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beachtenden Gegensatz zum Lamm, 5,6. Es ist demgemäß auch das ὡς ἐσφαγμένην genau so zu verstehen wie dort, wo das Lamm „gleichsam getötet“ genannt wird. Beide Male muß sich der Ausdruck demgemäß auf einen wirklichen gewaltsamen Tod beziehen. Aber wie das Lamm in Wirklichkeit nicht tot ist, sondern in himmlischer Herrlichkeit weiter lebt, so muß es auch mit dem Tode des Tieres eine besondre Bewandtnis haben. καὶ ἡ πληγὴ τοῦ θανάτου αὐτοῦ ἐθεραπεύθη. Hier löst sich das Rätsel, weshalb das Haupt ὡς ἐσφαγμένην genannt wurde. Die „Todeswunde“ des Hauptes wurde nämlich in irgend einer wunderbaren Weise wieder geheilt. Man beachte, wie schon hier durch das αὐτοῦ das eine Haupt und sein Geschick mit dem des Tieres identifiziert wird. Das vorliegende Symbol kann nun eigentlich nur auf zwei der römischen Cäsaren gedeutet werden, auf Cäsar oder auf Nero, denn nur diese können als durch Schwertesschlag (πληγή, vgl. V. 14) hingemordet bezeichnet werden. Für Cäsar haben sich noch neuerdings wieder Bruston zu wiederholten Malen[1] und Gunkel, Schöpfung und Chaos 355, ausgesprochen. Aber bei dieser Annahme erklärt sich das „ὡς“ ἐσφαγμένη nicht. Auch sieht man nicht ein, wie die Ermordung Cäsars den Apok. noch am Ende des ersten Jahrhunderts so hätte interessieren können, daß er den charakteristischsten Zug in seiner Zeichnung des Tieres dieser Tatsache entlehnte. Daher ist an der Auslegung der großen Mehrzahl der modernen Ausleger[2] festzuhalten und die Beziehung auf Nero hier anzuerkennen. Und zwar muß dann die Weissagung, daß der Todesschlag wieder geheilt wurde, notwendig auf die Volkserwartung vom Nero redivivus bezogen werden. Genaueres über die Nerosage wird zu Kap. 17 beigebracht werden (s. dort auch die Auseinandersetzung mit Zahn). Hier sei nur vorläufig erwähnt, daß die Sage vom wiederkehrenden Nero in drei Gestalten vorliegt: 1) Sofort nach dem Tode Neros entstand das Gerücht, daß er nicht gestorben sei, sondern sich nur verborgen halte. 2) Bald nachher läßt sich der Glaube nachweisen, daß Nero sich bei den Parthern verborgen halte und mit diesen im Bunde wiederkehren werde. 3) Danach, etwa nach einem Menschenalter, entsteht die Sage, daß Nero gestorben sei, aber aus der Unterwelt wiederkehren werde (Genaueres s. u.). Nun liegt hier die Sage offenbar schon in der dritten Gestalt vor. Nur darauf kann das Symbol von der Heilung der Todeswunde gedeutet werden. Nur so wird das eine Haupt zu einem vollständigen


  1. G. retrovertiert ins Hebräische ואחד מראשית, was auch das erste seiner Häupter bedeuten kann. Über Bruston vgl. die Literaturangaben S. 113,2, und dazu noch Z. n. W. V. 258-261 „la tête égorgée et la chiffre 666“. Bruston V 259 verweist auf Zuschlag, der in seinem Kommentar über die Offenbarung Joh. nach de Wette³ 196 (vgl. de W.³ 25) bereits 1860 diese Anschauung ausgesprochen habe.
  2. Von den Alten hat diese Auslegung noch Victorin, dann wird sie bei den Protestanten durch Bibliander und Bullinger (teilweise), bei den Katholiken durch Juan Mariana wieder aufgenommen, von den neueren Gelehrten vertreten durch Eichhorn, Corrodi, Ew., Lücke, de W., Bleek, Vlkm., Hilgf., Renan, Hltzm., Vlt., Pfleid. u. a., auch von Erbes, Spitta, Schmidt, die dann durch Streichungen diese Beziehungen beseitigen. Dstd. sträubt sich gegen diese Deutung und bezieht die Todeswunde des römischen Reiches auf die Zeit des Interregnums, Weyl. 107 ganz verfehlt auf die Niederlage des Cestius Gallus im jüdischen Kriege.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S361.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)