Zum Inhalt springen

Romanzen vom Rosenkranz/Romanze XX: Rosarosens Leichenzug

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Romanze XIX: Moles in Biondettens Leiche Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
Notizen des Dichters »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).


[352]

Rosarosens Leichenzug

Frühe Sonne, frühe Sonne,
Ach, wo bist du hingesunken!
All des Tages Jugendwonne
Ist im Morgenrot ertrunken.

5
Deine wunderselgen Augen,

Inseln aus des Himmels Seen,
Sah ich steigen, untertauchen
In des Morgens erstem Wehn.

Und es steigt ein Nebelschleier

10
Übers tiefe, stille Blau,

Eine einsam tiefe Feier
Breitet sich durch Wald und Au.

Ruhig unbewegte Bäume,
Kein Gesang, kein Blattgeräusch;

15
Spinnet ihr die nächtgen Träume

Wieder an, ihr Blumen keusch?

O Bologna, deine Zinnen,
Die gelacht im Sonnenstrahl,
Seh ich bösen Schmuck gewinnen:

20
Schwarze Flaggen überall!


Alle Buden sind geschlossen,
Trauerteppche hängen aus,

[353]

Durch die Straßen weit ergossen
Reget sich ein Volksgebraus.

25
Aber mitten durchs Gedränge

Gehet eine freie Bahn,
Und es wirft die rege Menge
Blumen auf den offnen Plan.

Vor dem Konsularpalaste,

30
Auf des Marktes weitem Raum,

Der viel tausend Bürger faßte,
Bildet Wache einen Saum.

Und die acht Konsulen treten
Aus des Palasts hohem Tor,

35
Und der Ältste tritt zu reden

Auf den Marmorstuhl empor.

Und er winkt mit dem Barette
Und der Herold mit dem Stab,
Das Geschmetter der Trompete

40
Nun zur Ruh das Zeichen gab.


„Seid gegrüßt, ihr freien Bürger!
Seid gegrüßet, edle Ritter!
Seid gegrüßet, ihr Gelehrten!
Seid gegrüßet, ihr Studenten!

45
Euch die Ursache zu sagen,

Warum heute alle wir
Also reiche Trauer tragen,
Seht ihr mich erscheinen hier.

Jacopone, der gelehrte –

50
Wer ists, der ihn hier nicht kennte,

Seine Weisheit nicht verehrte,
Nicht ihn einen Gönner nennte?

[354]

Über diesen Mann gesenket
Hat sich jüngst ein bittres Leiden,

55
Und in Tränen ganz ertränket

Ist er nicht mehr zu beneiden.

In des Schauspielhauses Brande
Ward sein herrlich Weib verletzet,
Und zu einem bessern Lande

60
Von dem Herrn der Welt versetzet.


Sie, die Lehrerin der Waisen,
Seine Hauses treue Wirtin,
Ward in dieser Stadt geheißen
Nur die fromme, liebe Hirtin.

65
Und sie ist nicht mehr hienieden;

Wo sich alle Lämmlein sammeln,
Hat der Hirt sie hinbeschieden,
Gottes Loblied mitzustammeln.

Da sie ihm nun ist geraubet,

70
Will er nicht mehr grünend leben,

Will er, wie ein Baum entlaubet,
Nimmer wieder Schatten geben.

Und er ist vor uns erschienen,
Hat uns weinend eingeladen,

75
Alle seinem Leid zu dienen,

Und wir haben uns beraten.

Denn als eine freie Gabe
Gibt der Stadt er seine Gelder,
Liegende und fahrnde Habe,

80
Seine Häuser, seine Felder.


Alles, was er hat erworben,
Sei ihm auch mit ihr verloren,

[355]

Sei ihm auch mit ihr gestorben,
Armut hat er sich erkoren.

85
Eine Kirche will er bauen,

Wo das Spielhaus ist verbrennet,
Zum Behuf der Klosterfrauen,
Welche man Clarissen nennet.

Und er hat zu diesem Ende

90
Alle Sicherheit gegeben,

Siegelbrief und Dokumente,
Wo die Gelder sind zu heben.

Und hiefür ward ihm die Bitte,
Seines Schmerzes Trost, gewähret,

95
Daß mit ungewohnter Sitte

Seine Trauer sei geehret.

Denn die so den Staat bedachten,
Die verdienen solche Ehren;
Solche Bürger hoch zu achten,

100
Das muß unsre Größe mehren.


Und ich wollte hie verkünden,
Daß im wogenden Gedränge
Sich kein Streiten mög entzünden,
Wo die Straßen krumm und enge.

105
Denn wir wissen, uns zum Leide,

Daß in unsern treuen Mauern
Zwei Partein zum bösen Streite
Immer auf den Anstoß lauern.

Laßt uns nicht den Tag entweihen

110
Einer tugendhaften Toten!

Eintracht möge Gott verleihen
Unser Gruß sei euch entboten!“

[356]

Und er winkt mit dem Barette
Und der Herold mit dem Stab,

115
Und die schmetternde Trompete

Seiner Rede Schluß angab.

Und nun reiten durch die Masse
Herolde und tuen kund
An der Ecke jeder Gasse,

120
Was er sprach, der weise Mund.


Aber aus des Schlosses Bogen
Zieht der Heerwagen der Stadt,
Von acht weißen Stiern gezogen,
Und ein Jauchzen findet statt.

125
Denn kein Bürger kann ihn sehen,

Wie aus reicher Bilder Zier
Bologneser Flaggen wehen,
Ohne innre Kampfbegier.

Vor dem Wagen ernsthaft schreiten

130
Acht Trompeter, rot und weiß,

Die acht weiße Stiere leiten,
Dann acht Führer rot und weiß.

Übers Volk, wie aus dem Meere,
Sieht man nun den weiten Wagen,

135
Ähnlich einer Prachtgaleere,

Mit der hohen Fahne ragen.

Rings mit goldenen Geländern
Er wohl vierzig Reiter faßt,
Haltend an den vierzig Bändern,

140
Die sich niederziehn vom Mast,


Der ein silbern Kreuz erhebet,
Das des Lichtes Blick erhellt;

[357]

Nieder in der Fahne wehet
Weiß ein Kreuz im roten Feld.

145
Und vor dieser Fahne sitzet

Ein vor allen prächtger Mann;
Wie sein Harnisch strahlt und blitzet,
Kaum das Aug ertragen kann.

Er gleicht einem Martisbilde;

150
In dem blanken, großen Schwert,

In dem runden Spiegelschilde
Lacht die ganze Pracht verklärt.

Ihm die Fahne ist vertrauet,
Er des Wagens Ehr bewacht,

155
Den die Herrn des Rats erbauet

Als den Mittelpunkt der Schlacht.

Als des Staates Bundeslade,
Als Symbol der Bürgerehre,
Als der Thron des Zorns, der Gnade,

160
Geht der Wagen mit dem Heere.


Wenn er stehet, wenn er schreitet,
Steht und geht die Kriegesschar,
Ihn des Heeres Kern umstreitet
In der dringenden Gefahr.

165
Und zersprengte Reuterhaufen

Sammeln sich in seinem Kreis,
Und von neuem auszulaufen
Nach des Kampfes blutgem Preis.

Und den Feldarzt trägt der Wagen

170
Mit des Leibes Arzenein,

All, die blutig sind geschlagen,
Wollen hier geheilet sein.

[358]

Auch die Priester auf ihm stehen,
Mit dem heilgen Sakrament

175
Jeden Krieger zu versehen

In dem ehrenvollen End.

Kehrt der Wagen mit dem Heere,
Dann ward gut die Schlacht geschlagen,
Denn des Heeres Mut und Ehre

180
Hänget an dem Fahnenwagen.


Fällt er in des Feindes Hände,
Dann sucht Heil in schnöder Flucht,
Wer nicht in des Lebens Ende
Seiner Schande Ende sucht.

185
Aber wie er in dem Kriege

Ist des Mutes fester Kern,
Wird er nach errungnem Siege
Des Triumphes schönster Stern.

Und von seiner Bühne glänzen

190
Feindeshelme in Trophäen,

Zwischen stolzen Lorbeerkränzen
Die errungnen Fahnen wehen.

Und in seine Spuren weinen
Sklaven, paarweis hart gebunden,

195
Nieder zu den kalten Steinen,

Die den nackten Fuß verwunden.

Auch des Friedens Pracht zu mehren
Zieht er aus mit stolzem Prangen,
Als ein Zeichen reicher Ehren

200
Hohe Gäste zu empfangen.


Gold und Scharlach muß dann wallen,
Weise Männer ihn betreten,

[359]

Und von seiner Höhe schallen
Zierlich ausgesprochne Reden.

205
Oder, mehr ihn zu verschönen,

Höret man das Wort der Richter,
Lieblich stolz auf ihm umtönen
Von den Liedern heilger Dichter.

Also dient er in dem Streite,

210
Triumphiert, und trägt die Beute

So zu festlichem Geleite;
Aber anders dient er heute.

Und die dunkle Trauerbühne
Nun die bunte Menge teilet,

215
Wie ein schwarzes Schiff die grüne

Flut mit scharfem Kiel durcheilet.

Aber tröstlich auf dem dunkeln
Maste, dessen Segel trauern,
Sieht das weiße Kreuz man funkeln,

220
Wie ein Stern im nächtgen Schauern.


Schwarze Tücher rings verhüllen
Seine kriegerische Pracht,
Und sein Schnitzwerk Rosen füllen,
Sterne einer tiefen Nacht.

225
Guido hat ihn zu der Trauer

Rosarosens so verzieret,
Um ihn weht ein leiser Schauer,
Weil der Tod hier triumphieret.

Und wo sonst die Schwerter glänzen,

230
Stehen trauernde Martronen,

Tragend in Zypressenkränzen
Pomeranzen und Zitronen.

[360]

Herbe Bitterkeit der Tränen,
Dunkles Laub zur Erde sinkend

235
Und den Tau mit irdschem Sehnen

Aus des Grabes Blumen trinkend.

Weiß geschmückt, zu beiden Seiten,
An des Mastes schwarzen Schnüren
Haltend, Kinder traurig schreiten,

240
Ihrer Hirtin Fest zu zieren.


Seht, vor Jacapones Türe
Steht ein schwarzer Baldachin,
Daß das Volk ihn nicht berühre,
Hüten sechzehn Ritter ihn.

245
Acht vom Stamm der Gieremeen,

Acht vom Lambertazzer Haus
Rechts und links vermischet stehen;
Keiner hat den Rang voraus.

Und es drängt von allen Seiten,

250
Was zu den Partein gehört,

Zwar ohn Lieb, doch auch ohn Streiten,
So ist der Moment geehrt.

Mit dem Trauerschmuck der Flöre
Harren rings sich anzuschließen

255
Die verschiednen Ehrenchöre,

Wenn der Zug sich wird ergießen.

Wenn die Priester angekommen,
Werden tief die Glocken schallen,
Und der Leib der lieben Frommen

260
Wird zu seiner Ruhe wallen.


Aber in des Hauses Kammer
Sitzt der schmerzdurchbohrte Mann,

[361]

Öd in tränenlosem Jammer
Sieht er ihre Leiche an.

265
Engel, die ihr Haupt umschweben,

Die zu ihren Füßen knien,
Konnten ihm nicht Tränen geben,
Tränen sind ihm nicht verliehn.

Seit die Augen sie geschlossen,

270
Die ihm Lust und Leid gespiegelt,

Ist in Tränen er zerflossen,
Und nun ist ihr Quell versiegelt.

Irdisch kann sie nicht mehr scheinen,
Die der Erde zu vereinen;

275
Irdisch kann er nicht mehr weinen,

Und sein Herz will ihm versteinen.

Ja, ein Grab von Marmorfelsen
Haut der Schmerz in seinem Herzen,
Was nicht springen will, muß schmelzen

280
Von der Glut der Trauerkerzen.


Ist die Halle erst geweitet,
Wird sie ruhen in den Felsen,
Wenn er still zur Türe schreitet,
Einen Stein davor zu wälzen,

285
Also schwer und ungeheuer,

Daß kein andrer ihn beweget,
Als Luft, Erde, Wasser, Feuer,
Wenn sie Gottes Zorn erreget.

Und wenn so die Gruft verschlossen,

290
Wird er auf den Felsen steigen,

Klipp vor Klippe unverdrossen,
Um den Gipfel zu erreichen.

[362]

Und da wird der Feind ihm zeigen
Alle weiten Herrlichkeiten,

295
Wie die Flüsse silbern schleichen,

Wie die Ufer sie begleiten.

Sonnenschein auf Bergesgipfeln,
Dämmerung in grünen Talen,
Sang und Lust in Waldeswipfeln,

300
Hochgetürmter Städte Prahlen,


Schiffe segelnd, Wolken ziehend,
Schlosses Dach im Abend glühend,
Schatten übers Meer hinfliehend,
Und ein ganzer Frühling blühend.

305
Alles wird der Feind ihm zeigen;

Doch er wird es nicht verlangen,
Und die Welt wird sich ihm neigen,
Er wird nur am HImmel hangen.

Freudig ohne niedern Kummer

310
Wird er an die Erde sinken,

Betend dann in selgem Schlummer
Eines guten Traums ertrinken.

Überm Haupt die Jakobsleiter,
Wird er mit der Engel Reigen

315
In den offnen Himmel heiter

Zu geliebten Seelen steigen.

Also wird ihm einst geschehen,
Den jetzt solche Schläge schlagen,
Daß er ganz versteint in Wehen –

320
Dies wollt ich zum Trost uns sagen.


Unbemerkt im eignen Leide,
Knieet Pietro in der Kammer,

[363]

Und sie schweigen alle beide,
Jeder in dem eignen Jammer.

325
Aber nun spricht Jacopone,

Denn er hört ein fernes Singen:
„Wo ist ihre Blumenkrone?
Ach, man will sie von mir bringen!

Wo sind Blumen ihr zum Kranze,

330
Fromm und keusch, wie sie gewesen?

Erde, küß mit deinem Glanze
Nochmals, die von dir genesen!“

Und zu Pietro er sich wendet,
Spricht: „Hast Blumen du gebracht?

335
Rosen, die zutag gesendet

Diese tränenvolle Nacht?

O, mein Pietro, die Verblühte,
Zier sie mit des Lebens Bild;
Daß der Schmerz nicht also wüte,

340
Deck sie mit dem Blumenschild!“


Pietro mit dem Haupt verneinet,
Aber reden kann er nicht,
Und der Tränenlose weinet,
Als er sieht sein Angesicht.

345
Jacopone ihn umarmet:

„O, mein Bruder! mich erquicket,
Daß mein Leid dich so erbarmet,
Und aus deinen Augen blicket.“

Aber jener ihm entgegnet:

350
„Ach! es ist das deine nicht!

Dann wär wohl mein Los gesegnet,
Und es wär das meine nicht.

[364]

Blumen konnt ich dir nicht bringen,
Weil sie all wie Rosarose

355
In dem Feuer untergingen,

Bis auf eine weiße Rose.“

Pietro wollte weiter reden,
Doch Melior und Rosablanke,
Welche zum Gemach eintreten,

360
Werden seiner Rede Schranke.


Und er fühlt sich dumpf ergrimmet,
Wenn er zu Meliore blickt,
Denn in seinem Busen glimmet
Eifersucht, die ihn erstickt.

365
An der Türe schüchtern weilet

Rosablanka. Zu ihr schreitet
Jacopone: „Jungfrau, eilet,
Daß Ihr mir den Kranz bereitet!“ –

„Herr, dies kann gar wohl geschehen,

370
Ich hab Rosen, rot und weiße,

Und ich kann die Kränze drehen,
Doch fehlt mirs am Myrtenreise!“ –

„Keine Myrt in ihre Krone!
Einen jungfräulichen Kranz

375
Winde ihr!“ – sprach Jacopone,

Blickend durch der Tränen Glanz.

Und sie naht der Leiche Füßen,
Aus dem Korbe, den sie trug,
Ihre Rosen auszugießen.

380
Ach, wie ihr das Herz da schlug!


Sie mit Liebe zu begrüßen,
Fühlt sie einen innern Zug,

[365]

Und sie soll doch, um zu büßen,
Folgen ihrem Leichenzug.

385
Wie sie so die Tote schauet,

Wie sie so die Stille fühlet,
Mild ihr Aug von Tränen tauet
Und die heiße Wange kühlet.

Und sie nimmt die rote Rose,

390
Fügt zu ihr der weißen Glanz,

Weiter eine gelbe Rose,
Und so fort den ganzen Kranz.

Bei den roten spricht sie immer:
„Rosarose, bitt für mich!“

395
Bei der weißen Rosen Schimmer:

„Rosablank geleitet dich!“

Aber bei der gelben Rose
Muß sie an Biondetten denken,
Und dann traurig zu der Rose

400
Ihre Blicke niedersenken.


Da sie nun den Kranz vollendet,
Sprach sie scheu zu Jacopone:
„Mich hat zu dir hergesendet
Heut der Beichtiger Benone.

405
Meine Schulden abzubüßen,

Will er, daß ich im Geleite
Deines Weibs mit bloßen Füßen
Hinter ihrem Sarge schreite.

Und ich bitte dich zum Lohne,

410
Daß du dieses mir gestattest,

Als den Preis der Blumenkrone,
Die du ohne mich nicht hattest.

[366]

Trauer ist mein Kleid, ich weine
An der Mutter Sterbetage;

415
Wenn ich dir zu arm nicht scheine,

Laß mich folgen deiner Klage.“

Da sprach zu ihr Jacopone:
„Du sollst bei dem Leichenwagen
Ihr die jungfräuliche Krone,

420
Die du ihr geflochten, tragen.


Dieses ist des Landes Sitte;
Zwischen Pietro und Meliore
Sollst du schreiten in der Mitte
Mit dem Kranz im Trauerchore.“

425
Aber plötzlich brach das Schallen

Aller Glocken durch die Luft,
Und der Priester in die Hallen
Tritt mit Kranz und Weihrauchduft.

„Es ist Zeit, wir müssen wallen,“

430
Spricht er, „weil die dunkle Gruft

Dieser jetzt, wie einst uns allen,
Mit metallner Zunge ruft.“

Acht Matronen tief in Trauer
Tragen nun den Sarg hinab,

435
Stellten ihn zum Trost der Schauer

Unterm Baldachine ab.

Und die Ritter mußten wehren
Mit dem Schwert die Totenschau,
Doch ein jeder wollte ehren

440
Noch einmal die fromme Frau.


Und es zieht, sie anzuschauen,
Vor ihr hin der Leichenzug;

[367]

Ach, wer sieht, sich zu erbauen,
Solch ein heilig Bild genug!

445
Mit dem Kreuz vorüberziehen

Erst die Priester, traurig singend,
Und das Volk liegt auf den Knieen,
Chöre durch die Lüfte schwingend.

Und die Schwermut der Posaunen

450
Windet sich durch Litaneien,

Die vorm Ewigen erstaunen,
In der Zeit um Hilfe schreien.

Ihnen folgen fromme Orden,
Ewige Gebete lallend,

455
Vor den Kreuzen allerorten

Auf das Antlitz niederfallend.

Und nun treten schwarze Nonnen
Um den Sarg, in weißen Schleiern,
Wie die Strahlen einer Sonnen,

460
Dieser Frommen Tod zu feiern.


Aber sie auch müssen gehen,
Denn jetzt nahn die Tiefbetrübten;
Seht der Kindlein Fahne wehen,
Traurig bei der Hochgeliebten!

465
Agnus castus mit dem Lamme

Führt die Mägdlein und die Knaben,
Die mit einem Blumendamme
Nun der Hirtin Sarg umgaben.

Und mit kindisch süßem Flehen

470
Drängt die Schar zu ihren Füßen;

Jedes Kindlein will sie sehen
Und die milden Hände küssen.

[368]

Ach! sie kennen nicht das Scheiden,
Freuen sich des Rosenkranzes

475
Und des Rocks von Samt und Seiden

Und des Diamantenglanzes.

Doch Bolognas Heereswagen
Mit gedämpftem Hörnerklang,
Ihren Leib zur Gruft zu tragen,

480
Durch die Kinderschar herdrang.


Und den Sarg hinan zu heben
Zaudern noch die ernsten Ritter,
Sich die Hand dazu zu geben
Ist ihr innrer Groll zu bitter.

485
Als der Konsul dies ersehen,

Fürchtet Störung er der Ruhe
Und beginnt umher zu spähen,
Wer erheben soll die Truhe.

Sieh, da naht mit Flötenschalle

490
Ernst der Zug sich der Studenten,

Jeder Nation Marschalle
Sich heran zum Sarge wenden.

Jene, die sie nach dem Brande
Heimgetragen mit Verehren,

495
Nahn dem Konsul als Gesandte,

Schwarz, mit langen Trauerflören.

Und da sie das Zögern sahen
Und des Konsuls Wink empfingen,
Barhaupt sie dem Sarge nahen,

500
Fassen an den goldnen Ringen.


Heben ihn mit guter Sitte
Auf den hohen Trauerwagen,

[369]

In der Blumen stille Mitte,
Traurend, aber ohn Verzagen.

505
Als den Wagen sie verließen,

Kehrend hin zu den Gesellen,
Nun die Kinder ihn umschließen
Rings mit freudgen Blumenwellen.

Zwischen schlanken Lilienstengeln

510
Und den zarten Rosenzweigen,

Rings umwallt von frommen Engeln,
Zieht er hin mit prächtgem Schweigen.

Und es folget Jacopone;
Zwischen Pietro und Meliore

515
Wandelt mit der Totenkrone

Rosablanka in dem Chore.

Ihre Locken aufgelöset
Traurend um die Schultern wehen,
Ihre Füße sind entblößet,

520
Sie muß so zur Buße gehen.


Als sie aus dem Haus geschritten,
Zog sie Schuh und Strümpfe ab,
Die sie, auf sein dringend Bitten,
Pietro zu bewahren gab.

525
Und im Gurt er sie verstecket,

Wie beliebten, reichen Schmuck;
Seines Herzens Schlag erwecket
Der verehrten Pfänder Druck.

In verschiednem Schmerz befangen

530
Diese Viere vor uns schreiten,

Manche Trän auf fremden Wangen
Ehrt ihr tränenloses Leiden.

[370]

Wie ein Christ scheint Jacopone,
Der getrost zum Tode gehet,

535
Dem die blutge Martyrkrone

Aus dem Himmel niederwehet.

Hinter ihm kommt Rosablanke,
Mit der Blumen süßem Glanz,
Als ob sie vom Himmel schwanke

540
Zu ihm mit dem Martyrkranz;


Wie ein Engel ungetrübet,
Doch umhaucht von irdschem Leid,
Weil der Herr die Menschen liebet,
Die um ihn bestehn den Streit.

545
Ihr zur Rechten Meliore,

Wie ein unbesiegter Held
Unter einem Sklavenheere
Durch der Brüder Leichenfeld.

Er ist nach dem Kranz gesprungen,

550
Fesseln haben ihn umringt,

Er hat selbst das Lied gesungen,
Das der Feind jetzt um ihn singt.

Aber der ist unbesieget,
Der ein Dichter und ein Held,

555
Weil er in dem Himmel wieget

Seines Schmerzes giftge Welt.

Und es steigt an seinem Leiden
Heilend Sonn und Mond empor,
Unter Sklaven kann er schreiten,

560
Wie ein Sänger in dem Chor.


Er ist einsam im Getümmel,
Und er geht in selgem Traum,

[371]

Und sein Auge steigt zum Himmel
Ewig von dem irdschen Saum.

565
Aber Pietro geht zur Linken

Wie ein armer Schäferknabe,
Der den Schatz hinab sah sinken,
Den er mühsam aufgegraben.

Immer sieht er vor sich spielen

570
Noch die goldne Zaubertruhe,

Wo sein Weg auch hin mag zielen,
Flieht der Schatz ihn ohne Ruhe.

Also muß ein Buhler irren,
Dem die Buhle ging zu Grab,

575
Die aus zaubrischen Geschirren

Ihm die Liebestränke gab;

Also in dem Venusheere
Zieht die liebetörge Brut,
Daß sie ewig sich verzehre,

580
Ewig wachs in böser Glut.


Ob sein Blick zur Erde nieder
Oder auf zum Himmel schwebt,
Sieht er stets den Rumpf der Hyder,
Der ein neues Haupt erhebt.

585
Jede Blume möcht er küssen,

Die die Jungfrau ihm zur Rechten
Tritt mit zarten Rosenfüßen,
Und sich einen Kranz draus flechten,

Und mit solchem Schmerz bekränzet,

590
Steigen durch die finstern Felsen,

Wo kein Stern mehr fröhlich glänzet
Und sich schwarze Bäche wälzen.

[372]

Und an einen bittren Bronnen
Möcht er trinkend niedersinken,

595
Bis zum Ablauf aller Sonnen

Immer schöpfen, immer trinken,

Und dem Quelle wieder weinen,
Ihn mit seinem Schmerz berauschen,
Und zum Felsen dann versteinen

600
Und den eignen Schmerz belauschen. –


Diesen folgen nun die Armen,
All in neues Tuch gekleidet;
Sterbend hat sie voll Erbarmen
Ihnen diesen Trost bereitet.

605
Die Konsulen folgen diesen

In dem festlichen Ornat,
Und die Herrn des Rates schließen
Sich an sie, und der Senat.

Weiter alle Professoren

610
Der juristschen Fakultät

Und Magister und Doktoren,
In der Hand das Samtbarett.

Und nun treten die Pedelle
Mit den Silberstäben her,

615
Der Studenten Mareschälle

Und so fort ihr ganzes Heer.

In den schwarzen Mänteln steckten
Pursche aller Nationen,
Kandidaten der Pandekten,

620
Helden der Institutionen.


Alle seine Schüler ehrten
Jacopones schweres Leid,

[373]

So beschlossen und vermehrten
Sie das prächtige Geleit.

625
Und so schlingt der Zug der Trauer

Sich durch lange Straßen hin
Und ergießt sich durch die Schauer,
Aber alle ehren ihn.

Doch dort auf des Marktes Mitte

630
Ist ein heftiges Bewegen,

Alles wendet seine Schritte
Einem neuen Bild entgegen.

Als der Sarg zur Stelle schreitet,
Trat zum Zuge her Apone

635
Mit Biondetten, frech gekleidet,

Dicht zum armen Jacopone.

Und ein wunderbar Entsetzen
Bricht durch alle, die sie sahn
So, mit frechem Zuchtverletzen,

640
Sich der frommen Leiche nahn.


Und der ganze Zug sich hemmte;
Es entstehet ein Gedränge;
„Weg mit diesem Purpurhemde!“
Schreit empört die rege Menge.

645
Doch will keiner sie ergreifen,

Weil sie so satanisch gleißet,
Und wo ihre Augen schweifen,
Alle Sinne sie zerreißet.

In den Wogen ihres Busens

650
Alle Sünder untertauchen,

Und wie Schlangenhaar Medusens
Ihre Locken Schrecken hauchen.

[374]

Über Apos greisem Haupte
Die zwei Nachtigallen schweben,

655
Weil er ihre Herrin raubte,

Ihre Klage laut erheben.

Und als sie sich auf der Stirne
Von Biondetten niedersenken,
Scheuchet sie die freche Dirne

660
Mit des Hauptes freiem Schwenken.


Und so groß ist das Erschrecken,
Wie sie so verwandelt sei,
Daß nicht Achtung konnt erwecken
Rosablankens Hilfsgeschrei,

665
Der Meliore an der Seite

Sinnlos sank zur Erde hin,
Als er sah, Biondette schreite
Her wie eine Sünderin.

Und sie legt die Totenkrone

670
Zu dem Sarge auf den Wagen:

„Helft, o helft, zu Jacopone
Mir den kranken Jüngling tragen!“ –

„Dahin ist nicht durchzudringen,
Alles füllt der rege Zug,

675
Können wir ihn seitwärts bringen,

Ist es Hilfe schon genug.“

Pietro nun mit Rosablanken
Machen sich im Volke Raum,
Und er trägt den stillen Kranken

680
Zum Altare an dem Baum.


Doch es mehrt sich die Verwirrung,
Und es steiget auf den Wagen

[375]

Nun der Konsul, dieser Irrung
Ersten Anlaß zu erfragen.

685
So erhöhet aus der Menge

Sieht er Apo und Biondetten,
Rings in wogendem Gedränge,
Vor dem Pöbel kaum zu retten.

Und er rufet: „Stille! Stille!

690
Um das Heil der Republik!“

Endlich sieget dann sein Wille,
Und er spricht mit strengem Blick:

„Wer hat unsern Zug zerrissen?
Vor uns ruht des Todes Friede,

695
Fromm geschmückt, auf schwarzen Kissen,

Und die Seele ist geschieden.

Und ich seh am Arm des Weisen
Hier mit unverschämter Stirne
Unser frommes Fest zerreißen

700
Eine sündlich bunte Dirne.


Welch ein Blick, von dieser Leiche
Zu dem frechen Weib getragen!
Brücke zu des Teufels Reiche
Aus des Himmels Tor geschlagen!

705
Was verlangst du hier, Apone?

Bist in Wahnsinn du gefallen?
Trittst du so einher zum Hohne
Dir alleinig, oder allen?“

Und Apone ihm erwidert:

710
„Spreche, Konsul, nicht so gröblich;

Rede, die mich hier erniedert,
Ist nicht ziemlich dir und löblich.

[376]

Ich bin dir nicht untergeben,
Ich bin kein Vasall des Staates,

715
Wer kann sich gen mich erheben,

Als der Rektor des Senates?

Und vor allem mußt du wissen,
Daß ich, von des Volkes Menge
Wider Willen fortgerissen,

720
Hier gekommen ins Gedränge.


Könnt man doch nicht prächtger trauern,
Wär die Republik gestorben,
Die sich in Bolognas Mauern
Wechselfiebernd hat verdorben.

725
Da ich all die Glocken hörte

Rufen, mit der Zunge Erz,
Gen die Einsamkeit empörte
Sich im Busen mir das Herz.

Und ich glaubte, man bereite

730
Für Biondetten diese Feier,

Weil sie ausgesagt, sie kleide
Heut sich in den Nonnenschleier.

Und so führte ich hier nieder
Meine Freundin von der Zelle,

735
Daß sie durch die Macht der Lieder

Euch, was sie beschloß, erhelle.

Doch die Zeit scheint nicht gelegen,
Alles fühlt des Todes Schauer,
Und ich seh auf allen Wegen

740
Eine übermäßge Trauer.


Zieht die Republik zu Grabe
Hier auf unserm Heereswagen,

[377]

Tiefer Leid könnt man nicht tragen,
Als ich hier gesehen habe.

745
Sterbt, ihr Bologneser Frauen,

Tut euch recht zu leben not,
Denn galanter ist zu schauen
Als das Leben euer Tod.

Zu dem Wagen, der vor Jahren

750
Unsrer Schlachten wunde Helden

In Triumph herangefahren,
Kann sich nun ein jeder melden.

Ists erhört, in die Monstranzen,
Wo nur wohnt das Sakrament,

755
Eines Weibes Bild zu pflanzen,

Die im Schauspielhaus verbrennt?

Lambertazzi, Gieremeen,
Wo ist unsrer Ehre Schutz,
Wenn die Staatesflaggen wehen

760
Über schnöder Leichen Putz?


Rühret euch, ihr tapfern Schläger!
Von dem Wagen mit dem Weib!
Mag der falsche Achselträger
Selbst begraben ihren Leib!“

765
Also regt mit falschen Reden

Er des Hasses stille Glut;
Allen, die um ihn getreten,
Wallet zürnend auf das Blut.

Und die feindlichen Parteien,

770
An den Schwertern mit der Hand,

Mit verbissnem Maledeien
Stehn zum Ausbruch angespannt.

[378]

In dem Lärm steht unbeweget
Jacopone; wie ein Felsen

775
In dem Meere sich nicht reget,

Wenn sich Stürme um ihn wälzen.

Doch es wird ihm aufgetragen
Von dem Konsul nun, zu reden,
Und so ist er auf den Wagen

780
Zu dem Sarge hingetreten.


Doch der Schmerz ihn so durchdringet,
Daß er sich muß niedersetzen;
Alle rings sein Leid bezwinget,
Keiner wagt ihn zu verletzen.

785
Noch, eh er begann zu sprechen,

Sah mit wild gehobnen Armen
Er das dichte Volk durchbrechen
Seine Freunde, alle Armen.

Und sie schrien mit lauter Stimme:

790
„Treibt die Ochsen, fahret zu!

Bringet trotz des Toren Grimme
Unsre Mutter jetzt zur Ruh!“

Um den Wagen mit den Kindern
Klaget Agnus castus laut:

795
„Wer will frech den Brautzug hindern

Einer himmlisch reinen Braut!“

Und das Volk zu beiden Seiten
Treibt die Stiere mächtig an,
Und indem sie vorwärts schreiten,

800
Zieht die Leiche ihre Bahn.


Daß sich Apo still entferne,
Läßt der Rektor ihn ermahnen,

[379]

Und der Schergen Morgensterne
Müssen ihm den Weg schier bahnen,

805
Bis ihn seine Schüler finden,

Die ihn nun mit Biondetten
Eng mit ihrem Kreis umwinden
Und aus dem Gedränge retten.

Doch es ist das Volk geteilet,

810
Viele hinter Apo drängen,

Der hin zu dem Rathaus eilet;
Andre sich dem Zug vermengen.

Beide könnte ich geleiten;
Doch ich gehe zu der Linde,

815
Wo ich an Meliores Seiten

Rosablanken trauernd finde.

Pietro aber steht am Bronnen,
Und von Eifersucht durchpeint,
Fühlt er nicht den Strahl der Sonne,

820
Die ihm auf den Scheitel scheint.
« Romanze XIX: Moles in Biondettens Leiche Clemens Brentano
Romanzen vom Rosenkranz
Notizen des Dichters »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).