Seite:Badisches Sagenbuch II 422.jpg

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entwand er ihm den goldnen Becher und leerte ihn selbst auf einen Zug. Kaum war dies geschehen, als ihn das Knäblein bei der Hand faßte und mit ihm in den See hinuntersprang. Umsonst war der Jammer des trostlosen Vaters. Das Pärchen kam nimmer zum Vorschein, verzweifelnd stürzte auch er sich in die Fluthen. –

Der See ist längst ausgetrocknet, aber auf dem Moorboden, den er zurückgelassen, sieht man oft in stiller Nacht helle Flämmchen auf und nieder schweben und hört mit Geisterstimmen die Worte singen:

Das Wasser ist fast ganz alle,
Bald werden erlöst wir seyn,
Und gehn in die himmliche Halle
Zum lieben Vater ein.

Nach Aloys Schreiber.


Die See-Nonnen von Tiefenau.

Die tiefe Au, so weit ihr schaut,
War sonst ein See, draus kläglich laut
Oft Nonnensang erklungen;
Hier stand voll Lust und Ueppigkeit

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Ein Frauenkloster in alter Zeit,

Längst hat es die Erde verschlungen.

Hell glitzerte die Winternacht,
Es blies der eisige Wind mit Macht,
Da pochts an der Klosterpforte:

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Um Einlaß fleht und Nachtquartier

Ein alter Pilgersmann allhier
Mit fromm bescheidenem Worte.

Vergebens; weh! die Pförtnerin
Von dannen wies mit hartem Sinn

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Den frosterstarrten Armen;

Die Frauen drinn bei leckerm Mahl,
Die dicke Priorin zumal,
Sie fühlten ja kein Erbarmen.

Empfohlene Zitierweise:
August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_422.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)