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Conring ist besonders bemüht, die Ansicht zurückzuweisen, daß von Lothar dem Sachsen um 1130 das römische Recht in Lehre und Praxis eingeführt sei. Er beweist, daß bis zum dreizehnten Jahrhundert die deutschen Gerichtshöfe nicht nach geschriebenen Gesetzen, sondern nach hergebrachter Gewohnheit oder richterlichem Ermessen Recht gesprochen haben, und daß die damaligen Richter keine gelehrte Bildung besessen haben, sondern aus der Zahl der alterfahrenen, klugen und gerechten Volksgenossen genommen wurden, wie ja damals überhaupt noch die Mehrzahl der Laien des Lesens oder Schreibens nicht mächtig war. Im 13. Jahrhundert fand dann allmählich das kanonische Recht in Deutschland Eingang, und man entschied danach nicht nur geistliche Sachen, sondern entnahm daraus auch die Normen für den Civilproceß, obgleich viele treu an den alten Gebräuchen festhielten. Um dieselbe Zeit wurden auch die alten Rechtsgewohnheiten schriftlich abgezeichnet. Zu den wichtigsten dieser Aufzeichnungen gehören das Lübische und das Magdeburgische Recht (Weichbild genannt), sodann der Sachsen- und Schwabenspiegel und das sächsische und schwäbische Lehnrecht; Rechtsbücher, die im 13. und 14. Jahrhundert in Gebrauch waren. Im 15. Jahrhundert erst kamen das römische Recht und das lombardische Lehnsrecht auf; römische Rechtsgelehrte wurden an die Fürstenhöfe gezogen, welche sich um die Verbreitung des römischen Rechts bemühten. Zugleich begann man dasselbe auch an den Universitäten zu lehren, welche nach dem Vorbilde unserer italiänischen Hochschulen eingerichtet wurden, die besucht zu haben in Deutschland als Auszeichnung galt. Als dann die Lehrer des römischen Rechts auch in die Gerichtshöfe berufen wurden, wurde auch dort dieses Recht recipirt, und Maximilian I. bestimmte 1495, daß im Kammergericht römisches Recht gelten solle, vorbehaltlich der hergebrachten Gewohnheiten und der Particularrechte einzelner Orte. Es ist also das heutige deutsche Recht eine Mischung aus römischem und kanonischem Rechte, alten Rechtsgewohnheiten und den Local- und Particularstatuten einzelner Länder, die unter sich sehr verschieden sein können. Das Landes- oder Stadtrecht gilt in allen Gerichtshöfen zuerst, erst wenn dies nicht ausreicht, wird auf das römische Recht, so weit es recipirt ist, zurückgegangen. Die Stände haben aber das Recht in Civilsachen für ihre Länder Gesetze zu geben, auch solche, die vom gemeinen Recht abweichen, und sie können, ohne Mitwirkung des Kaisers, auch sonst ihnen zweckgemäß scheinende Statuten erlassen, nur dürfen diese der Reichsverfassung nicht zuwiderlaufen. Freilich pflegen die Landesgesetze vom Kaiser bestätigt zu werden. Aber selbst in Kriminalsachen können die Landesfürsten Gesetze erlassen, denn die Karolina hat nicht allgemeine Gültigkeit. Endlich haben die Stände das Begnadigungsrecht. Neue Gesetze für das ganze Reich aber können nur durch Reichstagsbeschluß mit Zustimmung der Stände erlassen werden, und sie binden den Kaiser ebenso, wie die Einzelstaaten. (Cap. Leop. Art. 2.)

§. 14. Die Gerichtsverfassung.

Die Verhältnisse der deutschen Gerichtshöfe haben sich gleichfalls mit der Zeit umgebildet. Auch über sie giebt es eine vortreffliche Abhandlung von Conring (de germanici imperii judiciis), der ich durchweg folge.

Unter Karl dem Großen wurden Rechtsstreitigkeiten der königlichen

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Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)