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ist, daß so viele Säuglinge längere oder kürzere Zeit Strabismus zeigen und dies erst einige Zeit nach der Geburt. Es wäre nicht überraschend, bei hervorragenden funktionellen oder künstlerischen Fähigkeiten der Augen funktionelle oder morphologische Anomalien des äußeren Auges beim Individuum oder in seiner Familie zu finden.

Ähnliches läßt sich von den Affektionen des Gehörapparates im Zusammenhang mit äußeren Ohranomalien behaupten. Auch hier ist die Heredität offenkundig, kann beispielsweise bezüglich der Taubstummheit und Otosklerose als gesichert gelten. Allerdings nur in meinem Sinne als Vererbbarkeit der Organminderwertigkeit, die sich in verschiedener Weise und an verschiedenen Stellen manifestiert. So in der von mir beobachteten Familie S., in der 3 Geschwister an Otosklerose leiden, die anderen zwei hervorragende musikalische Begabung zeigen. Letzteres wird erklärlich durch den oft gegebenen Hinweis auf die Überkompensation im minderwertigen Organ. Einer der Brüder litt an häufig rezidivierendem Herpes der Ohrmuschel, der, wo ich ihn noch sah, als Hinweis auf Organminderwertigkeit (Mund, Nase, Harn- oder Geschlechtsorgane) Geltung bekam. Musiker leiden nicht selten an Ohraffektionen oder haben an solchen in der Kindheit gelitten. Der klassische Beleg ist Beethoven. Mozart soll ein verbildetes Ohr besessen haben. Die Tierärzte haben reichlich Gelegenheit, bei Hunden mit hängenden Ohren Ohraffektionen zu konstatieren.

In gleicher Weise stehen die Stigmen der Nase, Schleimhautwucherungen, Polypen, adenoide Vegetationen und die Anomalien des Mundes, der Zunge, der Zähne, des harten und weichen Gaumens, der Tonsillen mit Minderwertigkeiten des Atmungsapparates und Erkrankungsdisposition desselben im Zusammenhang. Ohne auf den Zusammenhang einzugehen, wurde dies Verhältnis gelegentlich von einzelnen Autoren hervorgehoben. Vielleicht am meisten zu Ansehen gelangt ist die Betonung des Zusammenhangs von Anomalien der Nase mit dem Bronchialasthma und von adenoiden Vegetationen oder Hypertrophie der Tonsillen mit geringerer Entwicklung des Brustkorbes und der Lungen. Ich brauche nicht umständlich auszuführen, daß prinzipiell nur das Verhältnis der Koordination statthat; später allerdings, wenn durch besondere Wachstumsverhältnisse die Funktion oder die Hygiene des tiefer liegenden Anteils der Atmungsorgane beeinträchtigt wird, erscheint das periphere Stigma auch als ätiologisch belastet. Deviationen des Septums, Entwicklungshemmungen der Mundgebilde wie Uranoschisma, langes Zungenbändchen, schlechtes Gebiß, Zahnanomalien, minderwertiges, leicht blutendes Zahnfleisch, hoher Gaumen sind oft

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien 1907, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerStudie.djvu/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)