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118
Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben!

Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
Um Wissenschaft und Tugend zu erstreben.

121
Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,

Hätt’ ich gewollt, nicht konnt’ ich mehr sie zwingen,
Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.

124
Und morgenwärts gewandt das Steuer, gingen[1]

Wir, tollen Flugs, dann immer linker Hand,
Und unsrer Eil’ verliehn die Ruder Schwingen.

127
Schon wurden jetzt vom Blick der Nacht erkannt[2]

Des andren Poles Stern’ und unsre klommen
Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand,

130
Schon fünfmal war entzündet und verglommen

Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,

133
Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut

Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.

136
Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,

Denn einen Wirbelwind’ fühlt’ ich entstehn
[151] Vom neuen Land, und unsern Vorbord schlagen;

139
Er macht’ uns dreimal mit den Fluten drehn,

Dann, als der hintre Theil emporgeschossen,
Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,

142
Bis über uns die Wogen sich verschlossen.“
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Siebenundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 8. Bulge. Fortsetzung. Guido von Montefeltro. Strafrede wider das Papstthum.

1
Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,

Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
Nachdem der süße Dichter ihr’s erlaubt.[3]

4
Wir sahn nach ihr sich eine zweite zeigen,

Und ein verwirrt Gestöhn’ das ihr entquoll,
Macht’ unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.

7
Gleichwie Siciliens Stier – der jammervoll[4]

Erstmals von seines Bildners Schrei’n erbrüllte
(Und so war’s Recht!) – von dessen Stimm’ erscholl,


  1. 124. Das Steuer des Schiffs ist am Hintertheil. Die Fahrt ging daher nach Westen, dann linker Hand, also nach Süden.
  2. 127. jenes Poles, des Südpols.
  3. [151] XXVII. 3. Wie Virgil dem Ulyß erlaubt hat, davon zu gehen, erfahren wir V. 21.
  4. 7–20. [Der Herausgeber maßt sich nicht an, diese besonders schwierige Stelle befriedigend wiedergegeben zu haben, hofft aber doch, daß bei möglichster Treue eine gewisse Verständlichkeit erreicht sei. – Zum Einzelnen ist zu bemerken, daß nach der Sage Perill von Athen dem Tyrannen Phalaris von Sizilien einen ehernen Stier fertigte, welcher, wenn ein Mensch darin schrie, während er glühend gemacht wurde, ein Gebrüll, ähnlich demjenigen eines lebenden Stiers, hervorbrachte. Phalaris aber hieß allererst – den Erfinder selbst hineinwerfen. Mit diesem durch einen Menschen hervorgerufenen Geräusch des Stiers vergleicht Dante das durch die innewohnenden Sünder hervorgebrachte Getön der wandelnden Flammen der achten Bulge, ehe dasselbe zur wirklichen Sprache wird. – Die Schilderung dieses letzteren Hergangs, V. 16–19, womit V. 58–61 zu vergleichen, ist jedenfalls außerordentlich fein gedacht. Die Zunge des in der Flamme Sprechenden erregt von unten herauf Schallwellen, welche, ehe sie sich durch die Flammenspitze Bahn gebrochen haben, nur ein Flackern und Knistern hervorbringen; dann aber, der Flammenspitze ihre eigene Schwingung mittheilend, brechen sie endlich in articulirten Tönen hervor.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 150 bzw. 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_150151.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)