Seite:Badisches Sagenbuch II 170.jpg

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und Gesellen hervorgingen, denen wir so manche herrliche Bauten unserer Städte verdanken. Und was ist wahrscheinlicher, als daß der Sohn eines der Steinbachischen Steinmetzen unser Erwin sey? Noch vor Kurzem kannte man nichts als dessen Namen, aber weder die Geburts- und Grabesstätte, noch auch den geringsten Lebensumstand Meister Erwin’s. Dank sey also den edlen Bemühungen, die uns über den Helden der teutschen Baukunst das erste Licht gegeben. Besonders ist hier zu nennen Dr. Heinr. Schreiber, durch seine Abhandlung über den Straßburger Münster und Meister Erwin.

Vergleiche auch Göthe’s Jugendaufsatz über diesen Gegenstand.


Im sogenannten Frauenhaus zu Straßburg liegen noch die Plane des Münsterthurmbaues auf Pergament, wovon einer als das Original von Erwin’s eigener Hand bezeichnet wird.

Man kann annehmen, daß der junge Erwin von seinem Vaterorte nach Freiburg gezogen, wo sich damals eine der bedeutendsten Bauhütten des Landes befand. Die Herzoge von Zähringen hatten den dortigen Münsterbau begonnen; die Grafen von Urach, ihre Erben, vereint mit dem Adel, mit der Geistlichkeit und Bürgerschaft der freudig aufblühenden Stadt, vollendeten ihn. Als Erwin erschien, mochte der Thurm schon begonnen seyn, und somit half er ein Werk ausführen, welches von allen Thurmbauten des teutschen Mittelalters anerkannt das gelungenste ist. Den Meister desselben kennt man leider nicht mehr; wir wollen ihn aber in seinem Schüler verehren, denn gewiß war Erwin sein Liebling und sein Stolz.

Als Meister Erwin nach Straßburg kam, wurde der Bau des Münsters bald wieder lebhaft betrieben. Alles trug zu dessen einstiger Vollendung bei, und Bauherr und Baumeister entwickelten die erfreulichste Thätigkeit.

Nachdem der alte Querbau ergänzt und das Langhaus aufgeführt war, ward endlich am St. Urbanstage des Jahres 1277 der Grundstein zum Thurmbau gelegt. (Wie folgende alte Inschrift bezeugt: „Anno Domini MCCLXXVII in die beati Urbani hoc gloriosum opus inchoavit Magister Erwinus de Steinbach.“) – Und nun arbeitete Erwin mit seinen Gesellen und Lehrlingen, mit seinem fleißigen Sohne Johannes und seiner kunstsinnigen Tochter Sabina, in unermüdlichem Eifer an dem heiligen Bau, welcher seinen Namen auf die fernste Nachwelt bringen sollte. Man hatte ihm auch das Amt des Hüttenherrn übertragen und somit stand er, neben dem Bischof, an der Spitze des ganzen dortigen Bauwesens.

Leider ward es aber dem ehrwürdigen Meister nicht vergönnt, sein Werk zur Vollendung zu bringen. Erwin starb 1308 als hochbetagter Greis, vierzig Jahre nach jener Grundsteinlegung. (Wie die Inschrift seines Grabsteines meldet, den man bei der St. Johanniskapelle im Münster entdeckt hat. Sie lautet ganz einfach: „Anno Domini MCCCVIII.

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_170.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)