Schmalrehchens Ende

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Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Schmalrehchens Ende
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 57, 58–59
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Jagd auf Jungwild
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 39
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Schmalrehchens Ende.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

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Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 39 Schmalrehchens Ende.
Von Guido Hammer.


Weil bei Anbahnung der Jagd das Gefühl des Triumphes, die erhoffte Beute endlich errungen zu haben, in der Regel von dem Reiz freudiger Aufregung begleitet ist, deshalb darf der Laie nicht meinen, der Jäger finde solchen Hochgenuß etwa im Vernichten eines frischen Lebens. Nein! Vielmehr ist er nur eine Wirkung des geschmeichelten Selbstbewußtseins seiner Ueberlegenheit über das Thier, bekunde diese sich nun in mannhafter Bewältigung eines mit besonderer Kraft und hohem Muthe ausgerüsteten Individuums oder in den Eigenschaften der Klugheit, Vorsicht und Raschheit, mit welchen der Jäger dem ihm hierin stets ebenbürtig ausgestatteten Wilde den Rang abzulaufen verstand. Trotz dieses Gefühls geschmeichelten Selbstbewußtseins kommen aber doch Momente vor, wo selbst der leidenschaftlichste Jagdfreund bittere Reue über einen gethanen siegreichen Schuß empfindet. Kann ich doch aus eigener Erfahrung einen recht schlagenden Beweis für einen solchen Fall anführen, der in mir heute noch – ich schäme mich nicht, es einzugestehen – das nagende Gefühl nur allzu gerechten Unmuthes über mich selber erregt, sobald ich nur daran denke. Nur wie eine Art Sühne betrachte ich es daher, darüber des Weiteren mich auszusprechen.

Ich hatte von dem mir befreundeten, nun längst schon auf himmlischen Etat gesetzten Oberförster C. Schußerlaubniß, ja sogar -Befehl auf ein Spießböckchen oder auch Schmalreh – eines oder das andere gleich erwünscht – erhalten, weil gerade solch ein zartes Stücklein Wild für die Tafel einer hochstehenden kränkelnden Dame dringlichst bestellt worden war. Damit diese so ganz ausdrücklich begehrte Lieferung auch sicher beschafft werden möge, begleitete mich des Försters Sohn, mir von Kindheit her ein guter Camerad, wobei wir das Uebereinkommen trafen: daß Jeder für sich einen bestimmten Theil im Reviere abpürschen und, höre dabei Einer den Andern schießen, jener seine Kugel bewahren und diesem schleunigst entgegen eilen sollte.

So verfolgten wir denn bald von einem sich gabelnden Waldsteig aus unsere verschiedenen Pfade, um die auf den vorgenommenen Strecken liegenden alten Graswege, lichten Stangenhölzer, kleinen Blößen und weiten Schläge nach dem Begehrten abzusuchen. Auf einem der letzteren, wo ich noch jedes Mal Rehe angetroffen, ich mochte nun jagend oder nur beobachtend darnach gegangen sein, gewahrte ich denn auch heute alsbald einen ganzen Sprung Rehe. Doch selbst von der Holzwand aus, wohin ich mich überhaupt nothwendig erst noch anzuschleichen hatte, um das ganze Gehau übersehen zu können, standen sie noch viel zu weit entfernt, um beschossen werden zu können.

Als ich daher durch den vor mir gelegenen hohen Bestand, wo ich mich immer von Baum zu Baum decken konnte, bis an den hinter Anflug versteckten Rand vorgedrungen war, lugte ich zuvörderst nach rechts und links aus, die nähere Umgebung zu mustern, ob in dieser nicht etwa schon Schußgerechtes stünde. Und richtig! Gar nicht weit von meiner gut gedeckten Stellung, wohin ich übrigens zuletzt auf dem Bauche, die Büchse dabei immer vor mir her schiebend, durch dichtes Heidelbeergestrüpp lautlos gekrochen war, erblickte ich einen einzelnen Capitalbock. Wohl war es mir eine hohe Freude, dem Stattlichen so völlig unbemerkt angekommen zu sein und ihn nun in Muße beobachten zu können, aber auch wiederum eine harte Pein, gemessensten Schußbefehls halber nicht darauf schießen zu dürfen. Gleich einer schweren Last fiel mir’s daher vom Herzen, als der ganz vertraulich Aeßende nun langsam weiter zog und sich endlich meinen Blicken entzog; war ich dadurch doch der Verführung enthoben, trotz des Verbotes auf den gar so prächtigen Burschen „den Finger krumm zu machen“.

Während ich nach dieser Prüfung wieder leichter aufathmete und nun erst den inmitten des Gehaues herumnistelnden und zuweilen scherzenden Rehen meine Aufmerksamkeit zuwandte, [59] regte sich plötzlich wieder seitwärts, links von mir, etwas, und wahrlich – da zog ein altes Reh mit einem Schmalreh heraus! Waren beide auch jetzt noch zu weit entfernt, als daß ich sofort auf sie hätte schießen können, so nahmen sie doch alsbald ihre Richtung, wenn auch unter mancherlei Aufenthalt, weil bald hier bald dort nach süßen Gräslein suchend, schräg auf mich zu. So kam denn das Pärchen näher und näher, zuweilen aber doch recht peinlich lange hinter Hügeln blühender Haide oder anderer Deckung verschwindend, wo die Traulichen dann wohl ruhig äßen mochten.

Unter solcher Verzögerung war aber auch die Sonne, welche im Scheiden noch die pinienartigen Wipfel der übergehaltenen Kiefern mit purpurner Pracht durchglühte, hinter einer mir gegenüberliegenden Waldwand niedergesunken, und heimliche Dämmerung breitete sich nun über die ganze weite, stille Haide. Mit Ungeduld wartete ich daher auf das endliche, hoffentlich diesmal recht nahe Wiedererscheinen meines ersehnten Zieles, denn nicht nur daß mir bei längerem Ausbleiben desselben um’s genügende Büchsenlicht bangte, sondern mit Aufregung lauschte ich dabei auch des Schusses meines Mitpürschenden, welcher jeden Augenblick erschallen konnte, wonach – der getroffenen Bestimmung zufolge – ich ja auf den meinigen verzichten mußte. Endlich trat das Mutterreh wieder und zwar hinter dichtem Fichtenanflug hervor. Es stand in bester Schußweite. Noch fehlte aber sein Schützling, und diesem ja galt heute einzig und allein die Jagd. Da – mit graziösem Sprunge – war er plötzlich an der Seite seiner Mutter. Nun aber begann eine wahre Marter für mich, denn wohl hatte ich endlich mein langersehntes Stück schußweit vor mir, aber bald stand dasselbe dicht vor der Alten, bald deckte diese wieder den gefährdeten Sprößling, und ward dieser wirklich einmal frei, dann blieb er doch jedes Mal spitz nach vorn oder nach hinten gewandt. Kurzum, es schien, als sollte es mir heute nimmer glücken, und diese etwa zehn Minuten, die mich eine Ewigkeit dünkten, brachten mich fast zum Verzweifeln. Solche Stimmung aber ließ mich denn durchaus nicht zu sentimentalen Regungen kommen, die sonst wohl, im ruhigen Anblick der gar so lieben Geschöpfe, dem schmucken Geischen das Leben und dem Altreh seinen Liebling gerettet haben würden. Vielmehr erfaßte mich ob der obwaltenden Hindernisse ein so leidenschaftliches Gefühl, daß ich nur mit verstärktem Begehr nach der ausersehenen Beute trachtete. Darum, als endlich doch einmal das schmächtige Backfischchen nur einen Fuß breit hinter der Rike zurückblieb, benutzte ich rasch diesen Augenblick und, scharfes Korn nehmend, berührte ich den Stecher.

Dröhnend hallte der scharfe Büchsenknall durch den in abendlicher Ruhe grabesstill daliegenden Forst und brach sich in mehrfachem Echo an der gegenüber liegenden hohen Holzwand, das lichtblaue Pulverwölkchen aber strich zurück, mir über die Achsel – und niedergeschmettert lag draußen auf moosigem Grunde das zum Tode getroffene niedliche Thier. Aber nicht verlassen war es – die Mutter stand mit den zierlichen, schreckhaft gespreizten Läuften, wie in den Boden gewurzelt, vor dem todeswunden Liebling und starrte diesen, ihren feingeformten Kopf und Hals darüber hinneigend, mit schwerberedtem Auge an. Und eine bange Weile, während das Schmalreh vergeblich sich aufzuraffen trachtete, fesselte treue Mutterliebe das alte Reh regungslos an die verhängnißvolle Stelle; ja so lange, bis ich wieder geladen hatte und nun rasch auf mein Opfer einsprang, um es, das immer noch lebende, von seiner Qual durch einen Nickfang zu erlösen. Nun erst verließ das geängstete Mutterwild, aber immer noch zögernd, die Unglücksstätte und folgte dem Wechsel der nach dem Schuß flüchtig Gewordenen, welche draußen auf dem Gehau gestanden, um wie diese drüben im nun tief düster gewordenen Walde sich dem grausamen menschlichen Auge zu entziehen.

Von Mitleid gequält, beeilte ich mich möglichst, dem noch immer nicht Verendeten den Gnadenstoß zu geben, aber so sicher ich solchen zu vollstrecken meinte – sterben wollte das Aermste doch nicht daran. Und so oft ich den Fang noch wiederholte – zum Tode traf er heute nicht. Noch einmal aber darauf zu schießen, unterließ ich, um bei meinem Protector, dem Oberförster – so ist der Mensch! – meiner Waidmannsehre nichts zu vergeben. Dazu war auf den Schuß jetzt auch mein Freund herbeigeeilt, und willig überließ ich nun diesem, das leidende Thier zu tödten. Mitleidlos und darum völlig ruhig versuchte es auch Dieser – doch mit nicht besserm Erfolg als ich. Weinen hätte ich mögen, der ich mir in diesem Augenblicke wahrlich wie ein Mörder vorkam, und so recht ward mir dabei die Entstehung des Volksaberglaubens klar, der da meint: dasjenige Thier, welches man bei seinem Todesnahen bedauere, könne nicht ersterben. Endlich, als selbst die wiederholte Anwendung des Nickfängers von der erprobten Hand meines Waidgenossen nicht zum Ziele führte, knüpfte dieser die Fangleine vom Hirschfängerkoppel los, und eine Schlinge daran knüpfend – erwürgte der harte Jägersmann gleich einem Henker das sanftäugige, jungfräuliche Wesen damit, dabei in die Worte ausbrechend: „In’s Lazareth können wir dich doch nicht schaffen.“

Ich aber nahm mir vor, auf Jungwild nie wieder zu schießen, und obwohl noch manches Mal die Aufforderung zum Abschuß auf Schmalrehe und Wildskälbchen an mich erging, da solche Leckerbissen gar oft in die feinen Küchen verlangt werden – ich habe mir mein Wort gehalten.