Seite:Bousset-S046.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Aber wir haben hier nicht über das vierte Evangelium zu urteilen, sondern nur den Nachweis zu führen, daß die Entstehung des gesamten johanneischen Schriftenkreises verständlich bleibt, auch wenn wir annehmen, daß es nur einen kleinasiatischen Johannes gab, der mit dem Presbyter Johannes des Papias, aber nicht mit dem Apostel und Zebedaiden identisch war; und daß die Gestalt des kleinasiatischen Johannes eine in sich mögliche und verständliche ist.

In späterer Zeit, und zwar sehr bald nach dem Abschluß des johanneischen Schriftenkreises, ist dann die Verwechselung des kleinasiatischen Johannes mit dem Apostel Johannes aufgekommen und sehr bald durchgedrungen. Wie man den Evangelisten Philippus sehr frühzeitig mit dem Apostel Philippus[1] verwechselte, so hält bereits Justin, Dial. c. Tryph. 81, den Apokalyptiker für den Apostel Johannes. Ebenso ist Irenäus davon als von etwas Selbstverständlichem überzeugt, daß der kleinasiatische Johannes der Apostel und Zebedaide sei. (Vor allem beweisend sind die Stellen I 9,2.3; [II 22,5] III 3,4). Aber es bleibt ein Irrtum, der auch bei einem Irenäus psychologisch verständlich ist. Denn auch er ist nur in seiner frühesten Jugend mit dem Schüler jenes Johannes Polykarp in Berührung getreten. Und Spuren der richtigen Erkenntnis haben sich hier und da erhalten. Denn es ist nach allem Gesagten doch wohl kein Zufall, daß Polykrates in seinem Brief an Victor von Rom (Euseb. V 24,2ff.) da, wo er die Autoritäten Kleinasiens mit ihren Ehrentiteln aufzählt, an erster Stelle den Apostel Philippus nennt, an zweiter Stelle erst den Johannes, den er deutlich als den Evangelisten charakterisiert und den er nicht ἀπόστολος, sondern μάρτυς und διδάσκαλος nennt, endlich an dritter Stelle die Bischöfe und Märtyrer Polykarp, Thraseus, Sagaris etc.[2] Im Kanon Muratori wird in den bekannten Ausführungen über das vierte Evangelium Andreas, auf dessen Offenbarung hin Johannes das Evangelium geschrieben haben soll, ausdrücklich als ex apostolis bezeichnet, während Johannes ebenso ausdrücklich als ex discipulis eingeführt wird. Selbst, daß Irenäus den Johannes, wenigstens wo er ihn namentlich einführt, immer als μαθητής bezeichnet, nicht als ἀπόστολος, erscheint in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Das einfache Beiwort μαθητής haftete einmal an der Person des kleinasiatischen Johannes, auch nachdem er bereits zum Apostel geworden war.

VI. Möglicher Weise erklären sich von hier aus auch die mannigfaltigen


  1. Vgl. die ausdrückliche Angabe des Polykrates b. Euseb III 31,3; V 24,2; Clemens von Alexandria, Stromat. III 39,5-7; Eusebius III 39,5-7. Demnach kann kein Zweifel daran sein, daß Philippus von Hierapolis mit seinen Töchtern identisch ist, mit dem Evangelisten Philippus, den die Apg. wiederum nebst seinen (weissagenden) Töchtern 21,8 erwähnt. Irenäus nennt einen Presbyter, den er zunächst als einen Schüler der Schüler der Apostel einführt IV 27,1 [42,2], bald nachher einen direkten Schüler der Apostel IV 32,1 [49,1] und verwechselt den Herrenbruder Jakobus, (Apg 15,13) mit dem Zebedaiden III 12,15 [18], vgl. Schmiedel, Encyclopaedia Biblica 2511. (Art. John.)
  2. Auf die Überlieferung des Polykrates, daß Johannes Priester gewesen sei, will ich keinen allzugroßen Wert mehr legen, obwohl die Notiz zu Kombinationen lockt. Vgl. Joh 18,15 (γνωστὸς τῷ ἀρχιερεῖ).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 046. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S046.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)