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ist er immer wieder aufs neue aufgetreten, sondern, von ihm erweckt und entzündet, sind zahlreiche Männer erschienen, selbständig in ihrer Frömmigkeit und Theologie und doch Geist von seinem Geist.

Diese drei Elemente, das katholische, das lateinische im Sinne des römischen Weltreichs und das augustinische, konstituieren die Eigenart dieser Kirche.

Was das erste betrifft, so mögen Sie seine Bedeutung daran erkennen, daß die römische Kirche heute noch jeden griechischen Christen ohne weiteres aufnimmt, ja sich mit jeder griechischen Kirchengemeinde sofort „uniert“, sobald sie nur den Papst anerkennt und sich seiner apostolischen Oberhoheit unterwirft. Was man sonst noch von den Griechen verlangt, ist ganz unbedeutend; man läßt ihnen sogar den Gottesdienst in der Muttersprache und die verheirateten Priester. Bedenkt man, welcher „Reinigung“ sich die Protestanten unterwerfen müssen, bevor sie in den Schoß der römischen Kirche aufgenommen werden können, so springt der Unterschied in die Augen. Nun kann sich aber doch eine Kirche nicht so sehr über sich selbst täuschen, daß sie bei der Aufnahme neuer Mitglieder, zumal aus einer andern Konfession, wesentliche Bedingungen außer acht ließe. Es muß also das Element, welches die römische Kirche mit der griechischen teilt, ein so bedeutendes und entscheidendes sein, daß es unter der Voraussetzung der Anerkennung der päpstlichen Oberhoheit ausreicht, um die Union zu ermöglichen. In der That sind die Stücke, die den griechischen Katholizismus bestimmen, sämtlich auch in dem römischen zu finden und werden von ihm unter Umständen ebenso energisch geltend gemacht wie von jenem. Der Traditionalismus, die Orthodoxie und der Ritualismus spielen hier ganz dieselbe Rolle wie dort, sofern nicht „höhere Erwägungen“ eingreifen, und von dem Mönchtum gilt das nämliche.[AU 1]

Sofern nicht „höhere Erwägungen“ eingreifen – damit sind wir bereits zur Betrachtung des zweiten Elements übergegangen, nämlich des lateinischen Geistes im Sinne der römischen Weltherrschaft. Sehr frühe schon hat in der abendländischen Hälfte der Christenheit der lateinische Geist, der Geist Rom’s, eigentümliche Modifikationen des allgemein Katholischen bewirkt. Schon seit dem Anfang des dritten Jahrhunderts sehen wir, daß bei den lateinischen Vätern der Gedanke aufkommt, das Heil – mag es wie immer bewirkt und beschaffen sein – werde in Form eines Ver-

Anmerkung des Autors (1908)

  1. Am Schlusse dieses Abschnittes hätte die Folgerung ausdrücklich gezogen werden müssen, daß das Christentum in der römischen Kirche auf dasselbe tiefe Niveau herabzusinken vermag wie in den orientalischen Kirchen und auch faktisch in einigen Ländern herabgesunken ist.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/159&oldid=- (Version vom 30.6.2018)