Seite:Badisches Sagenbuch II 150.jpg

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Blick wieder auf die weiße Henne fiel, welche sie trug. Auf seine Frage, was es damit für eine Bewandtniß habe, erzählte sie, was wir bereits wissen.

Der Windecker hörte ihr aufmerksam zu. Seine Blicke wurden immer forschender und steigerten nur die Verwirrung der Jungfrau, so daß ihrer Worte Faden selbst in Verwicklung gerieth. Ihr Bruder lächelte und wollte einhelfen: „Ei, Imma, so sagte ja die alte Frau nicht!“

Imma’s Antlitz erglühte bei dieser Rede, wie mit Flammen übergossen, doch der Ritter faßte ihre Hand und sprach mit einem Tone des innigsten Gefühls: „Edle Jungfrau, in Gottes Geleite seyd ihr hierher gekommen und im Schutze meines Armes sollt ihr auf Burg Windeck weilen, so lang es euch nicht gelüstet, wieder heimzukehren. Doch kommt nun, meine Lieben, und bereitet euerm Oheim eine freudige Ueberraschung!“

Mit diesen Worten geleitete der Junker die Geschwister auf seine Burg, wo er sie sogleich zum Dechant führte, sodann unverzüglich die Vertheidigungsanstalten traf. Der Weisung des Waldweibleins zufolge trug er wirklich die Henne, sobald die ersten Sternlein am Himmel blinkten, zu dem steinernen Kreuze, welches die Ruhestätte seines im Zweikampf gefallenen Großvaters bezeichnete. Mit dem Schlage der Mitternachtstunde begab er sich abermals dahin und fand, zu seiner höchlichen Ueberraschung, einen tiefen und breiten Graben sammt fester Brustwehr, und im Sternenschein leuchtete ihm das Schwert seines Großvaters entgegen, welches man dessen Leiche mit ins Grab gegeben hatte. Die weiße Henne war verschwunden.

Als gegen Morgen die Straßburger in drei Haufen, wie die Alte vorausgesagt, zu jener sonst so schwachen Seite her anrückten und sich zum Sturm rüsteten, scheiterten all’ ihre Kräfte an der Tiefe des Hennegrabens und sie wurden von den Windeckern mit großem Verluste zurückgeschlagen.

Einige Wochen darauf legte der würdige Dechant, dessen Freilassung Imma durch Schenkung ihres Herzens an den jungen Ritter von Windeck ausgewirkt hatte, im Straßburger Münster die Hände des liebenden Pärchens ineinander.

Der Hennegraben hat bis auf heutigen Tag den Namen beibehalten.

Aloys Schreiber.
Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)