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Anschauung des Apk die, daß der Seher den Engel fälschlich für Gott oder Christus gehalten habe (s. u.). καὶ λέγει μοι· ὅρα μὴ· σύνδουλός σου εἰμὶ καὶ τῶν ἀδελφῶν σου τῶν ἐχόντων τὴν μαρτυρίαν Ἰησοῦ[1]. τῷ θεῷ προσκύνησον (S. 163). Ursprünglich wenigstens ist mit μαρτυρία Ἰησοῦ nur die christliche Offenbarung schlechthin gemeint. Der Engel will also nur Mitknecht der Propheten und der übrigen Gläubigen sein. Dieser Satz wird aber nun im folgenden tendenziös umgebogen. ἡ γὰρ μαρτυρία Ἰησοῦ ἐστιν τὸ πνεῦμα τῆς προφητείας. Das Zeugnis Jesu wird hier nachträglich bestimmt als der Geist der Prophetie. Die Brüder, die das Zeugnis Jesu in diesem Sinne haben, sind also entweder die Propheten, oder die Gläubigen, aber nur insofern sie im Besitz prophetischer Offenbarung sind. Das γάρ ist demgemäß nicht begründend, sondern erläuternd (nämlich). Der ganze Satz (beachte auch seine Stellung hinter τῷ θεῷ προσκύνησον) macht den Eindruck einer ungeschickt eingeschobenen Glosse[2].

Mehrere Gründe sprechen dafür, daß in V. 9-10 wieder ein fest überliefertes Stück vom Apok. eingesetzt ist. Zunächst deutet die plötzliche und unerwartete Einführung dieser Szene bereits darauf hin. Dann erklärt sich so am besten, daß zu derselben 22,8ff. eine vollkommene Doublette vorliegt. Eine Parallele findet sich überdies Himmelfahrt Jes 7,21: et cecidi in faciem meam, ut adorarem eum, et non dimisit me angelus, qui me instruebat, et dixit mihi: noli adorare angelum neque thronum istius coeli. — Es ist möglich, daß der Apok. das vorliegende Stück seiner Quelle, der er in Kap. 17. 18 folgt, entlehnt hat, da in dieser der offenbarende Engel eine so große Rolle spielt. Die Annahme würde sich noch mehr empfehlen, wenn sich herausstellen würde, daß auch das Gesicht vom himmlischen Jerusalem derselben Quelle entstammte. Denn dann würde sich erklären, weshalb der Apok. am Abschluß dieser Vision eine Doublette unsrer Erzählung bringt. — Jedenfalls verfolgte er — und schon sein Vorgänger — mit diesem Stück eine polemische Tendenz. Er polemisiert gegen jüdischen, resp. judenchristlichen Engelkultus. Spuren eines solchen Engelkultus liegen vor Kol 2,18f.23 (vgl. 2,8.15). Ausdrücklich wird den Juden Engelkult vorgeworfen im Kerygma Petri bei Clemens Alexandrinus Strom. VI 5,41, in der syrischen Rezension der Apologie des Aristides c. 14 (übers. v. Hennecke S. 24), von Celsus bei Origenes c. Cels. I 26 (V 6). Auch der Hebräerbrief wendet sich in den ersten Kapiteln sichtlich gegen die Gefahr übertriebener Engelverehrung. Dagegen sind die Verfasser von II Pt u. Jud. offenbar auf Seite der Engelverehrung und Gegner ihrer „Lästerer“. Vgl. Bousset Relig. d. Judent. 324f. Über Spuren vom Engelkult im späteren Judentum: W. Lueken Michael 6ff.

Der Apok. hat, wie schon gesagt, diese Szene zweimal in seiner Apk bearbeitet, das erste Mal hier und das zweite Mal 22,8ff. Zwischen


  1. APQ 1. 12. 14. 16. 36. 49. 79. 80. 81. 92. 95. 161 al.; d. übr. του Ιησου, s. o. S. 176.
  2. Er wird von fast allen Kritikern, selbst von Hilgf. Z.W.Th. 1890, 459 als Glosse beseitigt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S429.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)