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In Seiner Tiefe sah im Drei-Verein

Die Ding’ ich, die im Weltall sich entfalten,
Und Liebe faßt’ in diesen Bund sie ein.

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Wesen und Zufall, ihre Weis’, ihr Walten

– Wie dies verschmolz in eines Lichtes Glanz:
Nur Stammeln kann davon mein Lied enthalten.

91
Die Form, die allgemeine, dieses Bands,

Ich sah sie, glaub’ ich, weil mich, deß zum Zeichen,[1]
Noch beim Erzählen Wonn’ erfüllt ganz.

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Mehr macht mein Bild ein Augenblick erbleichen,

Als drittehalb Jahrtausende die Fahrt
Der Argo nach Neptunus fernsten Reichen.

97
Scharf, unbeweglich schaut’ in solcher Art

Die Seele nach dem göttlichen Gesichte,
Drob sie stets mehr im Schau’n entzündet ward.

100
Und also wird man dort bei jenem Lichte,[2]

Daß es nicht sein kann, daß man, abgewandt
Von ihm, je anderwärts die Augen richte,

103
Weil es das Gut, des Wollens Gegenstand,

Ganz in sich faßt, und außerhalb voll Schwächen
Das ist, was man in ihm vollkommen fand. –

106
Kurz werd’ ich nun von dem Geschauten sprechen,

Und sprechend stell’ ich mich als Kindlein dar,
Dem noch Erinnerung und Wort gebrechen.

109
Nicht weil ein andrer jetzt, als einfach klar,[3]

  1. [92–96. Gemäß V. 58 ff. Aus der, ihn bei bloser Erinnerung und Erwähnung jener Gottesschau heute noch erfüllenden, „sein Inneres erweiternden“ Lust, schließt D., daß er jene Schau, die ihm doch schon wie eine altersgraue Begebenheit (Argonautenfahrt) fast entschwunden ist, doch wirklich gehabt habe.]
  2. [100–105, schon zu V. 67–106 erwähnt, bezeichnen vornehmlich die Unverlierbarkeit der vorliegenden, höchsten Seligkeitsstufe. Denn das Anschauen Gottes ist das bewußte Vollkommene und erfüllt die Seele mit allem Guten so, daß sie alles Andre für mangelhaft erkennt.]
  3. [109 ff. Die göttliche Dreieinigkeit enthüllt sich hier. Hierbei wird von der Einfachheit und Unveränderlichkeit Gottes ausgegangen, 109–111. In dieser allein hatte D. zuerst das [618] göttliche Wesen gesehen. Bei zunehmender Sehkraft sieht er dann erst die trinitarische Entfaltung. Hierauf (nicht auf sabellianische Ansicht) beziehen sich V. 112–114. Er sieht nun drei Kreise, – ohne Zweifel ineinander, d. h. hinter einander der Tiefe zu, – welche die drei Personen bedeuten und durch ihre verschiedene Farbe, aber gleichen Umfang, deren gleiche Göttlichkeit, aber persönliche Eigenthümlichkeit andeuten, 115–117. Zwei sind, der eine des anderen regenbogenartiger Wiederschein – Vater und Sohn. Der dritter, der Geist, entzündet sich gleichförmig an beiden, geht gleichmäßig vom Vater und Sohne aus (abendländisches Dogma), 118–120.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_617.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)