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herausrechnen konnte. Außerdem wird ihm als Judenchristen, dem aus seiner jüdischen Vergangenheit die Kunst der Gematria vertraut war, die Anwendung des hebräischen Alphabets bei dieser Kunst zur zweiten Natur geworden sein. Übrigens müssen wir uns denken, daß seinen Lesern einigermaßen bekannt war, wen er mit dem Tiere und dem Menschen meine — besser als uns, die wir uns erst mühsam in die Zeitstimmung hineinversetzen müssen. Der Apok. traute also dem Scharfsinn seiner Leser nichts Unmögliches zu, wenn er ihnen nicht verriet, daß das Rätsel mit den Mitteln des hebräischen Alphabets zu lösen sei[1].

Zweitens erhebt sich die Frage, ob wir mit der Überlieferung der Zahl 666 oder mit der andern 616 zu rechnen haben. Hier kann aber m. E. kein Zweifel sein, daß die Zahl 666 durch die bekannten Ausführungen Irenäus V 30,1 vgl. V 28,2; 29 und seine Berufung auf die Presbyter (Papias) so sicher bezeugt ist, daß kein Widerspruch dagegen aufkommen kann. Auch wegen ihrer symbolischen Bedeutung wird wahrscheinlich gerade diese Zahl vom Apok gewählt sein.

Versuchen wir nun die Lösung des Rätsels nach dem hebräischen Alphabet, so scheint mir diejenige Lösung, die alle andern aus dem Felde schlägt, die nun seit langem bekannte[2] קסר נרוֹן zu sein. Die defektive Schreibung קסר kann schon deshalb keine Schwierigkeit machen, weil eben der Apok. gerade die Zahl 666 herausrechnen wollte[3]. Überdies gibt diese Lösung auch wahrscheinlich Aufschluß über die Variante 616. Denn diese erhielte ihre Erklärung durch die latinisierte Formקסר נרו, und es ist dann kein Zufall, daß diese Überlieferung gerade von abendländischen Zeugen vertreten wäre. Gerade diese Lösung aber würde dann auch ausgezeichnet in den Rahmen der Gesamtauffassung des Apok. hineinpassen. Die Vermutung, daß das wie zum Tode verwundete und wieder aufgelebte Haupt des Tieres Nero redivivus sei, die sich schon oben mit der größten Wahrscheinlichkeit herausstellte, erhielte hier das letzte Siegel ihrer Bestätigung. Überdies wird uns auch die Erklärung von Kap. 17 sowohl im Sinne der dort vorliegenden Quelle, als auch im Sinne des Apok. letzter Hand mit zwingender Gewalt auf Nero weisen. Die hier vorliegende Identifikation des Tieres und des Menschen, d. h. des römischen Imperiums mit Nero redivivus wird durch 13,3.12.14; 17,11 bestätigt, sie hat auch einen inneren Sinn: für den Apok. faßt Nero redivivus die ganze Furchtbarkeit des römischen Imperiums in sich zusammen.

Von sonstigen[4] hebräischen Deutungen ist Gunkels Lösung תהום קדמוניה


  1. Die Annahme der Lösungsmöglichkeit des Rätsels aus dem hebräischen Alphabet ist daher auch nicht von Gunkels Annahme einer ursprünglich hebräischen Abfassung des Kapitels abhängig.
  2. s. o. S. 105f. das über Fritzsche, Benary, Hitzig, Reuß Vermerkte.
  3. Vgl. Die Formen קֵיסָרים neben קְסָרִים bei Buxtorf, Lex. Rabbinicum; Ewald (s. o. S. 106) hält die Form für aramäisch.
  4. Überblicke über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten s. bei Wolf, curae philologicae; Heinrichs, Kommentar (s. o. S. 105), Exkurs IV de antichristo, Züllig II 233ff.; Dstd. 447ff.; Holtzmann 297. 303 u. ö.; Zahn, Einleitung II 624; meine Einleitung an verschiedenen Stellen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S373.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)