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Aus meiner goldnen Zeit 1857–60.

Nie kehrst du wieder goldne Zeit,
So froh, so ungebunden!


Ja, ungebunden und froh war sie, diese, nun beinahe ein halbes Jahrhundert hinter mir liegende Zeit, für mich, für alle meine Genossen, mit denen das blau-weiß-rote Band mich vereinte. Eine wahrhaft „goldne“ Zeit trotzdem – lucus a non lucendo – das Gold für uns in des Wortes verwegenster Bedeutung [51] nur Chimäre war, und auch das Silber nur einen bescheidenen Raum in unsern Taschen einnahm, – wenn es überhaupt darin vorhanden war.

Aber durch diesen letzteren, wenn auch unerwünschten Umstand ließ das echte Burschenherz sich den frohen Lebensmut nicht rauben, und ebensowenig kam das für die Aufnahme in unsre Masovia als maßgebend in Betracht. Ein Wechsel in bestimmter Höhe wurde nicht verlangt, sondern jeder zahlte einen, seinen finanziellen Verhältnissen entsprechenden Beitrag in die Kasse, und wem, wie z. B. auch mir gesicherte, bestimmte Subsistenzmittel für die Studienzeit fehlten, nun der war eben von jeder Leistung frei und durfte sich dadurch den andern gegenüber in keiner Weise bedrückt fühlen. Als Hauptbedingung galt es eben lediglich für jeden braven Masuren, sich unsrer Farben würdig zu zeigen durch echte Brüderlichkeit und Freundestreue, wie durch Betätigung einer ehrenhaften Gesinnung in jeder Beziehung. Dabei existierte auch kein Mensurzwang, selbst nicht für die Wahl ins Corps. Und wieviel treffliche, von uns hochgeachtete Brüder aus jener Zeit leben noch in meinem Herzen, die niemals mit einem Gegner den Schläger gekreuzt. Ich selbst war nur ein einziges Mal in der Lage, mich einem solchen, einem Silberlittauer, gegenüberzustellen. Da hatten wir uns aber auch auf einer S. C.-Kneipe gegenseitig allerlei Liebenswürdigkeiten gesagt, die eine Genugtuung erheischten, und trugen beide ehrenvolle Schmisse davon, jedoch ohne Abfuhr.

Mein damaliger Gegner ist übrigens später ein gar vornehmer Herr geworden. Seine Schwester, ein wegen ihrer Schönheit in Königsberg sehr bewundertes Fräulein Scholten, wurde vom regierenden Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt zur morganatischen Gemahlin erkoren, und der Bruder vom durchlauchtigen Herrn Schwager zum Leibarzt ernannt.

Empfohlene Zitierweise:
Otto Vigouroux: Aus meiner goldnen Zeit 1857–60. Königsberg i. Pr. 1905, Seite 50–51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Aus_meiner_goldnen_Zeit_1857%E2%80%9360_(Vigouroux).pdf/1&oldid=- (Version vom 14.9.2022)