenden Ton noch höher, mit seinem Baß ihr Kreischen überstimmte; wenn sie winselte, sie in ihrem Cabinet alleine ließ – durch diese wiederhohlten Curmittel aber endlich die Närrin zur Vernunft brachte; und dann ihre Reue, ihre angelobte Besserung, mit dem lebhaftesten Ausbruch zurükkehrender Liebe belohnte – erfüllte Herr Opiz seine heutige Bestimmung mit aller, von dem besten Schauspieler zu erwartenden, Geschiklichkeit.
Schon aus obigem kann man von dem Charakter der Madam Oakly sich den deutlichsten Begriff machen. – Madam Reineke stellte ihn durch ihr angemeßnes Spiel ins helleste Licht.
Herr Reineke arbeitete, als Major Oakly, unter keiner wichtigen Rolle. Er, ein alter [137] Junggeselle, hatte nicht die besten Begriffe vom schönen Geschlecht aus seiner erlangten Weltkenntniß, und Experienz, geschöpft; er sahe daher die thörichte Conduite seiner Schwägerin mit Verachtung an, suchte aber seinen Bruder durch Rath und Gründe aufzumuntern, daß er männlichen Muth fassen, nicht durch immerwährendes Nachgeben Madam in ihren Tollheiten bestärken, sondern seiner Seits auch das Rauche herauskehren, und auf die Art dem Uebel, noch ehe es ganz unheilbar würde, abhelfen möchte. Je mehr sein Bruder ihm folgte; je besser die bittern Arzneyen anschlugen; je vollkommner die moralische Patientin am Ende genas, desto lebhafter freute sich der Major, daß er abermals richtig geurtheilt hatte, daß seine Grundsäze durch neue Beweise der Erfahrung bestärkt wurden. Wie sehr Herr Reineke die Kunst versteht, jede unbedeutende Rolle interessant zu machen, dies zeigte er auch heute. Wenn er so zu halben Viertelstunden da stand, als [138] Zuschauer fremder Thorheiten, und kein Glied, nur manchmal die Augen, mit dem beredtesten Ausdruk bewegte; wenn er zu andrer Zeit, unterdessen, daß der Bruder bey seiner Gattin die entscheidende Operation vollendete, am Tisch saß, und sich in der Entfernung für Lachen ausschütten wollte; wenn er durch Mienenspiel, und Handlung, sich die äusserste Mühe gab, jenen für einem allzuzeitigen Rükfall in nachgebende Zärtlichkeit sicher zu stellen; wenn er dann aufsprang, und seinem Bruder durch einen raschen Kuß vollständigsten Beyfall mit seinem Betragen bezeugte, der reuigen Schwägerin aber mit der trautesten Offenherzigkeit gestand, daß er, der Rathgeber ihres Mannes, und ihr Arzt, gewesen, daß er sie zwar mit bittern, aber desto wirksamern, Pulvern nothwendig habe angreifen müssen; und wenn er endlich, als Madam Oakly Besserung für jede künftige Stunde ihres Lebens theuer angelobt hatte, eine unnachahmliche Energie in die lezten Worte: „nun, da gebe Gott seinen [139] Seegen dazu!“ legte – welcher critische Zuschauer konnte sich da enthalten, dem meisterhaften Acteur herzinniglichen Beyfall zuzuklatschen? –
Als Carl Oakly, sollte Herr Schirmer einen Jüngling von undeterminirtem Charakter vorstellen, der zwar kein Bösewicht war, der aber durch Modeton, gesellschaftliche Beypiele, und eignen Leichtsinn, zu mancher tadelhaften Handlung fortgerissen wurde, der sich in den Augen eines tugendhaften Mädgens, das er liebte, wiederhohlt erniedrigte, den sein gutes Glük aber dergestalt pussirte, daß er Gelegenheiten fand, seiner Geliebten, und ihrem Vater, einige wesentliche Dienste, wo er Muth und Rechtschaffenheit zeigen konnte, zu leisten, und dafür am Ende mit der Hand, um die er sich beworben hatte, belohnt wurde. Unter dieser Distinction mußte man mit Herrn Schirmer, seines affectirten, waklichten, Ganges, und seines Grimassirens mit dem Kopf [140] ungeachtet, allenfalls zufrieden seyn, sich mit der Hofnung trösten, sein äusserliches Betragen würde, so wie sein Moralismus, in der Folge unter der Dressur einer vernünftigen Gattin zu mehrerer Festigkeit gelangen.
Herr Henke bezeichnete in Russets Person, einen Mann, der ohne das mindeste natürliche Talent, ohne alle Cultur, und Erziehung, wie ein Pilz aufgewachsen, und alt geworden, war; weil nun von einem solchen auch äusserst plumpe Sitten unzertrennlich sind: so traf man in Herr Henkens Spiel lauter Harmonie, und Wahrheit, an.
Dies nemliche Zeugniß verdient auch Herr Thering – er ließ sich keinen Zug, der in Sir Harry Beagle Originalcharakter lag, entwischen; sein Anzug, sein Ton, sein Betragen, marquirten ganz expressiv den englischen Landjunker, dem es an jeder Anlage zum feinen Mann keinesweges fehlte, welchem aber prädoninante Neigung zu Pferden, [141] Hunden, Wetten, nie Zeit gelassen hatte, sich gehörig auszubilden.
Auch Herr Günther leistete, als O Cutter, seiner Bestimmung vollkommenste Genüge; ohne Verstand im Kopfe, ohne menschliches Gefühl im Herzen, handelte er brav, wie ein Schifscapitain, aber auch dumm, und schlecht, wie der niedrigste Matrose.
Herr Schuwaert verfehlte hingegen sein vorgestektes Ziel, dächte ich, ganz und gar; er hatte seine Rolle aus einem falschen Gesichtspunct beurtheilt, und widersinnig behandelte er sie also auch. Lord Trinket war ein Engländer von schlechten Grundsäzen, von liederlicher Lebensart, der sich jedes Verbrechen erlaubte, wenn er nur dadurch seine Leidenschaften befriedigen, wenn er es, ohne dabey ertappt zu werden, ausführen konnte; der, wenn man ihn ja auf dem schlechten Streich erwischte, und mit verdienten Vorwürfen überhäufte, auch dann noch Effronterie [142] genung besaß, sichtbare Beweise seiner Schande gerade weg abzuläugnen, mit Lachen, und Complimenten, davon zu schleichen. Herrn Schuwaerts Spiel machte aus diesem dissoluten, frechen, Engländer, einen lustigen französischen Stuzer – singender Ton in der Sprache; das fast ums andre Wort eingeschaltete: „sur mon Honneur!“ sein ganzes äusserliches Maintien, determinirten es wenigstens also – und wozu das? Noch würde ich ihm diese eigenmächtige Metamorphosirung des Lords, ob gleich der Text nicht die mindeste Rechtfertigung dazu darbot, verzeihen, weil ich einräume, daß Engländer, so gut als Deutsche, in Nachäffer des pariser Bonton ausarten können, wenn nur Herr Schuwaert der einmal arrivirten Idee auch durchgängig treu geblieben wäre; wenn er nur, um ein einziges Beyspiel seiner Echapaden anzuführen, nicht in der nemlichen Unterredung ein lediges Mädgen, Mamsell, eine neben ihr stehende Frau aber, Mylady, genennt hätte. [143] Lady Freelove, und Henriette, jene, ein stolzes, freches, coquettes Weib, diese, ein sanftes Mädgen von weniger Erfahrung, aber desto besserm Herzen, erwarben durch das, denen diversen Charaktern angemeßne, Spiel der Madam Günther, und Madam Koch, Verachtung, und Wohlwollen, in gleichmäßigem Grade.
Eine Aufwärterin im Wirthshause, Madam Vetter; Toilette, der Frau Oakly Mädgen, Madam Seconda; der Cammerdiener Paris, Herr Ulrich; nebst drey andern Domestiquen, denen Herren Zuker, Wagner, und Vetter, hatten blos Nebenrollen auszufüllen, und füllten sie denn auch nur nothdürftig aus.
Mariane, ein ebenso schönes, als bekanntes, Trauerspiel von Gotter, wurde Mittewochs, den 15den October, gegeben. Hätte gestern, nach Ankündigung des heutigen Stüks, Sir Harry Beagle mit mir, über Besezung der Präsidentenrolle in selbigem, [144] wetten wollen: ich würde mich eingelassen, und doch, bey aller Zuversichtlichkeit, mit der ich auf Herrn Reineke rechnen konnte, verlohren haben. Warum die Rolle des Präsidenten von Fels, Herrn Stierle, die weit unwichtigre des Geistlichen aber, Herrn Reineke zugefallen war, das möchte ich mir gerne, mit zureichenden Gründen unterstüzt, erklären lassen. Jene würde Herr Reineke bis zum Glanze erhoben haben, da Herr Stierle sie höchstens nicht fallen ließ, denn zum großen Mann fehlt es ihm wahrlich zu sehr an prävenanter Figur, und an ausgeschliffenen Manieren; hingegen hätte gewiß die wenigen Sentenzen, welche der Geistliche im Docententon zu sagen hat, Herr Schuwaert mit sufficientem Anstand, und Eindruk, vorgebracht. Heute sahe ich den beliebten Herrn Reineke zum ersten mal in eine bornirte Rolle so enge gepreßt, daß er seinem Meistertalent auch nicht den mindesten Schwung geben konnte. Ausserdem fiel es mir noch sehr auf, [145] in dessen Anzug nicht das geringste unterscheidende Kennzeichen eines römischcatholischen Ordensgeistlichen zu entdeken. – Bloße Weltgeistliche aber wählt man schwerlich zu Gewissensräthen in großen Häusern; sie haben auch keinen so freyen Zutritt in Nonnenclöstern; und werden nicht mit dem Titel: „Ehrwürdiger Herr, oder Vater“ honorirt, wie hier der Fall war; ja selbst der gelanteste Abbe trägt doch wenigstens einen Mantel.
Madam Schuwaert sutenirte heute, als Mariane, ganz vortrefflich die wichtigste Rolle. Tief drang ihr Spiel ans Herz, wenn es den innern Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht, unter dem Mariane erlag, weil erstere sie so weit hinriß, daß sie leztere ganz vergessen, daß sie in stufenweis wachsender Verzweiflung dem Vater fluchen, sich selbst durch Gift morden, konnte, mit lauter treffenden Zügen ausmahlte.
[146] Uebrigens thaten Madam Reineke, als Präsidentin; Herr Schirmer, als Baron von Fels; und Herr Opiz, als Waller, alles, was man von einer leidenden Mutter, die selbst unter dem Joche eines despotischen Ehemanns seufzte, mithin, bey dem besten Willen, nichts Wesentliches zur Rettung ihrer aufgeopferten Tochter auszurichten im Stande war; von einem jungen, durch den Vater verzärtelten, Officier, der kein andres menschliches Gefühl, als Ehr- und Geldsucht, kannte, überdies auch noch eine gute Dosis Malice, und Falschheit, im Herzen trug; und von einem verzweifelnden, auf den heutigen Werther- und Siegwartston gestimmten, Liebhaber erwarten konnte.
Zum Nachspiel wurden die eingebildeten Philosophen, eine Operette, gegeben, – welche ich nicht abwartete.
[147] Donnerstags, den 16den October, bewirthete man das Publicum mit dem Graf von Olsbach, einem Lustspiel von Brandes, herrlich. Wer kennt nicht den entschiednen Werth des Stüks, und welchem Zuschauer sollte es nicht, da alle Rollen gut besezt waren, da jeder auf der Bühne, das ihm vorgestekte Ziel zu erreichen, aus allen Kräften arbeitete, es keiner verfehlte, willkommen gewesen seyn, vollständigste Genüge geleistet haben?
Vorzüglichsten Beyfall verdienten Herr Opiz, und Madam Koch. Ersterer zeigte, als Graf von Olsbach, den jungen edeln Mann, frühzeitig zu den höchsten Stufen der Ehre erhoben, und doch der Erhebung seines reifen Verstandes, seiner ausgebildeten Sitten, seines vortrefflichen Herzens, halber, ganz würdig. Nagender Kummer über den tragischen Verlust einer geliebten Gattin hatte dem Grafen die Idee eingeprägt: keine [148] Freude, kein Glük, sey für ihn mehr ihn in der Welt übrig. Auf selbige gründete er den Plan, er wolle sie verlassen, den Rest seines Lebens auf dem einsamsten Gute hintrauern, nur vorher noch alle, die ihm lieb waren, glüklich machen. Als er den leztern Vorsaz für vollendet achtete, stand er eben im Begriff, auch den erstern auszuführen, und da empfieng er aus der Hand der besten Mutter, zum theuersten Angebinde an seinem dreysigsten Geburtstage, den Lohn seiner, wie Gold, bewährten Rechtschaffenheit, die verlohren geglaubte Gattin leibhaftig, mit ihr alle Fülle unaussprechlicher Wonne, in seine Arme zurük. Bey jeder dieser interessanten Situationen zeigte sich auch heute Herr Opiz in vollendeter Größe; ich wüßte keinen Augenblik, wo er mir nicht ganz gefallen hätte; beym Ausbruch der höchsten Betrübniß, und beym Uebergang zur größten Freude, eben so sehr, als in jedem Zwischenraum, wenn er sich, um edle Geschäfte [149] auszuführen, zur erkünstelten Gelassenheit stimmen mußte.
Madam Koch wetteiferte mit ihm um das erste Lob – ich getraue mir weder für sie, noch für Herrn Opiz, zu entscheiden; denn äusserst hoch gespannt war ihr ganzes Spiel, und immer blieb es der Natur treu; rührend ihr in Mienen, Worten, und Action, tief ausgedrukter Schmerz, so lange sie ohne Nachricht vom Gatten, ohne Hofnung auf ein beßres Schiksal des Vaters, ohne Aussicht über künftigen Unterhalt, sich von jedermann verlassen, zum schmachtenden Elend bestimmt, glaubte; nicht über- und doch aufs höchste getrieben, ihre Freude bey der ersten Nachricht: daß ihr Gemahl noch lebe, und sie liebe; mahlerisch die Ungeduld, mit der sie im Augenblik des Wiedersehens sich kaum so lange halten konnte, bis man den Grafen, ein so unerwartetes Glük zu ertragen, vorbereitet hatte; unnachahmlich schön die [150] edle Art, mit der sie endlich, von Empfindungen der Freude und Zärtlichkeit erschöpft, in seine offnen Arme sank. – Wer konnte zwo so liebenswürdige Personen, als heute Herr Opiz, und Madam Koch, ihrem eigenthümlichen, und angenommenen, Wesen nach waren, anders als mit innigstem, gleich abgewognen, Beyfall vor sich sehen?
Nochmals wiederhohle ich die schon gemachte Bemerkung: alle übrige Rollen waren eben so gut besezt, als sie vortrefflich ausgeführt wurden, und erwähne nur, um nicht in Monotonie zu verfallen, daß Madam Reineke, als Gräfin von Olsbach, eine in jedem Betracht verehrungswürdige Mutter; Madam Günther, als Julie, eine zärtliche, an den Leiden, und Freuden, ihres Bruders stets den wärmsten Antheil nehmende, Schwester; Madam Henke, als Frau Wandeln, eine gutherzige, schwazhafte, Wirthin; Herr Schirmer, als Hauptmann von Wernin, [151] einen rechtschaffnen, thätigen, Freund der Olsbachischen Familie; Herr Reineke, als Oberster von Stornfels, einen alten deutschen Degenknopf, zwar von bestem Herzen, aber durch grämische Behandlungen zum Menschenhasser, und finsteren Gesellschafter, verdorben; Herr Thering, als Haushofmeister Kulpel, einen tükischen Schleicher, einen galgenreifen Betrüger; Herr Wagner, als Carl, und Herr Ulrich, als Philipp, zwey treue, ihre gute Herrschaft liebende, Bedienten des Olsbachischen Hauses, mit allem, denen diversen Charaktern angemeßnen, Ausdruk der Wahrheit vorstellten.
Mit dem Baron von Birkwiz, des Grafen von Olsbach Mündel, muß ich mich aber noch einige Augenblike insbesondere beschäftigen. Herr Distler spielte diese Rolle, und ich konnte mich nicht entschliessen, ob ich ihn für gut, oder schlecht, halten, ob ich ihn hochschäzen, oder verachten, sollte. Der Baron [152] begegnete seinem würdigen Vormund bald mit Stolz, und Troz, bald wollte er wieder in Gefühlen der Dankbarkeit für die Wohlthaten, womit der Graf ihn überhäufte, zerschmelzen; aber kaum hatte er neue, mit den herrlichsten Moralen begleitet, erhalten: so begieng er auch schon wieder einen Rükfall in angewöhnte Ungezogenheiten. Der Graf von Olsbach nannte ihn zwar selbst einen Jüngling von gutem Herzen, und schrieb alle seine Extravagancen bloß auf die Rechnung eines noch zu flüchtigen Bluts; allein Birkwiz begieng Vergehungen, die wirklich nicht für Temperamentsfehler anzusehen, sondern mit Grunde aus einem verderbten Herzen herzuleiten, waren, und schon sein hartes, auffahrendes, Betragen gegen die Domestiquen verrieth das leztere sattsam. Diese Unbestimmtheit des Charakters bestätigte denn auch Herr Distler durch sein ganzes Spiel. Man kann also ihm diesfalls eigentlich keinen Vorwurf machen, desto mehr aber wünschte [153] ich, daß Herr Brandes bey Anlegung des Plans auf die richtige Auszeichnung des Baron von Birkwiz eben so attent, als auf alle übrige handelnde Personen, gewesen wäre. Wollte er ihn aber gerade so darstellen, wie er erschien, so hätte er nur auch das Vertrauen des Grafen von Olsbach zu ihm mehr einschränken sollen. Ein Mann von so erleuchteter Penetration, und determinirter Menschenkenntniß, wie der Graf, mußte schlechterdings aus der Aufführung des Barons gerechten Verdacht gegen sein Herz schöpfen, und daher andre Mittel, als stets wiederhohlte Wohlthaten, zu dessen Correction versuchen. Am allerwenigsten aber durfte das unbesonnene Versprechen, seine Schwester Birkwizen zur Gemahlin zu geben, je über Olsbachs Lippen springen. Wenn man ein geseztes Frauenzimmer, wie Julie, und einen leichtsinnigen Jüngling, wie Birkwiz, war, in Vergleichung stellte: so mußte man den Gedanken, sie einander zu Ehe bestimmt [154] zu sehen, für grotesc halten; auch schon der sichtbare Unterschied der Jahre zwischen Madam Günther, und Herrn Distler, gab jener Idee einen schiefen, unwahrscheinlichen, Anstrich, und doch war beyder Alter dem historischen Zusammenhang angemessen.
So sehr ich also das heutige Stük im Ganzen gelobt habe, eben so wenig konnte ich mich entbrechen, diese tadelnde Bemerkung niederzuschreiben – Schade, wirklich Schade, daß Herr Brandes sich hier vergessen, und dadurch, seine schöne Ausarbeitung zur Vollkommenheit empor zu heben, versäumt hat.
Wenn der Gegenstand des gerechtesten Lobs zu hoch steht, wenn auch die ausgesuchtesten Worte das nur halb ausdrüken können, was innres Gefühl einem abdrängt; dann ist Stillschweigen beredter, als buchstäblicher Panegiricus. Wenn man schon Meisterstüke von verschiednen Künstlern gesehn, sie als solche bewundert, sich in ihrem Preise erschöpft, [155] hat, und die nemlichen wieder neue aufstellen, welche jene noch übertreffen, es bezeugen, daß die, von denen man erst glaubte, sie hätten alles Mögliche geleistet, doch noch mehr thun konnten; dann bringen einen Bewunderung, und Beyfall, in wirkliche Verlegenheit. Auch mich sezte die Vorstellung des deutschen Hausvaters, welche Freytags, den 17den October gegeben wurde, in eine ähnliche. Erschüttert fühle ich mich von dem, was ich heute auf der Bühne gesehn, und gehört, habe. – Es paradirt zwar dieses vortrefliche Orinalschauspiel mit dem Namen eines Verfassers vom ersten Range, doch ist das sein geringster Vorzug, und sein eigenthümlicher, überwiegender, Werth macht vielmehr einem Freyherrn von Gemmingen Ehre.
Verschiedne Mitglieder der Churfürstlichen Schauspielergesellschaft, denen heute die wichtigsten Rollen zugetheilt waren, thaten nicht viel weniger als Wunder; alle übrige handelnde [156] Personen, was man nur wünschen, und erwarten konnte. Jene sind die nemlichen, deren gerechtes Lob ich schon im Vorhergehenden wiederhohlt gepriesen, und ich finde desto weniger Bedenken, zu gestehen, daß mir jezt am Schreibetisch Worte zum Ausdruk meiner heutigen Gefühle, meiner aufs höchste gespannten Bewunderung, fehlen. Stille schweigen, oder eigentlich, gar nichts niederschreiben, wäre wider meinen gewählten Plan; ich will daher blos die Eintheilung der Rollen hersezen; nur diejenigen Scenen, welche über andere hervorglänzten, bemerken, und mich dabey der concentrirtesten Kürze bedienen, ohne entschiedne Vollkommenheiten durch monotonische Lobeserhebungen zu verdunkeln.
Es stellten Madam Schuwaert, Lottgen, Gutmanns Tochter; Herr Reineke, den Hausvater, Graf Wodmar; Herr Opiz, Carln, dessen ältesten Sohn; Herr Wagner, den Mahler, Gutmann; Madam Koch, die [157] Gräfin Amaldi; Herr Thering, den Baron von Dromer, ganz – um den passendsten Ausdruk zu gebrauchen – unaussprechlich schön; Herr Schirmer hingegen Ferdinanden, des Hausvaters jüngsten Sohn; Herr Schuwaert, den Graf Monheim; Madam Reineke, dessen Gemahlin, Sophie; Mamsell Vetter, ihren sechsjährigen Sohn; Herr Zuker, den Adjutanten; Herr Günther, den Verwalter; Madam Seconda, Amaldis Mädgen; Herr Ulrich, den Cammerdiener; Madam Vetter, Annen, Lottgens alte Wärterin; und Herr Henke, einen Bauer, Wodmars Unterthan, allenthalben genügeleistend vor.
Tief in jedes fühlbare Herz der Zuschauer drangen die herrlichsten Scenen; wo Gutmann, Carln, zwey Gemählde, so die diversen Situationen einer Kindermörderin, wenn sie jezt eben die schrekliche That vollbringt, dann sich auf dem Punct sieht, von der eintretenden [158] Wache ergriffen, und vor Gericht geführt zu werden, bezeichneten, darstellte; wo unterdessen Lottgen abwärts auf dem Stuhl saß, trostlos über das, was ihr unmittelbar vorher Carl von nothwendiger Trennung zwischen ihnen beyden gesagt hatte, sich dem gewaltsamsten Schmerz überließ, bey des Vaters emphatischem Discurs mit Carln über die Gemählde, wegen der daraus geschöpften Erinnerung ihres eignen critischen Zustandes, convulsivische Zukungen bekam, und endlich, durch die stärkste Ohnmacht überwältigt, leblos vom Stuhl herunter auf den Boden stürzte. – Ferner die, wo der Hausvater seinen ersten Besuch in des Mahlers Stube machte; eine lange Unterredung mit ihm hielt, und sie durch die Nachricht: sein Sohn, Carl, liebe Gutmanns Tochter, beschloß. – Die, wo Lottgen gegen die Gräfin Amaldi knieend ihre Rechte über Carls Person vertheidigte, jene beschwor, ihr den Verlobten, ihrem Kinde den Vater, nicht zu rauben. – Die, im [159] Zimmer der Gräfin Amaldi, wo der Graf Wodmar, Lottgen, sie ihn, als Carls Vater, erkannte, zu seinen Füssen, um Schuz, und Barmherzigkeit flehte. – Die, wo der Hausvater, nun von Allem unterrichtet, und überzeugt, Carln die Geschichte seiner Liebe recapitulirte; ihm zeigte, daß es unter solchen Umständen schlechterdings Pflicht des ehrlichen Mannes sey, Lottgen zu heirathen, und in diese Verbindung förmlich einwilligte. – Endlich die, wo zwey über einander mißvergnügte Eheleute durch die Fesseln der elterlichen Liebe, durch den Entschluß ihres kleinen Sohnes, der weder die Mutter, noch den Vater, verlassen, sondern, daß sie Beyde auch ferner zusammen leben sollen, haben will, wieder vereinigt wurden. – Fort rissen jene herrlich angelegten, mit Meisterkunst ausgezeichneten, Scenen insgesamt die mehresten Zuschauer zur heftigsten Bewegung – zu fliessenden Thränen – zu ausbrechenden Schluchzen. –
[160] Möchten doch lauter Genies, wie Freyherr von Gemmingen, für Deutschlands Bühne arbeiten; möchten sie uns lauter Producte, ähnlich an Würde, und Kraft, dem Hausvater, schenken; möchte jedes derselben so gut aufgeführt werden, wie er heute auf dem hiesigen Theater! – dann könnte man alle Einwürfe des misantropischen Sittenrichters niederdrüken, dann laut, und rechtmäßig behaupten: daß unsre Schauspielhäuser den Hörsälen der besten Moralisten gleich geschäzt, mit eben so allgemein gutem Erfolg, wie jene, besucht werden dürften. –
Sonnabends, den 18den October, wurde der Unterschied bey Dienstbewerbungen, ein Lustspiel von Stephanie, dem jüngern, zum ersten mal gegeben. – Ja, zum ersten mal, das hörte man, hätte es auch nicht der Anschlagezettel insbesondre bemerkt. Die mehresten Rollen waren nur unvollkommen einstudirt, und Herr Thering, ein so gewiegter [161] Acteur, verrieth es bey der seinigen am öftersten durch häufiges Stoken, und Stottern.
Ob gleich das Stük selbst, da es einem Verfasser zugetheilt wird, der als Theater-Kenner und Dichter im Ruf steht, mich viel erwarten ließ; so schaffte es mir doch im Erfolg nur mässige Befriedigung. Die Charaktere sind leidlich ausgezeichnet, allein nur die wenigsten haben etwas hervorstechendes; wider die Verwiklung, und den Ausgang, aber läßt sich desto mehr einwenden, und die Handlung selbst ist dergestalt getheilt, daß man nicht weiß, welche man für die wirksamste zum Interesse des Ganzen ansehen soll. – Nachfolgendes zur Begründung obiger Prämissen.
Zwo Familien, die des Präsidenten, welche aus ihm, der Baroneß Scharfstein, seiner Tante, und einer armen Muhme, Mamsell Spizkin, bestand; und dann die des Assessor Breitenek, zu der er, seine Gemahlin, [162] und Charlotte, ihre Tochter, gehörte, fixirten den Standpunct der Geschichte.
In beyden sucht sich ein gewisser Titularsecretair, Knall, durch alle Mittel, und Schleifwege, so nur diejenigen für erlaubt halten, bey denen Eigenliebe den mangelnden Verstand verschleiert, und unbändigste Effronterie die Stelle wahrer Verdienste ausfüllt, fest zu sezen, sich Credit, und Beförderung zu einer eben vacant gewordnen Assessorstelle, zu erringen. Besonders läßt er aus seinem Betragen, in dem, und jenen, Hause, vermuthen, er habe Heirathsgedanken; ja er ist so frech, darüber bald Mamsell Spizkin, bald Charlotten Breitenek, determinirte Anträge zu thun, deren Vollendung er auf das Evenement, wenn er würde Assessor seyn, hinausschiebt.
Die Baroneß Scharfstein, so gut, als die Assessorin Breitenek, verfolgten einerley Lieblingsidee. Jene wollte ihre arme Muhme, [163] diese ihre ebenfalls nicht reiche Tochter, gern unter die Haube bringen. Beyde sahen sich an Knalln den Mann aus, den sie dazu brauchten; er bekam nach seiner Minderjährigkeit hübsches Vermögen, und die Hofnung, er würde Assessor werden, nebst seinem einschmeichelnden Ton, hatten es so weit gebracht, daß die alten Weiber sichs vornahmen, durch ihren Vorspruch Knalln aus allen Kräften zu pussiren. Die Männer hingegen, der Präsident, und der Assessor, dachten gescheuter; sie kannten Knalls wenige Meriten; verachteten sein schlechtes Herz; und widersezten sich daher seiner Erhebung; – ihre Wahl, und ihr Vortrag beym regierenden Fürsten, bestimmten Knalls ältern Collegen, den Secretair Storr, zum künftigen Assessor.
Letzterer besaß entschiedne Verdienste, aber auch einen hohen Grad von Eigensinn, welcher ihn, unter andern, in dem gefaßten Entschluß, [164] um keine Beförderung je zu supliciren, bestärkte.
Ausser der Assessorstelle war noch ein Creisphisicat offen, um welches sich der Feldmedicus Pfingstgräf bewarb. – Das war ein schnurriger Mann; er hatte theoretische Kenntnisse, und praktische Erfahrungen, genung; sich auch ein ansehnliches Vermögen durch Fleiß, und Sparsamkeit, erworben; dabey gieng es ihm aber, wie den Ziegen, mit dem inwendigen Fett, denn seine äussern Manieren waren eben so abgeschmakt, sein mündlicher Vortrag eben so weitschweiffig, als seine Kleidung altväterisch. Dieser hatte sich Knalln zum Beförderer erwählt; borgte ihm, um seines Schuzes desto gewisser versichert zu seyn, tausend Gulden; fand bey denen Damen schlechte Approbation, bey den Männern aber, die weniger, als jene, aufs Aeusserliche, sondern mehr auf seine reelle Gelehrsamkeit, und Experienz, sahen, Beyfall.
[165] Nach obiger Bezeichnung ist die Intrigue eingefädelt, läuft durch die vier ersten Acte, bald in des Präsidenten, bald im Breitenekischen Hause fort, und jede handelnde Person verfolgt ihren entworfnen Plan nach charakteristischer Stimmung, nach eignen Grundsäzen.
Die Cabale der Damen scheint die Oberhand zu behaupten; die Baroneß Scharfstein erhascht vom Fürsten das Jawort für Knalln zur Assessorstelle – selbst Breitenek, nebst dem Präsidenten, wünschen ihm schon Glük dazu, ja lezterer bestellt ihn sogar, mit ausdrüklichen Worten, auf den Nachmittag zur Abhohlung des Decrets. –
Kaum glaubt sich Knall im Besiz der gesuchten Stelle: so nimmt er die zeitherige Masque ab, und sagt dem Präsident gerade ins Gesicht: er werde, weder Mamsell Spizkinn, noch Charlotten Breitenek, heirathen; er habe beyden nur was vorgeschwazt; [166] es sey nicht seine Schuld, daß sie schimmernde Complimente für ächte Münze angenommen.
Diese Declaration hören, im Nebenzimmer, die Weiber, alt und jung, mit an, brechen herein, überhäuffen Knalln mit Vorwürfen, Schimpftiteln, Drohungen, und verächtlichem Kaltsinn. Die Baronin will sporrenstreichs wieder nach Hofe, um den Fürsten zu einer andern Resolution zu disponiren; ihr Neveu, der Herr Präsident, aber erklärt diese Bemühung für vergeblich, weil der Fürst schon, durch seine, und Breiteneks, Gegenvorstellungen bewogen, einen heilsamern Entschluß gefaßt habe. Drauf eröfnet er Knalln gerade das Gegentheil von dem, was er ihm eine Viertelstunde vorher im ernsthaftesten Tone zugesichert hatte: – er sey nicht Assessor, nicht einmal, in die Secretariatsbesoldung einzurücken, würdig erkannt worden; sagt ihm dabey, über die gesuchten [167] Schleifwege die bittersten Sentenzen, und bringt es so weit, daß Herr Knall mit vollendeter Beschämung seinen Abtritt nehmen muß. Dagegen werden Secretair Storr, zum Assessor, auch Pfingstgräf, zum Creisphisicus, declarirt. Aus Dankbarkeit bietet ersterer Charlotten Breitenek, lezterer Mamsell Spizkinn, die Hand zur ehelichen Verbindung; beyde Mädgens sowohl, als Eltern, und Muhme, aber ratihabiren jene Offerte auf der Stelle.
Bey dieser Entwiklung wird nun freylich der Herr Präsident in sehr dunkles Licht gestellt; denn wie konnte ein Mann, von seiner Würde, und Gravität, das abgeschmakte Spiel mit Knalln treiben, ihm erst zur erlangten Assessorstelle gratuliren, zur Abhohlung des Decrets auf den Nachmittag bestellen, und doch hinterdrein durch die That beweisen: er habe – in einer Dienstsache – nur gespaßt? Welches Gewicht der Wahrheit [168] hatte, in dem Munde des Präsidenten, das Apophtegma, mit dem sich das ganze Stük schloß: „anderwärts können Schleifwege, hier nur wahre Verdienste, zu Beförderungen führen;“ da der regierende Fürst kurz vorher, als ein schwankendes Rohr, dargestellt worden war, indem er einer alten Frau sein hohes Fiat für den nichtswürdigsten Candidaten schon gegeben, und erst durch Gegenvorstellungen klügerer Räthe hatte müssen wieder umgewendet werden.
Madam Reineke spielte die Baroneß Scharfstein, eine alte Frau, von sehr bornirtem Verstand, deren Herz immer an Hunden, und am Papagey, hieng; die sich für jede Sache nur so lange interessirte, als sie aus ihrem Erfolg einigen Nutzen für ihre Privatabsichten zu ziehen glaubte; deren Tadel und Beyfall sich immer, wie eine Wetterfahne, drehten, und daher sehr oft auf einerley Person, nur, wie es allemal die vorliegenden [169] Umstände heischten, fielen, mit allem Ausdruk der Natur, und Wahrheit.
Madam Henke, als Assessorin Breitenek, bezeichnete eben so passend ein Weib im Alltagston – Herrschsucht, und Cabale, waren die Triebfedern, welche ihre Thätigkeit stets in Bewegung sezten, und erhielten; sie hatte sichs vorgenommen, ihre Tochter an den neuen Assessor zu verheirathen; so sehr sie also anfänglich auch Knall hingerissen, so sehr sie sich für ihn portirt, hatte; eben so gleichgültig war es ihr am Ende, daß, statt seiner, Storr Charlottens Mann wurde.
Madam Schuwaert, als Tochter des Breitenekischen Hauses, und Madam Koch, als Mamsell Spizkinn, waren mehr Maschinen, als handelnde Personen, von Mutter, und Muhme, dergestallt abhängig, daß sie weiter nichts thun konnten, als wozu jene sie anregten – und schwammen mit dem Strome fort.
[170] Auch Herr Reineke, als Präsident, hatte wenig Wichtiges zu verhandeln. Edel war zwar sein Charakter, aber kein ofnes Feld zur Thätigkeit lag vor ihm.
Assessor Breitenek producirte sich, als einen gelehrten, auch ehrlichen, Mann – und Herr Henke leistete dieser Bestimmung, die weder Weltton, noch feine Sitten, von ihm foderte, Genüge.
Den suffisanten, windigten, schmeichelnden, und endlich beschämten, Knall, machte Herr Opiz recht sehr gut. Festigkeit im Ton, eine süsse Miene, ein immer gebeugter Rüken, eine in Duceurs, und Lügen, geübte Zunge, standen ihm, so lange seine Cabalen circulirten, stets zu Gebote, und retteten ihn aus vielen Verlegenheiten; am Ende aber, da er entlarvt, und jenen ein fester Riegel vorgeschoben, wurde, schlich er, wie die auf dem Taubenschlag ertappte Kaze, davon.
[171] Mit Herrn Schuwaerts Spiel, durch welches er den gelehrten, arbeitsamen, ehrlichen, aber sehr capricieusen, Storr bezeichnete, hatte man Ursache zufrieden zu seyn; und Herr Thering würde das nemliche Lob, als Pfingstgräf, erworben haben, wenn er seinen Text besser auswendig gekonnt, nur, wenigstens von vorn herein, nicht zu sehr grimassirt hätte.
Herr Günther, Knalls Vormund, und Herr Wagner, dessen Bedienter, machten zwo ganz episodische, und kleine, Rollen, jede nur zu einem Auftritt, die daher nicht leicht verdorben werden konnten.
Zum Beschluß der theatralischen Vorstellungen für jezige Messe, wurde Sonntags, den 19den October, der englische Spieler, ein Trauerspiel nach dem Französischen des Herrn Saurin, gegeben. Sein Inhalt ist ganz einfach, und folgender.
[172] Bewerley, ein reicher Engländer, hat, von unwiderstehlicher Leidenschaft zum Spiel hingerissen, nicht nur sein eignes, sondern auch das ihm, als Vormund, anvertraute, Vermögen einer Schwester bereits, durchsich, seine Frau, und einen einzigen Sohn, von sieben Jahren, bis zur äussersten Dürftigkeit herunter, gebracht. Zwey Freunde, Levson, ein Rechtschafner, Stukley, ein Bösewicht, arbeiten wechselsweise daran, jener, Bewerleyn vom Abgrund, an dessen Rand er schon steht, wegzureissen; dieser, ihn bis über den Kopf hinein zu stossen, und sich von dem, was gedungne Complicen Bewerleyn im betrüglichen Spiel abgewinnen, zu bereichern. Bewerley verkennt eine Zeitlang beyde. Levsons wohlgemeinte Vorstellungen beleidigen ihn; er erwiedert sie mehrentheils durch Spott, und Vorwürfe, von Stukley hingegen glaubt er alles aufs Wort, so gar, daß er sich, weil er ihm einigemal Geld zum Spiel, unter dem Erbieten, Gewinn [173] und Verlust mit ihm zu theilen, vorgeschossen, für ihn aufgeopfert habe, und in seinen Fall mit verwikelt worden sey. Um Stukley vom fingirten Untergang zu retten, bleibt Bewerley noch ein einziges Mittel übrig, auf welches ihn jener verschiedentlich hinweißt. Nach langem Kampf mit sich selbst, ergreift solches Bewerley, fodert seiner Gattin Diamanten – den einzigen Rest ihres gemeinschaftlichen Vermögens – erhält sie von dem sanften Weibe, die kein größres Glük kennt, als ihren Mann zu beruhigen, jedem seiner Wünsche zuvorzukommen, und giebt sie, als Schadloshaltung, in die Hände des verrätherischen Stukley.
Bald darauf bekömmt Bewerley unvermuthet eine Summe von hunderttausend Franken, welche ein in Indien angelegtes Capital abgeworfen hat, ausgezahlt. Nun faßt er den Entschluß: nie wieder zu spielen; seine Schulden zu bezahlen, seine verpfändeten [174] Güter einzulösen, und auf selbigen künftig, fern von der Stadt, fern von ihren gefährlichen Gesellschaften, im Schooß seiner Familie ruhig, und rechtschaffen, zu leben. Aber auch über diesen Vorsaz wird Stukleys masquirte Bosheit Meisterin; er benuzt Bewerleys bekannte Schwäche, und bringt ihn nochmals an den gefährlichen Spieltisch, wo Bewerley seine hunderttausend Franken bis auf den lezten Schilling verliert – verlieren mußte, weil er gegen ein Complot abgefeimter Beutelschneider spielte, von denen Stukley der Rädelsführer war.
Bewerley sieht, daß er nun gänzlich ruinirt ist, und will darüber verzweifeln. Schon steht er im Begriff, sich an der Thür des Coffeehauses zu erstechen; allein Jarvis, sein alter Bedienter, kömmt herbey, und bewegt ihn durch flehentliches Bitten, von dem verruchten Vorsaz abzulassen. Nach Hause will er schlechterdings nicht; wirft sich daher [175] auf eine steinerne Bank, am Eingang der Auberge, um da die Nacht zuzubringen, und versinkt in fürchterliches Nachdenken über alles Elend, worein er sich muthwillig gestürzt hat.
Daselbst, und in der trostlosesten Verfassung, findet ihn seine Gattin, die, unruhig über sein langes Aussenbleiben, ihn selbst aufgesucht. Er gesteht ihr seinen leztern Verlust; er bittet sie, ihn seinem verdienten Schiksal zu überlassen. – Sanftes, ans Herz dringendes, Zureden des zärtlichen Weibes besiegt noch einmal seine kochende Wuth; er sinkt an ihren Busen; weint Thränen bittrer Reue; und verspricht, ihr nach Hause zu folgen. Indem kömmt einer von Bewerleys Gläubigern mit Wache; reißt ihn aus den Armen der flehenden Gattin, und läßt ihn ins Gefängniß führen.
Dieser neue Schlag bringt Bewerleyn vollends aus aller Fassung – der Gedanke, [176] sich durch Selbstvernichtung von allem gegenwärtigen, auch noch bevorstehenden, Elend zu befreyen, erwacht abermals, und reift zum festen Vorsaz – in einer Minute, da man ihn allein gelassen hat, schlukt er Gift ein. Gleich nach vollbrachter That wird er seinen Sohn gewahr, der in einem Winkel sizt, und schläft; rasch faßt er den grausamen Entschluß, auch diesen zu morden, damit er nicht einst, erwachsen, und bey reifem Verstande, Ursache haben möge, seinem Vater, der ihn ins Verderben gestürzt, zu fluchen. Schon zielt er nach ihm mit dem geladnen Terzerol – als der Knabe erwacht; die Stellung, in der er den Vater sieht, richtig versteht; vom Stuhle aufspringt; sich ihm mit lautem Geschrey zu Füssen wirft, und um Barmherzigkeit bittet.
Bewerley wird dadurch überwältigt; er schleudert das Mordgewehr von sich, und indem stürzen auch seine Gemahlin, und Schwester, [177] von Levson begleitet, herein. Sie sehen das Kind noch knieend vor dem Vater, und das Terzerol, mit gespanntem Hahn, auf der Erde; sie ahnden Bewerleys schreklichen Vorsaz, glauben aber, er sey nur wider ihn selbst gerichtet gewesen, und hoffen, ieden schlimmen Erfolg durch ihre Dazwischenkunft vereitelt zu haben. Levson bringt die wichtige Nachricht: Stukley sey, bey Theilung des, Bewerleyn abgewonnenen, Geldes, mit einem seiner Spießgesellen uneins, und im Zweykampf von ienem tödlich verwundet, worden; – sterbend habe er alle an Bewerley ausgeübte Betrügereyen gestanden, welches denn auch andre Zeugen bestätigten; die Sache wäre schon vor Gericht anhängig, und die Geseze hätten bereits den grösten Theil der vorgefundnen Summen Bewerleyn, als sein geraubtes Eigenthum, wieder zugesprochen. Statt, daß Levson glaubt, mit diesem wichtigen Trost den, in stummen Gram versunknen, Bewerley völlig aufzurichten, ihm die [178] heitersten Aussichten in die Zukunft zu eröfnen, gesteht iener mit ausbrechendem Jammer, daß diese Rettung zu spät komme; daß er Gift genommen, dessen tödende Wirkung er schon in seinen Eingeweiden fühle; daß er hülflos verlohren sey.
Nun wechselt Angstgeschrey zwischen Bewerleys Gattin, Schwester, Freund, und ihm selbst, ab. Er wendet seine lezten Minuten dazu an, iene zu trösten, und von Gott Vergebung seines Verbrechens zu erflehen; wird dabey sichtbarlich schwächer; verfällt in convulsivische Zukungen – und stirbt. Ohnmächtig ist seine Gattin neben ihn hingesunken; strömende Thränen weint die Schwester auf sein blasses Gesicht; zitternd hält ihn der keuchende Levson im Arme; laut iammert der kleine Knabe um den todten Vater – und der Vorhang fällt zu.
Eigenthümliche Schönheiten; richtige Combinaison der einzelnen Geschichttheile [179] mit dem Ganzen; sehr adäquate Auszeichnung der Charaktere, deren sich ieder vom Anfang bis zum Ende im abgemessensten Gleichgewicht erhält; frappante Situationen; energischer Dialog – sind lauter Attribute, welche dieses Stük erheben. Doch wird es von der Bühne auf die Zuschauer nie anders, als gewaltsam, wirken; wenig sanfte Gefühle, lauter heftige Erschütterungen, zuwege bringen. Bewerleys Tod muß iedesmal grauses Schaudern erweken – und die meisten dramaturgischen Richter behaupten, daß dies nicht der ersprießlichste Effect einer theatralischen Vorstellung sey – der Dichter würde selbigen ohne grosse Mühe haben mildern, und, ohne seinen Plan von vorne herein im mindesten zu ändern, der Catastrophe eine andre Entwiklung geben können, welche die erschütterten Zuschauer wieder beruhigt hätte. Denn eben so sicher, als Bewerleyn vom intentirten Mord des Kindes dessen schnelles Erwachen, und flehentliches [180] Bitten, abhielten, eben so unfehlbar würde auch seine Absicht, sich selbst mit Gift zu vergeben, vereitelt worden seyn, wenn die nachherige Dazwischenkunft seiner Familie einige Minuten früher erfolgte, wenn er die Neuigkeit von wiederhergestellten Glüksumständen, aus Levsons Munde, eher erfuhr. Dann konnte er, statt daß er iezt, von tausend Zweifeln über sein künftiges Schiksal gefoltert, zu Gott um Vergebung des entsezlichsten Verbrechens beten mußte, ihm mit Thränen der Reue für wunderthätige Hülfe danken, feyerliche Gelübde für künftige regelmässigere Lebensart zum Himmel senden; dann würde ieder Zuschauer dem geretteten, und bekehrten, Bewerley sanfte Zähren des Mitleids, theilnehmender Freude, gezollt haben, der ihn iezt, als Selbstmörder, mit glühender Verachtung sterben sah. Doch der Dichter wollte nun einmal ein vollendetes Trauerspiel darstellen – und diese Idee hat er denn auch, nach allen Regeln der [181] Kunst, so sehr, als nach den strengsten Gesezen der Natur, und Wahrscheinlichkeit, vom Anfang verfolgt, im Schlusse erschöpft.
Denen Schauspielern gebührt für alles, was sie heute, bey der Ausführung des Stüks, auf der Bühne leisteten, durchgängig das gerechteste Lob.
Herr Reineke, als Bewerley, hat sich gewiß durch sein herrliches Spiel in dem Andenken des Publicums zu guter lezt noch recht feste gesezt. Es glükte ihm heute abermals einen expressiven Meisterzug anzubringen – es war der, wo er, nach dem Verlust der leztern hundert tausend Franken, Verdacht gegen Stukleys Rechtschaffenheit schöpfte; ihn, als den Beförderer seines Untergangs, anklagte, im Ausbruch der Wuth bey der Brust faßte, wie einen Pflaumenbaum zusammenschüttelte, und, mit dem Geschrey der Verzweiflung, Rechenschaft seiner Thaten von ihm foderte; es gelang ihm aber auch eben dadurch, [182] ein expressiveres Zeichen des erworbnen Beyfalls, als das gewöhnliche Applaudiren, ein ihm laut zugerufnes Bravo! zu erobern. Ich wünschte Herr Reineke hätte es eben so genau, wie ich, bemerkt, welcher respectable Mund dieses Bravo intonirte, gewiß würde diese Entdekung seinem edeln Stolz ganz vorzüglich geschmeichelt haben. – Möchten doch die dauerhafteste Gesundheit, ungestörte Gemüthsruhe, Begünstigungen des Glüks, das Attachement dieses vortreflichen Schauspielers an sein Metie von Zeit zu Zeit erwärmen, und anfachen, damit er noch lange, als des Publicums Liebling, auf unsern Sächsischen Bühnen brilliren kann!
Wenn nach der bereits bezeichneten Anlage des heutigen Stüks noch einige sanfte Empfindungen, neben den gewaltsamen, in die Herzen der Zuschauer einschleichen konnten: so gebührt Madam Schuwaert der alleinige Ruhm, ienen durch ihr rührendes [183] Spiel, als Bewerleys Gattin, den Weg gebahnt zu haben. Bewundernswürdig schön bezeichnete sie durch iede Miene, durch iedes Wort, das Ideal der sanften Frau, die, ob sie gleich nicht blind gegen die Fehler ihres Mannes war, dennoch bey der Ueberzeugung, zärtlich von ihm geliebt zu werden, nicht in den Alltagston ihrer Mitschwestern einstimmte, ihn nicht durch mürrische Vorwürfe über bereits geschehne Dinge noch elender machte, als er es, nach seinem Selbstgefühl, schon seyn mußte, sondern es vielmehr für ihre erste Pflicht hielt, durch inbrünstige Gegenliebe die Leiden des Gatten zu versüssen; durch die untrüglichsten Beweise, so sie davon bey ieder Gelegenheit ablegte, ihn, wo möglich, vom Untergang in ihre stets offnen Arme zurükzuziehen.
So verächtlich der Charakter war, welchen Herr Schuwaert, als Stukley, zu suteniren hatte, eben so natürlich, und wahrhaft, [184] drukte er auch den kleinsten Zug desselben aus. Man durfte ihm nur ins Gesicht sehen, um den heimtükischen Betrüger, der stets Anschläge zur Bosheit in seinem Innersten herumtrug, zu entdeken; und blos ein Mann, den eine prädominirende Leidenschaft so ganz verblendete, wie Bewerley, konnte Stukley verkennen, zu ihm das mindeste Vertrauen fassen.
Madam Reineke, als Henriette, Bewerleys, Schwester, und Herr Opiz, als Levson, dessen redlicher Freund, hatten, nach Vorschrift ihrer Rollen, nur wenig zur Vervollkommung des Ganzen beyzutragen, aber auch an dem Wenigen verabsäumten sie nicht das Geringste.
Jarvis, ein alter Diener des Bewerleyischen Hauses, der sich durch edle Gesinnungen, durch eine unerschütterliche Anhänglichkeit an seine Herrschaft, weit über gemeine Domestiquen erhob, wurde von Herr Wagnern recht sehr gut executirt.
[185] Nach Beendigung des Stüks nahm Madam Reineke in einer poetischen Rede, die eben so gut gedichtet war, als sie sie mit dem geschmakvollsten Anstand declamirte, feyerlichen Abschied.
Das lange anhaltende Klatschen mußte sie von der gerechten Zuneigung des Publicums, und von dem Wunsche, sie bald wieder zu sehen, sattsam überzeugen. –
Ich könnte, als Autor, ihrem Beyspiel folgen, mich nun auch höflichst empfehlen, und dann horchen, ob mich ein dictatorisches Pochen zum ewigen Stillschweigen condemniren, oder einige gefällige Applaudissemens etwa zum Wiederauftreten in künftiger Ostermesse ermuntern, würden – allein ich habe noch eins und das andre auf dem Herzen, dessen Aeusserung ebenfalls die Stelle eines Epilogs zu diesem Jurnal vertreten kann.
Wenn man auf die Churfürstlichsächsische Schauspielergesellschaft im Ganzen einen [186] nachdenkenden Blik wirft, sie schon seit mehrerern Jahren her kennt, zwischen dem, was sie sonst war, und was sie jezt ist, richtige Vergleichung anstellt, und dann über ihre gegenwärtigen Verhältnisse ein entscheidendes Urtheil fällen soll; so fühlt man sich von Wahrheitsliebe zu dem Geständniß gedrängt: sie ist gegen sonst sehr zurükgekommen. Ehedem wurde sie mit Recht für eine der ausgesuchtesten, und vollständigsten, in Deutschland gehalten; dieser Ruhm aber scheint dahin zu welken. – Sie prangt zwar noch mit einzelnen Gliedern, deren Verdienste entschieden sind; die mit jedem vollendeten Zögling Thaliens wetteifern können; aber sie hat auch in Madam Spengler, in denen Herren, Christ, Spengler, und Hempel, solche verlohren, welche grosse Lüken im Ganzen zurükgelassen. Diese Lüken werden zwar jezt ziemlich gut durch Madam Schuwaert, und Herrn Wagner, hingegen äusserst unvollkommen durch die Herren Schirmer, und [187] Stierle, ausgefüllt – und bleiben daher sehr sichtbar. Möchte doch Herr Bondini freundschaftlichen Rath annehmen, als Entrepreneur vor den Riß treten, keine Kosten, keine Bemühung sparen, ihn zuzustopfen, ehe er sich weiter ausdehnt, irreparabel wird, – und das ganze Gebäude über den Haufen stürzt. Er muß nur dabey nicht wie der kleine Crahmer, sondern wie der grosse Kaufmann, denken, und handeln. – Jener ist zufrieden, wenn sein Gewölbe nur diejenigen Articel faßt, welche alltäglich gesucht werden, und ihre Procentgen, zwar nicht multiplicirt, aber doch gewiß, abwerfen; dieser hingegen, findet dann erst Befriedigung seiner Ambition, wenn jeder, auch der speculativischste, Kenner sein Waarenlager für complet erklähren muß, wenn er nach keiner Seltenheit vergeblich fragen darf; er verwendet Kosten, und Mühe, ohne Aengstlichkeit, seine Handlung von Zeit zu Zeit im Stande der Vollkommenheit zu erhalten, und, wenn [188] ihm auch ein Jahr den Ersaz des Aufwandes nicht mit Wucher zurükgiebt, so wartet er gelassen die folgenden ab; endlich erhascht er doch den glüklichen Zeitpunct, wo er seinen Schlag macht, wo er sich für jede verwendete Mühe, für jede gewagte Summe, entschädigt – hundertfältig belohnt, sieht.
Deutschlands Dramaturgie scheint jezt Brache zu liegen, und wir leiden dabey an guten Originalstüken äussersten Mangel. – Möchte doch diese Anecdote in jeden dichterischen Geist eindringen! Mich bewegt sie wenigstens zu einer Auffoderung an unsre vaterländischen Genies, daß sie mit ihren Pfunden wuchern, und dem allgemeinen Bedürfniß bald abhelfen sollen.
Die Schauspielergesellschaften tragen Bedenken, schon sehr bekannte Stüken allzu oft zu wiederhohlen, sie eifern, dem herrschenden Geiz nach Neuheiten zu schmeicheln, und bringen darüber manchen Schnikschnak auf die Bühne.
[189] Darum auf! wer sich stark genung fühlt, und dabey Muse genung hat, die dramaturgischen Felder zu beurbaren. – Auf! besonders, ihr, critische Menschenkenner, die ihr Beruf, und Vergnügen, zeithero darinnen suchtet, durch geschilderte Scenen des gesellschaftlichen Lebens in instructiven Romanen eure Brüder, und Schwestern, zu unterrichten, zu amusiren, zu bessern! – Wechselt doch mit euren Beschäftigungen ab; betretet doch auch die Bahn, auf welcher ihr an Cronegk, Clodius, Weise, Gemmingen, die würdigsten Vorgänger habt; folgt aber auch ihren Fußtapfen; schöpft, wie sie, aus den reinen Quellen der Natur, und Wahrheit! – Stellt uns keine Fantomen eurer erhizten Imagination, sondern Gegenstände, dar, an deren Existenz die gesunde Vernunft nicht zweifeln darf! – Laßt den Ausländern ihre Stekenpferde; in einheimischen Sitten liegt zu Lob und Tadel, zu Satire und Anempfehlung, Stoff genung! – [190] Sucht nicht durch Phenomenons, mit Hülfe der Elemente, der Pistolen, der Dolche, des Gifts, von Rasenden zu ihrer, oder Anderer, Vernichtung gemißbraucht, uns blos zu illudiren! – Zeigt uns menschliche Leidenschaften, wie sie im natürlichen Schritt fortgehen; er erreicht das Ziel, unsre Herzen, sicherer, als wenn ihr sie mit Ueberspannung traben, und galoppiren, laßt; eine interessante Familienscene, treffend ausgemahlt, wirkt gewiß kräftiger, weit um sich greiffender, als die terribelste Mordgeschichte mit all ihrem Bombast! – Besonders legt den Schauspielern nicht zu viel Metaphern, nicht lauter Sentenzen, in den Mund; laßt sie Menschen üblichen, und Menschen verständlichen, Ton, nicht Catheder-, sondern Conversationssprache, reden! – – Wenn ihr das alles, so wie eigne Penetration es euch weit gründlicher, als hier die Feder eines blossen Dilettanten der Dramaturgie, vorschreiben wird, befolgt; wenn ihr dabey den nemlichen biedern Endzwek, [191] als bey Fertigung eines lehrreichen Romans – den, eure Mitgeschöpfe zu veredeln – heget; wie herrlich wird dann eure Mühe belohnt werden? – Blosse Ueberzeugung, Gutes gestiftet zu haben, ist stets herrlicher Lohn für den Rechtschafnen; und Gutes werdet ihr immer stiften, so lange die Erfahrung den Grundsaz aufrecht erhält, daß mündlicher Vortrag interessanter Wahrheiten, sichtliches Anschauen der belohnten Tugend, des gestraften Lasters, kräftiger wirken – als tode Buchstaben. Mancher, und manche, ist zu dumm, zu träge, zu flatterhaft, ein Buch durchzulesen – und sie alle besuchen vielleicht mit Vergnügen das Schauspielhaus – bleiben bey einer, ans Herz greifenden, theatralischen Vorstellung nicht ungerührt.