Seite:Badisches Sagenbuch II 104.jpg

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zuwinkte; begrüßte das stille, einsame Nonnenkloster Lichtenthal, aus dessen Hallen eben der erste Morgengesang der frommen Beterinnen dem jungen Tag entgegen tönte; ich schritt die Häuserreihe des Dorfes hindurch, und hielt meine Schritte nicht eher an, als bis ich die Höhe vor dem Weiler Geroldsau erreicht hatte, wo sich ein reizendes Bild vor meinen Blicken entfaltete. Ein Kranz gewaltiger Berge mit angebauten Vorhügeln umzieht hier einen lieblichen Wiesengrund, durch welchen der Waldbach bald hell und klar, bald schäumend und rauschend im steinigen Bette seine Wellen dahinrollt, während an seinem Ufer die bescheidenen Wohnungen des eben genannten Weilers sich hinreihen. Wie still und friedsam steht dort die kleine Kapelle am Waldessaum, von den mächtigen Schatten der dunkeln Tannen umdüstert! Einen Augenblick weidete ich mich an dieser idyllischen Landschaft, dann setzte ich meine Wanderung fort und hatte bald die letzten Häuser Geroldsau’s hinter mir. Jetzt nahm mich der finstere Tannenwald in seine Schatten auf. Der Weg stieg nun aufwerts, immer dem Ufer des Waldstroms zur Seite, der in der engen Thalschlucht zwischen den Felsen und dem Steingerölle sich durchdrängt. Nicht sehr lange war ich im kühlen Waldesdunkel hingewandert, als mein Ohr ein dumpfes Rauschen vernahm, und nach wenigen Minuten war ich an die Stelle gelangt, wo sich der wilde Waldstrom über einen Felsenabsatz in ein Granitbecken herabstürzt, das er sich im Laufe von Jahrtausenden mühsam ausgehöhlt. Es ist dieß zwar nicht ein großartiger Catarakt, wie der Fellbach bei Tryberg, oder der Reichenbach oder der Staubbach, aber dieser Wassersturz gewährt immerhin in seiner wilden Umgebung einen anziehenden Anblick, und das gewaltige Kreuz auf der Höhe des Felsberges zur Linken schaut gar bedeutungsvoll in das Thal herab. Unweit des Falles erweitert sich das Thal wieder; grüne, reichbewässerte Wiesen mit weidenden Rindern und Ziegen breiten sich im Grunde aus, und rechts steht an dem Eingang einer Thalschlucht eine ärmliche Gebirgswohnung, blos aus rohem Gebälk zusammengefügt. Immer tiefer zog sich der breite, bequeme Weg ins Gebirg, immer höher aufsteigend, und je weiter ich eindrang in die wundersame Bergwelt mit ihren ahnungsvollen Schauern, desto mehr zog sie mich an und ich

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band . Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)