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Denn unmittelbar an die Zeiten der Apostel kann diese doch nicht hinanreichen. Allein Barnabas steht nicht, wie v. E. behauptet, dem apostolischen Christenthum näher als Justin. Man vergleiche doch, von den typologischen Ungeheuerlichkeiten und anderem abgesehen, die letzten Abschnitte bei Barnabas: Weg des Lichts und Weg der Finsterniß, wo sich in der That moralistische Verflachung findet, mit den erhabenen Schilderungen christlichen Lebens bei Justin! Ganz richtig sagt Ritschl: „Die Anschauung des Barnabas trägt überhaupt alle die von uns ermittelten Merkmale des katholisch werdenden Heidenchristenthums an sich (a. a. O. S. 295).“ Es bleibt nichts übrig: entweder muß man Justin auslegen, wie es gewöhnlich geschieht, d. h. in der Weise von Otto, Semisch, Neander, Dorner, Duncker, wo dann die wesentliche Einheit mit den apostolischen Vätern von selbst gegeben ist, oder man muß die bei ihm angenommene Verschlechterung des Christenthums, einen Rückfall in’s Heidenthum, auch jenen zutheilen, und diesen Rückfall dann hart an die Grenze der apostolischen Zeit setzen. Es entstehen bei des Verfassers Anschauung Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Hermas und Justin sollen einander wesentlich gleichstehen. Der philosophisch nicht geschulte Hermas soll dieselbe Richtung haben, die bei Justin nur aus heidnisch-philosophischen Einflüssen sich erklären läßt.

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 Am bezeichnendsten drückt v. E. das Wesen des Justin’schen Christenthums nach seiner Fassung S. 482 f. aus: „Darin besteht sein Moralismus – in den er nothwendig verfallen mußte – daß er an die Stelle des Glaubens an Gott das Wissen von Gott und die Nachahmung Gottes im Thun seiner Gebote setzt, und die Gerechtigkeit des Sünders nicht durch den Glauben an die Gnade Gottes in Christo, sondern dadurch zu Stande kommen läßt, daß der Mensch, nachdem er durch Christus das vollkommene Wissen von Gott als dem Welterzeuger, Weltgesetzgeber und Vergelter empfangen hat, die Gebote Gottes in Kraft des freien Willens befolgt. Die Vorstellung aber, daß Frömmigkeit und Gerechtigkeit im Wissen um Gott und in der thätigen Nachahmung Gottes besteht, hat nur dort Sinn und Geltung, wo Gott nicht Persönlichkeit, Liebe und Gnade, sondern die schöpferische Urvernunft ist, die man zu erkennen hat, und das Weltgesetz, welches man zu thun hat.“ Beigefügt wird noch, daß die religiöse Färbung, die dieser Moralismus bei Justin hat, ihn noch nicht als christlich legitimirt, und deutlich

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Adolf von Stählin: Justin der Märtyrer. Dörffling und Franke, Leipzig 1880, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Adolf_von_St%C3%A4hlin_-_Justin_der_M%C3%A4rtyrer.pdf/52&oldid=- (Version vom 1.10.2017)