Seite:Über die Verfassung des deutschen Reiches.djvu/133

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

bedrohten Posten wieder gewann, indem sie die Erziehung der Jugend übernahm und im Beichtstuhl oder in höflichem Zwiegespräch die innersten Geheimnisse der Menschen erforschte. Nach alle dem glauben Viele mit Recht, daß auf die Kirche das paßt, was im Buche Hiob[1] im mystischen Sinne von dem großen Leviathan überliefert wird.

Nun wird man doch ohne Zweifel die Religion für die beste halten müssen, welche einmal ihre Diener am meisten mit Reichthum und Ehren überhäuft und welche es sodann versteht, auf die wirksamste Weise die Schafe ihrer Heerde zu scheeren und doch in strengem Gehorsam zu halten. Daraus ergiebt sich zugleich, wie thöricht es ist, auf die religiösen Controversen zwischen Katholiken und Protestanten einzugehen. Denn die Unsrigen haben jene als Ketzer verdammt und sie mit Feuer und Schwert ausrotten wollen und so jede Hoffnung auf eine aufrichtige Versöhnung vernichtet. Dadurch sind jene gezwungen, auf ihre Rettung bedacht zu sein und sobald sie einmal den Laien finstere Gedanken über die Frömmigkeit der katholischen Priester eingeflößt hatten, war es ihnen ein Leichtes, dieselben durch den Hinweis auf die Güter der Kirche für sich zu gewinnen. Hätte man aber von vornherein die richtige Politik ergriffen, so hätten Mittel zur Besänftigung der in verschiedene Parteien zerklüfteten Laien nicht gefehlt und der Wittenbergische Mönch wäre durch eine fette Pfründe leichter zur Versöhnung mit dem Papste bewogen worden, als durch den Bannstrahl, dessen Gluth sich auf dem weiten Wege und unter dem rauhen Himmel bedeutend abgekühlt hatte. Auf der anderen Seite ist die Einfalt der neuen Lehrer zu bewundern, mit der sie unseren Priestern rathen, ihren Stand zu verlassen, ihr behäbiges Leben aufzugeben und zu ihnen überzugehen und mit ihnen zur niederen Menge zu gehören und mit dem Hunger zu ringen. Viel eher könnten sie Volk und Fürsten für sich gewinnen, wenn sie ersterem die Freiheit verhießen und letztere durch Gewinn lockten. Freilich sobald die erste Hitze lau geworden war und die Unsrigen nach der unerwarteten Niederlage anfingen sich zu erholen, da zeigte es sich bald, daß sie besser zum Kampf gerüstet waren, als ihre Gegner. Denn so viel ich mich erinnere, ist in unserem Jahrhundert kein katholischer Fürst mehr zu ihnen, wohl aber sind mehrere von ihnen zu uns übergegangen.“

Der Redner wollte noch fortfahren, da unterbrach ihn der Nuncius. „Zur Genüge,“ sagte er, „hast Du uns Deine Kenntniß von den theologischen Dingen gezeigt: und wolltest Du Deine Lehren öffentlich verkünden, Dir würden Zuhörer nicht fehlen. Freilich geht manches davon über die Fassungskraft der Neulinge hinaus, und was Dich betrifft (dabei redete er mich an), so würde es nicht Recht sein, Dir in einer Stunde den Zugang zu all’ den Mysterien zu eröffnen, die dem Volke zu verbergen, so viele Tausende von schlauen Männern mit Sorgfalt bemüht sind.“

§. 9. Klöster. Kirchengüter. Canonicate.

Daß in Gegenwart des apostolischen Nuncius mit solchem Freimuth gesprochen war, und daß dieser Freimuth sogar Anerkennung fand, das machte mir Muth, später weniger besorgt zu sein, wenn ich offenherzigen

  1. Hiob Cap. 40. V. 20-28. Cap. 41. V. 1-25.
Empfohlene Zitierweise:
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/133&oldid=- (Version vom 1.8.2018)