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Mittagsstunde war gekommen, und ich hielt bei Fischern Rast. Diese Leutchen, mehrere Familien, wohnten noch nach uralter Sitte in einem Raume gemütlich beisammen. Auch ihre Sinnesart war eine sehr ursprüngliche. Ein derber Witz, nach unseren Begriffen eine Zote, wurde von Mann und Frau unter herzlichem Lachen wiedererzählt. Dabei waren es durchaus gutmütige Menschen, die von ihrem Pastor in Angern voll Liebe sprachen. Hinter diesem Dorfe bildeten Fichtenwald auf den Dünen, Rasen, Distelgestrüpp und Steine am Ufer lange die Physiognomie des Strandes.

C. Als ich hinter Ahbraggen um einen bewaldeten Strandvorsprung bog, lag jenseit eines aus dem Walde kommenden Baches, in dessen Nähe Holzstapel zu sehen waren, Angern mit seinen Fischergehöften und seiner hochgelegenen Kirche, deren schwarzer Turm einem gleich in die Augen fiel, vor mir. Hinter dem Orte zog sich das Ufer bis zum Raggen­dorfe (Raggaziem) hin, wo der Rigasche Strand schon nahe war. In der Ferne erhoben sich über dem Uferwalde größere Höhenzüge: die Berge bei Tuckum, in deren Mitte der Hünings­berg besonders hoch emporragte. In Angern, 28 Werst von Uppesgrihwe, fand ich bei meinem Kommilitonen W. Aufnahme. — 13. Juli. Zur Pfarre des in Angern woh­nenden lutherischen Predigers gehören 3 Gemeinden: Angern, Markgrafen und Selgerben. Zur Hälfte sind seine 5000 Ge­meindeglieder Fischer, die sehr ärmlich leben, zur Hälfte Land­bauern. Im Garten des ansehnlichen Pastorates stand eine Reihe mächtiger, alter Linden. Eine von diesen zählte gewiß 1000 Jahre, da sich unter ihrem Laubdache ein ganzes Regiment Soldaten hätte lagern können. Eine andere Linde war in historischer Hinsicht bemerkenswert. Als im Jahre 1810 die Gemahlin Alexanders I. des Gesegneten, Elisabeth, in Plonen, 8 Werst von hier, badete, geruhte sie an einem freundlichen Sommernachmittage (den 15. August) nach Angern herüberzu­kommen

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Edgar Baumann: Im Gottesländchen. In Kommission bei Kluge und Ströhm [et al.], Reval [et al.] 1904, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:BaumannImGottesl%C3%A4ndchen.pdf/70&oldid=- (Version vom 12.12.2020)