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um eine schroffe Verwerfung derselben aus der andern gehandelt haben. Die Bileamiten oder Nicolaiten, wie man sie nannte, waren weltförmige Heidenchristen und nichts weiter. Nur ein Ausdruck scheint darüber hinauszuführen, das Schlagwort: γνῶναι τὰ βάθη τοῦ σατανᾶ. Aber es mag das immerhin ein ganz praktisch gemeintes Wort gewesen sein, mit dem man seinen Verkehr mit der heidnischen Gesellschaft und das weltförmige Wesen zu rechtfertigen suchte[1]. Diese Irrlehrer scheinen auch Leute, die sich Apostel nannten, also wohl herumziehende Wanderprediger, Winkellehrer (nach Art der gewerbsmäßigen Sophisten) in ihrer Mitte gehabt zu haben, in Thyatira war ihre Führerin sogar eine Prophetin, und hier scheint ihre Sekte schon einen lasciveren und gefährlicheren Charakter angenommen zu haben, wenn den Schilderungen des Apokalyptikers ganz zu trauen ist. Die Häresie tritt übrigens ebenfalls epidemisch auf. In Thyatira und Pergamon scheinen die Häretiker ihr Wesen noch innerhalb der Gemeinde getrieben und großen Einfluß erlangt zu haben, in Ephesus sind sie bereits ausgeschieden. Es scheint ferner, als wenn in Sardes diese Richtung, obwohl sie nicht genannt wird, großen Einfluß errungen hat. — Eine genaue Zeitbestimmung ergeben diese Erwägungen nun noch weniger, als die vorhergehenden. Sie bestimmen uns eher, die Briefe in früherer Zeit, als allzuspät anzusetzen. Von den uns in der Geschichte bekannten Häresien fehlt jede Spur. Die Ignatianen zeigen hier bereits einen Fortschritt. Dennoch bleibt uns auch nach diesen Beobachtungen immerhin der Zeitraum etwa des ersten Jahrhunderts für den Zeitansatz der Briefe.

Der Zustand in den Gemeinden ist kein besonders glänzender: Ephesus hat seine erste Liebe vergessen, Sardes hat den Namen, daß es lebt, und ist tot, in Thyatira hat die Prophetin „Isabel“ verwüstend gewirkt, in Laodicea ist ein laues, weltförmiges, heuchlerisch-selbstgewisses Christentum, nur Smyrna und Philadelphia finden unbedingte Anerkennung. Man muß dabei immer beachten, daß es sich bei diesen Beobachtungen nicht um ganz vereinzelte Fälle handelt. Zu nahe an die apostolische Zeit werden wir die Briefe nicht heranrücken dürfen.

3) Der Verfasser der Sendschreiben war ein Christ jüdischer Abstammung. Für ihn ist der Judenname ein Ehrenname, er spricht den Juden, welche die Christen verfolgen, 2,9; 3,9, diesen ab und nennt sie Satanssynagoge. Er hofft zugleich auf eine Bekehrung des Ungläubigen Israels. Wenn auch die immer wiederkehrende Polemik gegen εἰδωλόθυτα φαγεῖν und πορνεύειν nicht judenchristlich zu sein braucht, so ist doch die prinzipielle Rückbeziehung auf den Beschluß des Apostelkonzils bemerkenswert (2,24). In souveräner Weise handhabt er die Bildersprache des alten Testaments, so daß in seiner Behandlung wieder neue Gebilde entstehen. So sind in der Menschensohnvision wenig Züge, die sich nicht in den Visionen des Daniel (7 u. 10), Ezechiel 1ff.


  1. Die Irrlehrer, die im II Pt und Jud-Brief geschildert werden, stehen doch schon, obwohl sich manche Berührungspunkte zeigen, auf einem fortgeschritteneren Standpunkte. Bei ihnen zeigen sich entschieden spekulative Elemente.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S238.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)