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Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.

100
So wachsen Büsch’ und Bäum’ in diesem Thal,

Und die Harpy’n, die sich vom Laube weiden,
Sie machen Qual, und Lust[WS 1] auch für die Qual.

103
Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden

Uns nie darein; denn was man selbst sich nahm,
Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.

106
Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,

Und jeder Leib wird an den Baum gehangen,
Den hier zur ew’gen Haft sein Geist bekam.“ –

109
Wir horchten auf den Stamm noch voll Verlangen,[1]

Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
Schrei’n und Getos zu unsern Ohren drangen,

112
Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,

Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
Mit Waldes-Rauschen, Schreien und Gebell. –

115
Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zerzauste,

Fortstürmen, wie vom Aeußersten bedroht,
Daß das Gezweig zertrümmert kracht’ und sauste.

118
Der Vordre schrie: „Zu Hilfe, komm’, o Tod!“

Dem Andern schien’s, daß es mehr Eile brauche;
Lan,“ rief er, „dort bei Toppo in der Noth[2]

121
Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche.“

Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
Macht’ er ein Knäul aus sich und einem Strauche.

124
[77] Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt,

Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
Wie Doggen, die man von der Kett’ entläßt!

127
Sie schlugen ihre Zähn’ in den Versteckten,

Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.

130
Mein Führer faßte bei der Hand mich an

Und führte mich zum Busche, der vergebens
Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.

133
Er sprach: „Was machtest du doch eitlen Strebens,[3]

O Jakob, meinen Busch zu deiner Hut?
Trag’ ich die Schulden deines Lasterlebens?“

136
Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,

Sprach: „Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
Hauchst du zugleich die Schmerzensred’ und Blut?“

139
Und Er: „Ihr Seelen, die ihr kommt, zu wissen,

Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen,

142
O sammelt’s an des traur’gen Stammes Fuß.

Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten[4]


  1. 109. In diesem Binnenkreise werden als Gewaltthätige gegen sich selbst auch diejenigen bestraft, die ihrem Gute Gewalt angethan (Ges. 11 V. 43, 44), die wüthenden Vergeuder ihrer Habe, besonders die Spieler, als Sünder anderer Art, geschieden von den lustigern Verschwendern, die wir oben Ges. 7 gefunden haben. Wenn diese nur in zwecklosen Bestrebungen sich bemühen, so werden jene von wüthenden Leidenschaften, wie von Hunden, gehetzt, und wir sehen sie in einem Zustande, der dem der unglücklichen Spieler an einer Pharaobank, die so eben ihr Letztes verloren, allerdings sehr wohl entspricht. Daß sie in der höchsten Noth sich noch höhnen, entspricht ebenfalls dem Charakter solcher Wüstlinge.
  2. 120. Lano von Siena, stürzte sich in einer Schlacht bei Toppo, obwohl er sich durch Flucht retten konnte, in die Feinde, um den Tod zu finden, und durch ihn dem Elende zu entgehen, in das er durch zügellose Verwüstung seines Vermögens sich gestürzt hatte. In der [77] Hölle ruft er den Tod vergeblich zu Hilfe, deshalb gehöhnt von seinem zügellosen Genossen Jacob, [einem andern Spieler, welcher sich V. 123 in dem Strauch eines Selbstmörders verbirgt, aus dem ihn die Hunde herausreißen, während dieser darüber zum Wort kommt und klagt V. 133 ff.]
  3. 133. Wer der hier sprechende Selbstmörder sei, ist nicht angegeben. Vielmehr war er für die Zeitgenossen hinreichend dadurch bezeichnet, daß Jacob sich in seinem Busche verbirgt, was wohl andeuten mag, daß dieser ihn zur Vergeudung seines Vermögens verleitet habe, und von seinem Selbstmorde alle Schuld trage, wie denn der Selbstmörder V. 135 den Vorwurf ablehnt, daß er nicht das Lasterleben Jacobs verschulde.
  4. 143. Der Sprechende gibt sich als Florentiner zu erkennen. Florenz nämlich soll, ehe das Christenthum eingeführt worden, unter dem Schutze des Mars gestanden haben, von welchem zu Dante’s Zeit noch ein rohes Bild an der Arnobrücke stand. Später wählte sie den Täufer Johannes zu ihrem Schutzpatron und prägte dessen Bild bald auf ihre Münzen. Die Stelle V. 144–159 bedeutet daher wohl: Florenz vertraut jetzt dem Golde, nicht der Tapferkeit, daher wird es im Kriege Unglück haben. Wäre nicht der Stadt ein Rest von Tapferkeit übrig gewesen, so würde der Wiederaufbau derselben nach der Zerstörung durch Attila, [vielmehr durch den Gothen Totila,] nicht möglich gewesen sein. Man vergleiche wegen Bezeichnung des Goldes durch Johannes Paradies Ges. 18 V. 133–136.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Luft
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 76 bzw. 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_076077.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)