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„„Das Wasser,““ sprach ich, „„sammt des Waldes Klängen,[1]

Sie müssen das, worauf ich kaum getraut,
Da sie ihm widersprechen, hart bedrängen.““

88
Drum Sie: „Vom Grunde deß, was du geschaut,

Und was gehört, sei Kunde dir beschieden;
Sie scheucht den Nebel, welcher dich umgraut.

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Das höchste Gut, allein in sich zufrieden,[2]

Den Menschen schuf’s zum Guten gut, und wies
Dies Land ihm an, als Pfand für ew’gen Frieden,

94
Aus welchem bald ihn seine Schuld verstieß,

Die Schuld, die süßes Spiel ihn mit Beschwerden,
Mit Zähren Lust und Lachen tauschen ließ.

97
Damit, entqualmt dem Wasser und der Erden,[3]

  1. 85. Statius hat den Dichter oben im einundzwanzigsten Gesange belehrt, daß hinter der Pforte des Fegefeuers keine zufällige Veränderung der Witterung, folglich auch kein Regen weiter zu spüren sei. Dieser Bach, welcher durch Regen genährt sein muß, und das Getön der Luft im Walde scheint aber dem zu wiedersprechen und an die irdische Natur zu erinnern, daher sich Dante Erläuterung erbittet.
  2. [91–123. Diese Erläuterung wird nun gegeben, indem die Natur des verlorenen Paradieses beschrieben ist, wie sie, von jeder Störung, welche die sündige Erde betroffen, frei, hier oben auf dem Fegefeuerberge noch besteht (V. 97–102), keine Stürme noch Dünste kennt (103–108), Pflanzen ohne Samen, Wasser, ohne Regen und Quellen erzeugt (109–128) und auf wunderbare Weise manchmal auch noch auf das „andre Land“, die Erde hinab wirkt, da wo wir lebende Wesen ohne Samen (heute „generatio aequivoca“) entstehen sehen V. 112–114. – Das heißt zugleich im symbolischen Sinn: Im paradiesischen Urstand war nicht finstere Naturmacht, sondern der reine Wille Gottes, in dem alles zum Guten geschaffen war, die unerschöpflich reiche Triebkraft im Menschen, der unsichtbare Samen des Guten. Dieser ungestörte Friedensstand besteht allein noch auf dem Fegefeuerberg, d. h. wird nur durch die Rechtfertigung etc. wieder völlig erlangt. Aber was auch sonst auf Erden an einzelnen, besonders herrlichen und gleichsam unerklärlichen, sittlichen Erscheinungen hervortritt, das ist ein Nachklang jener unmittelbaren Einwirkung Gottes, ein Sämlein aus dem Paradies, eine Verheißung der Wiedererlangung jener Ureinheit mit dem göttlichen Willen. – Ein tiefsinniger und tiefwahrer Gedanke.]
  3. 97. Es ist bereits oben erwähnt worden, daß, nach des Dichters Naturlehre, Stürme nur durch die Entwickelung der Dünste entstehen; und daß die Dünste, von der Sonne bis an die kalte Region emporgezogen, in dieser aber zu Regen verdichtet und als solcher der Erde zur Nahrung der Quellen und Flüsse zurückgegeben werden.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_358.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)