Seite:Badisches Sagenbuch II 573.jpg

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den jungen Pilgerknaben mit sich nach Jerusalem, wo er ihn bei den Tempelherren unterbrachte. Diese behielten ihn ein ganzes Jahr bei sich, bis sie endlich in einem Landsmann einen Begleiter für ihn fanden, der ihn nach Köln zurückbrachte. Obwohl nun der Heimath so nahe, war Hildegunde doch in Köln ganz fremd. Sie behielt ihre Kleidung und den Namen Joseph bei, und trat, hülflos wie sie war, bei einem Kanonikus in Dienste. Geschäfte riefen diesen bald darauf nach Rom. Er machte die Reise zu Pferde, und Hildegunde-Joseph, als sein Diener, mußte ihm zu Fuße folgen. Da gesellte sich auf freiem Felde einst ein Mann zu ihm, der einen Sack auf seinem Rücken trug. Sie waren schon eine gute Strecke miteinander gegangen, als ihnen einige Männer eilig nachfolgten: „Willst du nicht so gut seyn,“ – sprach da sein Gefährte zu ihm – „meinen Sack eine Strecke zu tragen? Dort im Walde will ich mir nur einen Reisestecken schneiden. Geh indessen nur langsam voran, ich hole dich bald wieder ein.“

Nichts Arges ahnend, nahm ihm der gutmüthige Joseph den Sack ab, hängte ihn auf seinen Rücken und schritt damit langsam weiter, während sein Gefährte schnell nach dem nahen Walde seitwärts eilte und in dem Dickicht desselben verschwand.

Die nacheilenden Männer waren inzwischen näher und näher gekommen und Joseph hörte sie nun deutlich rufen: „Haltet den Dieb!“ – Bei diesem Rufe sah er sich um, den Dieb mit den Augen suchend, der da gehalten werden sollte. Da er aber Niemanden erblickte, hielt er das Ganze für einen Scherz und schritt unbesorgt weiter. Jetzt hatten ihn aber die Männer eingeholt und fielen mit Ungestüm über ihn her, entrissen ihm den Sack und führten den Armen unter Schlägen und wilden Drohreden in das nächste Städtchen.

„Warum mißhandelt ihr mich also?“ – fragte Joseph. – „Wie? du fragst noch?“ – versetzten die Männer – „Hast du doch deinen Ankläger, den Sack mit dem gestohlenen Gute, selbst auf dem Rücken getragen! Du mußt hängen!“ – Unter diesen und ähnlichen Vorwürfen ward der Knabe vor den Ortsrichter gebracht. Hier sprach er: „Ich bin unschuldig! Ich erkenne nun aber, daß man mich für schuldig halten muß. Denn der Schuldige hat sich indessen gerettet und dafür mich mit diesem

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August Schnezler (Hrsg.): Badisches Sagen-Buch 2. Band. Kreuzbauer und Kasper, Karlsruhe 1846, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Badisches_Sagenbuch_II_573.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)