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zur Folge. Die Apparatur, die die Leistung des Filmdarstellers vor das Publikum bringt, ist nicht gehalten, diese Leistung als Totalität zu respektieren. Sie nimmt unter Führung des Kameramannes laufend zu dieser Leistung Stellung. Die Folge von Stellungnahmen, die der Cutter aus dem ihm abgelieferten Material komponiert, bildet den fertig montierten Film. Er umfaßt eine gewisse Anzahl von Bewegungsmomenten, die als solche der Kamera erkannt werden müssen – von Spezialeinstellungen wie Großaufnahmen zu schweigen. So wird die Leistung des Darstellers einer Reihe von optischen Tests unterworfen. Dies ist die erste Folge des Umstands, daß die Leistung des Filmdarstellers durch die Apparatur vorgeführt wird. Die zweite Folge beruht darauf, daß der Filmdarsteller, da er nicht selbst seine Leistung dem Publikum präsentiert, die dem Bühnenschauspieler vorbehaltene Möglichkeit einbüßt, die Leistung während der Darbietung dem Publikum anzupassen. Dieses kommt dadurch in die Haltung eines durch keinerlei persönlichen Kontakt mit dem Darsteller gestörten Begutachters. Das Publikum fühlt sich in den Darsteller nur ein, indem es sich in den Apparat einfühlt. Es übernimmt also dessen Haltung: es testet.[1] Das ist keine Haltung, der Kultwerte ausgesetzt werden können.


IX


Dem Film kommt es viel weniger darauf an, daß der Darsteller dem Publikum einen anderen, als daß er der Apparatur sich

  1. »Der Film … gibt (oder könnte geben): verwendbare Aufschlüsse über menschliche Handlungen im Detail … Jede Motivierung aus dem Charakter unterbleibt, das Innenleben der Personen gibt niemals die Hauptursache und ist selten das hauptsächliche Resultat der Handlung«. (Brecht, l. c. [S. 484], p. 268.) Die Erweiterung des Feldes des Testierbaren, die die Apparatur am Filmdarsteller zustandebringt, entspricht der außerordentlichen Erweiterung des Feldes des Testierbaren, die durch die ökonomischen Umstände für das Individuum eingetreten ist. So wächst die Bedeutung der Berufseignungsprüfungen dauernd. In der Berufseignungsprüfung kommt es auf Ausschnitte aus der Leistung des Individuums an. Filmaufnahme und Berufseignungsprüfung gehen vor einem Gremium von Fachleuten vor sich. Der Aufnahmeleiter im Filmatelier steht genau an der Stelle, an der bei der Eignungsprüfung der Versuchsleiter steht.