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form durch, wie sie aus dem munde des volkes aufgezeichnet sind, so finden wir häufig bis in geringfügigste einzelzüge hinein eine dermassen starke ähnlichkeit mit dem Aladdinmärchen, dass wir völlig davon überzeugt werden, dass sie dem buchmärchen ihren ursprung verdanken. Die märchen von „Tausend und eine nacht“ haben in europäischen übersetzungen unter den kindern und der jugend allgemeine beliebtheit gewonnen. Dass das märchen von Aladdin hin und wieder im munde des volkes auftritt, ist daher sehr wohl verständlich. Die meisten von unseren varianten sind wahrscheinlich direkt aus dem buche erlernt, andere (Aq und Hb) sind stärker veränderte einzelfälle.

Bevor wir aber diese varianten verlassen, werfen wir einen kurzen blick auf die abweichungen, die zwischen ihnen und der buchvariante bestehen.

Die veränderungen in den volksmärchen gehen nach bestimmten gesetzen des denkens und der phantasie vor sich. Eines der gesetze dieser art ist das vergessenwerden eines vorgangs oder gegenstandes, natürlich vor allem eines solchen, der für die totalität der haupthandlung nicht unbedingt notwendig ist. In einer so umfänglichen und ereignisreichen erzählung wie dem märchen von Aladdin hat dieser faktor einen weiten spielraum. So sind in vergessenheit geraten folgende züge: die mutter reinigt zuhause die lampe, deren zauberkraft sie nicht kennt (Ab, Hb), die unterirdischen edelsteine werden als geschenk an den hof des königs gebracht (Dd), der junge lässt die königstochter durch zaubergewalt für die nacht in sein gemach holen (Aq, Dd, Ga, Hd 1, 2), sowie die das märchen beschliessende episode vom bruder des zauberers (Aq, Dd) – ein ganz unnötiger zusatz. In Ab ist das gegenstück der zauberlampe, der ring, vergessen worden, denn im ersten teil des märchens hat man sich mit der lampe allein beholfen – die lampe bringt den jungen unter der erde hervor. Diese änderung hat aber noch andere modifikationen nach sich gezogen. Später wäre in der erzählung der ring erforderlich gewesen, um die verschwundene zauberlampe wieder herbeizuschaffen, da er aber nicht vorhanden ist, ist der diebstahl der lampe ganz fortgelassen

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Antti Aarne: Vergleichende Märchenforschungen. Société Finno-ougrienne, Helsingfors 1908, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aarne_Vergleichende_M%C3%A4rchenforschungen.djvu/87&oldid=- (Version vom 31.7.2018)