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inneren Notwendigkeit derselben. Aus der Natur schöpften sie die Erkenntnis der Proportionen. Die Proportionslehre ist die Voraussetzung aller Kunst, ist das erste Prinzip. Natur und Vernunft, be­stimmte Grundsätze stehen daher über der Antike. Soweit sie mit ihnen in Widerspruch steht, ist sie selbst verbesserungsfähig und von Blondel und Briseux in vielen Punkten verbessert worden. (Schu­mann B. u. R., S. 66.)

In seiner Architektur schloß sich Krubsacius an die des Bauamtes an, wie sie seit dem Ein­treten Longuelunes und der Zurückdrängung Pöppelmanns unter de Bodt und Knöffel die herrschende wurde. Bei Longuelune hatte Krubsacius studiert. Unter dem älteren französischen Einfluß war die noble simplicité Anfang der dreißiger Jahre staatlich sanktioniert worden. Diese Dresdner Richtung, die Säulen und Pilaster fast gar nicht kannte, bildete er in seinen Plänen weiter. An einer ausgiebi­geren Aufnahme antiker Formen, insbesondere der Ordnungen, hinderte ihn die Bienséance, die selbst für das Landhaus nur zwei Säulen gestattete. Erst auf Wunsch des Fürsten wurden es sechs. Mit seinem Aufsatz von den Verzierungen ging er über die „vornehme Einfachheit“ hinaus. Wie soll man Gebäude verzieren? Gar nicht, oder so wenig wie möglich, denn sie haben ihre Wesensschönheit in ihren architektonischen Gliedern. Alle anderen Zieraten sind außerwesentlich und nur dazu da, die Art des Gebäudes und den Stand des Besitzers anzuzeigen. Blumengehänge, Zweige und ähnliches sind allenfalls erlaubt, aber mit aller möglichen Mäßigung auszuführen. „Das Schöne in der Bau­kunst besteht vornehmlich in den Proportionen, schrieb Winkelmann 1763, und darin, daß ein Gebäude durch sie allein schön ist, auch ohne Zierate.“ Seine Anschauung deckte sich völlig mit der von Krub­sacius. Die Proportionslehre führte zu einseitiger Betonung von Maßbeziehungen. Mit Rechnen und Meßkunst begann das Studium der jungen Akademiker. Nicht nur alle Formen, auch alle Schaffens­freudigkeit mußte hierdurch gehemmt werden.

Die Wiederaufnahme antiker „Formen“ hat die Kunst immer weitergebracht. Krubsacius konnte mit dem bloßen „Geist der Antike“, mit seinen „Grundsätzen der Alten“ nicht zu dem erstrebten „wahren Stil“, nicht zu einer lebensfrischen gesunden Richtung durchdringen. So baute er mehr die negative Seite seiner Lehre aus, die Reinigung der herrschenden Kunstrichtung, die Veredelung des schlechten (barocken) Geschmackes durch Vermeiden alles Überflüssigen, durch Vereinfachen. Weniger als schaffender Künstler, vor allem als Kritiker und Architekturlehrer hat Krubsacius gewirkt, ein Zeit­genosse des Rationalismus und der Aufklärung, mit der er durch sein freundschaftliches Verhältnis zu Nikolai in direkter Fühlung stand. Mit Laugier teilte er die Ansicht: „Der Architekt muß denken und Rechenschaft über seine Werke geben können. Feste Gesetze müssen bestehen als Normen des Urteils, so daß an Stelle des Instinkts oder Geschmacks das Raffinement tritt.“ (Schumann, B. u. R.) Aber nicht ästhetische Erfahrungssätze künstlerischer Wirkung, sondern philosophisch abgeleitete Vernunftgesetze sollten die Richtschnur bilden.

Die Baukunst wurde zu einer Wissenschaft, zu der vor allem Kenntnisse, weniger Können, ge­hörte. Kenner[1] war nur der, der die „Grundsätze“ der Antike (nicht etwa die Formenwelt) studiert hatte. Er nur konnte beurteilen, was richtig und was falsch war an einem Kunstwerk. Freude an dem elegant Ausgeklügelten, Regelrichtigen trat an die Stelle des ästhetischen Genusses. Die Einsargung der Kunst in die alles Individuelle erstickenden Dogmen verwehrte auch dem Gebildeten das Recht eigenen Urteils. Das Publikum in der jährlichen Ausstellung der Akademie fand die Entwürfe alle einander ähnlich und langweilig, tröstete sich aber damit, daß sie von den Kennern gepriesen wurden. Das Lob des „guten neuen Geschmacks“ war bald in aller Munde, aber auch nur da. Jeder mochte als „Kenner“ gelten und nahm deren Urteil kritiklos an. Diese Hohlheit der Kunstanschauung in weiten Kreisen wirkte ebenso lähmend auf die künstlerische Entwicklung, wie die Unterdrückung selb­ständiger Phantasie bei den Schülern.


  1. Für sie alle gilt, was Casanova in der N. B. d. sch. W. u. K., 1770, S. 31 über Winckelmann schreibt: „Er ist bisweilen in die Krankheit der Antiquare gefallen, die die Kenntnis von den Künsten aus der bloßen Lektüre besitzen und deren Auge nicht eben der feinste Sinn ihres Körpers ist.“ Weiter zitiert C. die im Sinne der Kenner geschriebene Stelle Quintilians Vol. 9 cap. 4: „docti rationem artis intelligunt, in docti voluptatem“.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/79&oldid=- (Version vom 5.4.2024)