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Romanzen vom Rosenkranz/Romanze III: Meliore und Apone

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[26]
     Meliore und Apone


Ruhig steht mit seinem Buche
Schon Meliore auf der Straße,
Vor dem Haus der hohen Schule
Auf die Mitgenossen harrend.

5
Er bedenkt die tiefsten Punkte,

Die Apone vorgetragen,
Wünscht ihm eine leichtre Zunge
Und sich schärfere Gedanken.

Daß die Welt aus Gott entsprungen,

10
Und doch nicht von ihm erschaffen;

Daß Gott sei im Mittelpunkte,
Wo auch nichts sei und doch alles –

Dieses scheint ihm höchstens dunkel;
Aber da er Apo fragte,

15
Sprach der Lehrer: „Es war dunkel,

Da das Licht noch war im Schaffen.

Bildend in den Kreaturen,
Hatte es nicht Zeit zu strahlen;
Also sei es dir kein Wunder,

20
Daß es noch bei dir nicht taget.


Fühlst du erst die Macht des Dunkels,

Dann magst du nach Licht recht schmachten,
[27]
Nur der Durstgen Wünschelrute

Wird auf kühle Brunnen schlagen.

25
Ist es mir erst recht gelungen

Euch ins Dunkle einzufangen,
Dann zu sehn des Lichtes Wunder,
Mögt ihr selbst ins Aug euch schlagen.“ –

Und so gab er sich zur Ruhe,

30
Wollte nicht mehr weiter fragen,

Ließ ergeben sich hinunter
In der Weisheit Stollen fahren.

Harmoniam der Naturen,[1]
Welche auf smaragdner Tafel

35
Nach der Sündflut aufgefunden

Zara, in Hermetis Grabe,

Und der Dinge Signaturen
Hat schon Apo vorgetragen,
Und beinahe ists schon dunkel,

40
Daß man sich ins Aug möcht schlagen.


Aber heute in der Stunde
Wird er hohe Dinge sagen,
Von der Töne Macht und Wunder
Und der Kunst des Liebestrankes.

45
O, daß er die ganze Stunde

Lehrte von dem Liebestranke,
Denn Meliore kennt die Wunder
Harfenklanges und Gesanges.

Denn es schlug die Liebeswunden

50
Ihm Biondettas Wunderharfe,

Die um Tanz und Sang und Tugend

Man die heilge Tänzrin nannte.
[28]
Doch nun hört an dem Turme

Eine Viertelstunde schlagen,

55
Und durchs Fenster in der Schule

Apos Stimme lehrend schallen.

Da er so versäumt die Stunde
Von der Kunst des Liebestrankes,
Will er eilen zu dem Brunnen,

60
Wo der Trank lebendig wallet.


Trunken schlugen seine Pulse,
Da er ihrer Wohnung nahet;
Wie durch dunkle Grüfte, rufend
Sich, verwandte Quellen wandeln,

65
Sich in ewiger Unruh suchen,

Aber fest in Stein gefangen,
Murmelnd ungeduldig sprudeln,
Können nicht zusammenfallen.

An Biondettens Fenster duftet

70
Einer blühnden Linde Schatten,

In den Zweigen gehn zur Schule
Gern die süßen Nachtigallen.

Lauschen in den Dämmerungen
Auf der Jungfrau Sang und Harfe,

75
Wenn die Meisterin verstummet

Wiederholen sie es lallend.

In Bewundrung ganz betrunken
Singt das Bölklein durcheinander,
Die Studentlein ohne Ruhe

80
Mit dem Federmantel schlagen.


Oft auch mischt ein frecher Kunde

Drein den ungewaschnen Schnabel,
[29]
Und die Sänger all im Sturme

Fassen, rupfen ihm den Kragen.

85
Und entflohn zum nahen Turme

Lehrt der Star die andern Stare
Eines höhern Standpunkts Schule,
Gründend auf der Wetterfahne.

Klagt auch, daß die andern drunten

90
Seine Hauptideen stahlen,

Macht ein kunterbunt Gemunkel,
Läßt in alle Welt es tragen.

Doch in den Begeisterungen
Weiß die Jungfrau nichts von allem,

95
Sie hat nur vor Gott gesungen,

Lauschen gleich die Nachtigallen.

So vergleicht der hohen Schule
Er der hohen Linde Schatten,
Wo in überflüssgen Zungen

100
Ihm Biondettens Sang verhallet.


Ach! er möchte hin zum Grunde
Stürzen dieses Baumes Schatten,
Oder in den Zweigen ruhend,
Die ihm bloß ertönt, betrachten.

105
Doch ein Bild von Gottes Mutter

Steht auf einsamem Altare
Bei der Linde, ihre Kuppel
Wölbet ihm des Tempels Halle.

Ihm zur Seite steht ein Brunnen

110
Einsam wie das Bild, es fallen

Leis der Linde Blüten runter

Auf den Spiegel seines Wassers.
[30]
Arm ist wohl das Bild an Schmucke,

Handel-, wandellos die Straße,

115
Aber nächtlich hört die Mutter

Hell Biondettens süßes: Ave!

Und geht sie, im bunten Putze
Schimmernd, zu der Bühne abends,
Teilt sie fromm die Flitterblumen

120
Mit Marien, voll der Gnaden.


Auf des Altars öder Stufe
Keimen Blümlein in dem Grase;
Nahe ist das Tor, hier ruhen
Gern, sich ordnend, müde Wandrer.

125
Denn hier steht ein kühler Brunnen

Einsam wie das Bild, es fallen
Leis der Linde Blüten runter
Auf den Spiegel seines Wassers.

Still an des Altares Stufen

130
Kniet Meliore und betrachtet

Glaubend, was mit Dämmerungen
Ihm der Schule Geist umnachtet.

Eine Jungfrau kömmt zum Brunnen;
Zu der Stadt trägt Rosablanke

135
Einen Korb mit Wachs und Blumen,

Sprengt die Rosen an mit Wasser.

Sitzt zu ruhn dann auf die Stufen
Bei dem Jüngling am Altare,
Ihre züchtgen Augen wurzeln

140
Bang auf der Gestalt des Mannes.


Die erfrischten Rosen rufen,

Und er blickt nach Rosablanken;
[31]
Wie der Born geweckt die Blumen,

Weckt sein Blick die Rosenwange.

145
Von geheimer Macht bezwungen

Spricht die Jungfrau: „Herr, im Garten[2]
Bot ich heut dir diese Blumen,
Und du hast sie ausgeschlagen.

Grubst dir emsig eine Grube,

150
Und empor schoß eine Schlange;

Du gingst in der Grube unter,
Ach, in mir ist dieser Garten!

Es erschien mir Gottes Mutter
Und zertrat die böse Schlange,

155
Und doch fühl ich mich verwundet,

Da ich lebend dich betrachte!“

Und Meliore spricht verwundert:
„Du klagst einem kranken Arzte,
Rettung müßte sonst ich suchen

160
Vor der Schönheit meiner Kranken.


Du sagst wahr: Längst ging ich unter
In der Wangen Rosengarten,
Der Gesang des süßten Mundes
War mir eine bunte Schlange.

165
Aber hier steht Gottes Mutter.

Daß sie unser sich erbarme,
Lasse um die Stirn ihr duftend
Einen Kranz von Rosen prangen!“

Und er sitzet auf den Stufen,

170
Flicht den Kranz mit Rosablanken;

Da bricht durch der Linde Dunkel

Zu dem Bild Biondettens: Ave!
[32]
Und es krönet Gottes Mutter

Schon Meliore mit dem Kranze,

175
Und Biondettens Lied verstummet,

Bitter weinet Rosablanke.

Ihr zum Herzen hingedrungen
Sind die Fluten des Gesanges,
Ihr im Busen ist entsprungen

180
Eine Quelle des Verlangens.


Und der Tränen Flut wird suchen
Stets die Fluten des Gesanges,
Bis sie einst durch Gottes Wunder
Selig ineinander fallen.

185
Doch nun eilet mit den Blumen

Nach dem Kloster Rosablanke,
Weil von Schülern dicht umrungen
Apo sich der Linde nahet.

Er mag gern mit seinem Zuge

190
Durch Biondettens Straße prangen,

Und sie bei dem nahen Turme,
Wo er hauset, stolz entlassen.

Ernsthaft mit gezognem Hute
Folgt die Schar dem finstern Manne;

195
Vom Altare springt herunter

Schnell Meliore, ihn erwartend.

Nahet nach demütgem Gruße
Ruhig dann dem finstern Manne.
„Daß ich heut versäumt die Schule“ –

200
Spricht er – „muß ich leider klagen.


Ungeduldig, ohne Ruhe,

Konnt ich nicht die Zeit erwarten,
[33]
Und ging aus, sie aufzusuchen,

Aber ich bin irr gegangen.“

205
Zu ihm spricht mit höhnscher Zunge

Apo, scharf ins Aug ihn fassend:
„Und der Irrgang scheint gelungen,
Angenehm ist dieser Schatten.

Dieser Baum hegt geistge Zungen.

210
Einen Vogel zu erhaschen,

Bist du zum Altar gesprungen,
Und doch führst du leere Taschen.“ –

„Meister, nein! das Haupt der Mutter
Krönt ich mit dem Rosenkranze,

215
Während ich, bis du zum Turme

Kehrtest, deiner hier geharret.

Denn ich wollte dich ersuchen,
In der Kürze mir zu sagen,
Was in der versäumten Stunde

220
Mir vom Liebestrank entgangen.


Denn der Töne Macht und Wunder
Kann ich mir schon deutlich machen;
Dieses Baumes geistge Zungen
Über mich sind ausgegangen.“

225
Apo spricht: „Der Töne Wunder

Lehrte dich der Linde Schatten,
Lerne nun von diesem Brunnen
Auch die Kunst des Liebestrankes.“ –

„Meister, höchlich ich bewundre,

230
Wie du fein mich höhnend strafest;

Ach! zu tief ist mir der Brunnen,

Und der Eimer schöpft nur Wasser.
[34]
Auf des Glanzes Spiegel unten

Sah ich oft ein Antlitz strahlend

235
Durch die grünen Zweige funkeln,

Aber nimmer steigts zum Rande.

Treulos immer ists verschwunden,
Wenn ich weisheitdurstig nahte.
Nur das Bild von Gottes Mutter

240
Weilte ruhig meinen Klagen.


Und so krönt ich sie mit Blumen,
Daß, nach gleichem Preis verlangend,
Auch das schönre Bild des Brunnens
Gütger meiner Andacht achte.

245
Doch noch immer muß im Durste

Ich am kalten Rande schmachten,
Möcht hinab zu einem Kusse
Stürzend mich im Tode baden.“ –

„Trage Wasser in den Brunnen“ –

250
Spricht der Meister – „bis zum Rande,

Dann magst du die durstge Zunge
Bald im kühlen Spiegel laben.“ –

„Meister, was dir nie gelungen“,
Spricht Meliore, „soll ich wagen?

255
Seit dem Teufel hat die Schule

Wasser in den Born getragen.

Doch des Himmels Spiegel unten
Ist noch nie heraufgewallet;
Von der Schule zu gesunden

260
Will den Blick ich aufwärts schlagen.“


So sprach er im Jugendmute,

Als er fühlt der Rede Stachel.
[35]
Apo spricht: „Ich sag dem Kruge:

Gehe, bis du brichst, zum Wasser!

265
Kühner Knabe, willst du Funken,

Fange eh du streichst die Katze!“
Zornig geht er dann zum Turme,

Und Meliore steht verlachet.

Anmerkungen des Herausgebers

  1. [399] „Die Smaragdene Tafel des Hermes Trismegistus.“ Görres, Nr. 19 der Zeitung für Einsiedler.
  2. [399] Meliore erinnert Rosablanka an die Traumgestalt des Morgens; durch ihre Liebe zu ihm droht ihrer Jungfräulichkeit Gefahr und damit der Erfüllung der an die drei Rosen geknüpften Verheißung.
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