Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 27.

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« §. 26. Schwere, Elektricität und Magnetismus §. 28. »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).

|[115]

§. 27.
Fortsetzung: Integration durch complexe Werthe der Variablen.


 Die Richtigkeit der Ausdrücke für ist zwar im vorigen Paragraphen vollständig bewiesen. Doch erscheint es nicht unzweckmässig, einen Theil der Untersuchung noch auf einem anderen Wege vorzunehmen. Es ist dies namentlich die Bestimmung der Functionen und , wenn man dabei von den Gleichungen (14) und (18) des vorigen Paragraphen ausgehen will.

 Es handelt sich darum, den Werth von aus der Gleichung (14) des vorigen Paragraphen zu ermitteln für . Man hat dabei zu beachten, dass für die Grösse übergeht in . Dadurch wird aber der Werth des Integrals in (14) unendlich gross, und der erste Bestandtheil von nimmt in Gleichung (14) die unbestimmte Form an.

 Um den wahren Werth zu ermitteln, kann man statt des reellen Integrationsweges einen anderen einschlagen, welcher durch complexe Werthe der Variablen führt.

 Wir denken uns nach dem Vorgange von Gauss eine complexe Zahl repräsentirt durch den Punkt einer Ebene, dessen rechtwinklige Coordinaten sind. Die Zahl nimmt dann alle möglichen complexen Werthe an, wenn der Punkt in der unbegrenzten Ebene in alle möglichen Lagen gebracht wird. Die Werthe von ändern sich stetig, wenn der Punkt eine ununterbrochene Linie stetig durchläuft. Wir sagen dafür der Kürze wegen: die complexe Variable durchläuft die Linie.

 Die Ebene, in welcher der Punkt beweglich ist, heisst die Zahlenebene. Es ist vortheilhaft, sie im Unendlichen als geschlossen anzusehen, d. h. sie als eine Kugel von unendlich grossem |[116]Radius aufzufassen. Dem Werthe entspricht dann nur ein einziger Punkt, welcher auf der unendlich grossen Kugel dem Nullpunkte diametral gegenüberliegt.

 Wir zeichnen in der Zahlenebene eine in sich zurücklaufende Linie (Fig. 18), welche sich selbst nicht durchschneidet und einen
Fig. 18.
Theil der Ebene vollständig begrenzt. Innerhalb dieses abgegrenzten Theiles soll die Axe der positiven von bis liegen, ausserhalb dagegen die Punkte, welche die beiden negativen Wurzeln der Gleichung (2) des vorigen Paragraphen repräsentiren. Dann liegen auch die beiden Punkte der Abscissenaxe und ausserhalb. Der Punkt soll nur dann innerhalb des abgegrenzten Gebietes liegen, wenn und ist, d. h. wenn und .

 Wir wollen nun zunächst in dem Ausdrucke für den reellen Integrationsweg durch einen complexen ersetzen.

 Für jeden Werth, den die Variable annimmt, hat die Function



zwei Werthe, weil die Quadratwurzel zweideutig ist. Diese beiden Werthe sind innerhalb des abgegrenzten Flachenstückes an zwei Stellen einander gleich, und zwar , wenn nemlich und wenn . Für alle übrigen Werthe von innerhalb und auf der Begrenzung des Flächenstückes soll nur ein Werth von in Betracht gezogen werden, und zwar nach folgender Vorschrift. Wir zerschneiden die Zahlenebene längs der reellen Zahlenaxe von bis und setzen fest, dass die Variable bei ihrer Bewegung in der Ebene diesen Schnitt nicht überschreiten, wohl aber umgehen darf. Soll sie also die reelle Zahlenaxe von bis durchlaufen, so ist zu unterscheiden, ob dies unendlich nahe an dem Schnitt auf der rechten oder auf der linken Seite geschieht. Für solche Werthe von ist reell. Wir setzen fest, dass der positive Werth von genommen werden soll, wenn unendlich nahe an dem Schnitt auf der rechten (unteren) Seite liegt, und der negative Werth von , wenn unendlich nahe an dem |[117]Schnitt auf der linken (oberen) Seite liegt. Wir lassen dann die Variable von dem Rande des Schnittes aus im Innern des begrenzten Flächenstückes eine Linie stetig durchlaufen, die im Innern oder auf der Begrenzung endigt. Dabei soll, wie wir ferner festsetzen, von den beiden Werthen der Function nur die stetige Fortsetzung des Anfangswerthes in Betracht kommen. Dadurch wird erreicht, dass auf der Linie und im Innern des von ihr begrenzten und von bis zerschnittenen Flächenstückes die Function überall einwerthig, endlich und stetig variabel ist. Nur wenn ist, wird die Function an einer Stelle des Flächenstückes unendlich, nemlich an der Stelles . In diesem besonderen Falle legen wir um den Unstetigkeitspunkt einen Kreis von beliebig kleinem Radius , schliessen das Innere desselben von dem betrachteten Flächenstück aus und lassen schliesslich werden.

 Wir setzen nun einen Fundamentalsatz aus der Theorie der Functionen einer complexen Variablen als bekannt voraus. Derselbe lautet:

 Wenn für alle Werthe von innerhalb eines vollständig begrenzten Gebietes der Zahlenebene und auf der Begrenzung die Function überall einwerthig, endlich und stetig variabel ist, so hat das Integral



ausgedehnt durch die ganze Begrenzung, den Werth Null.

 Ist also von Null verschieden, so hat man folgenden Integrationsweg (Fig. 19):
Fig. 19.
Von bis unendlich nahe an dem Schnitt auf der rechten (unteren) Seite, von bis ebenso auf der linken (oberen) Seite, dann von durch die Linie um herum bis in der Richtung der Pfeile.

 Das Integral auf dem reellen Wege von bis und von bis hat den Werth |[118]


(2)


wenn die Quadratwurzeln positiv genommen werden. Mit Hülfe des eben citirten Satzes findet sich also


(3)


und es ist das Integral durch complexe Werthe von zu nehmen längs der Linie von bis in der Richtung der in Fig. 18 angegebenen Pfeile.

 Die Gleichung (3) bleibt gültig, auch wenn und ist. Der Integrationsweg (Fig. 20) führt jetzt von bis an dem unteren Rande
Fig. 20.
des Schnittes, dann durch die Peripherie des um gelegten Kreises, hierauf von bis an dem oberen Rande des Schnittes und schliesslich längs der Linie von bis , immer in der Richtung der Pfeile. Soweit der Integrationsweg reell ist, erhält man für das Integral (2). Das Integral, durch die Kreisperipherie erstreckt, hat den Grenzwerth Null. Denn es geht für die Function über in




und diese wird für unendlich wie Folglich wird der Integralwerth an dieser Stelle Null wie . Wir kommen demnach auf die Gleichung (3) zurück. Nur ist jetzt der Integrationsweg so zu legen, dass er die Stelle mit umschliesst.

 Soll nun auch in der Gleichung (14) des vorigen Paragraphen ein complexer Integrationsweg eingeschlagen werden, so haben wir |[119]


(4)


und es ist die Integration durch die Linie (Fig. 18) zu erstrecken von bis in der Richtung der vorgeschriebenen Pfeile.

 Für wird In diesem Falle ist für das Integral in (4) die Linie so zu legen, dass sie den Punkt mit umschliesst, nicht aber die beiden anderen Wurzeln der Gleichung . Das Integral ist mit besonderer Vorsicht zu behandeln, weil für die Function wird, und in Folge davon die Function unter dem Integral unendlich gross. Wir wählen auf
Fig. 21.
der Linie zwei Punkte und . Durch sie und den unendlich entfernten Punkt wird die ganze Linie in drei Bestandteile zerlegt. läuft von bis von bis von bis . Wir ziehen ferner von nach durch das Innere des von begrenzten Flächenstücks eine Linie (Fig. 21), so dass und ein Flächenstück begrenzen, innerhalb dessen der Punkt liegt. Das Integral



(5)


durch die ganze Linie erstreckt, soll mit bezeichnet werden, mit dagegen die drei Bestandtheile, die sich ergeben bei der Integration von bis längs der Linie von bis längs von bis längs . Endlich soll der Werth des Integrals von bis durch genommen, sein. Dann hat man



Hierin ist ein Integral von endlichem Werthe. Also hat man


für


|[120]  Das Integral kann durch irgend ein anderes ersetzt werden, dessen geschlossener Integrationsweg um herumführt. Wir machen zum Mittelpunkt eines Kreises vom Radius , der so gewählt ist, dass die Peripherie ganz in das von und begrenzte Flächenstück hineinfällt. Wenn man dann das Integral (5) in der Richtung des Pfeiles (Fig. 21) durch die Kreisperipherie erstreckt, so ist sein Werth . Dieses Integral bedarf noch der Untersuchung. Es ist




daraus ergibt sich durch Subtraction



Wir nehmen auf beiden Seiten Logarithmen und erhalten durch Differentiation



wenn mit eine Function bezeichnet wird, die auf der Peripherie und im Innern des Kreises endlich und stetig variabel ist, auch für . Dann ist zunächst das Integral



durch die Kreisperipherie erstreckt, unter keinen Umständen unendlich gross. Denn setzt man , so erhält man unter dem Integralzeichen ein Product, dessen einer Factor ist, und dessen anderer Factor auf der Kreisperipherie und im Innern des Kreises überall endlich ist. Da nun das unbestimmte Integral



auf dem ganzen Integrationswege endlich bleibt, so ist auch, durch die Kreisperipherie erstreckt, |[121]



endlich, und der Werth dieses Integrals nähert sich der Grenze Null, wenn man den Radius des kreisförmigen Integrationsweges unendlich klein werden lässt.

 Es bleibt also nur noch das Integral



zu ermitteln, worin wir der Kürze wegen


(6)


gesetzt haben. Wir führen nun Polar-Coordinaten ein, so dass



zu setzen ist . Demnach haben wir . Für Punkte auf der Kreisperipherie ist constant, folglich



Die Richtung des Integrationsweges ist dieselbe wie die Richtung des wachsenden Bogens. Demnach ergibt sich



Nun darf man den Radius beliebig klein wählen. Wir lassen ihn unendlich abnehmen und erhalten


(7)


 Die gewonnenen Resultate beantworten die Frage, was aus der Gleichung (4) wird für . Die linke Seite soll nach der Bedingung (12) des vorigen Paragraphen in Null übergehen. Auf der rechten Seite hat man für das Integral einzusetzen und hierauf den Grenzwerth zu ermitteln für . Es ist aber, wie schon bewiesen: |[122]


für


Ferner ist nach Gleichung (7)



und es ist oder , je nachdem das reelle positiv oder negativ genommen wird.

 Soll nun werden für , so sieht man, dass in Gleichung (4) zu setzen ist:


(8)


Dies Resultat stimmt mit der im vorigen Paragraphen gewonnenen Gleichung (17) überein.

 In derselben Weise kann man verfahren, um die Function zu bestimmen.