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100
Und Sie, die mich entflammt, die Königin

Des Himmels, läßt uns ihre Gnade frommen,
Weil ich ihr vielgetreuer Bernhard bin.“[1]

103
Wie der, der von Croatien hergekommen,

Um unser Schweißtuch zu betrachten, nicht[2]
Satt wird, zu sehn, wovon er längst vernommen,

106
Und, wenn man’s zeigt, zu sich im Innern spricht:

Herr Jesus Christus, wahrer Gott, hienieden
So also war geformt dein Angesicht? –

109
So ich, als mir der Anblick ward beschieden

Der Liebe dessen, der in dieser Welt,
Betrachtend, schon gekostet jenen Frieden.[3]

112
Er sprach: „Was Schönes dieses Reich enthält,

Wird, Sohn der Gnade, sich dir nimmer zeigen,
Wenn sich dein Blick nur tief am Grunde hält.

115
Doch laß den Blick von Kreis zu Kreise steigen,

Bis daß er sich zur Königin erhöht,
Vor der sich fromm des Himmels Bürger neigen.“

118
Aufschaut’ ich, und, wie, wenn die Früh ersteht,[4]

  1. [102. Die Wahl des heil. Bernhard erklärt sich durch sich selbst. Geb. um 1090, gest. 1153, Abt von Clairvaux, war er eine, an Einfluß und Bedeutung, Geistesmacht und Herzensreinheit, fast jede andre kirchliche Größe des Mittelalters überragende Erscheinung – ein Mann nach dem Herzen Gottes, ein wahrhafter Mystiker (V. 110. 111) in Lehre und Leben, wie Wenige nach ihm. – Nächstdem deuten allerdings die Worte „ihr vielgetreuer Bernhard“ noch auf ein weiteres, besonderes Motiv der Erwählung des heil. Bernhard’s für diese letzten Gesänge, nämlich seine Stellung zur Maria. Wie dies aber aufzufassen, hierüber vgl. zu Ges. 33, 43.]
  2. [104. Im Text: unsre Veronica, d. h. die Reliquie des Schweißtuches, das eine Frau dem Herrn auf dem letzten Weg reichte und worin sich das Bild (vera ikon) seines Antlitzes abgedrückt fand, woher die Frau den Namen Veronica erstmals erhielt. – Mit „unser“ ist wohl das in Rom aufbewahrte als das ächte gemeint und bezeichnet, da verschiedene Orte solche besitzen wollten.]
  3. [111. – nämlich im geistlichen Vorschmack, während er hier wesentlich schaut. 1. Cor. 13, 12.]
  4. [118–129. In der Mitte der obersten Reihe, „des obersten Randes“, der Rose ist eine, Alles ringsum überstrahlende Glanzstelle, V. 122 ff. Aber in dieser ist wieder mitten inne ein allerhellster Punkt, gegen den auch jene lichte Umgebung matter erscheint, V. 128. 129. Dies ist Maria. Aber nicht mit der Sonne inmitten des Himmels wird dieser helle Punkt, Maria, verglichen, was wohl zu bemerken, [599] sondern nur „mit der Röthe des Osts, wo die Sonne heraufsteigen soll“ V. 124 ff. Christus, die Gottheit selbst, ist die Sonne; Maria also blos ihr, sie voraus verkündender, Abglanz! cf. zu 33, 43.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_598.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)