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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

Der älteste Bruder aber, als die Hochzeit zu Ende war, zog wieder von da fort nach der Stadt, wo die Prinzessin wohnte, die er von dem Drachen erlöst hatte und kehrte wieder in dem Wirthshause ein, das dem Schlosse gegenüber lag. Es war aber zu der Zeit gerade ein Jahr vergangen, seit er von hier fort war. Sprach der Wirth: »Das heiß ich pünktlich sein; heute vor einem Jahre sah es hier traurig aus, heute aber ist Hochzeit drüben auf des Königs Schlosse, denn die Prinzessin heirathet den alten General, der den Drachen getödtet hat. Ein Jahr hatte sie sich ausbedungen und das ist heute herum.« »Glaubt Ihr denn wohl, Herr Wirth«, sprach der Junge, »daß mir mein Hund von dem Braten holt, der vor der königlichen Prinzessin auf dem Tische steht?« »Das kann nicht sein«, meinte der Wirth und verwettete eine große Summe, daß das nicht möglich wäre. Da hing der Junge dem Hunde die drei Reihen Perlen um, die ihm die Prinzessin gegeben, steckte ihm hinten in das Nackenhaar einen Zettel, worauf er schrieb: »Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben,« und schickte ihn hinüber in das Schloß. Obgleich ihn die Wache nicht durchlassen wollte und Halt! gebot, so kehrte sich der Hund doch nicht daran, sondern ging gerades Wegs in den Saal zu der Prinzessin, die mit dem ganzen Hofstaate bei Tafel saß und klopfte ihr mit der Pfote auf den Schooß. Da erkannte die Prinzessin den Hund an den drei Reihen Perlen, ging mit ihm in das Nebenzimmer und fand in seinem Nackenhaar den Zettel, worauf geschrieben stand: »Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben.« Nachdem die Prinzessin dem Hunde einen Korb mit Braten ins Maul gegeben, ließ sie der Schloßwache sagen, sie sollte den Hund nur frei passiren lassen. Der kam mit dem Braten auch getreulich zu seinem Herrn, und der Wirth mußte die Wette bezahlen.

Die Prinzessin, welche nun wohl sah, daß ihr Befreier angekommen war, bat ihren Vater, den König, daß er den Herrn, dem der Hund gehörte, holen lassen sollte. Da gab der König ihren Bitten nach, und ließ ihn in einer Kutsche mit vier Schimmeln auf das Schloß holen. Er setzte sich ganz bescheiden zu unterst an die Tafel, darauf lagen zur Schau die sieben Köpfe des Drachen, und es wurde von den Gästen viel von der Tapferkeit des alten Generals hin und her gesprochen. Da stand der Junge ganz gelassen auf, sah den Drachenköpfen in den Schlund und fragte wie das wäre; ob die Drachen denn keine Zunge hätten? »Nein!« sprach schnell der alte General, »Drachen haben keine Zungen.« »Das haben sie doch!« sprach der Junge, »und wer den Drachen getödtet hat, der muß auch wissen, wo die Zungen geblieben sind.« Damit band er sein seidenes Tuch auf, nahm die sieben Drachenzungen heraus und zeigte sie den Gästen, und als er sie den Drachenköpfen in den Schlund hielt, so paßten sie ganz genau. Als der alte General das sah, wollte er flüchten, aber der König ließ ihn von der Wache festnehmen und sah nun wohl, wer der rechte Drachentödter gewesen war; darnach

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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_073.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)