Seite:Beschreibung des Oberamts Kuenzelsau I 056.jpg

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badische Gebiet von einander getrennt, beide vielfach einander ähnlich, aber doch im nordöstlichen Theile reicher gegliedert, ansprechender, wohlhabender.

Den Gesammteindruck beherrschen die Thäler der beiden Schwesterflüsse Jagst und Kocher. Wie in ihrem ganzen Lauf, so treiben sie auch im Bezirk ihr neckisches Spiel mit einander, bald sich fliehend, bald einander sich nähernd, als könnten sie sich nicht lassen, und beide unter demselben Längengrade ihre südnördliche Richtung in die ostwestliche unverhofft umbiegend. So überraschend aber die Ähnlichkeit beider Thäler für den oberflächlichen Blick ist, so klar tritt doch dem Eingeweihteren der Unterschied beider entgegen. Beide Flüsse haben sich ihr Bett tief eingegraben und mühsam in alten Seebeckenbildungen ihren Weg dem harten Gestein abgerungen. Bald steigt das eine bald das andere Ufer als steile Wand aus dem Fluß empor. Kaum ein Baum oder Busch kann an dem nackten Felsgestein wurzeln. In beiden Thälern kennt man den eigenthümlichen Begriff des „Klebs,“ jener steilen, bald nackten, bald beholzten, aber feuchten kühlen Felswände, von denen das hart an den Bezirk stoßende badische Klepsau seinen Namen hat, das unter einem solchen Kleb in lieblicher Aue liegt. In beiden Thälern ist das linke Ufer meist schroffer, winterlicher und bewaldeter als das rechte.

Das Kocherthal ist reicher an Wasser, tiefer eingeschnitten und größtentheils enger als das Jagstthal, darum auch mehr geschützt gegen die kalten Winde. Seine Temperatur ist höher, die Vegetation früher und frischer. Wenn im Jagstthal der Schlitten noch geht, ist im Kocherthal kaum noch eine Spur von Schnee. Dagegen leidet das Kocherthal mehr unter jähem Witterungswechsel und verheerendem Hagelschlag. Hier ist größeres Leben in näher an einander gereihten, größeren Orten. Darum sind auch die Thalwände, welche saure Arbeit fordern, fleißiger angebaut als im Jagstthal, wo besonderes unterhalb Krautheim viele kahle Stellen und zahlreiche Steinriegel. Der Hirte mit seinen Schafheerden spielt im untern Jagstthal eine größere Rolle als im Kocherthale. Besonders scharf tritt der Unterschied beider Thäler unterhalb ihrer Biegungsstelle hervor. Während das Kocherthal bei Ingelfingen und Criesbach dem mittleren Neckarthal bei Eßlingen ähnelt und seine Rebengelände die ganze Sommerseite der Berge bedecken, hat das Jagstthal eine flacher geneigte niedrigere Sommerseite mit weit geringerem Anbaue.

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Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 056. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)